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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der französischen Revolution von 1.739

Masse verhielt sich völlig stumpf, und auf die Finanzlage hatte er so wenig
Einfluß, daß Brienne bereits am 16. August Maßregeln ankündigen mußte,
nach denen bis zum Ende des Jahres 1789 statt des Papiergeldes, "dessen
Gefahren man kenne", Tresorscheine zu fünf Prozent ausgegeben werden sollten,
mit denen man die Staatsglnubiger befriedigen und die Gehalte der höhern
Beamtenschaft auszahlen wollte, während man die Besoldungen in Heer und
Marine und die kleinen Gehalte bis zu 1200 Franken in bar auszuzahlen ge¬
dachte. Es war offenbar, daß man es mit dem Staatsbankrott zu tun hatte.
Diese Einsicht genügte aber, um Brienne als ersten Minister unmöglich zu
machen. Die öffentliche Meinung verlangte die Rückkehr Neckers als Finanz¬
minister. Es fragte sich nur, wie dieser maßlos ehrgeizige Mann neben Brienne
bestehn sollte. Da waren es die Königin und der österreichische Botschafter
Mercy, die die Angelegenheit in die Hand nahmen und den König dazu be¬
wogen, den Abscheu gegen Necker zu überwinden und seine Berufung in das
Ministerium auszusprechen. Brienne selbst war vornehm genug, sich im August
1788 zum freiwilligen Rücktritt bereit zu erklären. Wieder also hatte die
öffentliche Meinung den Sieg über die Monarchie davongetragen: mit unend¬
lichem Jubel wurde Necker von ihr als der leitende Mann begrüßt, und dies
doch nur deshalb, weil er von jeher kräftig für die Beschränkung der Monarchie
eingetreten war! Adel, Klerus und Parlament, die damals noch ausschließlich
die Führung der Revolution innehalten, schienen gänzlich vergessen zu haben,
daß dieser Mann der Freund des dritten Standes war, dem er in den Pro-
vinzialversammlungen die gleiche Vertretung verschafft hatte wie den beiden
ersten Ständen zusammengenommen. Alle Bedenken wurden eben über dem
Durste nach Freiheit hintangesetzt! Von ernsten ständischen Reibungen kann
noch keine Rede gewesen sein.

Im Gegenteil: das Zusammenwirken der Stände war geradezu ein be¬
wußtes, und darin eben lag eine ernste und große Gefahr für die Regierung,
deren Stellung überdies durch gewisse wirtschaftliche Mißstände erschwert wurde.
Dahin gehörten die mittelmäßige Ernte von 1788, ferner der freiheitliche Handels¬
vertrag mit England von 1786, der einigen Provinzen, zum Beispiel der Nor-
mandie, schweren Schaden zufügte, endlich eine Krise in der damaligen Seiden¬
industrie Frankreichs, besonders Lyons. Neckers erste Maßnahmen wirkten nicht
ungünstig. Schon seine Erhebung hatte eine merkliche Steigerung der Börsen¬
kurse zur Folge; am 7. September verbot er den Getreideexport aus allen Häfen
und sonstigen Ausgängen der Monarchie, und am 23. September wandte er
sich gegen die Getrcidespekulation, um eine genügende Menge Getreide dem
Lande zu erhalten, Erlasse, die freilich die Besorgnisse der Bevölkerung eher
vergrößerten als verminderten. Schon vorher, am 16. September, hob ein
königlicher Erlaß den vom 16. August auf, sodaß die Zahlungen der königlichen
Kasse wieder in bar erfolgen sollten; die kritische Lage wurde darin zwar zu¬
gegeben, aber man hoffte doch, bis zum Zusammentritt der Generalstände auf


Vorgeschichte der französischen Revolution von 1.739

Masse verhielt sich völlig stumpf, und auf die Finanzlage hatte er so wenig
Einfluß, daß Brienne bereits am 16. August Maßregeln ankündigen mußte,
nach denen bis zum Ende des Jahres 1789 statt des Papiergeldes, „dessen
Gefahren man kenne", Tresorscheine zu fünf Prozent ausgegeben werden sollten,
mit denen man die Staatsglnubiger befriedigen und die Gehalte der höhern
Beamtenschaft auszahlen wollte, während man die Besoldungen in Heer und
Marine und die kleinen Gehalte bis zu 1200 Franken in bar auszuzahlen ge¬
dachte. Es war offenbar, daß man es mit dem Staatsbankrott zu tun hatte.
Diese Einsicht genügte aber, um Brienne als ersten Minister unmöglich zu
machen. Die öffentliche Meinung verlangte die Rückkehr Neckers als Finanz¬
minister. Es fragte sich nur, wie dieser maßlos ehrgeizige Mann neben Brienne
bestehn sollte. Da waren es die Königin und der österreichische Botschafter
Mercy, die die Angelegenheit in die Hand nahmen und den König dazu be¬
wogen, den Abscheu gegen Necker zu überwinden und seine Berufung in das
Ministerium auszusprechen. Brienne selbst war vornehm genug, sich im August
1788 zum freiwilligen Rücktritt bereit zu erklären. Wieder also hatte die
öffentliche Meinung den Sieg über die Monarchie davongetragen: mit unend¬
lichem Jubel wurde Necker von ihr als der leitende Mann begrüßt, und dies
doch nur deshalb, weil er von jeher kräftig für die Beschränkung der Monarchie
eingetreten war! Adel, Klerus und Parlament, die damals noch ausschließlich
die Führung der Revolution innehalten, schienen gänzlich vergessen zu haben,
daß dieser Mann der Freund des dritten Standes war, dem er in den Pro-
vinzialversammlungen die gleiche Vertretung verschafft hatte wie den beiden
ersten Ständen zusammengenommen. Alle Bedenken wurden eben über dem
Durste nach Freiheit hintangesetzt! Von ernsten ständischen Reibungen kann
noch keine Rede gewesen sein.

Im Gegenteil: das Zusammenwirken der Stände war geradezu ein be¬
wußtes, und darin eben lag eine ernste und große Gefahr für die Regierung,
deren Stellung überdies durch gewisse wirtschaftliche Mißstände erschwert wurde.
Dahin gehörten die mittelmäßige Ernte von 1788, ferner der freiheitliche Handels¬
vertrag mit England von 1786, der einigen Provinzen, zum Beispiel der Nor-
mandie, schweren Schaden zufügte, endlich eine Krise in der damaligen Seiden¬
industrie Frankreichs, besonders Lyons. Neckers erste Maßnahmen wirkten nicht
ungünstig. Schon seine Erhebung hatte eine merkliche Steigerung der Börsen¬
kurse zur Folge; am 7. September verbot er den Getreideexport aus allen Häfen
und sonstigen Ausgängen der Monarchie, und am 23. September wandte er
sich gegen die Getrcidespekulation, um eine genügende Menge Getreide dem
Lande zu erhalten, Erlasse, die freilich die Besorgnisse der Bevölkerung eher
vergrößerten als verminderten. Schon vorher, am 16. September, hob ein
königlicher Erlaß den vom 16. August auf, sodaß die Zahlungen der königlichen
Kasse wieder in bar erfolgen sollten; die kritische Lage wurde darin zwar zu¬
gegeben, aber man hoffte doch, bis zum Zusammentritt der Generalstände auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/311>, abgerufen am 25.08.2024.