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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Eine Rechtsphilosophie

nach Vernichtung des Pfandes die Schuld, also auch der Anspruch des
Gläubigers, fort. Doch wirke die ältere Auffassung des Pfandes noch in die
Gegenwart hinein, zum Beispiel "in dem Grundsatze unsers Konkursrechts, daß
wer ein Pfand hat, nicht mehr seine ganze Forderung, sondern nur den Ausfall
im Konkurs anmelden darf".

In dem Kapitel vom Tausch und Kauf werden der Tauschwert und das
Geld ungefähr in der Weise, nur natürlich sehr kurz, behandelt, wie ich es zu
tun Pflege. In der Lehre vom Zins wird anerkannt, daß die Zinsverbote
früherer Zeiten aus mehreren Gründen berechtigt gewesen sind. Einmal weil
es sich meist nicht um Produktiv- sondern nur um Notkredit handelte, wo also
der Zins wirklich Wucher, das heißt ein durch Ausbeutung der Notlage des
Nächsten erlangter Gewinn war. Dann weil unverschämt hohe, den Schuldner
erdrückende Zinsen gefordert wurden, solange nicht regelmäßiges und allge¬
meines Zinsnehmen eine Konkurrenz der Kapitalisten erzeugt hatte, die den
Zinsfuß auf ein erträgliches Maß herabdrückte. Endlich -- ein Umstand, der
bisher nicht gehörig beachtet worden ist, den hervorgehoben zu haben also dem
Verfasser zu besonderm Verdienste angerechnet werden muß -- weil das Zins¬
verbot den Vermögenden hinderte, sich zur Ruhe zu setzen. Er konnte von
seinem Vermögen nur dann leben, wenn er es durch Arbeit nützte: als Grund¬
besitzer seinen Acker bebauen ließ, als Kapitalist sein Geld in einem Handel,
einem Gewerbe anlegte, den oder das er selbst betrieb. Der Zwang, mit dem
Kapital Arbeit und Sorge zu verbinden, ist den wenig industriellen Völkern
sehr heilsam: er hilft, sie zur Arbeit zu erziehen. In der allgemeinen und
stetigen Erwerbsarbeit erwacht dann der Erwerbssinn und steigert sich in dem
Maße, daß man nicht mehr bloß so viel erwerben will, als nötig ist, von den
Zinsen leben zu können, sondern daß ein jeder, je reicher er wird, desto mehr
Reichtümer noch dazu aufhäufen will. Auf dieser Stufe ist dann das Zinsen¬
verbot und auch schon die Zinstaxe, die ebenso wie die Warentaxe heilsam
wirkt, solange die Konkurrenz fehlt, nicht mehr notwendig, vielmehr schädlich.
Die allgemein dargebotne Möglichkeit, das Kapital durch Zinsnehmen zu ver¬
werten, hat dann uoch die weitere gute Wirkung, daß sie einen raschen und
fortwährenden Kapitaltausch in Gang bringt, der das Kapital denen zuführt,
die damit am meisten auszurichten vermögen. Zur Ausschaltung eines sehr
wirksamen unlogischen oder richtiger irrationalen Elements, des Zufalls, und
zur Überwindung des Hindernisses der Zeit, zur Diskontierung zukünftiger
Werte dient in unsrer Zeit das so großartig organisierte Versicherungswesen.
Eines der wichtigsten Mittel, die Arbeit produktiver zu machen, ist die Ver¬
gesellschaftung von Personen, von Kapitalien, namentlich auch in der Weise,
daß sich ein Kapitalbesitzer mit einem oder mehreren Arbeit leistenden verbündet.
Dabei, bemerkt Kohler, habe die Rechtsordnung besonders dafür zu sorgen,
daß die Arbeit gehörig gewertet werde (der Arbeitende also bei der Gewinn¬
verteilung dem Kapitalisten gegenüber nicht zu kurz komme), und daß keine


Grenzboten VI 1909 77
Eine Rechtsphilosophie

nach Vernichtung des Pfandes die Schuld, also auch der Anspruch des
Gläubigers, fort. Doch wirke die ältere Auffassung des Pfandes noch in die
Gegenwart hinein, zum Beispiel „in dem Grundsatze unsers Konkursrechts, daß
wer ein Pfand hat, nicht mehr seine ganze Forderung, sondern nur den Ausfall
im Konkurs anmelden darf".

In dem Kapitel vom Tausch und Kauf werden der Tauschwert und das
Geld ungefähr in der Weise, nur natürlich sehr kurz, behandelt, wie ich es zu
tun Pflege. In der Lehre vom Zins wird anerkannt, daß die Zinsverbote
früherer Zeiten aus mehreren Gründen berechtigt gewesen sind. Einmal weil
es sich meist nicht um Produktiv- sondern nur um Notkredit handelte, wo also
der Zins wirklich Wucher, das heißt ein durch Ausbeutung der Notlage des
Nächsten erlangter Gewinn war. Dann weil unverschämt hohe, den Schuldner
erdrückende Zinsen gefordert wurden, solange nicht regelmäßiges und allge¬
meines Zinsnehmen eine Konkurrenz der Kapitalisten erzeugt hatte, die den
Zinsfuß auf ein erträgliches Maß herabdrückte. Endlich — ein Umstand, der
bisher nicht gehörig beachtet worden ist, den hervorgehoben zu haben also dem
Verfasser zu besonderm Verdienste angerechnet werden muß — weil das Zins¬
verbot den Vermögenden hinderte, sich zur Ruhe zu setzen. Er konnte von
seinem Vermögen nur dann leben, wenn er es durch Arbeit nützte: als Grund¬
besitzer seinen Acker bebauen ließ, als Kapitalist sein Geld in einem Handel,
einem Gewerbe anlegte, den oder das er selbst betrieb. Der Zwang, mit dem
Kapital Arbeit und Sorge zu verbinden, ist den wenig industriellen Völkern
sehr heilsam: er hilft, sie zur Arbeit zu erziehen. In der allgemeinen und
stetigen Erwerbsarbeit erwacht dann der Erwerbssinn und steigert sich in dem
Maße, daß man nicht mehr bloß so viel erwerben will, als nötig ist, von den
Zinsen leben zu können, sondern daß ein jeder, je reicher er wird, desto mehr
Reichtümer noch dazu aufhäufen will. Auf dieser Stufe ist dann das Zinsen¬
verbot und auch schon die Zinstaxe, die ebenso wie die Warentaxe heilsam
wirkt, solange die Konkurrenz fehlt, nicht mehr notwendig, vielmehr schädlich.
Die allgemein dargebotne Möglichkeit, das Kapital durch Zinsnehmen zu ver¬
werten, hat dann uoch die weitere gute Wirkung, daß sie einen raschen und
fortwährenden Kapitaltausch in Gang bringt, der das Kapital denen zuführt,
die damit am meisten auszurichten vermögen. Zur Ausschaltung eines sehr
wirksamen unlogischen oder richtiger irrationalen Elements, des Zufalls, und
zur Überwindung des Hindernisses der Zeit, zur Diskontierung zukünftiger
Werte dient in unsrer Zeit das so großartig organisierte Versicherungswesen.
Eines der wichtigsten Mittel, die Arbeit produktiver zu machen, ist die Ver¬
gesellschaftung von Personen, von Kapitalien, namentlich auch in der Weise,
daß sich ein Kapitalbesitzer mit einem oder mehreren Arbeit leistenden verbündet.
Dabei, bemerkt Kohler, habe die Rechtsordnung besonders dafür zu sorgen,
daß die Arbeit gehörig gewertet werde (der Arbeitende also bei der Gewinn¬
verteilung dem Kapitalisten gegenüber nicht zu kurz komme), und daß keine


Grenzboten VI 1909 77
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[0607] Eine Rechtsphilosophie nach Vernichtung des Pfandes die Schuld, also auch der Anspruch des Gläubigers, fort. Doch wirke die ältere Auffassung des Pfandes noch in die Gegenwart hinein, zum Beispiel „in dem Grundsatze unsers Konkursrechts, daß wer ein Pfand hat, nicht mehr seine ganze Forderung, sondern nur den Ausfall im Konkurs anmelden darf". In dem Kapitel vom Tausch und Kauf werden der Tauschwert und das Geld ungefähr in der Weise, nur natürlich sehr kurz, behandelt, wie ich es zu tun Pflege. In der Lehre vom Zins wird anerkannt, daß die Zinsverbote früherer Zeiten aus mehreren Gründen berechtigt gewesen sind. Einmal weil es sich meist nicht um Produktiv- sondern nur um Notkredit handelte, wo also der Zins wirklich Wucher, das heißt ein durch Ausbeutung der Notlage des Nächsten erlangter Gewinn war. Dann weil unverschämt hohe, den Schuldner erdrückende Zinsen gefordert wurden, solange nicht regelmäßiges und allge¬ meines Zinsnehmen eine Konkurrenz der Kapitalisten erzeugt hatte, die den Zinsfuß auf ein erträgliches Maß herabdrückte. Endlich — ein Umstand, der bisher nicht gehörig beachtet worden ist, den hervorgehoben zu haben also dem Verfasser zu besonderm Verdienste angerechnet werden muß — weil das Zins¬ verbot den Vermögenden hinderte, sich zur Ruhe zu setzen. Er konnte von seinem Vermögen nur dann leben, wenn er es durch Arbeit nützte: als Grund¬ besitzer seinen Acker bebauen ließ, als Kapitalist sein Geld in einem Handel, einem Gewerbe anlegte, den oder das er selbst betrieb. Der Zwang, mit dem Kapital Arbeit und Sorge zu verbinden, ist den wenig industriellen Völkern sehr heilsam: er hilft, sie zur Arbeit zu erziehen. In der allgemeinen und stetigen Erwerbsarbeit erwacht dann der Erwerbssinn und steigert sich in dem Maße, daß man nicht mehr bloß so viel erwerben will, als nötig ist, von den Zinsen leben zu können, sondern daß ein jeder, je reicher er wird, desto mehr Reichtümer noch dazu aufhäufen will. Auf dieser Stufe ist dann das Zinsen¬ verbot und auch schon die Zinstaxe, die ebenso wie die Warentaxe heilsam wirkt, solange die Konkurrenz fehlt, nicht mehr notwendig, vielmehr schädlich. Die allgemein dargebotne Möglichkeit, das Kapital durch Zinsnehmen zu ver¬ werten, hat dann uoch die weitere gute Wirkung, daß sie einen raschen und fortwährenden Kapitaltausch in Gang bringt, der das Kapital denen zuführt, die damit am meisten auszurichten vermögen. Zur Ausschaltung eines sehr wirksamen unlogischen oder richtiger irrationalen Elements, des Zufalls, und zur Überwindung des Hindernisses der Zeit, zur Diskontierung zukünftiger Werte dient in unsrer Zeit das so großartig organisierte Versicherungswesen. Eines der wichtigsten Mittel, die Arbeit produktiver zu machen, ist die Ver¬ gesellschaftung von Personen, von Kapitalien, namentlich auch in der Weise, daß sich ein Kapitalbesitzer mit einem oder mehreren Arbeit leistenden verbündet. Dabei, bemerkt Kohler, habe die Rechtsordnung besonders dafür zu sorgen, daß die Arbeit gehörig gewertet werde (der Arbeitende also bei der Gewinn¬ verteilung dem Kapitalisten gegenüber nicht zu kurz komme), und daß keine Grenzboten VI 1909 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/607>, abgerufen am 22.12.2024.