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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Lin philosophischer Roman

uns undeutlich offenbarenden Göttern. Und dem Lucian hörte Marius zu, wie
er einem Philosophenschüler bewies, daß sein Studium vergeblich und sein
Glaube, er habe bei den Stoikern die Wahrheit gefunden, nur eitle Einbildung
sei; es gebe kein Kriterium der Wahrheit; mit den Menschen leben, wie die
Mehrzahl lebt, und einen nützlichen Beruf ausüben, sei das einzige Vernünftige.
Pater gibt hier eine schöne Bearbeitung des lucianischen Dialogs Hermotimus,
den er jedoch vor dem Schluß abbricht. Marius hat aus Andeutungen geschlossen,
daß es eine Gesellschaft von Freunden sei, in der Cornelius seine Selbstsicher¬
heit gewonnen habe, und er wird gelegentlich einmal in diese Gesellschaft ein¬
geführt. Diese Freunde verkehren unter anderm in dem Hause der jungen Witwe
Cäcilia, einem jener großen Komplexe von Gebäuden und Gärten, die eine
Kirche umschlossen. Er wird durch die Grabstätte geführt, liest die Inschriften,
die den Todestag als Geburtstag feiern, den Frieden künden, in den Bildern
des Orpheus und der Eurydice, des Herkules und der Alceste, des aus dem
Meere geretteten Jonas der Auferstehunghoffnung Nahrung geben. Er findet im
innigen Familienleben der Christen, in der aufs höchste geschätzten Keuschheit,
in der zarten Mütterlichkeit der Cücilia, in der mitfühlenden Liebe zu allem
Lebendigen, zu allen Menschen, namentlich zu allem, was schwach, hilfsbedürftig
und leidend ist, die Religion seiner Knabenjahre in verfeinerter, verklärter
Gestalt und als Lebensgesetz einer großen Gemeinschaft wieder, die ihre Über¬
zeugung auf geschichtlich beglaubigte Tatsachen stützt. Er wohnt ihrer eucharistischen
Feier bei, deren liturgische Gebete und Gesüuge ihn ergreifen, während die
verzückten und inbrünstigen Blicke der in schneeweiße Gewänder gehüllten
Jünglinge ihm sagen, daß hier einer erwartet wird, der bald kommen soll, und
daß er als unsichtbar Anwesender schon begrüßt wird. In einer dieser Ver¬
sammlungen hört er das Schreiben der Gemeinden von Lyon und Vienne an
die Gemeinden Asiens verlesen, worin sie über die Verfolgung berichten, die
sie überstanden haben. (Der Kirchenschriftsteller Eusebius hat diese Urkunde
dem Untergang entrissen.) Diese Verfolgung kündigte das Ende des "kleinen
Friedens" an, den die Christenheit bis dahin unter den Antonium genossen hatte
(den großen Frieden hat später Konstantin gebracht), und diesem Frieden hatte
es Marius zu danken, daß er, als Heide, den christlichen Gottesdiensten bei¬
wohnen durfte, denn die Geheimhaltung schien jetzt nicht mehr notwendig zu
sein. Auch war damals die asketische Seite des Christentums, die dem Abscheu
vor der heidnischen Sittenverderbnis entsprang und durch Mißtrauen gegen die
Natur sowohl wie gegen die Kultur vor den aus beiden Mächten entspringenden
Gefahren schützen sollte, zurückgetreten und hatte die milde und freundliche
Auffassung sich entfalten lassen, die das ganze Leben, den Naturgrund wie den
von der Kultur geschaffnen Überbau, zu heiligen bestrebt ist. Darum war
damals auch kein schroffer Gegensatz bemerkbar zwischen dem Christentum und
der heidnischen Philosophie; jenes schien diese nur zu vollenden und vor der
Auflösung in Skepsis zu bewahren.


Lin philosophischer Roman

uns undeutlich offenbarenden Göttern. Und dem Lucian hörte Marius zu, wie
er einem Philosophenschüler bewies, daß sein Studium vergeblich und sein
Glaube, er habe bei den Stoikern die Wahrheit gefunden, nur eitle Einbildung
sei; es gebe kein Kriterium der Wahrheit; mit den Menschen leben, wie die
Mehrzahl lebt, und einen nützlichen Beruf ausüben, sei das einzige Vernünftige.
Pater gibt hier eine schöne Bearbeitung des lucianischen Dialogs Hermotimus,
den er jedoch vor dem Schluß abbricht. Marius hat aus Andeutungen geschlossen,
daß es eine Gesellschaft von Freunden sei, in der Cornelius seine Selbstsicher¬
heit gewonnen habe, und er wird gelegentlich einmal in diese Gesellschaft ein¬
geführt. Diese Freunde verkehren unter anderm in dem Hause der jungen Witwe
Cäcilia, einem jener großen Komplexe von Gebäuden und Gärten, die eine
Kirche umschlossen. Er wird durch die Grabstätte geführt, liest die Inschriften,
die den Todestag als Geburtstag feiern, den Frieden künden, in den Bildern
des Orpheus und der Eurydice, des Herkules und der Alceste, des aus dem
Meere geretteten Jonas der Auferstehunghoffnung Nahrung geben. Er findet im
innigen Familienleben der Christen, in der aufs höchste geschätzten Keuschheit,
in der zarten Mütterlichkeit der Cücilia, in der mitfühlenden Liebe zu allem
Lebendigen, zu allen Menschen, namentlich zu allem, was schwach, hilfsbedürftig
und leidend ist, die Religion seiner Knabenjahre in verfeinerter, verklärter
Gestalt und als Lebensgesetz einer großen Gemeinschaft wieder, die ihre Über¬
zeugung auf geschichtlich beglaubigte Tatsachen stützt. Er wohnt ihrer eucharistischen
Feier bei, deren liturgische Gebete und Gesüuge ihn ergreifen, während die
verzückten und inbrünstigen Blicke der in schneeweiße Gewänder gehüllten
Jünglinge ihm sagen, daß hier einer erwartet wird, der bald kommen soll, und
daß er als unsichtbar Anwesender schon begrüßt wird. In einer dieser Ver¬
sammlungen hört er das Schreiben der Gemeinden von Lyon und Vienne an
die Gemeinden Asiens verlesen, worin sie über die Verfolgung berichten, die
sie überstanden haben. (Der Kirchenschriftsteller Eusebius hat diese Urkunde
dem Untergang entrissen.) Diese Verfolgung kündigte das Ende des „kleinen
Friedens" an, den die Christenheit bis dahin unter den Antonium genossen hatte
(den großen Frieden hat später Konstantin gebracht), und diesem Frieden hatte
es Marius zu danken, daß er, als Heide, den christlichen Gottesdiensten bei¬
wohnen durfte, denn die Geheimhaltung schien jetzt nicht mehr notwendig zu
sein. Auch war damals die asketische Seite des Christentums, die dem Abscheu
vor der heidnischen Sittenverderbnis entsprang und durch Mißtrauen gegen die
Natur sowohl wie gegen die Kultur vor den aus beiden Mächten entspringenden
Gefahren schützen sollte, zurückgetreten und hatte die milde und freundliche
Auffassung sich entfalten lassen, die das ganze Leben, den Naturgrund wie den
von der Kultur geschaffnen Überbau, zu heiligen bestrebt ist. Darum war
damals auch kein schroffer Gegensatz bemerkbar zwischen dem Christentum und
der heidnischen Philosophie; jenes schien diese nur zu vollenden und vor der
Auflösung in Skepsis zu bewahren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/467>, abgerufen am 22.12.2024.