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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der Weg zum neuen Block

fänglich unklare und schwankende Haltung der Mittelparteien in der Frage
der Besitzbesteuerung und die Entschlußlosigkeit der Liberalen in der Frage
der Verbrauchssteuern erleichterte den Konservativen ihre Taktik. Als sie
dadurch das Mißtrauen der Liberalen genügend gestärkt hatten und dies zum
Vorwand nehmen konnten, um auf sie einen Teil der Mitschuld an dem
Scheitern der Regierungsvorlagen abzuwälzen, legten sie sich in der Erb¬
schaftssteuerfrage so entschieden fest, daß sie nun nicht mehr zurückkonnten.

Weiter entspricht die Behauptung, daß der Rücktritt des Fürsten Bülow
eine unbeabsichtigte Nebenwirkung der konservativen Taktik gewesen sei, nicht
den Tatsachen. Zwar hat es in den Reihen der Konservativen eine ganze
Anzahl ehrlicher Männer gegeben, die das nicht gewollt haben, die sich wirklich
in den Wahn wiegen ließen, Fürst Bülow werde sich den Konservativen doch
noch unterwerfen. Von den tonangebenden Führern gilt das wiederum nicht.
Sie haben gewußt, wie es kommen würde, und so, wie es gekommen ist,
haben sie es gewollt. Und der Beweggrund? Wiederum die Angst, ein Erfolg
der Blockpolitik in der Frage der Neichsfincmzreform könne zu einer liberalen
Ära auch in der preußischen Politik führen. Es ist keine Vermutung, keine
Schlußfolgerung, sondern eine einfache Tatsache, daß Herr v. Hcydcbrand von
dem stärksten Mißtrauen gegen die Person des Kanzlers erfüllt war, weil er
die erwähnte Befürchtung hegte; er begegnete sich in dieser Stimmung mit
den leitenden Kreisen des Bundes der Landwirte. Daß man es auf den
Kanzler persönlich abgesehen hatte, beweist auch die Art, wie in konservativen
Kreisen insgeheim die bekannten Novembcrereignisse benutzt wurden, und wie
man der Minierarbeit höfischer Unterströmungen in die Hand arbeitete. Wir
haben das seinerzeit im "Reichsspiegel" einigemal angedeutet. Fürst Bülow
hat dies freilich damals in Abrede stellen lassen, teils einem Zuge seines
ritterlichen -- in dieser ganzen Aktion leider zu ritterlichen! -- Charakters
folgend, teils vor allem, um den Kaiser vor Mißdeutungen zu schützen, an
dem -- dies muß ausdrücklich betont werden -- alle Intrigen dieser Art tat¬
sächlich zerschellten. Die hier festgestellte persönliche Gegnerschaft gegen einen
im besten Sinne "agrarischen" und in konservativen Kreisen sonst hochge¬
schützten Reichskanzler hätte gar keinen Sinn gehabt, wenn sie nicht durch die
Auffassung erklärt würde, Fürst Bülow habe sich durch seiue Blockpolitik in
eine liberale Strömung hineinreißen lassen und müsse nun zur Unterwerfung
unter konservative Forderungen gezwungen oder eben geopfert werden.

In Summa: wer die Vorgänge nimmt, wie sie sich wirklich abgespielt
haben, nicht wie sie nachträglich dargestellt werden, kann nicht zweifeln, daß
die Sprengung des Blocks nicht eine im Laufe der Ereignisse eingetretne, aus
einem Gewissenskonflikt hervorgegangnc Nebenwirkung, sondern das eigentliche,
wohlberechnete Ziel der ganzen konservativen Taktik gewesen ist. Dann kann
aber auch die Meinung, die konservative Parteileitung werde nnn selbst voller
Schrecken sehen, was sie angerichtet habe, und reuevoll zur Vernunft zurück¬
kehren, nicht aufrechterhalten werden. O nein! sentimental sind die Herren


Der Weg zum neuen Block

fänglich unklare und schwankende Haltung der Mittelparteien in der Frage
der Besitzbesteuerung und die Entschlußlosigkeit der Liberalen in der Frage
der Verbrauchssteuern erleichterte den Konservativen ihre Taktik. Als sie
dadurch das Mißtrauen der Liberalen genügend gestärkt hatten und dies zum
Vorwand nehmen konnten, um auf sie einen Teil der Mitschuld an dem
Scheitern der Regierungsvorlagen abzuwälzen, legten sie sich in der Erb¬
schaftssteuerfrage so entschieden fest, daß sie nun nicht mehr zurückkonnten.

Weiter entspricht die Behauptung, daß der Rücktritt des Fürsten Bülow
eine unbeabsichtigte Nebenwirkung der konservativen Taktik gewesen sei, nicht
den Tatsachen. Zwar hat es in den Reihen der Konservativen eine ganze
Anzahl ehrlicher Männer gegeben, die das nicht gewollt haben, die sich wirklich
in den Wahn wiegen ließen, Fürst Bülow werde sich den Konservativen doch
noch unterwerfen. Von den tonangebenden Führern gilt das wiederum nicht.
Sie haben gewußt, wie es kommen würde, und so, wie es gekommen ist,
haben sie es gewollt. Und der Beweggrund? Wiederum die Angst, ein Erfolg
der Blockpolitik in der Frage der Neichsfincmzreform könne zu einer liberalen
Ära auch in der preußischen Politik führen. Es ist keine Vermutung, keine
Schlußfolgerung, sondern eine einfache Tatsache, daß Herr v. Hcydcbrand von
dem stärksten Mißtrauen gegen die Person des Kanzlers erfüllt war, weil er
die erwähnte Befürchtung hegte; er begegnete sich in dieser Stimmung mit
den leitenden Kreisen des Bundes der Landwirte. Daß man es auf den
Kanzler persönlich abgesehen hatte, beweist auch die Art, wie in konservativen
Kreisen insgeheim die bekannten Novembcrereignisse benutzt wurden, und wie
man der Minierarbeit höfischer Unterströmungen in die Hand arbeitete. Wir
haben das seinerzeit im „Reichsspiegel" einigemal angedeutet. Fürst Bülow
hat dies freilich damals in Abrede stellen lassen, teils einem Zuge seines
ritterlichen — in dieser ganzen Aktion leider zu ritterlichen! — Charakters
folgend, teils vor allem, um den Kaiser vor Mißdeutungen zu schützen, an
dem — dies muß ausdrücklich betont werden — alle Intrigen dieser Art tat¬
sächlich zerschellten. Die hier festgestellte persönliche Gegnerschaft gegen einen
im besten Sinne „agrarischen" und in konservativen Kreisen sonst hochge¬
schützten Reichskanzler hätte gar keinen Sinn gehabt, wenn sie nicht durch die
Auffassung erklärt würde, Fürst Bülow habe sich durch seiue Blockpolitik in
eine liberale Strömung hineinreißen lassen und müsse nun zur Unterwerfung
unter konservative Forderungen gezwungen oder eben geopfert werden.

In Summa: wer die Vorgänge nimmt, wie sie sich wirklich abgespielt
haben, nicht wie sie nachträglich dargestellt werden, kann nicht zweifeln, daß
die Sprengung des Blocks nicht eine im Laufe der Ereignisse eingetretne, aus
einem Gewissenskonflikt hervorgegangnc Nebenwirkung, sondern das eigentliche,
wohlberechnete Ziel der ganzen konservativen Taktik gewesen ist. Dann kann
aber auch die Meinung, die konservative Parteileitung werde nnn selbst voller
Schrecken sehen, was sie angerichtet habe, und reuevoll zur Vernunft zurück¬
kehren, nicht aufrechterhalten werden. O nein! sentimental sind die Herren


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[0452] Der Weg zum neuen Block fänglich unklare und schwankende Haltung der Mittelparteien in der Frage der Besitzbesteuerung und die Entschlußlosigkeit der Liberalen in der Frage der Verbrauchssteuern erleichterte den Konservativen ihre Taktik. Als sie dadurch das Mißtrauen der Liberalen genügend gestärkt hatten und dies zum Vorwand nehmen konnten, um auf sie einen Teil der Mitschuld an dem Scheitern der Regierungsvorlagen abzuwälzen, legten sie sich in der Erb¬ schaftssteuerfrage so entschieden fest, daß sie nun nicht mehr zurückkonnten. Weiter entspricht die Behauptung, daß der Rücktritt des Fürsten Bülow eine unbeabsichtigte Nebenwirkung der konservativen Taktik gewesen sei, nicht den Tatsachen. Zwar hat es in den Reihen der Konservativen eine ganze Anzahl ehrlicher Männer gegeben, die das nicht gewollt haben, die sich wirklich in den Wahn wiegen ließen, Fürst Bülow werde sich den Konservativen doch noch unterwerfen. Von den tonangebenden Führern gilt das wiederum nicht. Sie haben gewußt, wie es kommen würde, und so, wie es gekommen ist, haben sie es gewollt. Und der Beweggrund? Wiederum die Angst, ein Erfolg der Blockpolitik in der Frage der Neichsfincmzreform könne zu einer liberalen Ära auch in der preußischen Politik führen. Es ist keine Vermutung, keine Schlußfolgerung, sondern eine einfache Tatsache, daß Herr v. Hcydcbrand von dem stärksten Mißtrauen gegen die Person des Kanzlers erfüllt war, weil er die erwähnte Befürchtung hegte; er begegnete sich in dieser Stimmung mit den leitenden Kreisen des Bundes der Landwirte. Daß man es auf den Kanzler persönlich abgesehen hatte, beweist auch die Art, wie in konservativen Kreisen insgeheim die bekannten Novembcrereignisse benutzt wurden, und wie man der Minierarbeit höfischer Unterströmungen in die Hand arbeitete. Wir haben das seinerzeit im „Reichsspiegel" einigemal angedeutet. Fürst Bülow hat dies freilich damals in Abrede stellen lassen, teils einem Zuge seines ritterlichen — in dieser ganzen Aktion leider zu ritterlichen! — Charakters folgend, teils vor allem, um den Kaiser vor Mißdeutungen zu schützen, an dem — dies muß ausdrücklich betont werden — alle Intrigen dieser Art tat¬ sächlich zerschellten. Die hier festgestellte persönliche Gegnerschaft gegen einen im besten Sinne „agrarischen" und in konservativen Kreisen sonst hochge¬ schützten Reichskanzler hätte gar keinen Sinn gehabt, wenn sie nicht durch die Auffassung erklärt würde, Fürst Bülow habe sich durch seiue Blockpolitik in eine liberale Strömung hineinreißen lassen und müsse nun zur Unterwerfung unter konservative Forderungen gezwungen oder eben geopfert werden. In Summa: wer die Vorgänge nimmt, wie sie sich wirklich abgespielt haben, nicht wie sie nachträglich dargestellt werden, kann nicht zweifeln, daß die Sprengung des Blocks nicht eine im Laufe der Ereignisse eingetretne, aus einem Gewissenskonflikt hervorgegangnc Nebenwirkung, sondern das eigentliche, wohlberechnete Ziel der ganzen konservativen Taktik gewesen ist. Dann kann aber auch die Meinung, die konservative Parteileitung werde nnn selbst voller Schrecken sehen, was sie angerichtet habe, und reuevoll zur Vernunft zurück¬ kehren, nicht aufrechterhalten werden. O nein! sentimental sind die Herren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/452>, abgerufen am 22.12.2024.