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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Ver Blockgedanke

kennt, weiß, daß in ihm, obwohl er unzweifelhaft zum Biirgerstande zählt, eine
starke Hinneigung zur Sozialdemokratie besteht. Das Ergebnis der Wahlen in
einigen uns ihrer Zusammensetzung nach genau bekannten Wahlbezirken hat im
Jahre 1909 unzweifelhaft bewiesen, daß auch Reichs- und Staatsbeamte in
nicht unbeträchtlicher Zahl damals Stimmzettel für den sozialdemokratischen
Kandidaten abgegeben haben. Es handelt sich hier nicht um Wähler, die
innerlich Sozialdemokraten sind, sondern um solche, die durch die Wahl des
Sozialdemokraten Protest gegen die Politik der Regierung einlegen wollen, die
eine scharfe Opposition wünschen. Im Jahre 1907 ist es gelungen, die Stimmen den
bürgerlichen Parteien zu erhalten, beziehungsweise wieder zuzuführen. Man
meinte, daß die vom Zentrum abgerückte Regierung eine liberale Richtung ein¬
schlagen müßte. Es gelang, die Linksliberalen, die sich bis dahin fast immer
in regierender Opposition verhalten hatten, zur positive" Mitarbeit heranzu¬
ziehen. Aber damit war nur der eine Teil der Aufgabe erfüllt; die schwierigere
Hälfte blieb zurück, die Wähler der Linksliberalen und die, die auf dem schmalen
Felsgrat zwischen Sozialdemokratie und Liberalismus wandeln, den bürgerlichen
Parteien dauernd zu erhalten. Daß dies sich nur durch einen kräftigen liberalen
Einschlag in Gesetzgebung und Verwaltung ermöglichen läßt, ist unzweifelhaft.
Politische Erziehung ist das beste Mittel, die Volksmassen dem Einfluß dema¬
gogischer Agitatoren zu entziehen, in ihnen die Nörgelsucht zu ersticken und an
deren Stelle eine verständige, auch den Gründen der Gegner zugängliche Kritik
Zu setzen. Und wiederum gibt es kein besseres Erziehungsmittel als die Aus¬
sicht auf Erfolg. Wie viele Männer kennt doch jeder, die nicht zur Wahl
gehen, weil es ja doch keinen Zweck habe. Dem Liberalismus Einfluß ver¬
schaffen, heißt, ihm von links her Stimmen zuzuführen. Der Konservative, der
dies nicht will, dem die Gedankenwelt des Liberalismus ihrer Durchführbarkeit
wegen schädlicher erscheint als die Utopien des Sozialismus, treibt nicht vater¬
ländische, sondern Machtpolitik, eine Politik, die spätestens im Falle eines un¬
glücklichen Krieges zum Bürgerkriege führen muß.

Welch ungewohntes Bild hat doch das deutsche Volk im letzte" Winter
gezeigt! Man verlangt von ihm Geld, viel Geld, sehr viel Geld. Und fast
das ganze Bürgertum nahm diese Forderung in einer Stimmung auf, daß das
eigenartige Wort "Steuerbegeisterung" geprägt werden konnte. Das Bewußtsein,
daß die Finanzreform eine nationale Notwendigkeit war. hätte höchstens
numerische Zustimmung auslösen können, die Begeisterung wurde durch die
Erkenntnis ausgelöst, daß endlich einmal wieder ein großer liberaler Gedanke,
die Erbschaftssteuer, zur Durchführung gebracht werden sollte. Man treibe eme
volkstümlichere Politik als bisher, und das Volk wird wieder Freude an der
Politik gewinnen, anstatt wie jetzt am Biertisch zu schimpfen und alle fünf Jahre
sozialdemokratische Stimmzettel abzugeben. . . "

Diese Forderung, die der Liberale unter allen Umstanden stellen muß.
entspricht anch der politischen Gerechtigkeit. Immer größere Bedeutung haben


Ver Blockgedanke

kennt, weiß, daß in ihm, obwohl er unzweifelhaft zum Biirgerstande zählt, eine
starke Hinneigung zur Sozialdemokratie besteht. Das Ergebnis der Wahlen in
einigen uns ihrer Zusammensetzung nach genau bekannten Wahlbezirken hat im
Jahre 1909 unzweifelhaft bewiesen, daß auch Reichs- und Staatsbeamte in
nicht unbeträchtlicher Zahl damals Stimmzettel für den sozialdemokratischen
Kandidaten abgegeben haben. Es handelt sich hier nicht um Wähler, die
innerlich Sozialdemokraten sind, sondern um solche, die durch die Wahl des
Sozialdemokraten Protest gegen die Politik der Regierung einlegen wollen, die
eine scharfe Opposition wünschen. Im Jahre 1907 ist es gelungen, die Stimmen den
bürgerlichen Parteien zu erhalten, beziehungsweise wieder zuzuführen. Man
meinte, daß die vom Zentrum abgerückte Regierung eine liberale Richtung ein¬
schlagen müßte. Es gelang, die Linksliberalen, die sich bis dahin fast immer
in regierender Opposition verhalten hatten, zur positive« Mitarbeit heranzu¬
ziehen. Aber damit war nur der eine Teil der Aufgabe erfüllt; die schwierigere
Hälfte blieb zurück, die Wähler der Linksliberalen und die, die auf dem schmalen
Felsgrat zwischen Sozialdemokratie und Liberalismus wandeln, den bürgerlichen
Parteien dauernd zu erhalten. Daß dies sich nur durch einen kräftigen liberalen
Einschlag in Gesetzgebung und Verwaltung ermöglichen läßt, ist unzweifelhaft.
Politische Erziehung ist das beste Mittel, die Volksmassen dem Einfluß dema¬
gogischer Agitatoren zu entziehen, in ihnen die Nörgelsucht zu ersticken und an
deren Stelle eine verständige, auch den Gründen der Gegner zugängliche Kritik
Zu setzen. Und wiederum gibt es kein besseres Erziehungsmittel als die Aus¬
sicht auf Erfolg. Wie viele Männer kennt doch jeder, die nicht zur Wahl
gehen, weil es ja doch keinen Zweck habe. Dem Liberalismus Einfluß ver¬
schaffen, heißt, ihm von links her Stimmen zuzuführen. Der Konservative, der
dies nicht will, dem die Gedankenwelt des Liberalismus ihrer Durchführbarkeit
wegen schädlicher erscheint als die Utopien des Sozialismus, treibt nicht vater¬
ländische, sondern Machtpolitik, eine Politik, die spätestens im Falle eines un¬
glücklichen Krieges zum Bürgerkriege führen muß.

Welch ungewohntes Bild hat doch das deutsche Volk im letzte» Winter
gezeigt! Man verlangt von ihm Geld, viel Geld, sehr viel Geld. Und fast
das ganze Bürgertum nahm diese Forderung in einer Stimmung auf, daß das
eigenartige Wort „Steuerbegeisterung" geprägt werden konnte. Das Bewußtsein,
daß die Finanzreform eine nationale Notwendigkeit war. hätte höchstens
numerische Zustimmung auslösen können, die Begeisterung wurde durch die
Erkenntnis ausgelöst, daß endlich einmal wieder ein großer liberaler Gedanke,
die Erbschaftssteuer, zur Durchführung gebracht werden sollte. Man treibe eme
volkstümlichere Politik als bisher, und das Volk wird wieder Freude an der
Politik gewinnen, anstatt wie jetzt am Biertisch zu schimpfen und alle fünf Jahre
sozialdemokratische Stimmzettel abzugeben. . . „

Diese Forderung, die der Liberale unter allen Umstanden stellen muß.
entspricht anch der politischen Gerechtigkeit. Immer größere Bedeutung haben


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[0409] Ver Blockgedanke kennt, weiß, daß in ihm, obwohl er unzweifelhaft zum Biirgerstande zählt, eine starke Hinneigung zur Sozialdemokratie besteht. Das Ergebnis der Wahlen in einigen uns ihrer Zusammensetzung nach genau bekannten Wahlbezirken hat im Jahre 1909 unzweifelhaft bewiesen, daß auch Reichs- und Staatsbeamte in nicht unbeträchtlicher Zahl damals Stimmzettel für den sozialdemokratischen Kandidaten abgegeben haben. Es handelt sich hier nicht um Wähler, die innerlich Sozialdemokraten sind, sondern um solche, die durch die Wahl des Sozialdemokraten Protest gegen die Politik der Regierung einlegen wollen, die eine scharfe Opposition wünschen. Im Jahre 1907 ist es gelungen, die Stimmen den bürgerlichen Parteien zu erhalten, beziehungsweise wieder zuzuführen. Man meinte, daß die vom Zentrum abgerückte Regierung eine liberale Richtung ein¬ schlagen müßte. Es gelang, die Linksliberalen, die sich bis dahin fast immer in regierender Opposition verhalten hatten, zur positive« Mitarbeit heranzu¬ ziehen. Aber damit war nur der eine Teil der Aufgabe erfüllt; die schwierigere Hälfte blieb zurück, die Wähler der Linksliberalen und die, die auf dem schmalen Felsgrat zwischen Sozialdemokratie und Liberalismus wandeln, den bürgerlichen Parteien dauernd zu erhalten. Daß dies sich nur durch einen kräftigen liberalen Einschlag in Gesetzgebung und Verwaltung ermöglichen läßt, ist unzweifelhaft. Politische Erziehung ist das beste Mittel, die Volksmassen dem Einfluß dema¬ gogischer Agitatoren zu entziehen, in ihnen die Nörgelsucht zu ersticken und an deren Stelle eine verständige, auch den Gründen der Gegner zugängliche Kritik Zu setzen. Und wiederum gibt es kein besseres Erziehungsmittel als die Aus¬ sicht auf Erfolg. Wie viele Männer kennt doch jeder, die nicht zur Wahl gehen, weil es ja doch keinen Zweck habe. Dem Liberalismus Einfluß ver¬ schaffen, heißt, ihm von links her Stimmen zuzuführen. Der Konservative, der dies nicht will, dem die Gedankenwelt des Liberalismus ihrer Durchführbarkeit wegen schädlicher erscheint als die Utopien des Sozialismus, treibt nicht vater¬ ländische, sondern Machtpolitik, eine Politik, die spätestens im Falle eines un¬ glücklichen Krieges zum Bürgerkriege führen muß. Welch ungewohntes Bild hat doch das deutsche Volk im letzte» Winter gezeigt! Man verlangt von ihm Geld, viel Geld, sehr viel Geld. Und fast das ganze Bürgertum nahm diese Forderung in einer Stimmung auf, daß das eigenartige Wort „Steuerbegeisterung" geprägt werden konnte. Das Bewußtsein, daß die Finanzreform eine nationale Notwendigkeit war. hätte höchstens numerische Zustimmung auslösen können, die Begeisterung wurde durch die Erkenntnis ausgelöst, daß endlich einmal wieder ein großer liberaler Gedanke, die Erbschaftssteuer, zur Durchführung gebracht werden sollte. Man treibe eme volkstümlichere Politik als bisher, und das Volk wird wieder Freude an der Politik gewinnen, anstatt wie jetzt am Biertisch zu schimpfen und alle fünf Jahre sozialdemokratische Stimmzettel abzugeben. . . „ Diese Forderung, die der Liberale unter allen Umstanden stellen muß. entspricht anch der politischen Gerechtigkeit. Immer größere Bedeutung haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/409>, abgerufen am 22.12.2024.