Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Blockgedanke

seiner Politik Zweifel zu lassen, den Kampf gegen das Zentrum aufnehmen.
Nicht darum darf es sich handeln, den unberechtigten Einfluß des Zentrums
zu brechen, sondern darum, die Lehre, daß die Kirche über dem Staate stehe,
daß der Papst dem Kaiser zu gebieten habe, ans unserm Staatsleben ein für
allemal hinauszuweisen. Der Katholik ist Staatsbürger wie der Protestant,
wie der Jude; er hat dieselben Rechte, aber auch dieselben Pflichten wie sie;
er hat sich der Staatsautorität zu unterwerfen und darf nicht den Versuch
machen, über ihr eine höhere Instanz aufzubauen, die noch dazu für zwei Drittel
des deutschen Volkes nichts bedeutet.

Eine weitere Notwendigkeit ist, daß den Konservativen klar zum Bewußtsein
gebracht werde, sie müßten die politischen und wirtschaftlichen Sonderinteressen,
deren Erfüllung sie vielleicht mit Hilfe des Zentrums erreichen können, hinter
das allgemeine Staatsinteresse zurückstellen. Wenn große Teile des Deutschen
Reichs eine andre als eine konservative Verwaltung überhaupt nicht kennen,
so ist es Ehrenpflicht gerade der Konservativen, den Staat, dessen Verwaltung
ihnen vorzugsweise zusteht, gegen die immer weiter um sich greifenden Über¬
griffe einer im letzten Ende staatsfeindlichen Macht zu schützen. Das Zusammen¬
gehen der Konservativen mit den Polen bei der Reichssinanzresorm, ihre gemein¬
same auf den Sturz des Fürsten Bülow gerichtete Arbeit ist die schlimmste
Abkehr von ihrer alten überlieferten Politik; fahren sie in einer derartigen
Politik fort, so werden sie damit zur Verwaltung unfähig. Die Erregung in
der konservativen Wählerschaft, die Gründung des Bauernbuudes und der neuen
konservativen Vereinigung werden der konservativen Neichstagsfraktion beweisen,
daß der Weg, den sie gegangen ist, nicht der richtige war, und daß die Ab¬
neigung des deutschen Volks gegen das Zentrum trotz Votierung für die
Liebesgabe und trotz des gemeinschaftlichen Autoritätsglaubens doch stärker ist,
als sie angenommen hat. Diese Erscheinungen beweisen aber auch, daß der
Kampf, vor dem Fürst Bülow zurückgeschreckt ist, nicht gegen die Kon¬
servativen, sondern nur gegen gewisse von ihren Führern zu führen gewesen
sein würde.

Aber auch damit ist ein Sieg des Blockgedankens noch nicht gesichert.
Noch immer haben sich die Sozialdemokraten als die Verbündeten des Zentrums
erwiesen, soweit dieses in einer das Reich schädigenden Weise vorgegangen ist.
Ob sie einmal von diesem zur Methode gewordnen Wahnsinn lassen werden,
wagen wir nicht zu entscheiden. Jedenfalls kann eine Änderung ihrer Taktik,
die eine Verschiebung der ganzen Parteikonstellation zur Folge haben würde,
heute nicht als ein reales Moment in die Rechnung eingestellt werden. Nur
dann wird der Block Erfolg haben können, wenn der Wahlsieg der bürgerlichen
Parteien vom 25. Januar 1907 keine vorübergehende Erscheinung bleibt, wenn
es gelingt, die Zahl der sozialdemokratischen Stimmen am weitern Anschwellen
zu verhindern, sie wenn möglich sogar zu vermindern. Diese Aufgabe ist nicht ganz
leicht. Wer die Stimmung des unselbständigen, sogenannten neuen Mittelstandes


Der Blockgedanke

seiner Politik Zweifel zu lassen, den Kampf gegen das Zentrum aufnehmen.
Nicht darum darf es sich handeln, den unberechtigten Einfluß des Zentrums
zu brechen, sondern darum, die Lehre, daß die Kirche über dem Staate stehe,
daß der Papst dem Kaiser zu gebieten habe, ans unserm Staatsleben ein für
allemal hinauszuweisen. Der Katholik ist Staatsbürger wie der Protestant,
wie der Jude; er hat dieselben Rechte, aber auch dieselben Pflichten wie sie;
er hat sich der Staatsautorität zu unterwerfen und darf nicht den Versuch
machen, über ihr eine höhere Instanz aufzubauen, die noch dazu für zwei Drittel
des deutschen Volkes nichts bedeutet.

Eine weitere Notwendigkeit ist, daß den Konservativen klar zum Bewußtsein
gebracht werde, sie müßten die politischen und wirtschaftlichen Sonderinteressen,
deren Erfüllung sie vielleicht mit Hilfe des Zentrums erreichen können, hinter
das allgemeine Staatsinteresse zurückstellen. Wenn große Teile des Deutschen
Reichs eine andre als eine konservative Verwaltung überhaupt nicht kennen,
so ist es Ehrenpflicht gerade der Konservativen, den Staat, dessen Verwaltung
ihnen vorzugsweise zusteht, gegen die immer weiter um sich greifenden Über¬
griffe einer im letzten Ende staatsfeindlichen Macht zu schützen. Das Zusammen¬
gehen der Konservativen mit den Polen bei der Reichssinanzresorm, ihre gemein¬
same auf den Sturz des Fürsten Bülow gerichtete Arbeit ist die schlimmste
Abkehr von ihrer alten überlieferten Politik; fahren sie in einer derartigen
Politik fort, so werden sie damit zur Verwaltung unfähig. Die Erregung in
der konservativen Wählerschaft, die Gründung des Bauernbuudes und der neuen
konservativen Vereinigung werden der konservativen Neichstagsfraktion beweisen,
daß der Weg, den sie gegangen ist, nicht der richtige war, und daß die Ab¬
neigung des deutschen Volks gegen das Zentrum trotz Votierung für die
Liebesgabe und trotz des gemeinschaftlichen Autoritätsglaubens doch stärker ist,
als sie angenommen hat. Diese Erscheinungen beweisen aber auch, daß der
Kampf, vor dem Fürst Bülow zurückgeschreckt ist, nicht gegen die Kon¬
servativen, sondern nur gegen gewisse von ihren Führern zu führen gewesen
sein würde.

Aber auch damit ist ein Sieg des Blockgedankens noch nicht gesichert.
Noch immer haben sich die Sozialdemokraten als die Verbündeten des Zentrums
erwiesen, soweit dieses in einer das Reich schädigenden Weise vorgegangen ist.
Ob sie einmal von diesem zur Methode gewordnen Wahnsinn lassen werden,
wagen wir nicht zu entscheiden. Jedenfalls kann eine Änderung ihrer Taktik,
die eine Verschiebung der ganzen Parteikonstellation zur Folge haben würde,
heute nicht als ein reales Moment in die Rechnung eingestellt werden. Nur
dann wird der Block Erfolg haben können, wenn der Wahlsieg der bürgerlichen
Parteien vom 25. Januar 1907 keine vorübergehende Erscheinung bleibt, wenn
es gelingt, die Zahl der sozialdemokratischen Stimmen am weitern Anschwellen
zu verhindern, sie wenn möglich sogar zu vermindern. Diese Aufgabe ist nicht ganz
leicht. Wer die Stimmung des unselbständigen, sogenannten neuen Mittelstandes


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0408" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314111"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Blockgedanke</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1958" prev="#ID_1957"> seiner Politik Zweifel zu lassen, den Kampf gegen das Zentrum aufnehmen.<lb/>
Nicht darum darf es sich handeln, den unberechtigten Einfluß des Zentrums<lb/>
zu brechen, sondern darum, die Lehre, daß die Kirche über dem Staate stehe,<lb/>
daß der Papst dem Kaiser zu gebieten habe, ans unserm Staatsleben ein für<lb/>
allemal hinauszuweisen. Der Katholik ist Staatsbürger wie der Protestant,<lb/>
wie der Jude; er hat dieselben Rechte, aber auch dieselben Pflichten wie sie;<lb/>
er hat sich der Staatsautorität zu unterwerfen und darf nicht den Versuch<lb/>
machen, über ihr eine höhere Instanz aufzubauen, die noch dazu für zwei Drittel<lb/>
des deutschen Volkes nichts bedeutet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1959"> Eine weitere Notwendigkeit ist, daß den Konservativen klar zum Bewußtsein<lb/>
gebracht werde, sie müßten die politischen und wirtschaftlichen Sonderinteressen,<lb/>
deren Erfüllung sie vielleicht mit Hilfe des Zentrums erreichen können, hinter<lb/>
das allgemeine Staatsinteresse zurückstellen. Wenn große Teile des Deutschen<lb/>
Reichs eine andre als eine konservative Verwaltung überhaupt nicht kennen,<lb/>
so ist es Ehrenpflicht gerade der Konservativen, den Staat, dessen Verwaltung<lb/>
ihnen vorzugsweise zusteht, gegen die immer weiter um sich greifenden Über¬<lb/>
griffe einer im letzten Ende staatsfeindlichen Macht zu schützen. Das Zusammen¬<lb/>
gehen der Konservativen mit den Polen bei der Reichssinanzresorm, ihre gemein¬<lb/>
same auf den Sturz des Fürsten Bülow gerichtete Arbeit ist die schlimmste<lb/>
Abkehr von ihrer alten überlieferten Politik; fahren sie in einer derartigen<lb/>
Politik fort, so werden sie damit zur Verwaltung unfähig. Die Erregung in<lb/>
der konservativen Wählerschaft, die Gründung des Bauernbuudes und der neuen<lb/>
konservativen Vereinigung werden der konservativen Neichstagsfraktion beweisen,<lb/>
daß der Weg, den sie gegangen ist, nicht der richtige war, und daß die Ab¬<lb/>
neigung des deutschen Volks gegen das Zentrum trotz Votierung für die<lb/>
Liebesgabe und trotz des gemeinschaftlichen Autoritätsglaubens doch stärker ist,<lb/>
als sie angenommen hat. Diese Erscheinungen beweisen aber auch, daß der<lb/>
Kampf, vor dem Fürst Bülow zurückgeschreckt ist, nicht gegen die Kon¬<lb/>
servativen, sondern nur gegen gewisse von ihren Führern zu führen gewesen<lb/>
sein würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1960" next="#ID_1961"> Aber auch damit ist ein Sieg des Blockgedankens noch nicht gesichert.<lb/>
Noch immer haben sich die Sozialdemokraten als die Verbündeten des Zentrums<lb/>
erwiesen, soweit dieses in einer das Reich schädigenden Weise vorgegangen ist.<lb/>
Ob sie einmal von diesem zur Methode gewordnen Wahnsinn lassen werden,<lb/>
wagen wir nicht zu entscheiden. Jedenfalls kann eine Änderung ihrer Taktik,<lb/>
die eine Verschiebung der ganzen Parteikonstellation zur Folge haben würde,<lb/>
heute nicht als ein reales Moment in die Rechnung eingestellt werden. Nur<lb/>
dann wird der Block Erfolg haben können, wenn der Wahlsieg der bürgerlichen<lb/>
Parteien vom 25. Januar 1907 keine vorübergehende Erscheinung bleibt, wenn<lb/>
es gelingt, die Zahl der sozialdemokratischen Stimmen am weitern Anschwellen<lb/>
zu verhindern, sie wenn möglich sogar zu vermindern. Diese Aufgabe ist nicht ganz<lb/>
leicht. Wer die Stimmung des unselbständigen, sogenannten neuen Mittelstandes</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0408] Der Blockgedanke seiner Politik Zweifel zu lassen, den Kampf gegen das Zentrum aufnehmen. Nicht darum darf es sich handeln, den unberechtigten Einfluß des Zentrums zu brechen, sondern darum, die Lehre, daß die Kirche über dem Staate stehe, daß der Papst dem Kaiser zu gebieten habe, ans unserm Staatsleben ein für allemal hinauszuweisen. Der Katholik ist Staatsbürger wie der Protestant, wie der Jude; er hat dieselben Rechte, aber auch dieselben Pflichten wie sie; er hat sich der Staatsautorität zu unterwerfen und darf nicht den Versuch machen, über ihr eine höhere Instanz aufzubauen, die noch dazu für zwei Drittel des deutschen Volkes nichts bedeutet. Eine weitere Notwendigkeit ist, daß den Konservativen klar zum Bewußtsein gebracht werde, sie müßten die politischen und wirtschaftlichen Sonderinteressen, deren Erfüllung sie vielleicht mit Hilfe des Zentrums erreichen können, hinter das allgemeine Staatsinteresse zurückstellen. Wenn große Teile des Deutschen Reichs eine andre als eine konservative Verwaltung überhaupt nicht kennen, so ist es Ehrenpflicht gerade der Konservativen, den Staat, dessen Verwaltung ihnen vorzugsweise zusteht, gegen die immer weiter um sich greifenden Über¬ griffe einer im letzten Ende staatsfeindlichen Macht zu schützen. Das Zusammen¬ gehen der Konservativen mit den Polen bei der Reichssinanzresorm, ihre gemein¬ same auf den Sturz des Fürsten Bülow gerichtete Arbeit ist die schlimmste Abkehr von ihrer alten überlieferten Politik; fahren sie in einer derartigen Politik fort, so werden sie damit zur Verwaltung unfähig. Die Erregung in der konservativen Wählerschaft, die Gründung des Bauernbuudes und der neuen konservativen Vereinigung werden der konservativen Neichstagsfraktion beweisen, daß der Weg, den sie gegangen ist, nicht der richtige war, und daß die Ab¬ neigung des deutschen Volks gegen das Zentrum trotz Votierung für die Liebesgabe und trotz des gemeinschaftlichen Autoritätsglaubens doch stärker ist, als sie angenommen hat. Diese Erscheinungen beweisen aber auch, daß der Kampf, vor dem Fürst Bülow zurückgeschreckt ist, nicht gegen die Kon¬ servativen, sondern nur gegen gewisse von ihren Führern zu führen gewesen sein würde. Aber auch damit ist ein Sieg des Blockgedankens noch nicht gesichert. Noch immer haben sich die Sozialdemokraten als die Verbündeten des Zentrums erwiesen, soweit dieses in einer das Reich schädigenden Weise vorgegangen ist. Ob sie einmal von diesem zur Methode gewordnen Wahnsinn lassen werden, wagen wir nicht zu entscheiden. Jedenfalls kann eine Änderung ihrer Taktik, die eine Verschiebung der ganzen Parteikonstellation zur Folge haben würde, heute nicht als ein reales Moment in die Rechnung eingestellt werden. Nur dann wird der Block Erfolg haben können, wenn der Wahlsieg der bürgerlichen Parteien vom 25. Januar 1907 keine vorübergehende Erscheinung bleibt, wenn es gelingt, die Zahl der sozialdemokratischen Stimmen am weitern Anschwellen zu verhindern, sie wenn möglich sogar zu vermindern. Diese Aufgabe ist nicht ganz leicht. Wer die Stimmung des unselbständigen, sogenannten neuen Mittelstandes

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/408
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/408>, abgerufen am 22.12.2024.