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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Das Moderne in Luther

So haben sie die Gemütsstimmung und die Anschauungen vorbereitet, die, sobald
irgendwo in der Welt die Sklaverei unprofitabel wurde, ihre Ersetzung durch
Lohnarbeit als das Natürliche, Gerechte und Normale anerkannte, während zu¬
gleich überall da, wo die Sklaverei oder ein dieser nahekommendes Verhältnis
möglich und vorteilhaft wird, auch die Gewissen sich darauf wieder einrichten,
wie das bei der amerikanischen Negersklaverei geschehen ist und in den exotischen
Kolonien noch heute vielfach geschieht.

Auf die Frage: Woher kommen denn aber die Ideen? antwortet Vogt ganz
richtig: nur der religiöse Glaube könne Auskunft geben, sie stammen natürlich
von Gott. Er meint nur die neuen Ideen, von denen der Anstoß zu einer
Umwandlung ausgeht, aber es gilt erst recht von den uralten, die immer die
menschliche Gesellschaft geordnet haben. Als den Zerstörer veralteter, zu hem¬
menden Dogmen gewordner und den Bringer neuer, lebenspendender Ideen feiert
nun Vogt seinen Luther. Nicht den ganzen Luther; dieser ist ihm unerfreulich,
weil sich in ihm mit dem Neuen die Reste des Abgestorbnen und Regungen
für neue Formen des hierarchischen und absolutistischen Geistes mischen: nur mit
dem großen Revolutionär will er es zu tun haben, obwohl er dann doch nicht
unihin kann, den mit diesem symbiotisch zusammengewachsnen Antirevvlutionär
zu kritisieren. Da ist nun zunächst zu sagen, daß es sich mit den dogmatischen
Ideen, die Luther teils als nichtig erwiesen, teils umgebildet hat, doch etwas
anders verhält als mit den erwähnten sozialen Grundideen. Unter den Kirchen¬
dogmen gibt es einige, wie die monotheistische, die Gotteskindschaft und zur
Liebe verpflichtende Brüderlichkeit aller Menschen, die Gottmenschheit und die
Versöhnung mit Gott, die ebenfalls zu den sozialen Grundideen gerechnet werden
müssen. Sie als spezifisch christliche zu betrachten sind wir deswegen berechtigt,
weil sie das Christentum den Menschen zum klaren Bewußtsein gebracht und
dieses Bewußtsein in dem heute die Erde beherrschenden Kulturkreise verbreitet
hat. Die übrigen Kirchendogmen sind teils aus völkerpädagogischen Bedürfnissen
entsprungen, teils daraus, daß der naive Glaube der Ungebildeten und die
Grübelsucht der Gelehrten die sinnbildlichen Beschreibungen jenseitiger Dinge in
der Bibel für wirkliche Abbildungen und begriffliche Erklärungen hielten und damit
eine genaue Kenntnis des Jenseits gewonnen zu haben glaubten. Dazu kamen
dann noch einige aus dem hierarchischen Interesse entsprungne Dogmen. Es
ist klar, daß alle diese Dogmen nur Meinungen waren, die auf einer Stufe
mangelhafter und zum Teil irriger Welterkenntnis gebildet wurden, und daß sie
der bessern Erkenntnis einfach zu weichen hatten, sobald diese anbrach.

Gleich in den beiden Zentraldogmen nun, von denen Luther ausging: dem
von der Rechtfertigung und dem von der Willensfreiheit, sind zwei Zentralideen,
und zwar psychologische, enthalten: die Idee, daß das persönliche Ich irgendwie
im Urgründe des Universums verankert sein müsse, und daß, wenn Christus als
Erlöser der Menschen anerkannt werden soll, ihm sowohl eine befriedigende Auf¬
klärung über unser Verhältnis zu Gott als auch eine tatsächliche Besserung


Das Moderne in Luther

So haben sie die Gemütsstimmung und die Anschauungen vorbereitet, die, sobald
irgendwo in der Welt die Sklaverei unprofitabel wurde, ihre Ersetzung durch
Lohnarbeit als das Natürliche, Gerechte und Normale anerkannte, während zu¬
gleich überall da, wo die Sklaverei oder ein dieser nahekommendes Verhältnis
möglich und vorteilhaft wird, auch die Gewissen sich darauf wieder einrichten,
wie das bei der amerikanischen Negersklaverei geschehen ist und in den exotischen
Kolonien noch heute vielfach geschieht.

Auf die Frage: Woher kommen denn aber die Ideen? antwortet Vogt ganz
richtig: nur der religiöse Glaube könne Auskunft geben, sie stammen natürlich
von Gott. Er meint nur die neuen Ideen, von denen der Anstoß zu einer
Umwandlung ausgeht, aber es gilt erst recht von den uralten, die immer die
menschliche Gesellschaft geordnet haben. Als den Zerstörer veralteter, zu hem¬
menden Dogmen gewordner und den Bringer neuer, lebenspendender Ideen feiert
nun Vogt seinen Luther. Nicht den ganzen Luther; dieser ist ihm unerfreulich,
weil sich in ihm mit dem Neuen die Reste des Abgestorbnen und Regungen
für neue Formen des hierarchischen und absolutistischen Geistes mischen: nur mit
dem großen Revolutionär will er es zu tun haben, obwohl er dann doch nicht
unihin kann, den mit diesem symbiotisch zusammengewachsnen Antirevvlutionär
zu kritisieren. Da ist nun zunächst zu sagen, daß es sich mit den dogmatischen
Ideen, die Luther teils als nichtig erwiesen, teils umgebildet hat, doch etwas
anders verhält als mit den erwähnten sozialen Grundideen. Unter den Kirchen¬
dogmen gibt es einige, wie die monotheistische, die Gotteskindschaft und zur
Liebe verpflichtende Brüderlichkeit aller Menschen, die Gottmenschheit und die
Versöhnung mit Gott, die ebenfalls zu den sozialen Grundideen gerechnet werden
müssen. Sie als spezifisch christliche zu betrachten sind wir deswegen berechtigt,
weil sie das Christentum den Menschen zum klaren Bewußtsein gebracht und
dieses Bewußtsein in dem heute die Erde beherrschenden Kulturkreise verbreitet
hat. Die übrigen Kirchendogmen sind teils aus völkerpädagogischen Bedürfnissen
entsprungen, teils daraus, daß der naive Glaube der Ungebildeten und die
Grübelsucht der Gelehrten die sinnbildlichen Beschreibungen jenseitiger Dinge in
der Bibel für wirkliche Abbildungen und begriffliche Erklärungen hielten und damit
eine genaue Kenntnis des Jenseits gewonnen zu haben glaubten. Dazu kamen
dann noch einige aus dem hierarchischen Interesse entsprungne Dogmen. Es
ist klar, daß alle diese Dogmen nur Meinungen waren, die auf einer Stufe
mangelhafter und zum Teil irriger Welterkenntnis gebildet wurden, und daß sie
der bessern Erkenntnis einfach zu weichen hatten, sobald diese anbrach.

Gleich in den beiden Zentraldogmen nun, von denen Luther ausging: dem
von der Rechtfertigung und dem von der Willensfreiheit, sind zwei Zentralideen,
und zwar psychologische, enthalten: die Idee, daß das persönliche Ich irgendwie
im Urgründe des Universums verankert sein müsse, und daß, wenn Christus als
Erlöser der Menschen anerkannt werden soll, ihm sowohl eine befriedigende Auf¬
klärung über unser Verhältnis zu Gott als auch eine tatsächliche Besserung


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[0222] Das Moderne in Luther So haben sie die Gemütsstimmung und die Anschauungen vorbereitet, die, sobald irgendwo in der Welt die Sklaverei unprofitabel wurde, ihre Ersetzung durch Lohnarbeit als das Natürliche, Gerechte und Normale anerkannte, während zu¬ gleich überall da, wo die Sklaverei oder ein dieser nahekommendes Verhältnis möglich und vorteilhaft wird, auch die Gewissen sich darauf wieder einrichten, wie das bei der amerikanischen Negersklaverei geschehen ist und in den exotischen Kolonien noch heute vielfach geschieht. Auf die Frage: Woher kommen denn aber die Ideen? antwortet Vogt ganz richtig: nur der religiöse Glaube könne Auskunft geben, sie stammen natürlich von Gott. Er meint nur die neuen Ideen, von denen der Anstoß zu einer Umwandlung ausgeht, aber es gilt erst recht von den uralten, die immer die menschliche Gesellschaft geordnet haben. Als den Zerstörer veralteter, zu hem¬ menden Dogmen gewordner und den Bringer neuer, lebenspendender Ideen feiert nun Vogt seinen Luther. Nicht den ganzen Luther; dieser ist ihm unerfreulich, weil sich in ihm mit dem Neuen die Reste des Abgestorbnen und Regungen für neue Formen des hierarchischen und absolutistischen Geistes mischen: nur mit dem großen Revolutionär will er es zu tun haben, obwohl er dann doch nicht unihin kann, den mit diesem symbiotisch zusammengewachsnen Antirevvlutionär zu kritisieren. Da ist nun zunächst zu sagen, daß es sich mit den dogmatischen Ideen, die Luther teils als nichtig erwiesen, teils umgebildet hat, doch etwas anders verhält als mit den erwähnten sozialen Grundideen. Unter den Kirchen¬ dogmen gibt es einige, wie die monotheistische, die Gotteskindschaft und zur Liebe verpflichtende Brüderlichkeit aller Menschen, die Gottmenschheit und die Versöhnung mit Gott, die ebenfalls zu den sozialen Grundideen gerechnet werden müssen. Sie als spezifisch christliche zu betrachten sind wir deswegen berechtigt, weil sie das Christentum den Menschen zum klaren Bewußtsein gebracht und dieses Bewußtsein in dem heute die Erde beherrschenden Kulturkreise verbreitet hat. Die übrigen Kirchendogmen sind teils aus völkerpädagogischen Bedürfnissen entsprungen, teils daraus, daß der naive Glaube der Ungebildeten und die Grübelsucht der Gelehrten die sinnbildlichen Beschreibungen jenseitiger Dinge in der Bibel für wirkliche Abbildungen und begriffliche Erklärungen hielten und damit eine genaue Kenntnis des Jenseits gewonnen zu haben glaubten. Dazu kamen dann noch einige aus dem hierarchischen Interesse entsprungne Dogmen. Es ist klar, daß alle diese Dogmen nur Meinungen waren, die auf einer Stufe mangelhafter und zum Teil irriger Welterkenntnis gebildet wurden, und daß sie der bessern Erkenntnis einfach zu weichen hatten, sobald diese anbrach. Gleich in den beiden Zentraldogmen nun, von denen Luther ausging: dem von der Rechtfertigung und dem von der Willensfreiheit, sind zwei Zentralideen, und zwar psychologische, enthalten: die Idee, daß das persönliche Ich irgendwie im Urgründe des Universums verankert sein müsse, und daß, wenn Christus als Erlöser der Menschen anerkannt werden soll, ihm sowohl eine befriedigende Auf¬ klärung über unser Verhältnis zu Gott als auch eine tatsächliche Besserung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/222>, abgerufen am 23.07.2024.