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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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literarische Rundschau

eindrücken entsproßnes, kräftigeres Drama "Ein Frühlingsopfer" geschrieben
hat. Seine neuen Novellen "Bunte Herzen" (Berlin. S. Fischer) liegen aber
ganz in der oben bezeichneten Linie. Man weiß nicht recht, wie man daran
ist, der Autor betrachtet seine Gestalten nicht ohne Ironie, die aber doch
wieder nicht große, strafende Satire, sondern mehr eine tastende, unsichere
Beleuchtung ist.

Sehr viel herzhafter packt der Bayer Joseph Ruederer in seinen jetzt neu
aufgelegten, aber nicht mehr neuen Erzählungen das Leben. In dem kurzen
Roman "Ein Verrückter. Kampf und Ende eines Lehrers" (München, Süd¬
deutsche Monatshefte) gibt er mit den kräftigsten Tönen das Geschick eines
Menschen, der sich weltlicher und insbesondre geistlicher Obrigkeit nicht fügen
kann und will, der sich eine Art Hundedemut anlernt, um so doch endlich zum
Ziel, einem Amt, zu gelangen, weil er ein Mädchen, das ihm gehört, heimführen
muß, und der dann doch, in Schuld und Schande unlösbar verstrickt, mit denen,
die er liebt, untergehn muß. In den "Tragikomödien" (ebenda) gibt Ruederer
eine ganze Reihe von Schicksalen, heitre und ernste Themen, und seine Heiter¬
keit hat ein wirkliches Lachen, sein Ernst wirkliche Tragik. In grauenhafter
Düsternis entrollt sich das Geschick eines Totengräbers, dem der eigne verstumpfte
und vertierte Vater, dem auch das eigne, ungebändigte Blut das fernere Atmen
unmöglich macht, und mit dem echten Klang der Tragikomödie verflicht sich
das sensationelle Erlebnis eines kleinen Subalternen, der dann wieder in sein
Nichts zurücksinke, mit dem Selbstmord zweier unglücklicher Frauen. Besonders
in dieser ersten Geschichte "Das Gansjung" leuchtet es nur so von Farben
aller Art, von tiefster Tragik bis zu grellem Lachen, und die kleine Seele des
Beamten, in der sich alles widerspiegelt, erscheint hin und her geworfen, doch
nie bloß lächerlich, sondern erweist ihren wahrhaftigen, menschlichen Gehalt.
Die letzte Erzählung des Bandes, "Hochzeiter und Hochzeiterin", mit ihrem
stark forcierten Humor hätte bei der neuen Sichtung freilich besser draußen
bleiben können.

In eine ganz neue Welt führt das letzte Buch des jüngst und zu früh
verstorbnen Stephan von Kotze. Er hat unter dem Titel "Aus einer neuen
Literatur" (bei F. Fontane Co., Berlin) eine Reihe australischer Erzählungen
und Plaudereien herausgegeben, die er auf seinen Wanderfahrten im fünften
Erdteil aufgelesen und übersetzt hat. Zum erstenmal wird uns hier ein Blick
in die jungenglische Literatur Australiens eröffnet, wir lernen, ob auch nur
flüchtig, eine ganze Reihe australischer Prosaisten kennen, unter denen Albert
Dorrington und Edward Dyson hervorgehoben seien. Fast überall in diesen
kleinen Werken lebt ein kaustischer, trockner Humor, der auch für das entsetzlich
einsame, ja der Tragik nicht entbehrende Leben versprengter Ansiedler an er¬
traglosen Goldminen etwas übrig hat, wie etwa in der "Hoffnung auf Segen"
von Dyson. Mit einigem Erstaunen hört man. daß Australien ein ernsthaftes
literarisches Journal, das Bulletin, besitzt, das in allen Bevölkerungsklassen,


literarische Rundschau

eindrücken entsproßnes, kräftigeres Drama „Ein Frühlingsopfer" geschrieben
hat. Seine neuen Novellen „Bunte Herzen" (Berlin. S. Fischer) liegen aber
ganz in der oben bezeichneten Linie. Man weiß nicht recht, wie man daran
ist, der Autor betrachtet seine Gestalten nicht ohne Ironie, die aber doch
wieder nicht große, strafende Satire, sondern mehr eine tastende, unsichere
Beleuchtung ist.

Sehr viel herzhafter packt der Bayer Joseph Ruederer in seinen jetzt neu
aufgelegten, aber nicht mehr neuen Erzählungen das Leben. In dem kurzen
Roman „Ein Verrückter. Kampf und Ende eines Lehrers" (München, Süd¬
deutsche Monatshefte) gibt er mit den kräftigsten Tönen das Geschick eines
Menschen, der sich weltlicher und insbesondre geistlicher Obrigkeit nicht fügen
kann und will, der sich eine Art Hundedemut anlernt, um so doch endlich zum
Ziel, einem Amt, zu gelangen, weil er ein Mädchen, das ihm gehört, heimführen
muß, und der dann doch, in Schuld und Schande unlösbar verstrickt, mit denen,
die er liebt, untergehn muß. In den „Tragikomödien" (ebenda) gibt Ruederer
eine ganze Reihe von Schicksalen, heitre und ernste Themen, und seine Heiter¬
keit hat ein wirkliches Lachen, sein Ernst wirkliche Tragik. In grauenhafter
Düsternis entrollt sich das Geschick eines Totengräbers, dem der eigne verstumpfte
und vertierte Vater, dem auch das eigne, ungebändigte Blut das fernere Atmen
unmöglich macht, und mit dem echten Klang der Tragikomödie verflicht sich
das sensationelle Erlebnis eines kleinen Subalternen, der dann wieder in sein
Nichts zurücksinke, mit dem Selbstmord zweier unglücklicher Frauen. Besonders
in dieser ersten Geschichte „Das Gansjung" leuchtet es nur so von Farben
aller Art, von tiefster Tragik bis zu grellem Lachen, und die kleine Seele des
Beamten, in der sich alles widerspiegelt, erscheint hin und her geworfen, doch
nie bloß lächerlich, sondern erweist ihren wahrhaftigen, menschlichen Gehalt.
Die letzte Erzählung des Bandes, „Hochzeiter und Hochzeiterin", mit ihrem
stark forcierten Humor hätte bei der neuen Sichtung freilich besser draußen
bleiben können.

In eine ganz neue Welt führt das letzte Buch des jüngst und zu früh
verstorbnen Stephan von Kotze. Er hat unter dem Titel „Aus einer neuen
Literatur" (bei F. Fontane Co., Berlin) eine Reihe australischer Erzählungen
und Plaudereien herausgegeben, die er auf seinen Wanderfahrten im fünften
Erdteil aufgelesen und übersetzt hat. Zum erstenmal wird uns hier ein Blick
in die jungenglische Literatur Australiens eröffnet, wir lernen, ob auch nur
flüchtig, eine ganze Reihe australischer Prosaisten kennen, unter denen Albert
Dorrington und Edward Dyson hervorgehoben seien. Fast überall in diesen
kleinen Werken lebt ein kaustischer, trockner Humor, der auch für das entsetzlich
einsame, ja der Tragik nicht entbehrende Leben versprengter Ansiedler an er¬
traglosen Goldminen etwas übrig hat, wie etwa in der „Hoffnung auf Segen"
von Dyson. Mit einigem Erstaunen hört man. daß Australien ein ernsthaftes
literarisches Journal, das Bulletin, besitzt, das in allen Bevölkerungsklassen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/271>, abgerufen am 01.07.2024.