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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der weg zum neuen Block

v. Heydebrand und die vom Bunde der Landwirte nicht veranlagt. Sie sind
kalte Rechner und wissen, was Macht bedeutet. Hat ihnen ihre Gefolgschaft
einmal Absolution erteilt, so werden sie daraus kaltblütig die Folgerung ziehen,
daß sie gefahrlos auf demselben Wege weiter fortschreiten können. Damit
wird zugleich die Befürchtung widerlegt, sie könnten durch Opposition und
durch das weitere Vorhalten ihrer Sünden nur noch mehr von den Liberalen
getrennt und zum Zentrum hingedrängt werden. Umgekehrt: läßt man sie
gewähren, so ist an eine Wiederkehr der Blockpolitik überhaupt nicht zu denken.

Der Rat an die Konservativen, sich in Demut zu fassen und die frei¬
willige Rückkehr der Parteileitung in nationale Bahnen zu erwarten, muß
auch noch nach einer andern Richtung hin geprüft werden, nicht nur im Hin¬
blick auf eine künftige Blockpolitik. Die konservative Politik hat dem Thron
und der Staatsautorität den stärksten Stoß versetzt, den wir seit langer Zeit
zu verzeichnen haben. Der Spottname des Herrn v. Heydebrand -- "der
ungekrönte König von Preußen" -- birgt einen bittern, bedenklichen Ernst.
Nicht als ob wir einen Augenblick an der Realität der Macht des preußischen
Königtums zweifeln könnten! Aber wir sind einmal wieder so weit, daß
überall im Lande mit einem Schein des Rechts, ja mit unbestreitbarer Über¬
zeugungskraft behauptet werden darf, gegen eine gewisse Clique in Preußen
vermöge selbst der König nichts, und gegen ihren Willen könne er nicht
regieren. Viele, die bisher diesem Gerede nicht geglaubt oder die wahren
Ursachen dieser Erscheinung wohl zu würdigen gewußt haben, werden an¬
gesichts der ungeheuern Frivolität und des unpatriotischen Charakters dieser
letzten konservativen Opposition die frühere Widerstandskraft gegen jene Ein¬
flüsterung verloren haben. Der Schaden, der damit angerichtet wird, ist un¬
ermeßlich. Es ist die erfolgreichste Art, die Saat der Revolution auszu¬
streuen. Die Art, wie die Konservativen den erfolgreichsten und
bedeutendsten Staatsmann nach Bismarck gestürzt und den Bundes¬
rat gezwungen haben, eine Reichsfinanzrcform anzunehmen, die
den bis dahin verfochtnen Wünschen und Grundsätzen der Reichs-
politik zuwiderlief, ist das stärkste Attentat auf die Autorität von
Krone und Staat, das seit der Reichsgründung unternommen
worden ist. Das Ergebnis der Wahlen von 1907 ist zunichte gemacht;
ein neuer Aufschwung der Sozialdemokratie ist gesichert, und die große
"Partei der NichtWähler" wiederhergestellt, da die allgemeine Erbitterung
gegen das Scheitern einer endlich den nationalen Wünschen gerecht werdenden
Politik keine andern Auswege kennt als eben diese beiden. Das endlich bei
den Gebildeten durchdringende Interesse und Verständnis für die wahren Be¬
dürfnisse und die eigenartige Stellung der Landwirtschaft ist wieder zerstört durch
den Mißbrauch dieser Interessen zu politischen Machtzwccken und zu ungunsten
andrer Erwerbszweige. Und das alles nennt sich konservative Politik!

Ist der Rat gut, alle diese Schäden durch Schweigen zuzudecken, nur
weil die Aufregungen der letzten Wochen wieder einmal eine gewisse Müdigkeit


Der weg zum neuen Block

v. Heydebrand und die vom Bunde der Landwirte nicht veranlagt. Sie sind
kalte Rechner und wissen, was Macht bedeutet. Hat ihnen ihre Gefolgschaft
einmal Absolution erteilt, so werden sie daraus kaltblütig die Folgerung ziehen,
daß sie gefahrlos auf demselben Wege weiter fortschreiten können. Damit
wird zugleich die Befürchtung widerlegt, sie könnten durch Opposition und
durch das weitere Vorhalten ihrer Sünden nur noch mehr von den Liberalen
getrennt und zum Zentrum hingedrängt werden. Umgekehrt: läßt man sie
gewähren, so ist an eine Wiederkehr der Blockpolitik überhaupt nicht zu denken.

Der Rat an die Konservativen, sich in Demut zu fassen und die frei¬
willige Rückkehr der Parteileitung in nationale Bahnen zu erwarten, muß
auch noch nach einer andern Richtung hin geprüft werden, nicht nur im Hin¬
blick auf eine künftige Blockpolitik. Die konservative Politik hat dem Thron
und der Staatsautorität den stärksten Stoß versetzt, den wir seit langer Zeit
zu verzeichnen haben. Der Spottname des Herrn v. Heydebrand — „der
ungekrönte König von Preußen" — birgt einen bittern, bedenklichen Ernst.
Nicht als ob wir einen Augenblick an der Realität der Macht des preußischen
Königtums zweifeln könnten! Aber wir sind einmal wieder so weit, daß
überall im Lande mit einem Schein des Rechts, ja mit unbestreitbarer Über¬
zeugungskraft behauptet werden darf, gegen eine gewisse Clique in Preußen
vermöge selbst der König nichts, und gegen ihren Willen könne er nicht
regieren. Viele, die bisher diesem Gerede nicht geglaubt oder die wahren
Ursachen dieser Erscheinung wohl zu würdigen gewußt haben, werden an¬
gesichts der ungeheuern Frivolität und des unpatriotischen Charakters dieser
letzten konservativen Opposition die frühere Widerstandskraft gegen jene Ein¬
flüsterung verloren haben. Der Schaden, der damit angerichtet wird, ist un¬
ermeßlich. Es ist die erfolgreichste Art, die Saat der Revolution auszu¬
streuen. Die Art, wie die Konservativen den erfolgreichsten und
bedeutendsten Staatsmann nach Bismarck gestürzt und den Bundes¬
rat gezwungen haben, eine Reichsfinanzrcform anzunehmen, die
den bis dahin verfochtnen Wünschen und Grundsätzen der Reichs-
politik zuwiderlief, ist das stärkste Attentat auf die Autorität von
Krone und Staat, das seit der Reichsgründung unternommen
worden ist. Das Ergebnis der Wahlen von 1907 ist zunichte gemacht;
ein neuer Aufschwung der Sozialdemokratie ist gesichert, und die große
»Partei der NichtWähler" wiederhergestellt, da die allgemeine Erbitterung
gegen das Scheitern einer endlich den nationalen Wünschen gerecht werdenden
Politik keine andern Auswege kennt als eben diese beiden. Das endlich bei
den Gebildeten durchdringende Interesse und Verständnis für die wahren Be¬
dürfnisse und die eigenartige Stellung der Landwirtschaft ist wieder zerstört durch
den Mißbrauch dieser Interessen zu politischen Machtzwccken und zu ungunsten
andrer Erwerbszweige. Und das alles nennt sich konservative Politik!

Ist der Rat gut, alle diese Schäden durch Schweigen zuzudecken, nur
weil die Aufregungen der letzten Wochen wieder einmal eine gewisse Müdigkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/453>, abgerufen am 23.07.2024.