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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der Hansalumd, seine Ziele und Gegner

genau so wenig richtig ist, wie es die Verelendungstheorie für den Arbeiter¬
stand war, und wie es der Satz des sozialdemokratischen Programms war,
die ökonomische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft führe mit Naturnot¬
wendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebes. Diese letzte Behauptung, die
Lansburgh oben wutMs mutaiMs aufgenommen hat, widerlegt Eduard
Bernstein in seinem neusten Buche über den Revisionismus in der Sozinl-
demokratie mit folgenden Worten: "Die kleinen Betriebe in Industrie und
Handel sind nicht vernichtet worden, sie sind nur überflügelt und in ihrer
Natur und wirtschaftlichen Stellung verändert worden. Ganze Reihen von
ihnen sind freilich verschwunden, von Großbetrieben vernichtet oder aufgesaugt
worden. Dafür aber hat der Kapitalismus selbst wieder neue Kleinbetriebe
geschaffen."

Diese Auseinandersetzung mag Lansburgh auf seine eignen Ausführungen
anwenden. Richtig an diesen Darlegungen ist nur eine Bemerkung, daß näm¬
lich das Gefühl des Unbehagens in den Kreisen des Mittelstandes besteht, man
fühlt es, daß man in einer Zeit wichtiger ökonomischer Umwälzungen steht,
und der Mittelstand richtet seine Beschwerden "instinktiv gegen Bank, Börse
und Großkapital". Aber der Instinkt ist nicht immer der rechte Wegweiser,
und in diesem Falle zeigt er den falschen Weg. Es ist eine der bedauerlichsten
Erscheinungen der Zeit, daß über Bank- und Börsenwesen so falsche und ge¬
hässige Anschauungen bestehn und sich auch in der Gesetzgebung durchsetzen
und unsrer Volkswirtschaft den Hemmschuh an vielen Stellen anzulegen ver¬
mögen. War denn unsre Industrie immer so groß wie heute? Hat nicht unser
Zeitalter sie zum guten Teil aus dem Handwerk heranwachsen sehen und be¬
obachten können, daß die Banken in unzähligen Fällen den Kleinen groß ge¬
macht haben und heute noch groß machen? Die Banken haben natürlich auch
Fehler gemacht, und ich verurteile es zum Beispiel aufs schärfste, daß gerade
die Banken aus eigensüchtigen Interessen heute den Scheckverkehr hinter den
Kulissen bekämpfen, den sie selbst befürwortet haben. Aber ich will zum Be¬
weise meiner Anschauungen nur auf all die Bankzusammenbrüche der letzten
Jahre verweisen. Überall hat sich gezeigt, daß die Banken der Industrie und
oft gerade deu Kleinen nicht zu wenig, sondern viel zu viel entgegengekommen
sind. Es ist eine Kurzsichtigkeit sondergleichen, wenn der Mittelstand gegen
Bank- und Börsenwesen ankämpft, als seien das seine Feinde. Er kaun
höchstens wünschen, sie möchten ihm noch mehr freund werden als bisher.
Ich will im übrigen hier die Banken nicht weiter verteidigen, denn ich behandle
ein politisches Thema und kein volkswirtschaftliches, aber auf eines möchte ich
"och hinweisen: Nehme man das Bankwesen aus Deutschlands Volkswirtschaft
heraus und schließe unsre Börsen, dann ist es mit der Weltmachtstellung
Deutschlands mit einem Schlage zu Ende.

Und nun die Gegnerschaft gegen die Großindustrie. Auch hier ein irre¬
geleiteter Instinkt, der sich im rheinisch-westfälischen Industriegebiet doch nicht


Grenzboten III 1909 4"Z
Der Hansalumd, seine Ziele und Gegner

genau so wenig richtig ist, wie es die Verelendungstheorie für den Arbeiter¬
stand war, und wie es der Satz des sozialdemokratischen Programms war,
die ökonomische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft führe mit Naturnot¬
wendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebes. Diese letzte Behauptung, die
Lansburgh oben wutMs mutaiMs aufgenommen hat, widerlegt Eduard
Bernstein in seinem neusten Buche über den Revisionismus in der Sozinl-
demokratie mit folgenden Worten: „Die kleinen Betriebe in Industrie und
Handel sind nicht vernichtet worden, sie sind nur überflügelt und in ihrer
Natur und wirtschaftlichen Stellung verändert worden. Ganze Reihen von
ihnen sind freilich verschwunden, von Großbetrieben vernichtet oder aufgesaugt
worden. Dafür aber hat der Kapitalismus selbst wieder neue Kleinbetriebe
geschaffen."

Diese Auseinandersetzung mag Lansburgh auf seine eignen Ausführungen
anwenden. Richtig an diesen Darlegungen ist nur eine Bemerkung, daß näm¬
lich das Gefühl des Unbehagens in den Kreisen des Mittelstandes besteht, man
fühlt es, daß man in einer Zeit wichtiger ökonomischer Umwälzungen steht,
und der Mittelstand richtet seine Beschwerden „instinktiv gegen Bank, Börse
und Großkapital". Aber der Instinkt ist nicht immer der rechte Wegweiser,
und in diesem Falle zeigt er den falschen Weg. Es ist eine der bedauerlichsten
Erscheinungen der Zeit, daß über Bank- und Börsenwesen so falsche und ge¬
hässige Anschauungen bestehn und sich auch in der Gesetzgebung durchsetzen
und unsrer Volkswirtschaft den Hemmschuh an vielen Stellen anzulegen ver¬
mögen. War denn unsre Industrie immer so groß wie heute? Hat nicht unser
Zeitalter sie zum guten Teil aus dem Handwerk heranwachsen sehen und be¬
obachten können, daß die Banken in unzähligen Fällen den Kleinen groß ge¬
macht haben und heute noch groß machen? Die Banken haben natürlich auch
Fehler gemacht, und ich verurteile es zum Beispiel aufs schärfste, daß gerade
die Banken aus eigensüchtigen Interessen heute den Scheckverkehr hinter den
Kulissen bekämpfen, den sie selbst befürwortet haben. Aber ich will zum Be¬
weise meiner Anschauungen nur auf all die Bankzusammenbrüche der letzten
Jahre verweisen. Überall hat sich gezeigt, daß die Banken der Industrie und
oft gerade deu Kleinen nicht zu wenig, sondern viel zu viel entgegengekommen
sind. Es ist eine Kurzsichtigkeit sondergleichen, wenn der Mittelstand gegen
Bank- und Börsenwesen ankämpft, als seien das seine Feinde. Er kaun
höchstens wünschen, sie möchten ihm noch mehr freund werden als bisher.
Ich will im übrigen hier die Banken nicht weiter verteidigen, denn ich behandle
ein politisches Thema und kein volkswirtschaftliches, aber auf eines möchte ich
«och hinweisen: Nehme man das Bankwesen aus Deutschlands Volkswirtschaft
heraus und schließe unsre Börsen, dann ist es mit der Weltmachtstellung
Deutschlands mit einem Schlage zu Ende.

Und nun die Gegnerschaft gegen die Großindustrie. Auch hier ein irre¬
geleiteter Instinkt, der sich im rheinisch-westfälischen Industriegebiet doch nicht


Grenzboten III 1909 4«Z
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[0363] Der Hansalumd, seine Ziele und Gegner genau so wenig richtig ist, wie es die Verelendungstheorie für den Arbeiter¬ stand war, und wie es der Satz des sozialdemokratischen Programms war, die ökonomische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft führe mit Naturnot¬ wendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebes. Diese letzte Behauptung, die Lansburgh oben wutMs mutaiMs aufgenommen hat, widerlegt Eduard Bernstein in seinem neusten Buche über den Revisionismus in der Sozinl- demokratie mit folgenden Worten: „Die kleinen Betriebe in Industrie und Handel sind nicht vernichtet worden, sie sind nur überflügelt und in ihrer Natur und wirtschaftlichen Stellung verändert worden. Ganze Reihen von ihnen sind freilich verschwunden, von Großbetrieben vernichtet oder aufgesaugt worden. Dafür aber hat der Kapitalismus selbst wieder neue Kleinbetriebe geschaffen." Diese Auseinandersetzung mag Lansburgh auf seine eignen Ausführungen anwenden. Richtig an diesen Darlegungen ist nur eine Bemerkung, daß näm¬ lich das Gefühl des Unbehagens in den Kreisen des Mittelstandes besteht, man fühlt es, daß man in einer Zeit wichtiger ökonomischer Umwälzungen steht, und der Mittelstand richtet seine Beschwerden „instinktiv gegen Bank, Börse und Großkapital". Aber der Instinkt ist nicht immer der rechte Wegweiser, und in diesem Falle zeigt er den falschen Weg. Es ist eine der bedauerlichsten Erscheinungen der Zeit, daß über Bank- und Börsenwesen so falsche und ge¬ hässige Anschauungen bestehn und sich auch in der Gesetzgebung durchsetzen und unsrer Volkswirtschaft den Hemmschuh an vielen Stellen anzulegen ver¬ mögen. War denn unsre Industrie immer so groß wie heute? Hat nicht unser Zeitalter sie zum guten Teil aus dem Handwerk heranwachsen sehen und be¬ obachten können, daß die Banken in unzähligen Fällen den Kleinen groß ge¬ macht haben und heute noch groß machen? Die Banken haben natürlich auch Fehler gemacht, und ich verurteile es zum Beispiel aufs schärfste, daß gerade die Banken aus eigensüchtigen Interessen heute den Scheckverkehr hinter den Kulissen bekämpfen, den sie selbst befürwortet haben. Aber ich will zum Be¬ weise meiner Anschauungen nur auf all die Bankzusammenbrüche der letzten Jahre verweisen. Überall hat sich gezeigt, daß die Banken der Industrie und oft gerade deu Kleinen nicht zu wenig, sondern viel zu viel entgegengekommen sind. Es ist eine Kurzsichtigkeit sondergleichen, wenn der Mittelstand gegen Bank- und Börsenwesen ankämpft, als seien das seine Feinde. Er kaun höchstens wünschen, sie möchten ihm noch mehr freund werden als bisher. Ich will im übrigen hier die Banken nicht weiter verteidigen, denn ich behandle ein politisches Thema und kein volkswirtschaftliches, aber auf eines möchte ich «och hinweisen: Nehme man das Bankwesen aus Deutschlands Volkswirtschaft heraus und schließe unsre Börsen, dann ist es mit der Weltmachtstellung Deutschlands mit einem Schlage zu Ende. Und nun die Gegnerschaft gegen die Großindustrie. Auch hier ein irre¬ geleiteter Instinkt, der sich im rheinisch-westfälischen Industriegebiet doch nicht Grenzboten III 1909 4«Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/363>, abgerufen am 23.07.2024.