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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die Zukunft des Blockgedankens

Diese Kreise mögen der Parteileitung zurzeit ja als minder wichtig erscheinen.
Aber eine weitsichtige Parteipolitik muß erkennen, daß sich bei der leider nicht
zu leugnenden zahlenmäßigen Abnahme der Landwirte der Schwerpunkt immer
mehr nach den Städten verlegen wird, daß daher die konservative Partei ver¬
suchen muß, gerade diese Stadtkonservativen festzuhalten und möglichst zu ver¬
mehren, wofür bei der vorhin erwähnten stark konservativen Tendenz des
modernen Staatslebens die Aussichten bisher recht günstig standen. Und eine
weitsichtige Parteipolitik sollte eine Entfremdung dieser Stadtkonservativen um
so eher vermeiden, da sich gerade unter ihnen besonders wertvolle Elemente
finden; denn gerade unter ihnen ist das, was ich früher schon einmal an
dieser Stelle*) reinen "Überzeugungskonservativismus" im Gegensatz zum "Ge¬
wohnheitskonservativismus" nannte, besonders stark verbreitet.

Die weitere Folge aber aus der Entfremdung dieser Kreise wäre, daß die
Partei aus dem kommenden Wahlkampf geschwächt zurückkehren wird, wenn mau
auch das Maß dieser Schwächung im liberalen Lager nicht überschätzen sollte. Das
kann dann aber selbstverständlich nicht ohne Einfluß bleiben auf die Macht¬
stellung der Konservativen im blauschwarzen Block: sie werden mehr Trabanten
als Genossen des Zentrums sein, und Konzessionen in der Polenfrage und
anderm werden sie zur Reue treiben, wenn es vielleicht schon zu spät ist.

3. Aber die Wiederherstellung der Blockpolitik ist nicht nur im Interesse
der bisherigen Blockparteien nützlich, sondern sie ist auch im nationalen
Interesse notwendig.

Denn wir müssen uns darüber klar sein, daß es ein widerspruchsvoller
und unerträglicher Zustand ist, nationale Politik auf eine nicht nationale
Partei -- und das Zentrum ist eine solche -- zu basieren.

Es gibt freilich Leute, die meinen, das Zentrum sei eine nationale Partei,
denn es habe nationale Politik getrieben. Und richtig ist ja auch die Tatsache,
daß sich das Zentrum wiederholt durch Unterstützung nationaler Heeres- und
Flottenforderungen positiv national betätigt hat. Nicht richtig aber ist der
Schluß, den jene Leute aus dieser richtigen Tatsache ziehen.

Denn national sein, heißt nicht: nationale Politik treiben, sondern: nationale
Gesinnung haben. Freilich steht beides in engem Zusammenhang. Wer nationale
Gesinnung hat, wird auch nationale Politik treiben. Aber darum kann doch noch
nicht umgekehrt gesagt werden, daß, wer nationale Politik treibe, auch nationale
Gesinnung habe. Denn der Beweggrund für die nationale Politik kann ja ganz
verschieden geartet sein. Freilich wird die Vermutung dafür sprechen, daß der
Beweggrund die nationale Gesinnung sei- Aber diese Vermutung wird entkräftet,
wenn die nationale Politik dort aufhört, wo das Parteiinteresse damit kollidiert.

Und so ist es beim Zentrum. Heeres- und Flottenfragen sind vom
ultramontanen Parteistandpunkt aus ziemlich indifferent; es liegt also für das
Zentrum kein starkes Parteiinteresse vor, das zur Ablehnung führen könnte;
im Gegenteil lassen sie sich schön dazu verwenden, mit nationaler Gesinnung
zu prunken. Wo aber das Parteiinteresse beteiligt ist, da hat das Zentrum noch



*) In meinem Aufsatz über "Politische Erziehung und Finanzreform" (Grenzboten, 1909,
Ur. 19, S. 262).
Die Zukunft des Blockgedankens

Diese Kreise mögen der Parteileitung zurzeit ja als minder wichtig erscheinen.
Aber eine weitsichtige Parteipolitik muß erkennen, daß sich bei der leider nicht
zu leugnenden zahlenmäßigen Abnahme der Landwirte der Schwerpunkt immer
mehr nach den Städten verlegen wird, daß daher die konservative Partei ver¬
suchen muß, gerade diese Stadtkonservativen festzuhalten und möglichst zu ver¬
mehren, wofür bei der vorhin erwähnten stark konservativen Tendenz des
modernen Staatslebens die Aussichten bisher recht günstig standen. Und eine
weitsichtige Parteipolitik sollte eine Entfremdung dieser Stadtkonservativen um
so eher vermeiden, da sich gerade unter ihnen besonders wertvolle Elemente
finden; denn gerade unter ihnen ist das, was ich früher schon einmal an
dieser Stelle*) reinen „Überzeugungskonservativismus" im Gegensatz zum „Ge¬
wohnheitskonservativismus" nannte, besonders stark verbreitet.

Die weitere Folge aber aus der Entfremdung dieser Kreise wäre, daß die
Partei aus dem kommenden Wahlkampf geschwächt zurückkehren wird, wenn mau
auch das Maß dieser Schwächung im liberalen Lager nicht überschätzen sollte. Das
kann dann aber selbstverständlich nicht ohne Einfluß bleiben auf die Macht¬
stellung der Konservativen im blauschwarzen Block: sie werden mehr Trabanten
als Genossen des Zentrums sein, und Konzessionen in der Polenfrage und
anderm werden sie zur Reue treiben, wenn es vielleicht schon zu spät ist.

3. Aber die Wiederherstellung der Blockpolitik ist nicht nur im Interesse
der bisherigen Blockparteien nützlich, sondern sie ist auch im nationalen
Interesse notwendig.

Denn wir müssen uns darüber klar sein, daß es ein widerspruchsvoller
und unerträglicher Zustand ist, nationale Politik auf eine nicht nationale
Partei — und das Zentrum ist eine solche — zu basieren.

Es gibt freilich Leute, die meinen, das Zentrum sei eine nationale Partei,
denn es habe nationale Politik getrieben. Und richtig ist ja auch die Tatsache,
daß sich das Zentrum wiederholt durch Unterstützung nationaler Heeres- und
Flottenforderungen positiv national betätigt hat. Nicht richtig aber ist der
Schluß, den jene Leute aus dieser richtigen Tatsache ziehen.

Denn national sein, heißt nicht: nationale Politik treiben, sondern: nationale
Gesinnung haben. Freilich steht beides in engem Zusammenhang. Wer nationale
Gesinnung hat, wird auch nationale Politik treiben. Aber darum kann doch noch
nicht umgekehrt gesagt werden, daß, wer nationale Politik treibe, auch nationale
Gesinnung habe. Denn der Beweggrund für die nationale Politik kann ja ganz
verschieden geartet sein. Freilich wird die Vermutung dafür sprechen, daß der
Beweggrund die nationale Gesinnung sei- Aber diese Vermutung wird entkräftet,
wenn die nationale Politik dort aufhört, wo das Parteiinteresse damit kollidiert.

Und so ist es beim Zentrum. Heeres- und Flottenfragen sind vom
ultramontanen Parteistandpunkt aus ziemlich indifferent; es liegt also für das
Zentrum kein starkes Parteiinteresse vor, das zur Ablehnung führen könnte;
im Gegenteil lassen sie sich schön dazu verwenden, mit nationaler Gesinnung
zu prunken. Wo aber das Parteiinteresse beteiligt ist, da hat das Zentrum noch



*) In meinem Aufsatz über „Politische Erziehung und Finanzreform" (Grenzboten, 1909,
Ur. 19, S. 262).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/255>, abgerufen am 23.07.2024.