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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Veit Valentin

akademischen Lehrern, die ja die Forschungskunst an erster Stelle auszubilden
suchen, alle Ehre. Der jüngere Veit Valentin muß von seinem Vater auch
in der Beziehung sehr verschieden sein, daß es ihm wenig auszumachen scheint,
fremde Bücher massenhaft kennen zu lernen und zu verwerten, sein Vater riß
sich aus seinen eignen Gedanken, die er unwillkürlich unablässig spann, oft
recht schwer los, um nun in wissenschaftlicher Pflicht fremde nachzubilden und
sie kritisch mit den eignen zu konfrontieren. Dafür ist aber eben auch der
Historiker nichts ohne Quellen, der Theoretiker doch vielleicht der größere
Teil dessen, was er ist, aus sich selbst. Veit Valentin der Sohn hat die
Quellen, die ihm in solchem Reichtum flössen, über den sich schon mancher
Historiker der neuen Geschichte seufzend nach dem Schöpfen aus einigen
wenigen Quellen, wie sie zum Beispiel für manche Partien der griechischen
und der römischen Geschichte allein zu Gebote stehn, gesehnt hat, nicht nur
in großer Vollständigkeit benutzt, Zeitungen, Geschichtswerke, Memoiren, Bro¬
schüren, Flugblätter, ja selbst Karikaturen aus der märchenhaft bewegten Zeit,
sondern auch bisweilen neues Material aus Archiven und den Senatsakten
der Stadt Frankfurt zuerst herangezogen.

Die geschichtliche Darstellung soll die Trockenheit der Forschung nach
dem, was einst tatsächlich gewesen ist, abgestreift haben und in der Stilart,
die die Alten die "fröhliche" nannten, verlaufen, sie soll die Verkettung der
Ursachen und Wirkungen scharf hervortreten lassen, vor allem die Motive der
handelnden Personen von allem schamhafter, das sich oft an sie anheftet, be¬
freien und in dem, was wirklich das Treibende war, erfassen, den Verlauf
der Sachen aber dann in überzeugender Leibhaftigkeit, niutg-dis mutg-mais den
alten Gesetzen der epischen Kunst gemäß, vorführen. Veit Valentin hat (mag
auch bisweilen einmal eine kleine Unebenheit auffallen) alle diese Forderungen
bestens erfüllt, und ich wüßte nicht, wodurch sich in diesen Beziehungen das
Erstlingswerk eines Jünglings von gewiegter Meister reifen Werken unter¬
schiede, die ja reichlich zur Vergleichung zu Gebote stehn. Ganz besonders
scheint mir die Vorsicht rühmenswert, mit der er immer wieder den Übergang
in die allgemeine, oft erzählte Zeitgeschichte meidet, um allen Stoff ganz und
gar in das Licht der neuen Sonderaufgabe, die er sich gesetzt hat, zu rücken.
Die Charakteristiken von Personen und von Strömungen gehören in gleicher
Weise der Forschung und der Darstellung an. Veit Valentin wird beiden
Seiten der Aufgabe beiderlei Art gerecht, nach meinem Gefühl oft in Kabinett¬
stücken der Schilderung, so z. B. in den Charakterzeichnungen von H. von Gagern,
von Radowitz, Fürst von Lichnowski, Robert Blum, von Erzherzog Johann.
Ritter von Schmerling, aber auch von Personen mindern Ranges, wie z. B.
der Frankfurter Funck, Jucho und besonders .Habermann, des Stadtoldendorfer
Pastors Jürgens usw.; köstlich ist zum Beispiel auch die Schilderung des achtund-
vierziger Frühlings, wie er aufging in der Natur und in den Gefühlen, Idealen
und -- Illusionen der Menschen. Die staatswissenschaftliche und national-


Veit Valentin

akademischen Lehrern, die ja die Forschungskunst an erster Stelle auszubilden
suchen, alle Ehre. Der jüngere Veit Valentin muß von seinem Vater auch
in der Beziehung sehr verschieden sein, daß es ihm wenig auszumachen scheint,
fremde Bücher massenhaft kennen zu lernen und zu verwerten, sein Vater riß
sich aus seinen eignen Gedanken, die er unwillkürlich unablässig spann, oft
recht schwer los, um nun in wissenschaftlicher Pflicht fremde nachzubilden und
sie kritisch mit den eignen zu konfrontieren. Dafür ist aber eben auch der
Historiker nichts ohne Quellen, der Theoretiker doch vielleicht der größere
Teil dessen, was er ist, aus sich selbst. Veit Valentin der Sohn hat die
Quellen, die ihm in solchem Reichtum flössen, über den sich schon mancher
Historiker der neuen Geschichte seufzend nach dem Schöpfen aus einigen
wenigen Quellen, wie sie zum Beispiel für manche Partien der griechischen
und der römischen Geschichte allein zu Gebote stehn, gesehnt hat, nicht nur
in großer Vollständigkeit benutzt, Zeitungen, Geschichtswerke, Memoiren, Bro¬
schüren, Flugblätter, ja selbst Karikaturen aus der märchenhaft bewegten Zeit,
sondern auch bisweilen neues Material aus Archiven und den Senatsakten
der Stadt Frankfurt zuerst herangezogen.

Die geschichtliche Darstellung soll die Trockenheit der Forschung nach
dem, was einst tatsächlich gewesen ist, abgestreift haben und in der Stilart,
die die Alten die „fröhliche" nannten, verlaufen, sie soll die Verkettung der
Ursachen und Wirkungen scharf hervortreten lassen, vor allem die Motive der
handelnden Personen von allem schamhafter, das sich oft an sie anheftet, be¬
freien und in dem, was wirklich das Treibende war, erfassen, den Verlauf
der Sachen aber dann in überzeugender Leibhaftigkeit, niutg-dis mutg-mais den
alten Gesetzen der epischen Kunst gemäß, vorführen. Veit Valentin hat (mag
auch bisweilen einmal eine kleine Unebenheit auffallen) alle diese Forderungen
bestens erfüllt, und ich wüßte nicht, wodurch sich in diesen Beziehungen das
Erstlingswerk eines Jünglings von gewiegter Meister reifen Werken unter¬
schiede, die ja reichlich zur Vergleichung zu Gebote stehn. Ganz besonders
scheint mir die Vorsicht rühmenswert, mit der er immer wieder den Übergang
in die allgemeine, oft erzählte Zeitgeschichte meidet, um allen Stoff ganz und
gar in das Licht der neuen Sonderaufgabe, die er sich gesetzt hat, zu rücken.
Die Charakteristiken von Personen und von Strömungen gehören in gleicher
Weise der Forschung und der Darstellung an. Veit Valentin wird beiden
Seiten der Aufgabe beiderlei Art gerecht, nach meinem Gefühl oft in Kabinett¬
stücken der Schilderung, so z. B. in den Charakterzeichnungen von H. von Gagern,
von Radowitz, Fürst von Lichnowski, Robert Blum, von Erzherzog Johann.
Ritter von Schmerling, aber auch von Personen mindern Ranges, wie z. B.
der Frankfurter Funck, Jucho und besonders .Habermann, des Stadtoldendorfer
Pastors Jürgens usw.; köstlich ist zum Beispiel auch die Schilderung des achtund-
vierziger Frühlings, wie er aufging in der Natur und in den Gefühlen, Idealen
und — Illusionen der Menschen. Die staatswissenschaftliche und national-


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[0234] Veit Valentin akademischen Lehrern, die ja die Forschungskunst an erster Stelle auszubilden suchen, alle Ehre. Der jüngere Veit Valentin muß von seinem Vater auch in der Beziehung sehr verschieden sein, daß es ihm wenig auszumachen scheint, fremde Bücher massenhaft kennen zu lernen und zu verwerten, sein Vater riß sich aus seinen eignen Gedanken, die er unwillkürlich unablässig spann, oft recht schwer los, um nun in wissenschaftlicher Pflicht fremde nachzubilden und sie kritisch mit den eignen zu konfrontieren. Dafür ist aber eben auch der Historiker nichts ohne Quellen, der Theoretiker doch vielleicht der größere Teil dessen, was er ist, aus sich selbst. Veit Valentin der Sohn hat die Quellen, die ihm in solchem Reichtum flössen, über den sich schon mancher Historiker der neuen Geschichte seufzend nach dem Schöpfen aus einigen wenigen Quellen, wie sie zum Beispiel für manche Partien der griechischen und der römischen Geschichte allein zu Gebote stehn, gesehnt hat, nicht nur in großer Vollständigkeit benutzt, Zeitungen, Geschichtswerke, Memoiren, Bro¬ schüren, Flugblätter, ja selbst Karikaturen aus der märchenhaft bewegten Zeit, sondern auch bisweilen neues Material aus Archiven und den Senatsakten der Stadt Frankfurt zuerst herangezogen. Die geschichtliche Darstellung soll die Trockenheit der Forschung nach dem, was einst tatsächlich gewesen ist, abgestreift haben und in der Stilart, die die Alten die „fröhliche" nannten, verlaufen, sie soll die Verkettung der Ursachen und Wirkungen scharf hervortreten lassen, vor allem die Motive der handelnden Personen von allem schamhafter, das sich oft an sie anheftet, be¬ freien und in dem, was wirklich das Treibende war, erfassen, den Verlauf der Sachen aber dann in überzeugender Leibhaftigkeit, niutg-dis mutg-mais den alten Gesetzen der epischen Kunst gemäß, vorführen. Veit Valentin hat (mag auch bisweilen einmal eine kleine Unebenheit auffallen) alle diese Forderungen bestens erfüllt, und ich wüßte nicht, wodurch sich in diesen Beziehungen das Erstlingswerk eines Jünglings von gewiegter Meister reifen Werken unter¬ schiede, die ja reichlich zur Vergleichung zu Gebote stehn. Ganz besonders scheint mir die Vorsicht rühmenswert, mit der er immer wieder den Übergang in die allgemeine, oft erzählte Zeitgeschichte meidet, um allen Stoff ganz und gar in das Licht der neuen Sonderaufgabe, die er sich gesetzt hat, zu rücken. Die Charakteristiken von Personen und von Strömungen gehören in gleicher Weise der Forschung und der Darstellung an. Veit Valentin wird beiden Seiten der Aufgabe beiderlei Art gerecht, nach meinem Gefühl oft in Kabinett¬ stücken der Schilderung, so z. B. in den Charakterzeichnungen von H. von Gagern, von Radowitz, Fürst von Lichnowski, Robert Blum, von Erzherzog Johann. Ritter von Schmerling, aber auch von Personen mindern Ranges, wie z. B. der Frankfurter Funck, Jucho und besonders .Habermann, des Stadtoldendorfer Pastors Jürgens usw.; köstlich ist zum Beispiel auch die Schilderung des achtund- vierziger Frühlings, wie er aufging in der Natur und in den Gefühlen, Idealen und — Illusionen der Menschen. Die staatswissenschaftliche und national-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/234>, abgerufen am 23.07.2024.