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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der französischen Revolution von

Ferner wurde eine Revision der Strafgesetze in Aussicht gestellt und diese oder
jene Milderung alsbald verfügt. Endlich bestimmte das letzte Edikt, das den
heftigsten Widerstand hervorrief, das Recht der Einregistrierung politischer Gesetze
sei dein Parlament zu entziehen und einer einzigen Behörde für das ganze
Reich zu übertragen. Diese cour Mmers sollte bestehn aus der vornehmsten
Kammer des Pariser Parlaments, aus zwei Ministern, sechs Staatsräten, den
Prinzen und Pairs, zwei Erzbischöfen, zwei Bischöfen, zwei Marschällen, je
einem Mitglied jedes Parlaments und einigen andern Personen. Daß in den
genannten Reformen ein vorzüglicher Kern steckte, kann nicht bezweifelt werden;
aber was fragte man damals nach Reformen, was nach Einheit des Reiches,
was nach Generalständen, die die Regierung im Anschluß an jene sechs Edikte
wiederum ausdrücklich versprochen hatte! Die ganze Nation hatte nur einen
Gedanken, den nach Freiheit, persönlicher und politischer Freiheit. Und so ergoß
sich denn eine wahre Flut aufrührerischer Flugblätter über das Land; die Par¬
lamente remonstrierten, die Rechtspflege stockte in Paris und in vielen Pro¬
vinzen; hier und da kam es schon zu offnem Widerstand gegen das Militär,
so in der Dauphine, in Bearn, in der Bretagne. Auch hierbei zeigte sich
wieder deutlich, daß die Provinzen damals noch für ihre Sonderstellung
kämpften, und daß die Stände untereinander einig waren. "So wenig kann
man aus dem, was die Revolution vollbracht hat, schließen, daß sie um
dessentwillen herbeigeführt worden sei oder um dessentwillen habe kommen
müssen."

Sehr schlimm stand es um die Regierung, daß sich nun auch der Klerus
von Frankreich, bisher der treuste Bundesgenosse, in seiner außerordentlichen
Versammlung vom 5. Mai bis 5. August 1788 zu den heftigsten Gegnern der
bestehenden Monarchie gesellte. Schon am 12. Mai forderte der Vorsitzende,
Erzbischof von Narbonne, die Einberufung der Generalstände, und am 15. Juni
wurden dem Könige zwei Denkschriften übergeben. Die eine enthielt eine Be¬
schwerde über die Besteuerung des Klerus, die andre eine solche über die Er¬
richtung der cour MMrs. Noch zwei Monate zuvor hatte eine Deputierten¬
versammlung des Klerus in hurtiger Form auf die Steuerprivilegien verzichtet;
jetzt wollte man der "despotisch" gewordnen Regierung nichts mehr zugestehn. In
der zweiten Denkschrift stellte sich der Klerus auf die Seite der Parlamente
und rief nach Generalständen; im Schlußsatz hieß es: "Der Ruhm Ew. Ma¬
jestät ist nicht, König von Frankreich zu sein, sondern König der Franzosen,
und das Herz Ihrer Untertanen ist die schönste Ihrer Domänen." Den meisten
Geistlichen war dieser Bescheid noch zu zahm, aber sie lenkten ein, als am
5- Juli ein königliches Schreiben den kläglichen Rückzug der Regierung ver¬
kündigte; es bestätigte nämlich die Steuerfreiheit des Klerus und stellte die
Sache so hin, als sei der Zwanzigstenerlaß nur als eine freiwillige Besteuerung
der Geistlichkeit gedacht gewesen; auch habe man damals von ihren Gütern nur
geredet, "um den Steuerpflichtigen jeden Vorwand auf Eifersucht zu nehmen"!


Vorgeschichte der französischen Revolution von

Ferner wurde eine Revision der Strafgesetze in Aussicht gestellt und diese oder
jene Milderung alsbald verfügt. Endlich bestimmte das letzte Edikt, das den
heftigsten Widerstand hervorrief, das Recht der Einregistrierung politischer Gesetze
sei dein Parlament zu entziehen und einer einzigen Behörde für das ganze
Reich zu übertragen. Diese cour Mmers sollte bestehn aus der vornehmsten
Kammer des Pariser Parlaments, aus zwei Ministern, sechs Staatsräten, den
Prinzen und Pairs, zwei Erzbischöfen, zwei Bischöfen, zwei Marschällen, je
einem Mitglied jedes Parlaments und einigen andern Personen. Daß in den
genannten Reformen ein vorzüglicher Kern steckte, kann nicht bezweifelt werden;
aber was fragte man damals nach Reformen, was nach Einheit des Reiches,
was nach Generalständen, die die Regierung im Anschluß an jene sechs Edikte
wiederum ausdrücklich versprochen hatte! Die ganze Nation hatte nur einen
Gedanken, den nach Freiheit, persönlicher und politischer Freiheit. Und so ergoß
sich denn eine wahre Flut aufrührerischer Flugblätter über das Land; die Par¬
lamente remonstrierten, die Rechtspflege stockte in Paris und in vielen Pro¬
vinzen; hier und da kam es schon zu offnem Widerstand gegen das Militär,
so in der Dauphine, in Bearn, in der Bretagne. Auch hierbei zeigte sich
wieder deutlich, daß die Provinzen damals noch für ihre Sonderstellung
kämpften, und daß die Stände untereinander einig waren. „So wenig kann
man aus dem, was die Revolution vollbracht hat, schließen, daß sie um
dessentwillen herbeigeführt worden sei oder um dessentwillen habe kommen
müssen."

Sehr schlimm stand es um die Regierung, daß sich nun auch der Klerus
von Frankreich, bisher der treuste Bundesgenosse, in seiner außerordentlichen
Versammlung vom 5. Mai bis 5. August 1788 zu den heftigsten Gegnern der
bestehenden Monarchie gesellte. Schon am 12. Mai forderte der Vorsitzende,
Erzbischof von Narbonne, die Einberufung der Generalstände, und am 15. Juni
wurden dem Könige zwei Denkschriften übergeben. Die eine enthielt eine Be¬
schwerde über die Besteuerung des Klerus, die andre eine solche über die Er¬
richtung der cour MMrs. Noch zwei Monate zuvor hatte eine Deputierten¬
versammlung des Klerus in hurtiger Form auf die Steuerprivilegien verzichtet;
jetzt wollte man der „despotisch" gewordnen Regierung nichts mehr zugestehn. In
der zweiten Denkschrift stellte sich der Klerus auf die Seite der Parlamente
und rief nach Generalständen; im Schlußsatz hieß es: „Der Ruhm Ew. Ma¬
jestät ist nicht, König von Frankreich zu sein, sondern König der Franzosen,
und das Herz Ihrer Untertanen ist die schönste Ihrer Domänen." Den meisten
Geistlichen war dieser Bescheid noch zu zahm, aber sie lenkten ein, als am
5- Juli ein königliches Schreiben den kläglichen Rückzug der Regierung ver¬
kündigte; es bestätigte nämlich die Steuerfreiheit des Klerus und stellte die
Sache so hin, als sei der Zwanzigstenerlaß nur als eine freiwillige Besteuerung
der Geistlichkeit gedacht gewesen; auch habe man damals von ihren Gütern nur
geredet, „um den Steuerpflichtigen jeden Vorwand auf Eifersucht zu nehmen"!


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[0309] Vorgeschichte der französischen Revolution von Ferner wurde eine Revision der Strafgesetze in Aussicht gestellt und diese oder jene Milderung alsbald verfügt. Endlich bestimmte das letzte Edikt, das den heftigsten Widerstand hervorrief, das Recht der Einregistrierung politischer Gesetze sei dein Parlament zu entziehen und einer einzigen Behörde für das ganze Reich zu übertragen. Diese cour Mmers sollte bestehn aus der vornehmsten Kammer des Pariser Parlaments, aus zwei Ministern, sechs Staatsräten, den Prinzen und Pairs, zwei Erzbischöfen, zwei Bischöfen, zwei Marschällen, je einem Mitglied jedes Parlaments und einigen andern Personen. Daß in den genannten Reformen ein vorzüglicher Kern steckte, kann nicht bezweifelt werden; aber was fragte man damals nach Reformen, was nach Einheit des Reiches, was nach Generalständen, die die Regierung im Anschluß an jene sechs Edikte wiederum ausdrücklich versprochen hatte! Die ganze Nation hatte nur einen Gedanken, den nach Freiheit, persönlicher und politischer Freiheit. Und so ergoß sich denn eine wahre Flut aufrührerischer Flugblätter über das Land; die Par¬ lamente remonstrierten, die Rechtspflege stockte in Paris und in vielen Pro¬ vinzen; hier und da kam es schon zu offnem Widerstand gegen das Militär, so in der Dauphine, in Bearn, in der Bretagne. Auch hierbei zeigte sich wieder deutlich, daß die Provinzen damals noch für ihre Sonderstellung kämpften, und daß die Stände untereinander einig waren. „So wenig kann man aus dem, was die Revolution vollbracht hat, schließen, daß sie um dessentwillen herbeigeführt worden sei oder um dessentwillen habe kommen müssen." Sehr schlimm stand es um die Regierung, daß sich nun auch der Klerus von Frankreich, bisher der treuste Bundesgenosse, in seiner außerordentlichen Versammlung vom 5. Mai bis 5. August 1788 zu den heftigsten Gegnern der bestehenden Monarchie gesellte. Schon am 12. Mai forderte der Vorsitzende, Erzbischof von Narbonne, die Einberufung der Generalstände, und am 15. Juni wurden dem Könige zwei Denkschriften übergeben. Die eine enthielt eine Be¬ schwerde über die Besteuerung des Klerus, die andre eine solche über die Er¬ richtung der cour MMrs. Noch zwei Monate zuvor hatte eine Deputierten¬ versammlung des Klerus in hurtiger Form auf die Steuerprivilegien verzichtet; jetzt wollte man der „despotisch" gewordnen Regierung nichts mehr zugestehn. In der zweiten Denkschrift stellte sich der Klerus auf die Seite der Parlamente und rief nach Generalständen; im Schlußsatz hieß es: „Der Ruhm Ew. Ma¬ jestät ist nicht, König von Frankreich zu sein, sondern König der Franzosen, und das Herz Ihrer Untertanen ist die schönste Ihrer Domänen." Den meisten Geistlichen war dieser Bescheid noch zu zahm, aber sie lenkten ein, als am 5- Juli ein königliches Schreiben den kläglichen Rückzug der Regierung ver¬ kündigte; es bestätigte nämlich die Steuerfreiheit des Klerus und stellte die Sache so hin, als sei der Zwanzigstenerlaß nur als eine freiwillige Besteuerung der Geistlichkeit gedacht gewesen; auch habe man damals von ihren Gütern nur geredet, „um den Steuerpflichtigen jeden Vorwand auf Eifersucht zu nehmen"!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/309>, abgerufen am 22.07.2024.