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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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werden kann, sollte nach Kohler die Erziehungspflicht dem Staate auferlegt
werden. Es sei eine Ungerechtigkeit gegen das Kind, wenn man ihm den einen
Elternteil nehme, und zugleich eine Schädigung des Volkswohls und der
Kultur, wenn man so viele Kinder verkümmern lasse. "Die unrichtige Be¬
handlung der unehelichen Kindschaft, die scheinheilige und kurzsichtige Vogel-
straußpolikik, die verkennt, welch tüchtiges Kapital geistiger Kraft hier verloren
geht, hat lange Zeit unsre gesellschaftlichen Verhältnisse aufs tiefste geschädigt."
Ju dem Abschnitt über die künstliche Verwandtschaft wird das Verschwinden
der Blutbrüderschaft "aufs höchste bedauert, denn eine derartige Steigerung
der Selbstlosigkeit, eine solche Hilfe in allen Lebenslagen muß unter allen
Umständen als kulturfördernd erscheinen, wie überhaupt jede Idealität an sich
die Kulturkraft eines Volkes erhöht, soweit sie nicht zu sehr mit zerstörlichen
Elementen gemischt ist."

Das Kapitel "Recht des Vermögens" beginnt mit der Definition: "Das
Eigentum ist rechtsphilosophisch eine einzelpersönliche Beziehung des Rechts-
subjekts zu einem körperlichen Gegenstande und setzt voraus, daß die Körperwelt
aufgeteilt ist und nicht etwa dem gemeinsamen Genusse aller dient." Die
Entstehung des Eigentums wird in der gebräuchlichen Weise dargestellt und
das Privateigentum mit den bekannten Gründen gerechtfertigt. Immaterielle
Güter dürfen nur zeitweise im Privateigentum belassen werden und müssen
dann, um ihre Kulturbestimmung zu erfüllen, Gemeingut werden. Das gilt
namentlich von Erfindungen, die sich bewähren. Habe sich aber eine Erfindung
nicht bewährt, dann sei der Rückfall an die Gesamtheit erst recht notwendig:
"denn unfruchtbare Rechte sind ein nutzloses Hemmnis und eine Quelle für
menschliche Mißwirtschaft." Was nützt aber der Gesamtheit das Eigentum
einer Erfindung, die sich nicht bewährt hat, die ihr also weder eine Kultur¬
förderung noch eine Rente bringt? Für beide, für die Gesamtheit wie für
den Erfinder, ist es vollkommen gleichgiltig, in welchem Zeitpunkte das Patent
auf eine wertlose Erfindung erlischt; seine ewige Fortdauer wäre sinnlos,
würde aber keinen Schaden anrichten. Als ein sehr zweckmäßiges Mittel, ge¬
wisse Güter der Sondernutzung zu entziehen und dem Gesamtwohl dienstbar
zu machen, wird das Tabu der Naturvölker dargestellt. Unter anderm wird
noch gezeigt, wie die Veräußerlichkeit des Vermögens die Hauptursache der
Vermögensungleichheit sei und der Mißstände, die aus übergroßer Ver¬
schiedenheit der Vermögen entspringen, und es werden die Mittel aufgezählt,
mit denen man diese Übelstände zu mildern sucht. In diesen Mildcrungsvcr-
suchen offenbare sich das Gesetz der Kulturentwicklung, "daß die Vereinzelung
immer wieder zur Vergesamtung, und daß somit die Ungleichheit immer wieder
zur Gleichheit strebt."

Von hohem Wert für die Kulturentwicklung, heißt es in dem Kapitel
über das Schuldrecht, seien die Schuldverhältnisse; diese setzten die Einzel¬
wirtschaften in beständige Beziehung zueinander und bewirkten so, daß die


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werden kann, sollte nach Kohler die Erziehungspflicht dem Staate auferlegt
werden. Es sei eine Ungerechtigkeit gegen das Kind, wenn man ihm den einen
Elternteil nehme, und zugleich eine Schädigung des Volkswohls und der
Kultur, wenn man so viele Kinder verkümmern lasse. „Die unrichtige Be¬
handlung der unehelichen Kindschaft, die scheinheilige und kurzsichtige Vogel-
straußpolikik, die verkennt, welch tüchtiges Kapital geistiger Kraft hier verloren
geht, hat lange Zeit unsre gesellschaftlichen Verhältnisse aufs tiefste geschädigt."
Ju dem Abschnitt über die künstliche Verwandtschaft wird das Verschwinden
der Blutbrüderschaft „aufs höchste bedauert, denn eine derartige Steigerung
der Selbstlosigkeit, eine solche Hilfe in allen Lebenslagen muß unter allen
Umständen als kulturfördernd erscheinen, wie überhaupt jede Idealität an sich
die Kulturkraft eines Volkes erhöht, soweit sie nicht zu sehr mit zerstörlichen
Elementen gemischt ist."

Das Kapitel „Recht des Vermögens" beginnt mit der Definition: „Das
Eigentum ist rechtsphilosophisch eine einzelpersönliche Beziehung des Rechts-
subjekts zu einem körperlichen Gegenstande und setzt voraus, daß die Körperwelt
aufgeteilt ist und nicht etwa dem gemeinsamen Genusse aller dient." Die
Entstehung des Eigentums wird in der gebräuchlichen Weise dargestellt und
das Privateigentum mit den bekannten Gründen gerechtfertigt. Immaterielle
Güter dürfen nur zeitweise im Privateigentum belassen werden und müssen
dann, um ihre Kulturbestimmung zu erfüllen, Gemeingut werden. Das gilt
namentlich von Erfindungen, die sich bewähren. Habe sich aber eine Erfindung
nicht bewährt, dann sei der Rückfall an die Gesamtheit erst recht notwendig:
„denn unfruchtbare Rechte sind ein nutzloses Hemmnis und eine Quelle für
menschliche Mißwirtschaft." Was nützt aber der Gesamtheit das Eigentum
einer Erfindung, die sich nicht bewährt hat, die ihr also weder eine Kultur¬
förderung noch eine Rente bringt? Für beide, für die Gesamtheit wie für
den Erfinder, ist es vollkommen gleichgiltig, in welchem Zeitpunkte das Patent
auf eine wertlose Erfindung erlischt; seine ewige Fortdauer wäre sinnlos,
würde aber keinen Schaden anrichten. Als ein sehr zweckmäßiges Mittel, ge¬
wisse Güter der Sondernutzung zu entziehen und dem Gesamtwohl dienstbar
zu machen, wird das Tabu der Naturvölker dargestellt. Unter anderm wird
noch gezeigt, wie die Veräußerlichkeit des Vermögens die Hauptursache der
Vermögensungleichheit sei und der Mißstände, die aus übergroßer Ver¬
schiedenheit der Vermögen entspringen, und es werden die Mittel aufgezählt,
mit denen man diese Übelstände zu mildern sucht. In diesen Mildcrungsvcr-
suchen offenbare sich das Gesetz der Kulturentwicklung, „daß die Vereinzelung
immer wieder zur Vergesamtung, und daß somit die Ungleichheit immer wieder
zur Gleichheit strebt."

Von hohem Wert für die Kulturentwicklung, heißt es in dem Kapitel
über das Schuldrecht, seien die Schuldverhältnisse; diese setzten die Einzel¬
wirtschaften in beständige Beziehung zueinander und bewirkten so, daß die


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[0604] Line Rechtsphilosophie werden kann, sollte nach Kohler die Erziehungspflicht dem Staate auferlegt werden. Es sei eine Ungerechtigkeit gegen das Kind, wenn man ihm den einen Elternteil nehme, und zugleich eine Schädigung des Volkswohls und der Kultur, wenn man so viele Kinder verkümmern lasse. „Die unrichtige Be¬ handlung der unehelichen Kindschaft, die scheinheilige und kurzsichtige Vogel- straußpolikik, die verkennt, welch tüchtiges Kapital geistiger Kraft hier verloren geht, hat lange Zeit unsre gesellschaftlichen Verhältnisse aufs tiefste geschädigt." Ju dem Abschnitt über die künstliche Verwandtschaft wird das Verschwinden der Blutbrüderschaft „aufs höchste bedauert, denn eine derartige Steigerung der Selbstlosigkeit, eine solche Hilfe in allen Lebenslagen muß unter allen Umständen als kulturfördernd erscheinen, wie überhaupt jede Idealität an sich die Kulturkraft eines Volkes erhöht, soweit sie nicht zu sehr mit zerstörlichen Elementen gemischt ist." Das Kapitel „Recht des Vermögens" beginnt mit der Definition: „Das Eigentum ist rechtsphilosophisch eine einzelpersönliche Beziehung des Rechts- subjekts zu einem körperlichen Gegenstande und setzt voraus, daß die Körperwelt aufgeteilt ist und nicht etwa dem gemeinsamen Genusse aller dient." Die Entstehung des Eigentums wird in der gebräuchlichen Weise dargestellt und das Privateigentum mit den bekannten Gründen gerechtfertigt. Immaterielle Güter dürfen nur zeitweise im Privateigentum belassen werden und müssen dann, um ihre Kulturbestimmung zu erfüllen, Gemeingut werden. Das gilt namentlich von Erfindungen, die sich bewähren. Habe sich aber eine Erfindung nicht bewährt, dann sei der Rückfall an die Gesamtheit erst recht notwendig: „denn unfruchtbare Rechte sind ein nutzloses Hemmnis und eine Quelle für menschliche Mißwirtschaft." Was nützt aber der Gesamtheit das Eigentum einer Erfindung, die sich nicht bewährt hat, die ihr also weder eine Kultur¬ förderung noch eine Rente bringt? Für beide, für die Gesamtheit wie für den Erfinder, ist es vollkommen gleichgiltig, in welchem Zeitpunkte das Patent auf eine wertlose Erfindung erlischt; seine ewige Fortdauer wäre sinnlos, würde aber keinen Schaden anrichten. Als ein sehr zweckmäßiges Mittel, ge¬ wisse Güter der Sondernutzung zu entziehen und dem Gesamtwohl dienstbar zu machen, wird das Tabu der Naturvölker dargestellt. Unter anderm wird noch gezeigt, wie die Veräußerlichkeit des Vermögens die Hauptursache der Vermögensungleichheit sei und der Mißstände, die aus übergroßer Ver¬ schiedenheit der Vermögen entspringen, und es werden die Mittel aufgezählt, mit denen man diese Übelstände zu mildern sucht. In diesen Mildcrungsvcr- suchen offenbare sich das Gesetz der Kulturentwicklung, „daß die Vereinzelung immer wieder zur Vergesamtung, und daß somit die Ungleichheit immer wieder zur Gleichheit strebt." Von hohem Wert für die Kulturentwicklung, heißt es in dem Kapitel über das Schuldrecht, seien die Schuldverhältnisse; diese setzten die Einzel¬ wirtschaften in beständige Beziehung zueinander und bewirkten so, daß die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/604>, abgerufen am 25.08.2024.