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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Veit Valentin

ökonomische Durchbildung, die jetzt immer mit dem Universitätsstudium der
Geschichte verbunden wird, tritt überall in dem Buche hervor. Als letzter
Beziehungshintergrund des historischen Urteils des Verfassers über den Wert
der Zustände, der Entwicklungen und der Handlungen erscheint nicht sowohl
eine der fertigen großen philosophischen oder religiösen Weltanschauungen oder
gar eine der Parteien, wie die konkrete Vernunft, die in dem Rückblick auf
Dinge, die die Zeit gehabt haben, sich zu entfalten und zu erproben, talentierten
und geschulten Geistern von selber aufleuchtet.

Gewiß scheint mir, daß der deutschen Historik hier ein junger Stern von
Zukunft aufgegangen und dem Namen Veit Valentin eine literarische Auf¬
erstehung beschieden gewesen ist. Sachlich aber erscheint das Buch, weit ent¬
fernt, nur einem Lokalinteresse zu dienen, je mehr man sich hineinliest, von ganz
überraschender Bedeutung und geschichtlicher Jnhaltstiefe. Das Buch trägt die
Widmung: "Meinem Vater Veit Valentin (1842 bis 1900) zum Gedächtnis",
in schöner und höchst begründeter Dankbarkeit und Pietät, aber offenbar auch
in dem Gefühle, daß sich der Verfasser für die Fern erstes enden -- wie wir
ja in der Fülle der Ereignisse oft vergessen, ob uns ferner klingende Namen
Lebenden oder schon Verstorbnen angehören -- deutlich von dem, was sonst
"Veit Valentin" hieß, unterscheiden und zu ihm hinzufügen will. Daß der junge
Veit Valentin als Mensch und neben seinem ausgeprägten eignen wissenschaft¬
lichen Beruf die ästhetischen Neigungen seines Vaters teilt, ja das Erbteil
seines Vaters trägt, fühlt sich oft durch, zum Beispiel wenn er den Begriff des
Tragischen anwendet, den er nicht in vager populärer Weise gebraucht, sondern
vielmehr in dem bestimmten Inhalt, den sein Vater, auch in heißem literarischem
Kampf, herausgearbeitet hat. Und über geschichtliche Personen, die auch einmal
an den Gestaltungen der politischen Schicksale teilgenommen haben, im wesent¬
lichen aber der Geistesgeschichte angehören, äußert sich Veit Valentin in einer
für die Verwandtschaft mit dem väterlichen Geist charakteristischen Weise zum
Beispiel an der Stelle, wo er im Zusammenhang seiner Darstellung gerade
..das bedeutendste parlamentarische Talent" der Fraktion, die sich damals nach
dem "Landsberg" nannte, den Dichter Wilhelm Jordan, zu zeichnen hat (S. 220):
"Er übte das Künstlerrecht aus. von dem Borurteil einer politischen Partei-
nchtung unbehindert, all den menschlichen Erscheinungen seine Sympathie zu¬
zuwenden, an welchen ihn Kraft und Ursprünglichkeit der Bildung fesselte."

Daß eine Firma wie die Cotwsche das Erstlingswerk eines so jungen
Autors herausbringt, muß ihm zu einer Empfehlung und dem Verfasser zur
^hre N"! schneiden,!,, gereichen.




Veit Valentin

ökonomische Durchbildung, die jetzt immer mit dem Universitätsstudium der
Geschichte verbunden wird, tritt überall in dem Buche hervor. Als letzter
Beziehungshintergrund des historischen Urteils des Verfassers über den Wert
der Zustände, der Entwicklungen und der Handlungen erscheint nicht sowohl
eine der fertigen großen philosophischen oder religiösen Weltanschauungen oder
gar eine der Parteien, wie die konkrete Vernunft, die in dem Rückblick auf
Dinge, die die Zeit gehabt haben, sich zu entfalten und zu erproben, talentierten
und geschulten Geistern von selber aufleuchtet.

Gewiß scheint mir, daß der deutschen Historik hier ein junger Stern von
Zukunft aufgegangen und dem Namen Veit Valentin eine literarische Auf¬
erstehung beschieden gewesen ist. Sachlich aber erscheint das Buch, weit ent¬
fernt, nur einem Lokalinteresse zu dienen, je mehr man sich hineinliest, von ganz
überraschender Bedeutung und geschichtlicher Jnhaltstiefe. Das Buch trägt die
Widmung: „Meinem Vater Veit Valentin (1842 bis 1900) zum Gedächtnis",
in schöner und höchst begründeter Dankbarkeit und Pietät, aber offenbar auch
in dem Gefühle, daß sich der Verfasser für die Fern erstes enden — wie wir
ja in der Fülle der Ereignisse oft vergessen, ob uns ferner klingende Namen
Lebenden oder schon Verstorbnen angehören — deutlich von dem, was sonst
„Veit Valentin" hieß, unterscheiden und zu ihm hinzufügen will. Daß der junge
Veit Valentin als Mensch und neben seinem ausgeprägten eignen wissenschaft¬
lichen Beruf die ästhetischen Neigungen seines Vaters teilt, ja das Erbteil
seines Vaters trägt, fühlt sich oft durch, zum Beispiel wenn er den Begriff des
Tragischen anwendet, den er nicht in vager populärer Weise gebraucht, sondern
vielmehr in dem bestimmten Inhalt, den sein Vater, auch in heißem literarischem
Kampf, herausgearbeitet hat. Und über geschichtliche Personen, die auch einmal
an den Gestaltungen der politischen Schicksale teilgenommen haben, im wesent¬
lichen aber der Geistesgeschichte angehören, äußert sich Veit Valentin in einer
für die Verwandtschaft mit dem väterlichen Geist charakteristischen Weise zum
Beispiel an der Stelle, wo er im Zusammenhang seiner Darstellung gerade
..das bedeutendste parlamentarische Talent" der Fraktion, die sich damals nach
dem „Landsberg" nannte, den Dichter Wilhelm Jordan, zu zeichnen hat (S. 220):
»Er übte das Künstlerrecht aus. von dem Borurteil einer politischen Partei-
nchtung unbehindert, all den menschlichen Erscheinungen seine Sympathie zu¬
zuwenden, an welchen ihn Kraft und Ursprünglichkeit der Bildung fesselte."

Daß eine Firma wie die Cotwsche das Erstlingswerk eines so jungen
Autors herausbringt, muß ihm zu einer Empfehlung und dem Verfasser zur
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/235>, abgerufen am 22.12.2024.