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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der Weg zum neuen Block

gezeitigt haben? Sollen wir vor der Fahnenflucht aus dem konservativen Lager
warnen, weil auch ohnedies noch alles gut werden werde? Bereiten diese Be¬
schwichtigungen wirklich eine neue Einigung vor, nach der auch wir streben?
Wir glauben von alledem das Gegenteil. Wir kommen damit nicht an das
gewünschte Ziel. Die Möglichkeit der Fortsetzung dieser jäh zerstörten Arbeit
hangt ab von der Möglichkeit, ein neues Fundament in der nationalen Wähler¬
schaft zu legen. Dieser müssen die Auge" geöffnet werden, vor allem über die
Natur und die Ziele der jetzigen konservativen Führerschaft. Eine neue Partei
läßt sich nicht ohne weiteres gründen; alle praktischen Erfahrungen sprechen
dagegen. Aber alle, die die konservative Parteileitung in ihrem Wesen erkannt
haben und die der Zorn über diese unpatriotische, allen guten Traditionen zu¬
widerlaufende Haltung der Partei erfaßt hat, sollten dieser Einsicht vor allem
praktische Konsequenzen geben, am besten natürlich durch Anschluß an die Frei¬
konservativen oder Nationalliberalen oder, wenn das politische Gewissen dies
durchaus nicht gestattet, einstweilen durch Nichtbeteiligung am politischen Leben.
Diese hat -- als vorübergehend und bewußt angewandtes Mittel zu einem be¬
stimmten Zweck -- nichts gemein mit der Gleichgiltigkeit gewisser Kreise, die
sich für zu vornehm halten, in die politische Arena hinabzusteigen. Nur fühl¬
bare Verluste können eine Parteileitung überzeugen, daß sie auf falschem Wege
ist. Die Besorgnis, es könnte das zu einem völligen Zusammenbruch der
konservativen Partei führen, hegen wir nicht, da der Bund der Landwirte
immer noch über eine ansehnliche Macht verfügen wird trotz manchen auch
dort sich regenden Widerstünden. Aber auch ein gründlicher Zusammenbruch
könnte den berechtigten konservativen Interessen nicht schaden. Die Sache selbst
kann ja nicht vernichtet werden; dazu leben zu viele gesunde konservative
Kräfte im deutschen Volke. Diese würden sich dann von selbst aufrichten und
sich neu organisieren. Dann würden wir vielleicht endlich eine wirkliche kon¬
servative Partei erhalten, die alle umfaßt, die grundsätzlich in diesem Lager
stehen. Jetzt haben wir ganz ungesunde Verhältnisse. Der größte Teil der
"NichtWähler", der sogenannten "Parteilosen" ist tatsächlich konservativ. Ihre
Auffassungen von Monarchie, Staat und Gesellschaft, von der Bedeutung des
historisch Gewordncn und der organischen Natur aller Entwicklung, ihre Ab¬
neigung gegen einseitig individualistische Theorien, auch die ihnen eigne
Würdigung der wirtschaftlichen Kräfte weisen sie entschieden in das konser¬
vative Lager. Aber sie können sich nicht allen den Einseitigkeiten und Nück-
stündigkciten, der unnötigen Verquickung der Politik mit religiösen Bekenntnis¬
fragen und Standesinteressen verschreiben. Die Verurteilung dieser wertvollen
Elemente zu parteipolitischer Obdachlosigkeit ist ein Verlust für unser politisches
Leben. Das Fehlen eines tüchtigen konservativen Bürgertums -- infolge des
heute ganz ungerechtfertigten Vorurteils, daß konservative Überzeugungen eine
Eigenheit des Adels und der ländlichen Kreise seien -- beschwert auch unsern
Liberalismus, da sich die liberale Mittelpartei mit zahlreichen Elementen herum¬
plagen muß, die im Grunde konservativ sind, ohne es eingestehn zu wollen;


Der Weg zum neuen Block

gezeitigt haben? Sollen wir vor der Fahnenflucht aus dem konservativen Lager
warnen, weil auch ohnedies noch alles gut werden werde? Bereiten diese Be¬
schwichtigungen wirklich eine neue Einigung vor, nach der auch wir streben?
Wir glauben von alledem das Gegenteil. Wir kommen damit nicht an das
gewünschte Ziel. Die Möglichkeit der Fortsetzung dieser jäh zerstörten Arbeit
hangt ab von der Möglichkeit, ein neues Fundament in der nationalen Wähler¬
schaft zu legen. Dieser müssen die Auge« geöffnet werden, vor allem über die
Natur und die Ziele der jetzigen konservativen Führerschaft. Eine neue Partei
läßt sich nicht ohne weiteres gründen; alle praktischen Erfahrungen sprechen
dagegen. Aber alle, die die konservative Parteileitung in ihrem Wesen erkannt
haben und die der Zorn über diese unpatriotische, allen guten Traditionen zu¬
widerlaufende Haltung der Partei erfaßt hat, sollten dieser Einsicht vor allem
praktische Konsequenzen geben, am besten natürlich durch Anschluß an die Frei¬
konservativen oder Nationalliberalen oder, wenn das politische Gewissen dies
durchaus nicht gestattet, einstweilen durch Nichtbeteiligung am politischen Leben.
Diese hat — als vorübergehend und bewußt angewandtes Mittel zu einem be¬
stimmten Zweck — nichts gemein mit der Gleichgiltigkeit gewisser Kreise, die
sich für zu vornehm halten, in die politische Arena hinabzusteigen. Nur fühl¬
bare Verluste können eine Parteileitung überzeugen, daß sie auf falschem Wege
ist. Die Besorgnis, es könnte das zu einem völligen Zusammenbruch der
konservativen Partei führen, hegen wir nicht, da der Bund der Landwirte
immer noch über eine ansehnliche Macht verfügen wird trotz manchen auch
dort sich regenden Widerstünden. Aber auch ein gründlicher Zusammenbruch
könnte den berechtigten konservativen Interessen nicht schaden. Die Sache selbst
kann ja nicht vernichtet werden; dazu leben zu viele gesunde konservative
Kräfte im deutschen Volke. Diese würden sich dann von selbst aufrichten und
sich neu organisieren. Dann würden wir vielleicht endlich eine wirkliche kon¬
servative Partei erhalten, die alle umfaßt, die grundsätzlich in diesem Lager
stehen. Jetzt haben wir ganz ungesunde Verhältnisse. Der größte Teil der
„NichtWähler", der sogenannten „Parteilosen" ist tatsächlich konservativ. Ihre
Auffassungen von Monarchie, Staat und Gesellschaft, von der Bedeutung des
historisch Gewordncn und der organischen Natur aller Entwicklung, ihre Ab¬
neigung gegen einseitig individualistische Theorien, auch die ihnen eigne
Würdigung der wirtschaftlichen Kräfte weisen sie entschieden in das konser¬
vative Lager. Aber sie können sich nicht allen den Einseitigkeiten und Nück-
stündigkciten, der unnötigen Verquickung der Politik mit religiösen Bekenntnis¬
fragen und Standesinteressen verschreiben. Die Verurteilung dieser wertvollen
Elemente zu parteipolitischer Obdachlosigkeit ist ein Verlust für unser politisches
Leben. Das Fehlen eines tüchtigen konservativen Bürgertums — infolge des
heute ganz ungerechtfertigten Vorurteils, daß konservative Überzeugungen eine
Eigenheit des Adels und der ländlichen Kreise seien — beschwert auch unsern
Liberalismus, da sich die liberale Mittelpartei mit zahlreichen Elementen herum¬
plagen muß, die im Grunde konservativ sind, ohne es eingestehn zu wollen;


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[0454] Der Weg zum neuen Block gezeitigt haben? Sollen wir vor der Fahnenflucht aus dem konservativen Lager warnen, weil auch ohnedies noch alles gut werden werde? Bereiten diese Be¬ schwichtigungen wirklich eine neue Einigung vor, nach der auch wir streben? Wir glauben von alledem das Gegenteil. Wir kommen damit nicht an das gewünschte Ziel. Die Möglichkeit der Fortsetzung dieser jäh zerstörten Arbeit hangt ab von der Möglichkeit, ein neues Fundament in der nationalen Wähler¬ schaft zu legen. Dieser müssen die Auge« geöffnet werden, vor allem über die Natur und die Ziele der jetzigen konservativen Führerschaft. Eine neue Partei läßt sich nicht ohne weiteres gründen; alle praktischen Erfahrungen sprechen dagegen. Aber alle, die die konservative Parteileitung in ihrem Wesen erkannt haben und die der Zorn über diese unpatriotische, allen guten Traditionen zu¬ widerlaufende Haltung der Partei erfaßt hat, sollten dieser Einsicht vor allem praktische Konsequenzen geben, am besten natürlich durch Anschluß an die Frei¬ konservativen oder Nationalliberalen oder, wenn das politische Gewissen dies durchaus nicht gestattet, einstweilen durch Nichtbeteiligung am politischen Leben. Diese hat — als vorübergehend und bewußt angewandtes Mittel zu einem be¬ stimmten Zweck — nichts gemein mit der Gleichgiltigkeit gewisser Kreise, die sich für zu vornehm halten, in die politische Arena hinabzusteigen. Nur fühl¬ bare Verluste können eine Parteileitung überzeugen, daß sie auf falschem Wege ist. Die Besorgnis, es könnte das zu einem völligen Zusammenbruch der konservativen Partei führen, hegen wir nicht, da der Bund der Landwirte immer noch über eine ansehnliche Macht verfügen wird trotz manchen auch dort sich regenden Widerstünden. Aber auch ein gründlicher Zusammenbruch könnte den berechtigten konservativen Interessen nicht schaden. Die Sache selbst kann ja nicht vernichtet werden; dazu leben zu viele gesunde konservative Kräfte im deutschen Volke. Diese würden sich dann von selbst aufrichten und sich neu organisieren. Dann würden wir vielleicht endlich eine wirkliche kon¬ servative Partei erhalten, die alle umfaßt, die grundsätzlich in diesem Lager stehen. Jetzt haben wir ganz ungesunde Verhältnisse. Der größte Teil der „NichtWähler", der sogenannten „Parteilosen" ist tatsächlich konservativ. Ihre Auffassungen von Monarchie, Staat und Gesellschaft, von der Bedeutung des historisch Gewordncn und der organischen Natur aller Entwicklung, ihre Ab¬ neigung gegen einseitig individualistische Theorien, auch die ihnen eigne Würdigung der wirtschaftlichen Kräfte weisen sie entschieden in das konser¬ vative Lager. Aber sie können sich nicht allen den Einseitigkeiten und Nück- stündigkciten, der unnötigen Verquickung der Politik mit religiösen Bekenntnis¬ fragen und Standesinteressen verschreiben. Die Verurteilung dieser wertvollen Elemente zu parteipolitischer Obdachlosigkeit ist ein Verlust für unser politisches Leben. Das Fehlen eines tüchtigen konservativen Bürgertums — infolge des heute ganz ungerechtfertigten Vorurteils, daß konservative Überzeugungen eine Eigenheit des Adels und der ländlichen Kreise seien — beschwert auch unsern Liberalismus, da sich die liberale Mittelpartei mit zahlreichen Elementen herum¬ plagen muß, die im Grunde konservativ sind, ohne es eingestehn zu wollen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/454>, abgerufen am 23.07.2024.