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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zentrum und Katholizismus

möglich erscheint, selbst wenn es gelänge, dem eigentlichen Paktieren mit den
beiden Reichsfeinden Einhalt zu tun. Wenn hiernach eine Umbildung der
Zentrumspartei unmöglich erscheint, und der Weg zu einer von vater¬
ländischen Geiste getragnen politischen Wirksamkeit der Katholiken nur außer¬
halb der Zentrumspartei und letzten Endes durch ihre Auflösung gefunden
werden kann, so möchten wir doch die Tätigkeit nationaler Elemente, wie
sie ja tatsächlich glücklicherweise noch in der Partei vorhanden sind, freilich
ohne zur vollen Wirksamkeit gelangen zu können, keineswegs missen. Sie
können auch in der gegenwärtigen Lage erzieherisch wirken, können manches
Gute leisten und eine Wendung zum Bessern vorbereiten. Doch wir können
dem Optimismus nicht beitreten, als wenn dieser Weg allein genügte, um
zum Ziele zu gelangen.

Die Zerstörung der Zentrumspartei ist ein schwieriges, an¬
scheinend allzu schwieriges Ziel. Die Partei erscheint so mächtig, so
fest gegründet und gut organisiert, daß man geneigt sein möchte, denen Recht
zu geben, die sie mit einer gewissen absichtlichen Anspielung auf den "Felsen
Petri" als den roelisr as w'vo?s bezeichnen, an dem alle Angriffe der Gegner
zerschellen würden. Es muß auch zugegeben werden, daß die bisher dem Zentrum
gegenüber erreichten äußern Erfolge der Antizentrumskatholikcn noch nicht sehr
bedeutend waren. Dennoch machen sich in diesem gewaltigen Gefüge manche
Risse und Brüche bemerkbar, und es zeigt sich, daß die Tätigkeit der "nationalen"
Katholiken doch nicht ganz nutzlos geblieben ist. Wir sehen innerhalb der
Partei mehr und mehr die Geister sich scheiden. Gerade solche Erscheinungen
wie die Noeren-Bittersche Bewegung und alles, was mit ihr zusammenhängt,
oder wie das Zusammengehn mit Sozialdemokraten und Polen, öffnen manchem
Zentrumswähler die Augen. Unter diesen Wählern befinden sich ja so viele,
die von Herzen patriotisch gesinnt sind und ihre Stimme dem Zentrum nur
geben, weil sie einerseits glauben, das Schicksal der katholischen Religion sei
in Deutschland ohne ein mächtiges Zentrum gefährdet, und andrerseits weil
sie noch in dem Wahne leben, diese Stimmabgabe sei mit ihrem monarchischen
und patriotischen Gewissen zu vereinigen. Dabei aber sind sie durchaus nicht
gesonnen, sich die Freiheit ihrer politischen Tätigkeit durch die Forderung
blinder Unterordnung unter kirchenpolitische Wünsche beschneiden zu lassen.
Nimmt man diesen Leuten die Besorgnis um das Los eines vom Zentrum
nicht mehr beschützten Katholizismus, mehren sich ferner solche Erscheinungen,
in denen sie eine Bedrohung ihrer politischen Freiheit des Handelns sehn müssen,
oder die ihnen das Zentrum im Gegensatz zu staatserhaltenden Grundsätzen
zeigen, so wird auch für sie in hoffentlich nicht zu ferner Zeit der Augenblick
kommen, wo sie es nicht mehr über sich bringen werden, noch weiter "mit¬
zumachen". Einen solchen Augenblick hat es für so manchen alten Zentrums¬
mann im Dezember 1906 gegeben. Andrerseits hat die Haltung der Partei in
der Neichsfinanzreformfrage viele Wühler von der Zentrumslinken bekanntlich


Zentrum und Katholizismus

möglich erscheint, selbst wenn es gelänge, dem eigentlichen Paktieren mit den
beiden Reichsfeinden Einhalt zu tun. Wenn hiernach eine Umbildung der
Zentrumspartei unmöglich erscheint, und der Weg zu einer von vater¬
ländischen Geiste getragnen politischen Wirksamkeit der Katholiken nur außer¬
halb der Zentrumspartei und letzten Endes durch ihre Auflösung gefunden
werden kann, so möchten wir doch die Tätigkeit nationaler Elemente, wie
sie ja tatsächlich glücklicherweise noch in der Partei vorhanden sind, freilich
ohne zur vollen Wirksamkeit gelangen zu können, keineswegs missen. Sie
können auch in der gegenwärtigen Lage erzieherisch wirken, können manches
Gute leisten und eine Wendung zum Bessern vorbereiten. Doch wir können
dem Optimismus nicht beitreten, als wenn dieser Weg allein genügte, um
zum Ziele zu gelangen.

Die Zerstörung der Zentrumspartei ist ein schwieriges, an¬
scheinend allzu schwieriges Ziel. Die Partei erscheint so mächtig, so
fest gegründet und gut organisiert, daß man geneigt sein möchte, denen Recht
zu geben, die sie mit einer gewissen absichtlichen Anspielung auf den „Felsen
Petri" als den roelisr as w'vo?s bezeichnen, an dem alle Angriffe der Gegner
zerschellen würden. Es muß auch zugegeben werden, daß die bisher dem Zentrum
gegenüber erreichten äußern Erfolge der Antizentrumskatholikcn noch nicht sehr
bedeutend waren. Dennoch machen sich in diesem gewaltigen Gefüge manche
Risse und Brüche bemerkbar, und es zeigt sich, daß die Tätigkeit der „nationalen"
Katholiken doch nicht ganz nutzlos geblieben ist. Wir sehen innerhalb der
Partei mehr und mehr die Geister sich scheiden. Gerade solche Erscheinungen
wie die Noeren-Bittersche Bewegung und alles, was mit ihr zusammenhängt,
oder wie das Zusammengehn mit Sozialdemokraten und Polen, öffnen manchem
Zentrumswähler die Augen. Unter diesen Wählern befinden sich ja so viele,
die von Herzen patriotisch gesinnt sind und ihre Stimme dem Zentrum nur
geben, weil sie einerseits glauben, das Schicksal der katholischen Religion sei
in Deutschland ohne ein mächtiges Zentrum gefährdet, und andrerseits weil
sie noch in dem Wahne leben, diese Stimmabgabe sei mit ihrem monarchischen
und patriotischen Gewissen zu vereinigen. Dabei aber sind sie durchaus nicht
gesonnen, sich die Freiheit ihrer politischen Tätigkeit durch die Forderung
blinder Unterordnung unter kirchenpolitische Wünsche beschneiden zu lassen.
Nimmt man diesen Leuten die Besorgnis um das Los eines vom Zentrum
nicht mehr beschützten Katholizismus, mehren sich ferner solche Erscheinungen,
in denen sie eine Bedrohung ihrer politischen Freiheit des Handelns sehn müssen,
oder die ihnen das Zentrum im Gegensatz zu staatserhaltenden Grundsätzen
zeigen, so wird auch für sie in hoffentlich nicht zu ferner Zeit der Augenblick
kommen, wo sie es nicht mehr über sich bringen werden, noch weiter „mit¬
zumachen". Einen solchen Augenblick hat es für so manchen alten Zentrums¬
mann im Dezember 1906 gegeben. Andrerseits hat die Haltung der Partei in
der Neichsfinanzreformfrage viele Wühler von der Zentrumslinken bekanntlich


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[0547] Zentrum und Katholizismus möglich erscheint, selbst wenn es gelänge, dem eigentlichen Paktieren mit den beiden Reichsfeinden Einhalt zu tun. Wenn hiernach eine Umbildung der Zentrumspartei unmöglich erscheint, und der Weg zu einer von vater¬ ländischen Geiste getragnen politischen Wirksamkeit der Katholiken nur außer¬ halb der Zentrumspartei und letzten Endes durch ihre Auflösung gefunden werden kann, so möchten wir doch die Tätigkeit nationaler Elemente, wie sie ja tatsächlich glücklicherweise noch in der Partei vorhanden sind, freilich ohne zur vollen Wirksamkeit gelangen zu können, keineswegs missen. Sie können auch in der gegenwärtigen Lage erzieherisch wirken, können manches Gute leisten und eine Wendung zum Bessern vorbereiten. Doch wir können dem Optimismus nicht beitreten, als wenn dieser Weg allein genügte, um zum Ziele zu gelangen. Die Zerstörung der Zentrumspartei ist ein schwieriges, an¬ scheinend allzu schwieriges Ziel. Die Partei erscheint so mächtig, so fest gegründet und gut organisiert, daß man geneigt sein möchte, denen Recht zu geben, die sie mit einer gewissen absichtlichen Anspielung auf den „Felsen Petri" als den roelisr as w'vo?s bezeichnen, an dem alle Angriffe der Gegner zerschellen würden. Es muß auch zugegeben werden, daß die bisher dem Zentrum gegenüber erreichten äußern Erfolge der Antizentrumskatholikcn noch nicht sehr bedeutend waren. Dennoch machen sich in diesem gewaltigen Gefüge manche Risse und Brüche bemerkbar, und es zeigt sich, daß die Tätigkeit der „nationalen" Katholiken doch nicht ganz nutzlos geblieben ist. Wir sehen innerhalb der Partei mehr und mehr die Geister sich scheiden. Gerade solche Erscheinungen wie die Noeren-Bittersche Bewegung und alles, was mit ihr zusammenhängt, oder wie das Zusammengehn mit Sozialdemokraten und Polen, öffnen manchem Zentrumswähler die Augen. Unter diesen Wählern befinden sich ja so viele, die von Herzen patriotisch gesinnt sind und ihre Stimme dem Zentrum nur geben, weil sie einerseits glauben, das Schicksal der katholischen Religion sei in Deutschland ohne ein mächtiges Zentrum gefährdet, und andrerseits weil sie noch in dem Wahne leben, diese Stimmabgabe sei mit ihrem monarchischen und patriotischen Gewissen zu vereinigen. Dabei aber sind sie durchaus nicht gesonnen, sich die Freiheit ihrer politischen Tätigkeit durch die Forderung blinder Unterordnung unter kirchenpolitische Wünsche beschneiden zu lassen. Nimmt man diesen Leuten die Besorgnis um das Los eines vom Zentrum nicht mehr beschützten Katholizismus, mehren sich ferner solche Erscheinungen, in denen sie eine Bedrohung ihrer politischen Freiheit des Handelns sehn müssen, oder die ihnen das Zentrum im Gegensatz zu staatserhaltenden Grundsätzen zeigen, so wird auch für sie in hoffentlich nicht zu ferner Zeit der Augenblick kommen, wo sie es nicht mehr über sich bringen werden, noch weiter „mit¬ zumachen". Einen solchen Augenblick hat es für so manchen alten Zentrums¬ mann im Dezember 1906 gegeben. Andrerseits hat die Haltung der Partei in der Neichsfinanzreformfrage viele Wühler von der Zentrumslinken bekanntlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/547>, abgerufen am 22.12.2024.