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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der Weg zum neuen Llock

dadurch wird manches Element des Zwiespalts in die Reihen der National¬
liberalen getragen. Die Beseitigung dieser Übelstände bei den jetzigen Ver¬
hältnissen der konservativen Partei ist kaum zu erhoffen; ein innerpolitisches
Jena dieser Partei könnte vielleicht die Gesundung bringen.

So entschieden wir aber wünschen müssen, daß sich die Konservativen im
Lande kräftig gegen ihre Führung regen, für so falsch halten wir den von einem
großen Teil der liberalen Presse eingeschlagnen Weg, den Konservativen nach
echt demagogischer Methode dadurch zu schaden, daß sie ihnen die Bewilligung
der Verbrauchssteuern zum Vorwurf machen. Steuern in dieser Höhe mußten
jedenfalls bewilligt werden, und über die Mängel dieser freilich übereilten
Gesetzgebungsarbeit steht das Urteil noch keineswegs fest. Ans diesem Gebiet
zum Frieden und zur Mäßigung zu reden, ist allerdings Pflicht. Das hat
mit Parteipolitik nichts zu tun, das ist man dem Reiche schuldig.

Die Reichsfiucmzreform als Aufgabe der nationalen Politik wird ohnehin
bald genug wiederkommen. Denn was jetzt gemacht worden ist, ist keine Re¬
form; es ist nur die -- wahrscheinlich recht notdürftige -- Beschaffung neuer
Einnahmequellen. Die Möglichkeit, daß die Bedürfnisse des Reiches wieder
in völlig ungeregelter Weise die Finanzen der Einzelstaaten in Anspruch nehmen,
besteht fort. Dann wird man selbstverständlich auf die Frage der Besitzsteuern
als Gegengewicht gegen die Verbrauchssteuern zurückkommen, und es bleibt
eben nichts andres übrig, als der Ausbau der Erbschaftssteuer. Diese wird
sodann glatt bewilligt werden, denn das Zentrum ist in seiner Mehrheit von
jeher dafür gewesen und hat letzthin nur dagegen gestimmt, weil diese Vorlage
sein Werkzeug zur Rache an Bülow werden sollte. Ob dann freilich die
Wünsche der Landwirtschaft so ausgiebig berücksichtigt werden, wie in der
letzten Vorlage, ist fraglich. Auch die Konservativen werden erfahren, daß auf
die Hybris, die Hingabe an das Machtgefühl, immer die Nemesis folgt. Auch
wird ihnen das zur Illustration des Wertes ihrer erstaunlichen Beweisführung
dienen, daß das Schicksal des Besitzes "nicht in die Hände einer ans gleichen
allgemeinen Wahlen berufnen Volksvertretung gelegt" werden dürfe. Ein Ar¬
gument, das freilich -- nebenbei bemerkt -- unsre ganze verfassungsmäßige
Gesetzgebung in Frage stellt, da die besagte Volksvertretung nun einmal ein
niemals zu umgehender Faktor der Gesetzgebung ist, also jedes Gesetz, wenn
die Konservativen die Macht Hütten, verhindert werden könnte, nicht wegen
seines Inhalts, sondern wegen des verfassungsmäßigen Charakters der Volks¬
vertretung. Vielleicht öffnet sich auch auf dem Umwege dieser Erfahrungen
mit dem, was man heutzutage "konservativ" nennt, die Einsicht in die Not¬
we ndigkeit der Verständigung zwischen Konservativen und Liberalen.




Grenzboten III 190955
Der Weg zum neuen Llock

dadurch wird manches Element des Zwiespalts in die Reihen der National¬
liberalen getragen. Die Beseitigung dieser Übelstände bei den jetzigen Ver¬
hältnissen der konservativen Partei ist kaum zu erhoffen; ein innerpolitisches
Jena dieser Partei könnte vielleicht die Gesundung bringen.

So entschieden wir aber wünschen müssen, daß sich die Konservativen im
Lande kräftig gegen ihre Führung regen, für so falsch halten wir den von einem
großen Teil der liberalen Presse eingeschlagnen Weg, den Konservativen nach
echt demagogischer Methode dadurch zu schaden, daß sie ihnen die Bewilligung
der Verbrauchssteuern zum Vorwurf machen. Steuern in dieser Höhe mußten
jedenfalls bewilligt werden, und über die Mängel dieser freilich übereilten
Gesetzgebungsarbeit steht das Urteil noch keineswegs fest. Ans diesem Gebiet
zum Frieden und zur Mäßigung zu reden, ist allerdings Pflicht. Das hat
mit Parteipolitik nichts zu tun, das ist man dem Reiche schuldig.

Die Reichsfiucmzreform als Aufgabe der nationalen Politik wird ohnehin
bald genug wiederkommen. Denn was jetzt gemacht worden ist, ist keine Re¬
form; es ist nur die — wahrscheinlich recht notdürftige — Beschaffung neuer
Einnahmequellen. Die Möglichkeit, daß die Bedürfnisse des Reiches wieder
in völlig ungeregelter Weise die Finanzen der Einzelstaaten in Anspruch nehmen,
besteht fort. Dann wird man selbstverständlich auf die Frage der Besitzsteuern
als Gegengewicht gegen die Verbrauchssteuern zurückkommen, und es bleibt
eben nichts andres übrig, als der Ausbau der Erbschaftssteuer. Diese wird
sodann glatt bewilligt werden, denn das Zentrum ist in seiner Mehrheit von
jeher dafür gewesen und hat letzthin nur dagegen gestimmt, weil diese Vorlage
sein Werkzeug zur Rache an Bülow werden sollte. Ob dann freilich die
Wünsche der Landwirtschaft so ausgiebig berücksichtigt werden, wie in der
letzten Vorlage, ist fraglich. Auch die Konservativen werden erfahren, daß auf
die Hybris, die Hingabe an das Machtgefühl, immer die Nemesis folgt. Auch
wird ihnen das zur Illustration des Wertes ihrer erstaunlichen Beweisführung
dienen, daß das Schicksal des Besitzes „nicht in die Hände einer ans gleichen
allgemeinen Wahlen berufnen Volksvertretung gelegt" werden dürfe. Ein Ar¬
gument, das freilich — nebenbei bemerkt — unsre ganze verfassungsmäßige
Gesetzgebung in Frage stellt, da die besagte Volksvertretung nun einmal ein
niemals zu umgehender Faktor der Gesetzgebung ist, also jedes Gesetz, wenn
die Konservativen die Macht Hütten, verhindert werden könnte, nicht wegen
seines Inhalts, sondern wegen des verfassungsmäßigen Charakters der Volks¬
vertretung. Vielleicht öffnet sich auch auf dem Umwege dieser Erfahrungen
mit dem, was man heutzutage „konservativ" nennt, die Einsicht in die Not¬
we ndigkeit der Verständigung zwischen Konservativen und Liberalen.




Grenzboten III 190955
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[0455] Der Weg zum neuen Llock dadurch wird manches Element des Zwiespalts in die Reihen der National¬ liberalen getragen. Die Beseitigung dieser Übelstände bei den jetzigen Ver¬ hältnissen der konservativen Partei ist kaum zu erhoffen; ein innerpolitisches Jena dieser Partei könnte vielleicht die Gesundung bringen. So entschieden wir aber wünschen müssen, daß sich die Konservativen im Lande kräftig gegen ihre Führung regen, für so falsch halten wir den von einem großen Teil der liberalen Presse eingeschlagnen Weg, den Konservativen nach echt demagogischer Methode dadurch zu schaden, daß sie ihnen die Bewilligung der Verbrauchssteuern zum Vorwurf machen. Steuern in dieser Höhe mußten jedenfalls bewilligt werden, und über die Mängel dieser freilich übereilten Gesetzgebungsarbeit steht das Urteil noch keineswegs fest. Ans diesem Gebiet zum Frieden und zur Mäßigung zu reden, ist allerdings Pflicht. Das hat mit Parteipolitik nichts zu tun, das ist man dem Reiche schuldig. Die Reichsfiucmzreform als Aufgabe der nationalen Politik wird ohnehin bald genug wiederkommen. Denn was jetzt gemacht worden ist, ist keine Re¬ form; es ist nur die — wahrscheinlich recht notdürftige — Beschaffung neuer Einnahmequellen. Die Möglichkeit, daß die Bedürfnisse des Reiches wieder in völlig ungeregelter Weise die Finanzen der Einzelstaaten in Anspruch nehmen, besteht fort. Dann wird man selbstverständlich auf die Frage der Besitzsteuern als Gegengewicht gegen die Verbrauchssteuern zurückkommen, und es bleibt eben nichts andres übrig, als der Ausbau der Erbschaftssteuer. Diese wird sodann glatt bewilligt werden, denn das Zentrum ist in seiner Mehrheit von jeher dafür gewesen und hat letzthin nur dagegen gestimmt, weil diese Vorlage sein Werkzeug zur Rache an Bülow werden sollte. Ob dann freilich die Wünsche der Landwirtschaft so ausgiebig berücksichtigt werden, wie in der letzten Vorlage, ist fraglich. Auch die Konservativen werden erfahren, daß auf die Hybris, die Hingabe an das Machtgefühl, immer die Nemesis folgt. Auch wird ihnen das zur Illustration des Wertes ihrer erstaunlichen Beweisführung dienen, daß das Schicksal des Besitzes „nicht in die Hände einer ans gleichen allgemeinen Wahlen berufnen Volksvertretung gelegt" werden dürfe. Ein Ar¬ gument, das freilich — nebenbei bemerkt — unsre ganze verfassungsmäßige Gesetzgebung in Frage stellt, da die besagte Volksvertretung nun einmal ein niemals zu umgehender Faktor der Gesetzgebung ist, also jedes Gesetz, wenn die Konservativen die Macht Hütten, verhindert werden könnte, nicht wegen seines Inhalts, sondern wegen des verfassungsmäßigen Charakters der Volks¬ vertretung. Vielleicht öffnet sich auch auf dem Umwege dieser Erfahrungen mit dem, was man heutzutage „konservativ" nennt, die Einsicht in die Not¬ we ndigkeit der Verständigung zwischen Konservativen und Liberalen. Grenzboten III 190955

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/455>, abgerufen am 22.07.2024.