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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der französischen Revolution von 1^739

Denkschriften beraten werden sollten; die Abstimmung erfolgte nach Köpfen,
nicht nach Ständen. Am 24. Februar ging man an die Arbeit, und es zeigte
sich, daß im allgemeinen das Reformwerk Anklang fand; aber es fehlte doch
auch nicht an wesentlichen Abänderungsvorschlägen. So war selbst der dritte
Stand noch nicht gewillt, in den Provinzial-, Distrikts- und Gemeindever¬
sammlungen eine Vermischung der Stände eintreten zu lassen, also z. B. einem
Edelmann zuzumuten, daß er unter dem Vorsitze eines Bürgerlichen berate;
andrerseits wünschte man eine stärkere Vertretung des dritten Standes in diesen
Versammlungen. Ferner hielt man den von der Negierung vorgcschlagnen
Zensus von 600 Franken Einkommen für die ländlichen Gemeinden zu hoch
und glaubte, man könne sich mit 100 oder 200 Franken begnügen. Endlich
erstrebte man eine Vermehrung der Befugnisse der neuen Versammlungen, der¬
gestalt daß z. B. den Provinzialversammlungen ohne jede Einschränkung gestattet
sein solle, die Steuern zu verteilen.

Soweit war alles in Ruhe verlaufen; das wurde aber anders, als man
zur Beratung der neuen Steuer gelangte. Man verlangte einen neuen Rechen¬
schaftsbericht, den man mit dem Neckerschen vom Jahre 1781 vergleichen könne.
Hier wollten die Notabeln, hinter denen ja das ganze Volk stand, der Negierung
beweisen, daß man es auf einen Kampf um die Macht ankommen lasse; "je
mehr wir -- schreibt La Fayette am 5. Mai 1787 an Washington, -- die Lage
der Finanzen von Grund aus studierten, desto unmöglicher wurde es für das
Ministerium, ohne uns zu handeln." Am 1. März trat zwar Calonne mit
einer neuen Instruktion hervor, wonach die Notabeln nur das Recht hätten,
über die Erhebungssorm der an sich fest beschloßnen Steuer zu beraten, aber
die Vertreter der einzelnen Bureaus blieben fest und verlangten eingehende
Aufstellungen über die Finanzen. Der Minister gab nur teilweise nach; er
bezifferte das jährliche Defizit auf 112 bis 113 Millionen, wobei er die Ein¬
nahmen auf etwa 475, die Ausgaben auf etwa 587 Millionen berechnete.
Zugleich legte er dar, wie er den Fehlbetrag zu decken hoffe, nämlich durch
50 Millionen aus der neuen Grundsteuer, 20 Millionen aus einer Stempel¬
steuer, 20 Millionen durch Ersparnisse und 25 Millionen durch gesundere
Schuldentilgung. Das Eingeständnis des ungeheuern Defizits machte bei den
Notabeln, im Volke und im Auslande einen gewaltigen Eindruck. Trotzdem
beharrten die Notabeln bei ihrer Forderung, die Negierung solle ihnen völlige
Klarheit über die Finanzlage verschaffen, und was noch wichtiger war: die
beiden ersten Stände verzichteten ausdrücklich auf jegliche Steuerprivilegien
und billigten durchaus die Allgemeinheit und Gleichheit der neuen Steuer.
Sie bezeugten damit eine Opferwilligkeit, wie man sie von Männern in alt¬
ererbter wirtschaftlichen Vorteilen kaum erwarten durfte. Dagegen waren
sie weit davon entfernt, auf die "alten Formen" zu verzichten, etwas aus
der Hand zu geben, was bisher einen Schein von Macht der Regierung
gegenüber bedeutete, und dazu wollten sie vor allem auch die Befugnisse der


Vorgeschichte der französischen Revolution von 1^739

Denkschriften beraten werden sollten; die Abstimmung erfolgte nach Köpfen,
nicht nach Ständen. Am 24. Februar ging man an die Arbeit, und es zeigte
sich, daß im allgemeinen das Reformwerk Anklang fand; aber es fehlte doch
auch nicht an wesentlichen Abänderungsvorschlägen. So war selbst der dritte
Stand noch nicht gewillt, in den Provinzial-, Distrikts- und Gemeindever¬
sammlungen eine Vermischung der Stände eintreten zu lassen, also z. B. einem
Edelmann zuzumuten, daß er unter dem Vorsitze eines Bürgerlichen berate;
andrerseits wünschte man eine stärkere Vertretung des dritten Standes in diesen
Versammlungen. Ferner hielt man den von der Negierung vorgcschlagnen
Zensus von 600 Franken Einkommen für die ländlichen Gemeinden zu hoch
und glaubte, man könne sich mit 100 oder 200 Franken begnügen. Endlich
erstrebte man eine Vermehrung der Befugnisse der neuen Versammlungen, der¬
gestalt daß z. B. den Provinzialversammlungen ohne jede Einschränkung gestattet
sein solle, die Steuern zu verteilen.

Soweit war alles in Ruhe verlaufen; das wurde aber anders, als man
zur Beratung der neuen Steuer gelangte. Man verlangte einen neuen Rechen¬
schaftsbericht, den man mit dem Neckerschen vom Jahre 1781 vergleichen könne.
Hier wollten die Notabeln, hinter denen ja das ganze Volk stand, der Negierung
beweisen, daß man es auf einen Kampf um die Macht ankommen lasse; „je
mehr wir — schreibt La Fayette am 5. Mai 1787 an Washington, — die Lage
der Finanzen von Grund aus studierten, desto unmöglicher wurde es für das
Ministerium, ohne uns zu handeln." Am 1. März trat zwar Calonne mit
einer neuen Instruktion hervor, wonach die Notabeln nur das Recht hätten,
über die Erhebungssorm der an sich fest beschloßnen Steuer zu beraten, aber
die Vertreter der einzelnen Bureaus blieben fest und verlangten eingehende
Aufstellungen über die Finanzen. Der Minister gab nur teilweise nach; er
bezifferte das jährliche Defizit auf 112 bis 113 Millionen, wobei er die Ein¬
nahmen auf etwa 475, die Ausgaben auf etwa 587 Millionen berechnete.
Zugleich legte er dar, wie er den Fehlbetrag zu decken hoffe, nämlich durch
50 Millionen aus der neuen Grundsteuer, 20 Millionen aus einer Stempel¬
steuer, 20 Millionen durch Ersparnisse und 25 Millionen durch gesundere
Schuldentilgung. Das Eingeständnis des ungeheuern Defizits machte bei den
Notabeln, im Volke und im Auslande einen gewaltigen Eindruck. Trotzdem
beharrten die Notabeln bei ihrer Forderung, die Negierung solle ihnen völlige
Klarheit über die Finanzlage verschaffen, und was noch wichtiger war: die
beiden ersten Stände verzichteten ausdrücklich auf jegliche Steuerprivilegien
und billigten durchaus die Allgemeinheit und Gleichheit der neuen Steuer.
Sie bezeugten damit eine Opferwilligkeit, wie man sie von Männern in alt¬
ererbter wirtschaftlichen Vorteilen kaum erwarten durfte. Dagegen waren
sie weit davon entfernt, auf die „alten Formen" zu verzichten, etwas aus
der Hand zu geben, was bisher einen Schein von Macht der Regierung
gegenüber bedeutete, und dazu wollten sie vor allem auch die Befugnisse der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/212>, abgerufen am 22.12.2024.