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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der französischen Revolution von ^73H

In einem zweiten Schreiben erklärte der König, die Regierung habe schon
Studien über die Art der Einberufung der Generalstände gemacht; da aber die
Form der Wahlen und die Zahl der Wähler und der Gewühlten ganz unsicher
seien, seit 1614 auch ewige Provinzen neu hinzu erworben worden seien, so
sollten zunächst noch in den Archiven von Gelehrten und Gebildeten Unter¬
suchungen angestellt werden, die dann den Provinzialversammlungen und schließlich
dem Könige zugehn würden. Der Klerus war mit einem solchen Bescheide
wohl zufrieden und bewilligte, um sein Entgegenkommen zu beweisen, einen
wenn auch kleinen Teil der verlangten Summe (statt 8 Millionen 1,8 des aom
Zrawit). Der Appell um die Gelehrten und Gebildeten, sich über die Art der
Generalstände zu äußern, hatte aber die Folge, daß wieder eine übergroße Zahl
von Broschüren, oft unverständigen und gehässigen Inhalts, auf dem öffent¬
lichen Markte erschien.

Eine andre Frage war noch, wie sich Heer und Marine zu den Wirren
jener Zeit verhielten. Die Regierung arbeitete seit Ende 1787 und Anfang 1788
geradezu fieberhaft an den Erlassen einer neuen Heeresverfassung, die hier im
einzelnen zu schildern zu weit führen würde. Nur so viel sei gesagt, daß man
der Tüchtigkeit des Offizierkorps durch Erschwerung des Avancements und Ein¬
führung einer Prüfung Vorschub zu leisten suchte, daß aber die Revolution
späterhin die meisten Reformgedanken über den Haufen geworfen hat; nur in
einigen Dingen schuf das Jahr 1788 die Grundlagen, auf denen weitergcbant
wurde: so richtete man die vom Grafen von Guibert schon einmal eingeführten,
dann aber wieder fallen gelassenen größern Verbände, die Brigaden und
Divisionen, ein, während erst unter dem Konsulat, 1800 und 1803, die noch
größern "Armeekorps" entstanden; neu waren auch die wohl dem großen
Preußenkönig abgesehenen jährlichen Manöver. Doch was nutzte aller Eifer,
alle Einsicht der Regierung, wenn der kräftige Wille fehlte, die Neuerungen
auch in die Wirklichkeit umzusetzen! Daran war aber bei dem Widerstande
namentlich der obersten Schicht des Adels nicht zu denken: zuerst widersetzte"
sich die Offiziere, dann versagten auch die Mannschaften, und der Versuch mit
den Manövern im Herbst 1788 verlief geradezu kläglich und lockerte die Disziplin
noch mehr. Besondern Wert hatte Ludwig der Sechzehnte von jeher auf die
Verbesserung und Erweiterung der Marine gelegt, und von dem Neubau des
für uneinnehmbar gehaltnen Hafens von Cherbourg sagte Marie Antoinette, es
sei der auffallendste Schritt seiner ganzen Regierung gewesen. Aber auch diese
Bestrebungen konnten nicht tatkräftig genug gefördert werden, da sich die
Finanznot immer furchtbarer gestaltete. Um nun die schwierig gewordnen
Finanzmänner wenigstens etwas gefügiger und den unzweifelhaft bevorstehenden
Staatsbankrott wenigstens etwas erträglicher zu machen, griff Brienne zum
letzten Mittel, zu dem bedeutungsvollen Erlaß vom 8. August 1788: die General¬
stände sollen bestimmt am 1. Mai 1789 berufen werden! Nur wenigen Ge¬
bildeten wie Mirabeau leuchtete die Wichtigkeit dieses Schrittes ein; die


Vorgeschichte der französischen Revolution von ^73H

In einem zweiten Schreiben erklärte der König, die Regierung habe schon
Studien über die Art der Einberufung der Generalstände gemacht; da aber die
Form der Wahlen und die Zahl der Wähler und der Gewühlten ganz unsicher
seien, seit 1614 auch ewige Provinzen neu hinzu erworben worden seien, so
sollten zunächst noch in den Archiven von Gelehrten und Gebildeten Unter¬
suchungen angestellt werden, die dann den Provinzialversammlungen und schließlich
dem Könige zugehn würden. Der Klerus war mit einem solchen Bescheide
wohl zufrieden und bewilligte, um sein Entgegenkommen zu beweisen, einen
wenn auch kleinen Teil der verlangten Summe (statt 8 Millionen 1,8 des aom
Zrawit). Der Appell um die Gelehrten und Gebildeten, sich über die Art der
Generalstände zu äußern, hatte aber die Folge, daß wieder eine übergroße Zahl
von Broschüren, oft unverständigen und gehässigen Inhalts, auf dem öffent¬
lichen Markte erschien.

Eine andre Frage war noch, wie sich Heer und Marine zu den Wirren
jener Zeit verhielten. Die Regierung arbeitete seit Ende 1787 und Anfang 1788
geradezu fieberhaft an den Erlassen einer neuen Heeresverfassung, die hier im
einzelnen zu schildern zu weit führen würde. Nur so viel sei gesagt, daß man
der Tüchtigkeit des Offizierkorps durch Erschwerung des Avancements und Ein¬
führung einer Prüfung Vorschub zu leisten suchte, daß aber die Revolution
späterhin die meisten Reformgedanken über den Haufen geworfen hat; nur in
einigen Dingen schuf das Jahr 1788 die Grundlagen, auf denen weitergcbant
wurde: so richtete man die vom Grafen von Guibert schon einmal eingeführten,
dann aber wieder fallen gelassenen größern Verbände, die Brigaden und
Divisionen, ein, während erst unter dem Konsulat, 1800 und 1803, die noch
größern „Armeekorps" entstanden; neu waren auch die wohl dem großen
Preußenkönig abgesehenen jährlichen Manöver. Doch was nutzte aller Eifer,
alle Einsicht der Regierung, wenn der kräftige Wille fehlte, die Neuerungen
auch in die Wirklichkeit umzusetzen! Daran war aber bei dem Widerstande
namentlich der obersten Schicht des Adels nicht zu denken: zuerst widersetzte«
sich die Offiziere, dann versagten auch die Mannschaften, und der Versuch mit
den Manövern im Herbst 1788 verlief geradezu kläglich und lockerte die Disziplin
noch mehr. Besondern Wert hatte Ludwig der Sechzehnte von jeher auf die
Verbesserung und Erweiterung der Marine gelegt, und von dem Neubau des
für uneinnehmbar gehaltnen Hafens von Cherbourg sagte Marie Antoinette, es
sei der auffallendste Schritt seiner ganzen Regierung gewesen. Aber auch diese
Bestrebungen konnten nicht tatkräftig genug gefördert werden, da sich die
Finanznot immer furchtbarer gestaltete. Um nun die schwierig gewordnen
Finanzmänner wenigstens etwas gefügiger und den unzweifelhaft bevorstehenden
Staatsbankrott wenigstens etwas erträglicher zu machen, griff Brienne zum
letzten Mittel, zu dem bedeutungsvollen Erlaß vom 8. August 1788: die General¬
stände sollen bestimmt am 1. Mai 1789 berufen werden! Nur wenigen Ge¬
bildeten wie Mirabeau leuchtete die Wichtigkeit dieses Schrittes ein; die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/310>, abgerufen am 22.12.2024.