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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnerungen

Dispens zu bekommen -- für Geld, und wenn Rom nicht den Verdacht be¬
gründen will, daß es ihm mehr ums Geld als ums Seelenheil zu tun ist,
muß es in diesem Falle ganz allgemein darauf verzichten, diese so leicht zu
beseitigenden Nichtigkeitsgründe geltend zu machen. Statt dessen -- was tun
die Herren Bischöfe? (Der Breslauer wenigstens hat es getan, vermutlich
doch nach Verabredung mit seinen Amtsbrüdern.) Sie befehlen den Pfarrern,
das tridentinische Ehedekret zu publizieren. Bis dahin hatte im Norden
dieses Dekret für nicht publiziert gegolten, und darum waren dort nach dem
römischen Kirchenrecht die ohne Assistenz des zuständigen Pfarrers in der
evangelischen Kirche geschlossenen gemischten Ehen giltig (Ehen unter Nicht-
katholiken: Häretikern, Juden und Heiden, werden von dem Dekret überhaupt
nicht berührt, behalten also ihre naturrechtliche Giltigkeit; die neusten Ver¬
ordnungen des jetzigen Papstes über diesen Gegenstand besitze ich nicht). Die
Publikation hatte nun die Wirkung, daß die Katholiken die vor dem evan¬
gelischen Geistlichen geschlossenen gemischten und alle bloß vor dem Standes¬
beamten geschlossenen Ehen für ungiltig ansehen mußten. Das Tridentinum
hatte mit dem Anathem jeden belegt, der die Giltigkeit der vor seinem Dekret
geschlossenen Winkelchen unmündiger Kinder leugne, und die preußischen
Bischöfe erklärten die vom Staate mit allen Garantien ausgerüsteten Ehen
Erwachs"er für ungiltig! Hier war es offenkundig, daß nicht die Sorge um
das Seelenheil und nicht die Sorge für die Heilighaltung der Ehe, sondern
allein das hierarchische Interesse den Ausschlag gegeben hatte: die Bischöfe
gebrauchten das tridentinische Dekret als ein Mittel, die Gläubigen zu schrecken,
durch Gewissensbisse zu ängstigen und so in Abhängigkeit von sich zu er¬
halten, überhaupt durch Monopolisierung des Eherechts ein Machtgebiet zu
behaupten, das ihnen die historische Entwicklung überwiesen, und nachdem ihre
vikariierende Rolle ausgespielt war, wieder genommen hatte.

Es freut mich nun, bei Schulte eine Abhandlung zu finden, die es noch
klarer macht, daß es den tridentiuischcn Vätern um nichts als um die Notvrietät
der Eheschließung zu tun war und gar nicht eingefallen ist, die Giltigkeit der
Ehe von der kirchlichen Trauung abhängig machen zu wollen. Er teilt darin
einiges aus den amtlichen Protokollen der Konzilsverhandluugen mit, die August
Theincr 1874 veröffentlicht hat. Im erste" Entwurf war nur von drei Zeugen
die Rede; erst auf den Antrag des Kardinals vou Lothringen und andrer wurde
vereinbart, daß einer der drei Zeugen ein Priester und zwar der Pfarrer sein
solle. Andre hatten in Beziehung auf die Zeugen andres vorgeschlagen; nur
einige wenige wollten die kirchliche Einsegnung zur Bedingung der Giltigkeit
machen. Von großem Einfluß war der Vorschlag des Königs von Frankreich:
"die uralten Feierlichkeiten wiederherzustellen, die Ehen öffentlich und in der
Kirche zu schließen, jedenfalls in Gegenwart des Pfarrers oder eines andern
Priesters und dreier oder noch mehrerer Zeugen, die Ehen der Kinder ohne
elterlichen Konsens überhaupt oder doch bis zu einem bestimmten Alter für


Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnerungen

Dispens zu bekommen — für Geld, und wenn Rom nicht den Verdacht be¬
gründen will, daß es ihm mehr ums Geld als ums Seelenheil zu tun ist,
muß es in diesem Falle ganz allgemein darauf verzichten, diese so leicht zu
beseitigenden Nichtigkeitsgründe geltend zu machen. Statt dessen — was tun
die Herren Bischöfe? (Der Breslauer wenigstens hat es getan, vermutlich
doch nach Verabredung mit seinen Amtsbrüdern.) Sie befehlen den Pfarrern,
das tridentinische Ehedekret zu publizieren. Bis dahin hatte im Norden
dieses Dekret für nicht publiziert gegolten, und darum waren dort nach dem
römischen Kirchenrecht die ohne Assistenz des zuständigen Pfarrers in der
evangelischen Kirche geschlossenen gemischten Ehen giltig (Ehen unter Nicht-
katholiken: Häretikern, Juden und Heiden, werden von dem Dekret überhaupt
nicht berührt, behalten also ihre naturrechtliche Giltigkeit; die neusten Ver¬
ordnungen des jetzigen Papstes über diesen Gegenstand besitze ich nicht). Die
Publikation hatte nun die Wirkung, daß die Katholiken die vor dem evan¬
gelischen Geistlichen geschlossenen gemischten und alle bloß vor dem Standes¬
beamten geschlossenen Ehen für ungiltig ansehen mußten. Das Tridentinum
hatte mit dem Anathem jeden belegt, der die Giltigkeit der vor seinem Dekret
geschlossenen Winkelchen unmündiger Kinder leugne, und die preußischen
Bischöfe erklärten die vom Staate mit allen Garantien ausgerüsteten Ehen
Erwachs»er für ungiltig! Hier war es offenkundig, daß nicht die Sorge um
das Seelenheil und nicht die Sorge für die Heilighaltung der Ehe, sondern
allein das hierarchische Interesse den Ausschlag gegeben hatte: die Bischöfe
gebrauchten das tridentinische Dekret als ein Mittel, die Gläubigen zu schrecken,
durch Gewissensbisse zu ängstigen und so in Abhängigkeit von sich zu er¬
halten, überhaupt durch Monopolisierung des Eherechts ein Machtgebiet zu
behaupten, das ihnen die historische Entwicklung überwiesen, und nachdem ihre
vikariierende Rolle ausgespielt war, wieder genommen hatte.

Es freut mich nun, bei Schulte eine Abhandlung zu finden, die es noch
klarer macht, daß es den tridentiuischcn Vätern um nichts als um die Notvrietät
der Eheschließung zu tun war und gar nicht eingefallen ist, die Giltigkeit der
Ehe von der kirchlichen Trauung abhängig machen zu wollen. Er teilt darin
einiges aus den amtlichen Protokollen der Konzilsverhandluugen mit, die August
Theincr 1874 veröffentlicht hat. Im erste» Entwurf war nur von drei Zeugen
die Rede; erst auf den Antrag des Kardinals vou Lothringen und andrer wurde
vereinbart, daß einer der drei Zeugen ein Priester und zwar der Pfarrer sein
solle. Andre hatten in Beziehung auf die Zeugen andres vorgeschlagen; nur
einige wenige wollten die kirchliche Einsegnung zur Bedingung der Giltigkeit
machen. Von großem Einfluß war der Vorschlag des Königs von Frankreich:
„die uralten Feierlichkeiten wiederherzustellen, die Ehen öffentlich und in der
Kirche zu schließen, jedenfalls in Gegenwart des Pfarrers oder eines andern
Priesters und dreier oder noch mehrerer Zeugen, die Ehen der Kinder ohne
elterlichen Konsens überhaupt oder doch bis zu einem bestimmten Alter für


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[0421] Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnerungen Dispens zu bekommen — für Geld, und wenn Rom nicht den Verdacht be¬ gründen will, daß es ihm mehr ums Geld als ums Seelenheil zu tun ist, muß es in diesem Falle ganz allgemein darauf verzichten, diese so leicht zu beseitigenden Nichtigkeitsgründe geltend zu machen. Statt dessen — was tun die Herren Bischöfe? (Der Breslauer wenigstens hat es getan, vermutlich doch nach Verabredung mit seinen Amtsbrüdern.) Sie befehlen den Pfarrern, das tridentinische Ehedekret zu publizieren. Bis dahin hatte im Norden dieses Dekret für nicht publiziert gegolten, und darum waren dort nach dem römischen Kirchenrecht die ohne Assistenz des zuständigen Pfarrers in der evangelischen Kirche geschlossenen gemischten Ehen giltig (Ehen unter Nicht- katholiken: Häretikern, Juden und Heiden, werden von dem Dekret überhaupt nicht berührt, behalten also ihre naturrechtliche Giltigkeit; die neusten Ver¬ ordnungen des jetzigen Papstes über diesen Gegenstand besitze ich nicht). Die Publikation hatte nun die Wirkung, daß die Katholiken die vor dem evan¬ gelischen Geistlichen geschlossenen gemischten und alle bloß vor dem Standes¬ beamten geschlossenen Ehen für ungiltig ansehen mußten. Das Tridentinum hatte mit dem Anathem jeden belegt, der die Giltigkeit der vor seinem Dekret geschlossenen Winkelchen unmündiger Kinder leugne, und die preußischen Bischöfe erklärten die vom Staate mit allen Garantien ausgerüsteten Ehen Erwachs»er für ungiltig! Hier war es offenkundig, daß nicht die Sorge um das Seelenheil und nicht die Sorge für die Heilighaltung der Ehe, sondern allein das hierarchische Interesse den Ausschlag gegeben hatte: die Bischöfe gebrauchten das tridentinische Dekret als ein Mittel, die Gläubigen zu schrecken, durch Gewissensbisse zu ängstigen und so in Abhängigkeit von sich zu er¬ halten, überhaupt durch Monopolisierung des Eherechts ein Machtgebiet zu behaupten, das ihnen die historische Entwicklung überwiesen, und nachdem ihre vikariierende Rolle ausgespielt war, wieder genommen hatte. Es freut mich nun, bei Schulte eine Abhandlung zu finden, die es noch klarer macht, daß es den tridentiuischcn Vätern um nichts als um die Notvrietät der Eheschließung zu tun war und gar nicht eingefallen ist, die Giltigkeit der Ehe von der kirchlichen Trauung abhängig machen zu wollen. Er teilt darin einiges aus den amtlichen Protokollen der Konzilsverhandluugen mit, die August Theincr 1874 veröffentlicht hat. Im erste» Entwurf war nur von drei Zeugen die Rede; erst auf den Antrag des Kardinals vou Lothringen und andrer wurde vereinbart, daß einer der drei Zeugen ein Priester und zwar der Pfarrer sein solle. Andre hatten in Beziehung auf die Zeugen andres vorgeschlagen; nur einige wenige wollten die kirchliche Einsegnung zur Bedingung der Giltigkeit machen. Von großem Einfluß war der Vorschlag des Königs von Frankreich: „die uralten Feierlichkeiten wiederherzustellen, die Ehen öffentlich und in der Kirche zu schließen, jedenfalls in Gegenwart des Pfarrers oder eines andern Priesters und dreier oder noch mehrerer Zeugen, die Ehen der Kinder ohne elterlichen Konsens überhaupt oder doch bis zu einem bestimmten Alter für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/421>, abgerufen am 23.07.2024.