Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.Das Moderne in Luther Ganz ebenso verhält es sich mit dem Eigentum. Solange die Menschen Grenzboten IN 1909 28
Das Moderne in Luther Ganz ebenso verhält es sich mit dem Eigentum. Solange die Menschen Grenzboten IN 1909 28
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313924"/> <fw type="header" place="top"> Das Moderne in Luther</fw><lb/> <p xml:id="ID_951" next="#ID_952"> Ganz ebenso verhält es sich mit dem Eigentum. Solange die Menschen<lb/> Menschen bleiben und nicht Weideschafe werden, wird ein Kommunismus, der<lb/> die Menschen zu Weideschafen machen würde, keine allgemeine Zustimmung finden.<lb/> Der nicht ganz stumpfsinnige Mensch erhebt Anspruch auf die Herrschaft über<lb/> ein Stück Natur, über körperliche Objekte, über ein Quantum von Genuß- und<lb/> Arbeitsmitteln, das ihm ermöglicht, sich als Person zu betätigen. Darin besteht<lb/> die Idee des Eigentums, die niemals aufgegeben werden kann, gleichviel wie<lb/> Juristen und Philosophen sie sonst noch zu rechtfertigen versuchen. Die Grenze<lb/> seines Herrschaftsgebiets mag dem einzelnen enger oder weiter gezogen werden,<lb/> es mag juristisch unanfechtbares Eigentum geben, das vom sittlichen Standpunkt<lb/> aus Diebstahl genannt werden muß. sodaß eine Reform der Gesetzgebung not¬<lb/> wendig wird, der Christ mag von seiner Religion belehrt werden, daß er nicht im<lb/> strengen Sinne Eigentümer, sondern nur Verwalter und Gott für die Verwaltung<lb/> der ihm verliehenen Güter Rechenschaft schuldig ist — die Idee des Eigentums<lb/> wird von alledem nicht berührt. Die einschneidendste Revision des Eigentums ist<lb/> von der Abschaffung der Sklaverei bewirkt worden, die bis in die Idee hineingreift,<lb/> indem sie klar macht, daß nur vernunftlose Wesen Eigentumsobjekte sein können.<lb/> Aber gerade an der Geschichte dieser Reform zeigt es sich, daß Vogt der materia¬<lb/> listischen Geschichtsauffassung nicht ganz gerecht wird. Es ist ja zu loben, daß er<lb/> die Macht der Idee sehr kräftig hervorhebt, sie als die eigentliche Triebkraft der<lb/> Weltgeschichte anerkennt, während sie nach Marx und Engels bloß ein Spiegel¬<lb/> bild ökonomischer Verhältnisse sein soll. „Woher kamen die Bauernunruhen des<lb/> fünfzehnten und des sechzehnten Jahrhunderts? Ist es den Bauern früher so<lb/> viel besser gegangen? Nein, ihr Selbstbewußtsein war wach geworden. Nicht<lb/> ihre Wirtschaftslage ist wesentlich eine andre geworden, sondern sie selbst sind<lb/> andre geworden." In Wirklichkeit lag die Sache so, daß eine Verschlechterung<lb/> drohte, und daß sie sich dagegen wehrten, damit aber den Anmarsch des Unheils<lb/> nur beschleunigten und dieses verschlimmerten. Die Marxische Theorie ist selbst¬<lb/> verständlich falsch: die Ideen sind im allgemeinen nicht Spiegelungen der Wirklich¬<lb/> keit, sondern stehen oft in Widerspruch mit dieser; aber durchsetzen können sie<lb/> sich nur in einer Wirklichkeit, die die ökonomischen und technischen Bedingungen<lb/> dafür enthält. Es ist gar keine größere Revolution der sozialen Ideen denkbar<lb/> als die vom Christentum vollzogne — allerdings von den alttestamentlichen<lb/> Propheten und einigermaßen auch von den Stoikern vorbereitete —, wonach<lb/> alle Menschen als Kinder Gottes und gleichberechtigte Brüder anerkannt werden<lb/> sollten. Aber weil — zum Teil wegen der grundsätzlichen Verachtung der gewerb¬<lb/> lichen Arbeit — im Nömerreiche das System der Lohnarbeit so unvollkommen<lb/> entwickelt war, daß es die Sklaverei nicht zu ersetzen vermochte, deshalb die auf<lb/> diese gebaute Produktionsordnung die einzige mögliche zu sein schien, ist es den<lb/> Aposteln und den Kirchenvätern gar nicht eingefallen, an dem gesetzlichen Institut<lb/> der Sklaverei zu rütteln; sie haben bloß die Gesinnung der Herren wie der<lb/> Sklaven umgewandelt und dadurch das Verhalten beider gegeneinander veredelt.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IN 1909 28</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0221]
Das Moderne in Luther
Ganz ebenso verhält es sich mit dem Eigentum. Solange die Menschen
Menschen bleiben und nicht Weideschafe werden, wird ein Kommunismus, der
die Menschen zu Weideschafen machen würde, keine allgemeine Zustimmung finden.
Der nicht ganz stumpfsinnige Mensch erhebt Anspruch auf die Herrschaft über
ein Stück Natur, über körperliche Objekte, über ein Quantum von Genuß- und
Arbeitsmitteln, das ihm ermöglicht, sich als Person zu betätigen. Darin besteht
die Idee des Eigentums, die niemals aufgegeben werden kann, gleichviel wie
Juristen und Philosophen sie sonst noch zu rechtfertigen versuchen. Die Grenze
seines Herrschaftsgebiets mag dem einzelnen enger oder weiter gezogen werden,
es mag juristisch unanfechtbares Eigentum geben, das vom sittlichen Standpunkt
aus Diebstahl genannt werden muß. sodaß eine Reform der Gesetzgebung not¬
wendig wird, der Christ mag von seiner Religion belehrt werden, daß er nicht im
strengen Sinne Eigentümer, sondern nur Verwalter und Gott für die Verwaltung
der ihm verliehenen Güter Rechenschaft schuldig ist — die Idee des Eigentums
wird von alledem nicht berührt. Die einschneidendste Revision des Eigentums ist
von der Abschaffung der Sklaverei bewirkt worden, die bis in die Idee hineingreift,
indem sie klar macht, daß nur vernunftlose Wesen Eigentumsobjekte sein können.
Aber gerade an der Geschichte dieser Reform zeigt es sich, daß Vogt der materia¬
listischen Geschichtsauffassung nicht ganz gerecht wird. Es ist ja zu loben, daß er
die Macht der Idee sehr kräftig hervorhebt, sie als die eigentliche Triebkraft der
Weltgeschichte anerkennt, während sie nach Marx und Engels bloß ein Spiegel¬
bild ökonomischer Verhältnisse sein soll. „Woher kamen die Bauernunruhen des
fünfzehnten und des sechzehnten Jahrhunderts? Ist es den Bauern früher so
viel besser gegangen? Nein, ihr Selbstbewußtsein war wach geworden. Nicht
ihre Wirtschaftslage ist wesentlich eine andre geworden, sondern sie selbst sind
andre geworden." In Wirklichkeit lag die Sache so, daß eine Verschlechterung
drohte, und daß sie sich dagegen wehrten, damit aber den Anmarsch des Unheils
nur beschleunigten und dieses verschlimmerten. Die Marxische Theorie ist selbst¬
verständlich falsch: die Ideen sind im allgemeinen nicht Spiegelungen der Wirklich¬
keit, sondern stehen oft in Widerspruch mit dieser; aber durchsetzen können sie
sich nur in einer Wirklichkeit, die die ökonomischen und technischen Bedingungen
dafür enthält. Es ist gar keine größere Revolution der sozialen Ideen denkbar
als die vom Christentum vollzogne — allerdings von den alttestamentlichen
Propheten und einigermaßen auch von den Stoikern vorbereitete —, wonach
alle Menschen als Kinder Gottes und gleichberechtigte Brüder anerkannt werden
sollten. Aber weil — zum Teil wegen der grundsätzlichen Verachtung der gewerb¬
lichen Arbeit — im Nömerreiche das System der Lohnarbeit so unvollkommen
entwickelt war, daß es die Sklaverei nicht zu ersetzen vermochte, deshalb die auf
diese gebaute Produktionsordnung die einzige mögliche zu sein schien, ist es den
Aposteln und den Kirchenvätern gar nicht eingefallen, an dem gesetzlichen Institut
der Sklaverei zu rütteln; sie haben bloß die Gesinnung der Herren wie der
Sklaven umgewandelt und dadurch das Verhalten beider gegeneinander veredelt.
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