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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zentrum und Aatholizismus

Elemente in die Erscheinung. Da wurde es aber auch klar, wieviel das Zentrum
an vaterländischer und monarchischer Gesinnung in diesem Kampf eingebüßt
oder doch zu erwerben versäumt hatte. Das Zentrum hatte sich einer partei¬
politischer Machtpolitik ergeben, einer Politik, die alle vaterländisch Gesinnten
auch unter den Katholiken herausfordern und über kurz oder lang zu einem
scharfen Konflikt führen mußte, wie wir ihn schließlich im Jahre 1906 erlebt
haben. Der deutsche Katholizismus hat durch die Haltung des Zentrums
an moralischem Ansehen und Wertschätzung seiner vaterländischen Zuverlässig¬
keit bei den nichtkatholischen Mitbürgern unendlich viel eingebüßt, viel mehr
als die etwa erreichten äußern Erfolge und die gesteigerte innere Festigung
ausmachen könnten. Er wird auch nicht eher wieder in die ihm gebührende
Stellung im politischen Leben einrücken, als bis er mit diesen Kulturkampf-
stimmungsresten aufgeräumt hat und sich freudig, vertrauensvoll und rück¬
haltlos am nationalen Leben des Volkes beteiligt. Dies herbeizuführen muß
in erster Linie die Aufgabe aller Katholiken sein, die es mit ihrem Vaterlande
und ihrer Kirche gut meinen. Der Anfang einer Einwirkung in dieser Richtung
ist gemacht. Die Tätigkeit der sogenannten nationalen Katholiken
in den westlichen Provinzen und in Schlesien sowie der Vereine deutscher
Katholiken im Osten hat einen unleugbaren Einfluß auf die vaterländische Er¬
ziehung der Katholiken gewonnen. Einen weitern Fortschritt sehen wir in dem
Zusammenwirken von Katholiken und Evangelischen in der "Deutschen Ver¬
einigung" und in den christlichen Gewerkschaften.

Für die Zukunft gilt nun die Frage: Wird es den katholisch-vater¬
ländischen Bestrebungen gelingen, das Zentrum zu einer wirklich staatser¬
haltenden Partei des sozialen Ausgleichs umzugestalten, mit andern Worten,
wird es ihnen gelingen, das Zentrum zu dem zu macheu, was es schon jetzt
zu sein vorgibt, oder sind sie befähigt, das Zentrum zu zersprengen, es
aufzulösen und die Anomalie einer konfessionellen Partei überhaupt zu
beseitigen? Eine dritte Frage wäre endlich die, ob eine Sprengung des
Zentrums überhaupt als eine erwünschte Lösung für die Katholiken zu be¬
trachten wäre.

Die erste Frage ist wohl nach allen Erfahrungen, die man bisher mit
dem Zentrum gemacht hat, und auf Grund des Rufes, den diese Partei
genießt, zu verneinen. Alle bisher angestellten Versuche, dem Zentrum eine
ehrliche, nationale Richtung zu geben, sind, auch wo sie von leitenden
Persönlichkeiten innerhalb der Partei ausgingen, gescheitert. Eine jahr¬
zehntelange geschichtliche Entwicklung läßt sich eben nicht abstreifen, und eine
Partei, die im Kampfe gegen das Reich groß und stark geworden ist, läßt
sich nicht so einfach zu einer reichserhaltenden umformen. Wenn solches
aber der Partei dennoch aus sich heraus gelänge, die Außenwelt würde es
heute nicht mehr für bare Münze nehmen! Das Vertrauen in die gut¬
nationale Gesinnung des Zentrums ist verscherzt, und unter seiner Flagge


Zentrum und Aatholizismus

Elemente in die Erscheinung. Da wurde es aber auch klar, wieviel das Zentrum
an vaterländischer und monarchischer Gesinnung in diesem Kampf eingebüßt
oder doch zu erwerben versäumt hatte. Das Zentrum hatte sich einer partei¬
politischer Machtpolitik ergeben, einer Politik, die alle vaterländisch Gesinnten
auch unter den Katholiken herausfordern und über kurz oder lang zu einem
scharfen Konflikt führen mußte, wie wir ihn schließlich im Jahre 1906 erlebt
haben. Der deutsche Katholizismus hat durch die Haltung des Zentrums
an moralischem Ansehen und Wertschätzung seiner vaterländischen Zuverlässig¬
keit bei den nichtkatholischen Mitbürgern unendlich viel eingebüßt, viel mehr
als die etwa erreichten äußern Erfolge und die gesteigerte innere Festigung
ausmachen könnten. Er wird auch nicht eher wieder in die ihm gebührende
Stellung im politischen Leben einrücken, als bis er mit diesen Kulturkampf-
stimmungsresten aufgeräumt hat und sich freudig, vertrauensvoll und rück¬
haltlos am nationalen Leben des Volkes beteiligt. Dies herbeizuführen muß
in erster Linie die Aufgabe aller Katholiken sein, die es mit ihrem Vaterlande
und ihrer Kirche gut meinen. Der Anfang einer Einwirkung in dieser Richtung
ist gemacht. Die Tätigkeit der sogenannten nationalen Katholiken
in den westlichen Provinzen und in Schlesien sowie der Vereine deutscher
Katholiken im Osten hat einen unleugbaren Einfluß auf die vaterländische Er¬
ziehung der Katholiken gewonnen. Einen weitern Fortschritt sehen wir in dem
Zusammenwirken von Katholiken und Evangelischen in der „Deutschen Ver¬
einigung" und in den christlichen Gewerkschaften.

Für die Zukunft gilt nun die Frage: Wird es den katholisch-vater¬
ländischen Bestrebungen gelingen, das Zentrum zu einer wirklich staatser¬
haltenden Partei des sozialen Ausgleichs umzugestalten, mit andern Worten,
wird es ihnen gelingen, das Zentrum zu dem zu macheu, was es schon jetzt
zu sein vorgibt, oder sind sie befähigt, das Zentrum zu zersprengen, es
aufzulösen und die Anomalie einer konfessionellen Partei überhaupt zu
beseitigen? Eine dritte Frage wäre endlich die, ob eine Sprengung des
Zentrums überhaupt als eine erwünschte Lösung für die Katholiken zu be¬
trachten wäre.

Die erste Frage ist wohl nach allen Erfahrungen, die man bisher mit
dem Zentrum gemacht hat, und auf Grund des Rufes, den diese Partei
genießt, zu verneinen. Alle bisher angestellten Versuche, dem Zentrum eine
ehrliche, nationale Richtung zu geben, sind, auch wo sie von leitenden
Persönlichkeiten innerhalb der Partei ausgingen, gescheitert. Eine jahr¬
zehntelange geschichtliche Entwicklung läßt sich eben nicht abstreifen, und eine
Partei, die im Kampfe gegen das Reich groß und stark geworden ist, läßt
sich nicht so einfach zu einer reichserhaltenden umformen. Wenn solches
aber der Partei dennoch aus sich heraus gelänge, die Außenwelt würde es
heute nicht mehr für bare Münze nehmen! Das Vertrauen in die gut¬
nationale Gesinnung des Zentrums ist verscherzt, und unter seiner Flagge


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[0545] Zentrum und Aatholizismus Elemente in die Erscheinung. Da wurde es aber auch klar, wieviel das Zentrum an vaterländischer und monarchischer Gesinnung in diesem Kampf eingebüßt oder doch zu erwerben versäumt hatte. Das Zentrum hatte sich einer partei¬ politischer Machtpolitik ergeben, einer Politik, die alle vaterländisch Gesinnten auch unter den Katholiken herausfordern und über kurz oder lang zu einem scharfen Konflikt führen mußte, wie wir ihn schließlich im Jahre 1906 erlebt haben. Der deutsche Katholizismus hat durch die Haltung des Zentrums an moralischem Ansehen und Wertschätzung seiner vaterländischen Zuverlässig¬ keit bei den nichtkatholischen Mitbürgern unendlich viel eingebüßt, viel mehr als die etwa erreichten äußern Erfolge und die gesteigerte innere Festigung ausmachen könnten. Er wird auch nicht eher wieder in die ihm gebührende Stellung im politischen Leben einrücken, als bis er mit diesen Kulturkampf- stimmungsresten aufgeräumt hat und sich freudig, vertrauensvoll und rück¬ haltlos am nationalen Leben des Volkes beteiligt. Dies herbeizuführen muß in erster Linie die Aufgabe aller Katholiken sein, die es mit ihrem Vaterlande und ihrer Kirche gut meinen. Der Anfang einer Einwirkung in dieser Richtung ist gemacht. Die Tätigkeit der sogenannten nationalen Katholiken in den westlichen Provinzen und in Schlesien sowie der Vereine deutscher Katholiken im Osten hat einen unleugbaren Einfluß auf die vaterländische Er¬ ziehung der Katholiken gewonnen. Einen weitern Fortschritt sehen wir in dem Zusammenwirken von Katholiken und Evangelischen in der „Deutschen Ver¬ einigung" und in den christlichen Gewerkschaften. Für die Zukunft gilt nun die Frage: Wird es den katholisch-vater¬ ländischen Bestrebungen gelingen, das Zentrum zu einer wirklich staatser¬ haltenden Partei des sozialen Ausgleichs umzugestalten, mit andern Worten, wird es ihnen gelingen, das Zentrum zu dem zu macheu, was es schon jetzt zu sein vorgibt, oder sind sie befähigt, das Zentrum zu zersprengen, es aufzulösen und die Anomalie einer konfessionellen Partei überhaupt zu beseitigen? Eine dritte Frage wäre endlich die, ob eine Sprengung des Zentrums überhaupt als eine erwünschte Lösung für die Katholiken zu be¬ trachten wäre. Die erste Frage ist wohl nach allen Erfahrungen, die man bisher mit dem Zentrum gemacht hat, und auf Grund des Rufes, den diese Partei genießt, zu verneinen. Alle bisher angestellten Versuche, dem Zentrum eine ehrliche, nationale Richtung zu geben, sind, auch wo sie von leitenden Persönlichkeiten innerhalb der Partei ausgingen, gescheitert. Eine jahr¬ zehntelange geschichtliche Entwicklung läßt sich eben nicht abstreifen, und eine Partei, die im Kampfe gegen das Reich groß und stark geworden ist, läßt sich nicht so einfach zu einer reichserhaltenden umformen. Wenn solches aber der Partei dennoch aus sich heraus gelänge, die Außenwelt würde es heute nicht mehr für bare Münze nehmen! Das Vertrauen in die gut¬ nationale Gesinnung des Zentrums ist verscherzt, und unter seiner Flagge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/545>, abgerufen am 22.12.2024.