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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der französischen Revolution von

ablehnte, entschloß sich der König am 6. August zu dem verhaßten Zwangs¬
mittel einer Kissensitzung <M 6e ^dive). in der die beiden Steuergesetze ein-
registricrt wurden. Aber selbst jetzt gab sich das Parlament noch nicht zufrieden:
es erklärte die Kissensitzungen überhaupt für ungesetzlich, verlangte aufs neue
die Berufung von Generalständen und mahnte die Provinzialversammlungen,
sich zu erinnern, was die Nation von ihnen erwarte. Diesen Aufruf zur
Revolution beantwortete die Regierung damit, daß sämtliche Parlamentsmit¬
glieder durch eine löttrs as can-tihti nach Troyes verbannt wurden, wo sie sich
indes in eine immer größere gegenseitige Erregung treiben ließen. Und was
noch schlimmer war: auch der Pöbel von Paris und bald auch der in den
Provinzialstädten begann sich schon in einer Weise bemerkbar zu machen, wie
sie dann seit 1789 gäng und gäbe wurde. Er drängte sich vor den Türen
der Parlamente und zollte den wildesten Beifall den Mitgliedern, die gegen
ihren Eid von den geheim zu haltenden Verhandlungen in großsprecherischer
Art öffentlich Mitteilung machten, während er z. B. den schweigsamen Erz-
bischof von Paris, Juigne, der auf keine Frage Antwort erteilte, gröblich
insultierte. Es zeigte sich immer deutlicher, daß der Pöbel eigentlich nichts
von Reformen wissen wollte, die doch wesentlich zu seinen Gunsten geplant
waren; sondern es kam ihm nur darauf an, seinen Durst nach Macht zu stillen,
und er gebärdete sich um so zügelloser, je schwächer die Regierung wurde.
Diese schien sich zwar noch einmal zu ermannen, indem der König am
28. August 1787 Brienne zum Prinzipalminister ernannte und damit zu erkennen
gab, daß er dessen Kampf gegen das Parlament billigte; aber die Tatkraft
hielt nicht lange vor, als äußere Ereignisse eintraten, die den innern Frieden
dringend erwünscht machten.

In den Niederlanden hatte sich nämlich der Kampf zwischen den repu¬
blikanischen Patrioten und den monarchischen Orcmiern gerade damals so zu¬
gespitzt, daß das Eingreifen fremder Mächte unvermeidlich wurde. Für die
Republikaner war Frankreich, für die Orcmier Preußen und im Hintergrunde
England geschäftig. Als nun Friedrich Wilhelm der Zweite, dessen Schwester
in Holland persönlich schwer beleidigt worden war, Anstalten traf, seine Truppen
dort einmarschieren zu lassen, suchte die französische Regierung unter allen
Umständen zunächst die Ruhe im Innern herzustellen, um ihrerseits den Preußen
entgegentreten und dadurch Frankreichs Ansehen nach außen retten zu können.
Brienne leitete darum wieder die Versöhnung mit dem Parlament ein und
einigte sich mit ihm schließlich dahin, daß der König die beiden Steuern zurückzog
und an deren Stelle am 19. September 1737 nur eine weitere Ausdehnung des
Zwanzigster einregistrieren ließ. Die Monarchie hatte also wiederum nachge¬
geben, diesmal, um die Hände für die Aktion in den Niederlanden frei zu be¬
kommen. Aber wie kläglich nützte sie diese Zeit der innern Ruhe aus! Preußen
gegenüber begnügte sie sich mit ohnmächtigen Erklärungen, während sie gegen
England, das ja als Förderer und vielleicht gar Leiter hinter den preußischen


Vorgeschichte der französischen Revolution von

ablehnte, entschloß sich der König am 6. August zu dem verhaßten Zwangs¬
mittel einer Kissensitzung <M 6e ^dive). in der die beiden Steuergesetze ein-
registricrt wurden. Aber selbst jetzt gab sich das Parlament noch nicht zufrieden:
es erklärte die Kissensitzungen überhaupt für ungesetzlich, verlangte aufs neue
die Berufung von Generalständen und mahnte die Provinzialversammlungen,
sich zu erinnern, was die Nation von ihnen erwarte. Diesen Aufruf zur
Revolution beantwortete die Regierung damit, daß sämtliche Parlamentsmit¬
glieder durch eine löttrs as can-tihti nach Troyes verbannt wurden, wo sie sich
indes in eine immer größere gegenseitige Erregung treiben ließen. Und was
noch schlimmer war: auch der Pöbel von Paris und bald auch der in den
Provinzialstädten begann sich schon in einer Weise bemerkbar zu machen, wie
sie dann seit 1789 gäng und gäbe wurde. Er drängte sich vor den Türen
der Parlamente und zollte den wildesten Beifall den Mitgliedern, die gegen
ihren Eid von den geheim zu haltenden Verhandlungen in großsprecherischer
Art öffentlich Mitteilung machten, während er z. B. den schweigsamen Erz-
bischof von Paris, Juigne, der auf keine Frage Antwort erteilte, gröblich
insultierte. Es zeigte sich immer deutlicher, daß der Pöbel eigentlich nichts
von Reformen wissen wollte, die doch wesentlich zu seinen Gunsten geplant
waren; sondern es kam ihm nur darauf an, seinen Durst nach Macht zu stillen,
und er gebärdete sich um so zügelloser, je schwächer die Regierung wurde.
Diese schien sich zwar noch einmal zu ermannen, indem der König am
28. August 1787 Brienne zum Prinzipalminister ernannte und damit zu erkennen
gab, daß er dessen Kampf gegen das Parlament billigte; aber die Tatkraft
hielt nicht lange vor, als äußere Ereignisse eintraten, die den innern Frieden
dringend erwünscht machten.

In den Niederlanden hatte sich nämlich der Kampf zwischen den repu¬
blikanischen Patrioten und den monarchischen Orcmiern gerade damals so zu¬
gespitzt, daß das Eingreifen fremder Mächte unvermeidlich wurde. Für die
Republikaner war Frankreich, für die Orcmier Preußen und im Hintergrunde
England geschäftig. Als nun Friedrich Wilhelm der Zweite, dessen Schwester
in Holland persönlich schwer beleidigt worden war, Anstalten traf, seine Truppen
dort einmarschieren zu lassen, suchte die französische Regierung unter allen
Umständen zunächst die Ruhe im Innern herzustellen, um ihrerseits den Preußen
entgegentreten und dadurch Frankreichs Ansehen nach außen retten zu können.
Brienne leitete darum wieder die Versöhnung mit dem Parlament ein und
einigte sich mit ihm schließlich dahin, daß der König die beiden Steuern zurückzog
und an deren Stelle am 19. September 1737 nur eine weitere Ausdehnung des
Zwanzigster einregistrieren ließ. Die Monarchie hatte also wiederum nachge¬
geben, diesmal, um die Hände für die Aktion in den Niederlanden frei zu be¬
kommen. Aber wie kläglich nützte sie diese Zeit der innern Ruhe aus! Preußen
gegenüber begnügte sie sich mit ohnmächtigen Erklärungen, während sie gegen
England, das ja als Förderer und vielleicht gar Leiter hinter den preußischen


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[0215] Vorgeschichte der französischen Revolution von ablehnte, entschloß sich der König am 6. August zu dem verhaßten Zwangs¬ mittel einer Kissensitzung <M 6e ^dive). in der die beiden Steuergesetze ein- registricrt wurden. Aber selbst jetzt gab sich das Parlament noch nicht zufrieden: es erklärte die Kissensitzungen überhaupt für ungesetzlich, verlangte aufs neue die Berufung von Generalständen und mahnte die Provinzialversammlungen, sich zu erinnern, was die Nation von ihnen erwarte. Diesen Aufruf zur Revolution beantwortete die Regierung damit, daß sämtliche Parlamentsmit¬ glieder durch eine löttrs as can-tihti nach Troyes verbannt wurden, wo sie sich indes in eine immer größere gegenseitige Erregung treiben ließen. Und was noch schlimmer war: auch der Pöbel von Paris und bald auch der in den Provinzialstädten begann sich schon in einer Weise bemerkbar zu machen, wie sie dann seit 1789 gäng und gäbe wurde. Er drängte sich vor den Türen der Parlamente und zollte den wildesten Beifall den Mitgliedern, die gegen ihren Eid von den geheim zu haltenden Verhandlungen in großsprecherischer Art öffentlich Mitteilung machten, während er z. B. den schweigsamen Erz- bischof von Paris, Juigne, der auf keine Frage Antwort erteilte, gröblich insultierte. Es zeigte sich immer deutlicher, daß der Pöbel eigentlich nichts von Reformen wissen wollte, die doch wesentlich zu seinen Gunsten geplant waren; sondern es kam ihm nur darauf an, seinen Durst nach Macht zu stillen, und er gebärdete sich um so zügelloser, je schwächer die Regierung wurde. Diese schien sich zwar noch einmal zu ermannen, indem der König am 28. August 1787 Brienne zum Prinzipalminister ernannte und damit zu erkennen gab, daß er dessen Kampf gegen das Parlament billigte; aber die Tatkraft hielt nicht lange vor, als äußere Ereignisse eintraten, die den innern Frieden dringend erwünscht machten. In den Niederlanden hatte sich nämlich der Kampf zwischen den repu¬ blikanischen Patrioten und den monarchischen Orcmiern gerade damals so zu¬ gespitzt, daß das Eingreifen fremder Mächte unvermeidlich wurde. Für die Republikaner war Frankreich, für die Orcmier Preußen und im Hintergrunde England geschäftig. Als nun Friedrich Wilhelm der Zweite, dessen Schwester in Holland persönlich schwer beleidigt worden war, Anstalten traf, seine Truppen dort einmarschieren zu lassen, suchte die französische Regierung unter allen Umständen zunächst die Ruhe im Innern herzustellen, um ihrerseits den Preußen entgegentreten und dadurch Frankreichs Ansehen nach außen retten zu können. Brienne leitete darum wieder die Versöhnung mit dem Parlament ein und einigte sich mit ihm schließlich dahin, daß der König die beiden Steuern zurückzog und an deren Stelle am 19. September 1737 nur eine weitere Ausdehnung des Zwanzigster einregistrieren ließ. Die Monarchie hatte also wiederum nachge¬ geben, diesmal, um die Hände für die Aktion in den Niederlanden frei zu be¬ kommen. Aber wie kläglich nützte sie diese Zeit der innern Ruhe aus! Preußen gegenüber begnügte sie sich mit ohnmächtigen Erklärungen, während sie gegen England, das ja als Förderer und vielleicht gar Leiter hinter den preußischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/215>, abgerufen am 23.07.2024.