Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Blockgedanke

Daß die Blockpolitik des Fürsten Bülow gescheitert ist, beweist nichts
dafür, daß ein konservativ-liberaler Block auf die Dauer unmöglich sei. Der
gefallne Block war ein taktisches Werkzeug zur Erreichung eines einzelnen
Zweckes. Der Versuch, ihn als politischen Machtfaktor zum Eckstein einer ziel¬
bewußter, weitschauenden Politik zu benutze", ist überhaupt nicht gemacht
worden. Wir meinen, daß er über kurz oder lang gemacht werden muß und
gemacht werden wird. Wenn Ultramontane und Polen erst ihre Rechnung
vorlegen werden, dann werden auch den Konservativen aller Glaubensbekennt¬
nisse die Augen aufgehn, dann wird ihre Wählerschaft, dann werden die Deutschen
unsrer Ostmark ihnen doppelt und dreifach ihre Haltung bei der Reichsfinanz¬
reform zum Vorwurf machen.

Aber das heißt ja, mit dem Kulturkampf spielen! so wird mancher Leser
entsetzt sagen. Mit Verlaub, die Angst vor dem Kulturkampf scheint uns
Zurzeit schädlicher als der Kulturkampf selbst. Das Wort bedeutet den Kampf
acht gegen die katholische, sondern ausschließlich gegen die ultramoutan-
lesuitische Kultur, mit der uns die Führer des Zentrums beglücken wollen.
Gibt es denn außer ihr nicht noch andre Anschauungen über Kultur? Hat es
acht seit 1870 immer Katholiken gegeben, die gegen das nltmmontcme System
Front gemacht haben? Gibt es nicht eine protestantische Kultur? Und gibt
es nicht ein Ideal des paritätischen Staates, als der sich Preußen entwickelt
hat, und der -- nach Treitschkes Ansicht -- die Grundlage der Großmachtstellung
Preußens gewesen ist? Und wenn der Ultramontanismus, dessen zielbewußter
und rühriger Vorkämpfer das angeblich politische Zentrum ist, mit allen
Mitteln jedes andre Kulturideal bekämpft -- wir erinnern an die regelmäßig
wiederkehrenden Friedhofsstreitigkeiten, an die Mißachtung aller nichtkatholischen
Christen, wie ihr noch der Abgeordnete Underberg in der Osterdienstagskonferenz
geradezu schmählichen Ausdruck verliehen hat, wir erinnern an den Geist, den
die kleine ultramontane Presse, den Konvikte und Seminare, den Alumnate
und katholische Volksvereine gegen den Protestantismus und den paritätischen
Staat verbreiten --, so muß er so lange siegreich bleiben, als sich die Gegenseite
nus blasser Furcht vor einem sogenannten Kulturkampf zu energischem Wider¬
stände nicht aufzuraffen wagt, geschweige denn Verlornes Terrain wiederzu¬
gewinnen sucht. Aus sich heraus wird der Ultramontanismus niemals zusammen¬
brechen. Später oder früher wird der Kampf kommen, und wir meinen, je
früher er kommt, um so besser ist es. Der Feind wird in der Zwischenzeit
nicht schwächer, sondern immer stärker werden. Zudem hat das Wort, die
Bekämpfung der Sozialdemokratie erfordere den "innern Frieden", seinen Wert
Prioren, seitdem sich der Ruf: "Los vom Zentrum!" auch als geeignete Wahl¬
parole gegen die Sozialdemokratie erwiesen hat.

Wir glauben deshalb, daß der Block wiederkehren wird. Von Dauer
wird er aber nur sein können, wenn bestimmte Vorbedingungen erfüllt sind.
Zunächst muß der Reichskanzler mit starker Hand, und ohne über das Ziel


Der Blockgedanke

Daß die Blockpolitik des Fürsten Bülow gescheitert ist, beweist nichts
dafür, daß ein konservativ-liberaler Block auf die Dauer unmöglich sei. Der
gefallne Block war ein taktisches Werkzeug zur Erreichung eines einzelnen
Zweckes. Der Versuch, ihn als politischen Machtfaktor zum Eckstein einer ziel¬
bewußter, weitschauenden Politik zu benutze«, ist überhaupt nicht gemacht
worden. Wir meinen, daß er über kurz oder lang gemacht werden muß und
gemacht werden wird. Wenn Ultramontane und Polen erst ihre Rechnung
vorlegen werden, dann werden auch den Konservativen aller Glaubensbekennt¬
nisse die Augen aufgehn, dann wird ihre Wählerschaft, dann werden die Deutschen
unsrer Ostmark ihnen doppelt und dreifach ihre Haltung bei der Reichsfinanz¬
reform zum Vorwurf machen.

Aber das heißt ja, mit dem Kulturkampf spielen! so wird mancher Leser
entsetzt sagen. Mit Verlaub, die Angst vor dem Kulturkampf scheint uns
Zurzeit schädlicher als der Kulturkampf selbst. Das Wort bedeutet den Kampf
acht gegen die katholische, sondern ausschließlich gegen die ultramoutan-
lesuitische Kultur, mit der uns die Führer des Zentrums beglücken wollen.
Gibt es denn außer ihr nicht noch andre Anschauungen über Kultur? Hat es
acht seit 1870 immer Katholiken gegeben, die gegen das nltmmontcme System
Front gemacht haben? Gibt es nicht eine protestantische Kultur? Und gibt
es nicht ein Ideal des paritätischen Staates, als der sich Preußen entwickelt
hat, und der — nach Treitschkes Ansicht — die Grundlage der Großmachtstellung
Preußens gewesen ist? Und wenn der Ultramontanismus, dessen zielbewußter
und rühriger Vorkämpfer das angeblich politische Zentrum ist, mit allen
Mitteln jedes andre Kulturideal bekämpft — wir erinnern an die regelmäßig
wiederkehrenden Friedhofsstreitigkeiten, an die Mißachtung aller nichtkatholischen
Christen, wie ihr noch der Abgeordnete Underberg in der Osterdienstagskonferenz
geradezu schmählichen Ausdruck verliehen hat, wir erinnern an den Geist, den
die kleine ultramontane Presse, den Konvikte und Seminare, den Alumnate
und katholische Volksvereine gegen den Protestantismus und den paritätischen
Staat verbreiten —, so muß er so lange siegreich bleiben, als sich die Gegenseite
nus blasser Furcht vor einem sogenannten Kulturkampf zu energischem Wider¬
stände nicht aufzuraffen wagt, geschweige denn Verlornes Terrain wiederzu¬
gewinnen sucht. Aus sich heraus wird der Ultramontanismus niemals zusammen¬
brechen. Später oder früher wird der Kampf kommen, und wir meinen, je
früher er kommt, um so besser ist es. Der Feind wird in der Zwischenzeit
nicht schwächer, sondern immer stärker werden. Zudem hat das Wort, die
Bekämpfung der Sozialdemokratie erfordere den „innern Frieden", seinen Wert
Prioren, seitdem sich der Ruf: „Los vom Zentrum!" auch als geeignete Wahl¬
parole gegen die Sozialdemokratie erwiesen hat.

Wir glauben deshalb, daß der Block wiederkehren wird. Von Dauer
wird er aber nur sein können, wenn bestimmte Vorbedingungen erfüllt sind.
Zunächst muß der Reichskanzler mit starker Hand, und ohne über das Ziel


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0407" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314110"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Blockgedanke</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1955"> Daß die Blockpolitik des Fürsten Bülow gescheitert ist, beweist nichts<lb/>
dafür, daß ein konservativ-liberaler Block auf die Dauer unmöglich sei. Der<lb/>
gefallne Block war ein taktisches Werkzeug zur Erreichung eines einzelnen<lb/>
Zweckes. Der Versuch, ihn als politischen Machtfaktor zum Eckstein einer ziel¬<lb/>
bewußter, weitschauenden Politik zu benutze«, ist überhaupt nicht gemacht<lb/>
worden. Wir meinen, daß er über kurz oder lang gemacht werden muß und<lb/>
gemacht werden wird. Wenn Ultramontane und Polen erst ihre Rechnung<lb/>
vorlegen werden, dann werden auch den Konservativen aller Glaubensbekennt¬<lb/>
nisse die Augen aufgehn, dann wird ihre Wählerschaft, dann werden die Deutschen<lb/>
unsrer Ostmark ihnen doppelt und dreifach ihre Haltung bei der Reichsfinanz¬<lb/>
reform zum Vorwurf machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1956"> Aber das heißt ja, mit dem Kulturkampf spielen! so wird mancher Leser<lb/>
entsetzt sagen. Mit Verlaub, die Angst vor dem Kulturkampf scheint uns<lb/>
Zurzeit schädlicher als der Kulturkampf selbst.  Das Wort bedeutet den Kampf<lb/>
acht gegen die katholische, sondern ausschließlich gegen die ultramoutan-<lb/>
lesuitische Kultur, mit der uns die Führer des Zentrums beglücken wollen.<lb/>
Gibt es denn außer ihr nicht noch andre Anschauungen über Kultur? Hat es<lb/>
acht seit 1870 immer Katholiken gegeben, die gegen das nltmmontcme System<lb/>
Front gemacht haben?  Gibt es nicht eine protestantische Kultur? Und gibt<lb/>
es nicht ein Ideal des paritätischen Staates, als der sich Preußen entwickelt<lb/>
hat, und der &#x2014; nach Treitschkes Ansicht &#x2014; die Grundlage der Großmachtstellung<lb/>
Preußens gewesen ist? Und wenn der Ultramontanismus, dessen zielbewußter<lb/>
und rühriger Vorkämpfer das angeblich politische Zentrum ist, mit allen<lb/>
Mitteln jedes andre Kulturideal bekämpft &#x2014; wir erinnern an die regelmäßig<lb/>
wiederkehrenden Friedhofsstreitigkeiten, an die Mißachtung aller nichtkatholischen<lb/>
Christen, wie ihr noch der Abgeordnete Underberg in der Osterdienstagskonferenz<lb/>
geradezu schmählichen Ausdruck verliehen hat, wir erinnern an den Geist, den<lb/>
die kleine ultramontane Presse, den Konvikte und Seminare, den Alumnate<lb/>
und katholische Volksvereine gegen den Protestantismus und den paritätischen<lb/>
Staat verbreiten &#x2014;, so muß er so lange siegreich bleiben, als sich die Gegenseite<lb/>
nus blasser Furcht vor einem sogenannten Kulturkampf zu energischem Wider¬<lb/>
stände nicht aufzuraffen wagt, geschweige denn Verlornes Terrain wiederzu¬<lb/>
gewinnen sucht. Aus sich heraus wird der Ultramontanismus niemals zusammen¬<lb/>
brechen. Später oder früher wird der Kampf kommen, und wir meinen, je<lb/>
früher er kommt, um so besser ist es. Der Feind wird in der Zwischenzeit<lb/>
nicht schwächer, sondern immer stärker werden. Zudem hat das Wort, die<lb/>
Bekämpfung der Sozialdemokratie erfordere den &#x201E;innern Frieden", seinen Wert<lb/>
Prioren, seitdem sich der Ruf: &#x201E;Los vom Zentrum!" auch als geeignete Wahl¬<lb/>
parole gegen die Sozialdemokratie erwiesen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1957" next="#ID_1958"> Wir glauben deshalb, daß der Block wiederkehren wird. Von Dauer<lb/>
wird er aber nur sein können, wenn bestimmte Vorbedingungen erfüllt sind.<lb/>
Zunächst muß der Reichskanzler mit starker Hand, und ohne über das Ziel</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0407] Der Blockgedanke Daß die Blockpolitik des Fürsten Bülow gescheitert ist, beweist nichts dafür, daß ein konservativ-liberaler Block auf die Dauer unmöglich sei. Der gefallne Block war ein taktisches Werkzeug zur Erreichung eines einzelnen Zweckes. Der Versuch, ihn als politischen Machtfaktor zum Eckstein einer ziel¬ bewußter, weitschauenden Politik zu benutze«, ist überhaupt nicht gemacht worden. Wir meinen, daß er über kurz oder lang gemacht werden muß und gemacht werden wird. Wenn Ultramontane und Polen erst ihre Rechnung vorlegen werden, dann werden auch den Konservativen aller Glaubensbekennt¬ nisse die Augen aufgehn, dann wird ihre Wählerschaft, dann werden die Deutschen unsrer Ostmark ihnen doppelt und dreifach ihre Haltung bei der Reichsfinanz¬ reform zum Vorwurf machen. Aber das heißt ja, mit dem Kulturkampf spielen! so wird mancher Leser entsetzt sagen. Mit Verlaub, die Angst vor dem Kulturkampf scheint uns Zurzeit schädlicher als der Kulturkampf selbst. Das Wort bedeutet den Kampf acht gegen die katholische, sondern ausschließlich gegen die ultramoutan- lesuitische Kultur, mit der uns die Führer des Zentrums beglücken wollen. Gibt es denn außer ihr nicht noch andre Anschauungen über Kultur? Hat es acht seit 1870 immer Katholiken gegeben, die gegen das nltmmontcme System Front gemacht haben? Gibt es nicht eine protestantische Kultur? Und gibt es nicht ein Ideal des paritätischen Staates, als der sich Preußen entwickelt hat, und der — nach Treitschkes Ansicht — die Grundlage der Großmachtstellung Preußens gewesen ist? Und wenn der Ultramontanismus, dessen zielbewußter und rühriger Vorkämpfer das angeblich politische Zentrum ist, mit allen Mitteln jedes andre Kulturideal bekämpft — wir erinnern an die regelmäßig wiederkehrenden Friedhofsstreitigkeiten, an die Mißachtung aller nichtkatholischen Christen, wie ihr noch der Abgeordnete Underberg in der Osterdienstagskonferenz geradezu schmählichen Ausdruck verliehen hat, wir erinnern an den Geist, den die kleine ultramontane Presse, den Konvikte und Seminare, den Alumnate und katholische Volksvereine gegen den Protestantismus und den paritätischen Staat verbreiten —, so muß er so lange siegreich bleiben, als sich die Gegenseite nus blasser Furcht vor einem sogenannten Kulturkampf zu energischem Wider¬ stände nicht aufzuraffen wagt, geschweige denn Verlornes Terrain wiederzu¬ gewinnen sucht. Aus sich heraus wird der Ultramontanismus niemals zusammen¬ brechen. Später oder früher wird der Kampf kommen, und wir meinen, je früher er kommt, um so besser ist es. Der Feind wird in der Zwischenzeit nicht schwächer, sondern immer stärker werden. Zudem hat das Wort, die Bekämpfung der Sozialdemokratie erfordere den „innern Frieden", seinen Wert Prioren, seitdem sich der Ruf: „Los vom Zentrum!" auch als geeignete Wahl¬ parole gegen die Sozialdemokratie erwiesen hat. Wir glauben deshalb, daß der Block wiederkehren wird. Von Dauer wird er aber nur sein können, wenn bestimmte Vorbedingungen erfüllt sind. Zunächst muß der Reichskanzler mit starker Hand, und ohne über das Ziel

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/407
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/407>, abgerufen am 26.06.2024.