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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zentrum und Katholizismus

kann man im nationalen Sinne nicht mehr segeln. Im übrigen zeigen auch
die neusten Vorgänge innerhalb der Zentrumspartei, wie zum Beispiel der
durch die Kölner Osterdieustagskonferenz entstandne Streit mit allen seinen
Begleiterscheinungen, daß man durchaus nicht gesonnen ist, die alten Bahnen
zu verlassen, sondern daß im Gegenteil alle, die mit solchem Beginnen auch
nur kokettieren, sofort die Macht der Jntransigenten zu spüren bekommen.
Die ganze Bitter-Noerensche Aktion ist doch nur ein Auftrumpfen der in-
transigenten Strömung innerhalb der katholischen Klerus- und Laienwelt
gegen jede, wenn auch nur scheinbare Annäherung an alles nichtkatholische.
Es ist ein offnes Geheimnis, daß die Betonung des interkonfessionellen
Charakters des Zentrums seitens eines Teiles der Parteipresse nur eine
scheinbare Annäherung an Andersgläubige ist, die nur taktischen Rücksichten
entspringt. Die ganze Richtung denkt gar nicht an ein wirkliches Aufgeben
des katholischen Charakters der Partei. Ebenso weiß jeder, daß die Leiter
des "Volksvereins für das katholische Deutschland" auf streng katholischem
Standpunkt stehn. Den Elementen um Roeren und Bitter und den hinter
ihnen stehenden eigentlichen Drahtziehern aus dem niedern katholischen Klerus
aber ist schon dies kleine Maß einer selbständigen Laientätigkeit verdächtig!
Sie befürchten von ihr eine VerWässerung des katholischen Charakters der
Partei, befürchten von ihr Schaden für die Kirche. Am bezeichnendsten aber
ist es für die ganze Richtung, daß sie eine engere Fühlung mit dem Episkopat
verlangt, weil der Verein eine gewaltige Entwicklung genommen und großen
Einfluß auf das katholische Volksleben gewonnen habe. Sie fürchtet ent¬
schieden, daß der Verein einmal die gleichen Wege gehn könnte wie die von
ihr bekämpften christlichen Gewerkschaften, daß er flügge werden und sich der
scharfen, bis ins einzelne gehenden geistlichen Führung entziehen könnte. Das
aber will sie keiner machtvollen Organisation, bei der Katholiken
beteiligt sind, gestatten.

Es ist keine Frage, daß man die Hoffnung aufgeben muß, eine politische
Partei in eine nationale umzuwandeln, solange solche Elemente in ihr zu
Worte kommen. Daneben muß festgestellt werden, daß es die Parteileitung
bisher nicht gewagt hat, gegen diese Elemente energisch Front zu machen
und es auf eine scharfe Auseinandersetzung ankommen zu lassen. Sie hat
sich vielmehr durchaus hinhaltend benommen. Ihre schwächliche Erklärung,
sie würde sich über den Charakter der Partei im Herbst endgiltig auslassen,
sagt gar nichts. Die Auslassung wird voraussichtlich nicht mehr geben als
die Äußerung des Abgeordneten Sabatier, der eine Klärung der Frage über¬
haupt nicht für notwendig hält. Weitere Gründe gegen die Möglichkeit einer
Erziehung des Zentrums in nationalem Sinne liegen in der Schwierigkeit,
aus dem Zentrum die Konnivenz gegen die polnischen Bestrebungen
und das Liebäugeln mit der Sozialdemokratie zu verbannen. Beides
sind so eingefressene Übel, daß ihre Beseitigung innerhalb der Partei un-


Zentrum und Katholizismus

kann man im nationalen Sinne nicht mehr segeln. Im übrigen zeigen auch
die neusten Vorgänge innerhalb der Zentrumspartei, wie zum Beispiel der
durch die Kölner Osterdieustagskonferenz entstandne Streit mit allen seinen
Begleiterscheinungen, daß man durchaus nicht gesonnen ist, die alten Bahnen
zu verlassen, sondern daß im Gegenteil alle, die mit solchem Beginnen auch
nur kokettieren, sofort die Macht der Jntransigenten zu spüren bekommen.
Die ganze Bitter-Noerensche Aktion ist doch nur ein Auftrumpfen der in-
transigenten Strömung innerhalb der katholischen Klerus- und Laienwelt
gegen jede, wenn auch nur scheinbare Annäherung an alles nichtkatholische.
Es ist ein offnes Geheimnis, daß die Betonung des interkonfessionellen
Charakters des Zentrums seitens eines Teiles der Parteipresse nur eine
scheinbare Annäherung an Andersgläubige ist, die nur taktischen Rücksichten
entspringt. Die ganze Richtung denkt gar nicht an ein wirkliches Aufgeben
des katholischen Charakters der Partei. Ebenso weiß jeder, daß die Leiter
des „Volksvereins für das katholische Deutschland" auf streng katholischem
Standpunkt stehn. Den Elementen um Roeren und Bitter und den hinter
ihnen stehenden eigentlichen Drahtziehern aus dem niedern katholischen Klerus
aber ist schon dies kleine Maß einer selbständigen Laientätigkeit verdächtig!
Sie befürchten von ihr eine VerWässerung des katholischen Charakters der
Partei, befürchten von ihr Schaden für die Kirche. Am bezeichnendsten aber
ist es für die ganze Richtung, daß sie eine engere Fühlung mit dem Episkopat
verlangt, weil der Verein eine gewaltige Entwicklung genommen und großen
Einfluß auf das katholische Volksleben gewonnen habe. Sie fürchtet ent¬
schieden, daß der Verein einmal die gleichen Wege gehn könnte wie die von
ihr bekämpften christlichen Gewerkschaften, daß er flügge werden und sich der
scharfen, bis ins einzelne gehenden geistlichen Führung entziehen könnte. Das
aber will sie keiner machtvollen Organisation, bei der Katholiken
beteiligt sind, gestatten.

Es ist keine Frage, daß man die Hoffnung aufgeben muß, eine politische
Partei in eine nationale umzuwandeln, solange solche Elemente in ihr zu
Worte kommen. Daneben muß festgestellt werden, daß es die Parteileitung
bisher nicht gewagt hat, gegen diese Elemente energisch Front zu machen
und es auf eine scharfe Auseinandersetzung ankommen zu lassen. Sie hat
sich vielmehr durchaus hinhaltend benommen. Ihre schwächliche Erklärung,
sie würde sich über den Charakter der Partei im Herbst endgiltig auslassen,
sagt gar nichts. Die Auslassung wird voraussichtlich nicht mehr geben als
die Äußerung des Abgeordneten Sabatier, der eine Klärung der Frage über¬
haupt nicht für notwendig hält. Weitere Gründe gegen die Möglichkeit einer
Erziehung des Zentrums in nationalem Sinne liegen in der Schwierigkeit,
aus dem Zentrum die Konnivenz gegen die polnischen Bestrebungen
und das Liebäugeln mit der Sozialdemokratie zu verbannen. Beides
sind so eingefressene Übel, daß ihre Beseitigung innerhalb der Partei un-


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[0546] Zentrum und Katholizismus kann man im nationalen Sinne nicht mehr segeln. Im übrigen zeigen auch die neusten Vorgänge innerhalb der Zentrumspartei, wie zum Beispiel der durch die Kölner Osterdieustagskonferenz entstandne Streit mit allen seinen Begleiterscheinungen, daß man durchaus nicht gesonnen ist, die alten Bahnen zu verlassen, sondern daß im Gegenteil alle, die mit solchem Beginnen auch nur kokettieren, sofort die Macht der Jntransigenten zu spüren bekommen. Die ganze Bitter-Noerensche Aktion ist doch nur ein Auftrumpfen der in- transigenten Strömung innerhalb der katholischen Klerus- und Laienwelt gegen jede, wenn auch nur scheinbare Annäherung an alles nichtkatholische. Es ist ein offnes Geheimnis, daß die Betonung des interkonfessionellen Charakters des Zentrums seitens eines Teiles der Parteipresse nur eine scheinbare Annäherung an Andersgläubige ist, die nur taktischen Rücksichten entspringt. Die ganze Richtung denkt gar nicht an ein wirkliches Aufgeben des katholischen Charakters der Partei. Ebenso weiß jeder, daß die Leiter des „Volksvereins für das katholische Deutschland" auf streng katholischem Standpunkt stehn. Den Elementen um Roeren und Bitter und den hinter ihnen stehenden eigentlichen Drahtziehern aus dem niedern katholischen Klerus aber ist schon dies kleine Maß einer selbständigen Laientätigkeit verdächtig! Sie befürchten von ihr eine VerWässerung des katholischen Charakters der Partei, befürchten von ihr Schaden für die Kirche. Am bezeichnendsten aber ist es für die ganze Richtung, daß sie eine engere Fühlung mit dem Episkopat verlangt, weil der Verein eine gewaltige Entwicklung genommen und großen Einfluß auf das katholische Volksleben gewonnen habe. Sie fürchtet ent¬ schieden, daß der Verein einmal die gleichen Wege gehn könnte wie die von ihr bekämpften christlichen Gewerkschaften, daß er flügge werden und sich der scharfen, bis ins einzelne gehenden geistlichen Führung entziehen könnte. Das aber will sie keiner machtvollen Organisation, bei der Katholiken beteiligt sind, gestatten. Es ist keine Frage, daß man die Hoffnung aufgeben muß, eine politische Partei in eine nationale umzuwandeln, solange solche Elemente in ihr zu Worte kommen. Daneben muß festgestellt werden, daß es die Parteileitung bisher nicht gewagt hat, gegen diese Elemente energisch Front zu machen und es auf eine scharfe Auseinandersetzung ankommen zu lassen. Sie hat sich vielmehr durchaus hinhaltend benommen. Ihre schwächliche Erklärung, sie würde sich über den Charakter der Partei im Herbst endgiltig auslassen, sagt gar nichts. Die Auslassung wird voraussichtlich nicht mehr geben als die Äußerung des Abgeordneten Sabatier, der eine Klärung der Frage über¬ haupt nicht für notwendig hält. Weitere Gründe gegen die Möglichkeit einer Erziehung des Zentrums in nationalem Sinne liegen in der Schwierigkeit, aus dem Zentrum die Konnivenz gegen die polnischen Bestrebungen und das Liebäugeln mit der Sozialdemokratie zu verbannen. Beides sind so eingefressene Übel, daß ihre Beseitigung innerhalb der Partei un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/546>, abgerufen am 23.07.2024.