Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Aussichten der christlichen Religion in <Lhina

also die Stimmung in den Kreisen der Beamten wieder feindseliger gegen die
Missionare werden sollte, so würden sich diese sofort wieder in ständiger Gefahr
befinden. Das christenfeindliche Feuer glimmt bei den Mandarinen noch immer
unter der nur aus Zweckmäßigkeitsgründen vorläufig zugedeckten Asche weiter.
Jeder Windstoß kann die Glut wieder entfachen. Ein vollgiltiger Beweis für
den nur verhaltnen Haß ist die verbürgte Nachricht aus der jüngsten Zeit, die
Regierung plane alles Ernstes, den Zöglingen der Missionsschüler bei ihrem
Eintritt ins Leben das Wahlrecht für das sehnlichst erwartete Parlament zu
versagen! Das würde freilich ein Schachzug von nicht geringer Schlauheit sein,
denn er müßte den von Missionaren geleiteten Unterrichtsanstalten den Boden
unter den Füßen wegziehn. Es ließe sich auch wohl wenig dagegen machen,
und deshalb herrscht unter den Missionaren eine begreifliche Aufregung über
diese Absicht.

Die logische Folgerung des Zwanges, den die Mächte China in der
Missionssache auferlegt haben, würde die sein, in jedem einzelnen Fall unter
allen Umständen nachdrücklich darauf zu bestehn, China solle seine einmal ein-
gegangnen Verpflichtungen getreulich erfüllen und solche Mandarinen, die es
entweder nicht verstehen oder die nicht willens sind, Unruhen zu verhindern,
unnachsichtig bestrafen. Wie stark ein scharfes Vorgehn in dieser Beziehung
wirkt, hat die Besetzung von Kiautschou gezeigt, als in der Provinz Schankung
zwei deutsche katholische Missionare erschlagen worden waren. Die missions¬
feindlichen Umtriebe, die in den neunziger Jahren des vergangnen Jahrhunderts
eine besonders heftige Form angenommen hatten, hörten jetzt mit einemmal auf,
weil es die Mandarinen offenbar einstweilen für zu gefährlich hielten, auf dem
betretnen Wege weiterzugehn. Gleichwohl kann es nicht dauernd Abhilfe bringen,
wenn den verantwortlichen Beamten nur gelegentlich tüchtig auf die Finger
geklopft wird. Eine solche "Kanonenbootspolitik" aber bei allen vorkommenden
missionsfeindlichen Bewegungen konsequent durchzuführen, müßte schließlich die
Zertrümmerung des Reiches und damit unabsehbare Verwicklungen zur Folge
haben. Eine so schwere Verantwortung wird aber lediglich um der Missionare
willen niemand gern übernehmen wollen.

Wie soll man denn aber aus dem unerfreulichen Dilemma, die christlichen
Sendboten überall in das Innere des großen Reiches gehn zu lassen, ohne
daß sie doch dort von den fremden Regierungen, solange diese besonnen handeln
wollen, genügend zu schützen wären, wogegen die Mandarinen nicht anders als
lässig in ihren Schutzmaßregeln sein können, bald herauskommen? Ja, wer
hierauf eine allseitig befriedigende Antwort zu geben wüßte, der verdiente
wirklich einen Nobelpreis zu erhalten. Mir scheint, daß die Missionsfrage
aus den angedeuteten Gründen auf absehbare Zeit überhaupt nicht lösbar ist.
Der einzige Mann, der einen vielleicht gangbaren, aber dabei jedenfalls höchst
beschwerlichen und langen Weg gezeigt hat, ist der angesehene amerikanische
Missionar Dr. Gilbert Reid. Er sagte sich nicht mit Unrecht: wenn wir so


Die Aussichten der christlichen Religion in <Lhina

also die Stimmung in den Kreisen der Beamten wieder feindseliger gegen die
Missionare werden sollte, so würden sich diese sofort wieder in ständiger Gefahr
befinden. Das christenfeindliche Feuer glimmt bei den Mandarinen noch immer
unter der nur aus Zweckmäßigkeitsgründen vorläufig zugedeckten Asche weiter.
Jeder Windstoß kann die Glut wieder entfachen. Ein vollgiltiger Beweis für
den nur verhaltnen Haß ist die verbürgte Nachricht aus der jüngsten Zeit, die
Regierung plane alles Ernstes, den Zöglingen der Missionsschüler bei ihrem
Eintritt ins Leben das Wahlrecht für das sehnlichst erwartete Parlament zu
versagen! Das würde freilich ein Schachzug von nicht geringer Schlauheit sein,
denn er müßte den von Missionaren geleiteten Unterrichtsanstalten den Boden
unter den Füßen wegziehn. Es ließe sich auch wohl wenig dagegen machen,
und deshalb herrscht unter den Missionaren eine begreifliche Aufregung über
diese Absicht.

Die logische Folgerung des Zwanges, den die Mächte China in der
Missionssache auferlegt haben, würde die sein, in jedem einzelnen Fall unter
allen Umständen nachdrücklich darauf zu bestehn, China solle seine einmal ein-
gegangnen Verpflichtungen getreulich erfüllen und solche Mandarinen, die es
entweder nicht verstehen oder die nicht willens sind, Unruhen zu verhindern,
unnachsichtig bestrafen. Wie stark ein scharfes Vorgehn in dieser Beziehung
wirkt, hat die Besetzung von Kiautschou gezeigt, als in der Provinz Schankung
zwei deutsche katholische Missionare erschlagen worden waren. Die missions¬
feindlichen Umtriebe, die in den neunziger Jahren des vergangnen Jahrhunderts
eine besonders heftige Form angenommen hatten, hörten jetzt mit einemmal auf,
weil es die Mandarinen offenbar einstweilen für zu gefährlich hielten, auf dem
betretnen Wege weiterzugehn. Gleichwohl kann es nicht dauernd Abhilfe bringen,
wenn den verantwortlichen Beamten nur gelegentlich tüchtig auf die Finger
geklopft wird. Eine solche „Kanonenbootspolitik" aber bei allen vorkommenden
missionsfeindlichen Bewegungen konsequent durchzuführen, müßte schließlich die
Zertrümmerung des Reiches und damit unabsehbare Verwicklungen zur Folge
haben. Eine so schwere Verantwortung wird aber lediglich um der Missionare
willen niemand gern übernehmen wollen.

Wie soll man denn aber aus dem unerfreulichen Dilemma, die christlichen
Sendboten überall in das Innere des großen Reiches gehn zu lassen, ohne
daß sie doch dort von den fremden Regierungen, solange diese besonnen handeln
wollen, genügend zu schützen wären, wogegen die Mandarinen nicht anders als
lässig in ihren Schutzmaßregeln sein können, bald herauskommen? Ja, wer
hierauf eine allseitig befriedigende Antwort zu geben wüßte, der verdiente
wirklich einen Nobelpreis zu erhalten. Mir scheint, daß die Missionsfrage
aus den angedeuteten Gründen auf absehbare Zeit überhaupt nicht lösbar ist.
Der einzige Mann, der einen vielleicht gangbaren, aber dabei jedenfalls höchst
beschwerlichen und langen Weg gezeigt hat, ist der angesehene amerikanische
Missionar Dr. Gilbert Reid. Er sagte sich nicht mit Unrecht: wenn wir so


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0208" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313911"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Aussichten der christlichen Religion in &lt;Lhina</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_924" prev="#ID_923"> also die Stimmung in den Kreisen der Beamten wieder feindseliger gegen die<lb/>
Missionare werden sollte, so würden sich diese sofort wieder in ständiger Gefahr<lb/>
befinden. Das christenfeindliche Feuer glimmt bei den Mandarinen noch immer<lb/>
unter der nur aus Zweckmäßigkeitsgründen vorläufig zugedeckten Asche weiter.<lb/>
Jeder Windstoß kann die Glut wieder entfachen. Ein vollgiltiger Beweis für<lb/>
den nur verhaltnen Haß ist die verbürgte Nachricht aus der jüngsten Zeit, die<lb/>
Regierung plane alles Ernstes, den Zöglingen der Missionsschüler bei ihrem<lb/>
Eintritt ins Leben das Wahlrecht für das sehnlichst erwartete Parlament zu<lb/>
versagen! Das würde freilich ein Schachzug von nicht geringer Schlauheit sein,<lb/>
denn er müßte den von Missionaren geleiteten Unterrichtsanstalten den Boden<lb/>
unter den Füßen wegziehn. Es ließe sich auch wohl wenig dagegen machen,<lb/>
und deshalb herrscht unter den Missionaren eine begreifliche Aufregung über<lb/>
diese Absicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_925"> Die logische Folgerung des Zwanges, den die Mächte China in der<lb/>
Missionssache auferlegt haben, würde die sein, in jedem einzelnen Fall unter<lb/>
allen Umständen nachdrücklich darauf zu bestehn, China solle seine einmal ein-<lb/>
gegangnen Verpflichtungen getreulich erfüllen und solche Mandarinen, die es<lb/>
entweder nicht verstehen oder die nicht willens sind, Unruhen zu verhindern,<lb/>
unnachsichtig bestrafen. Wie stark ein scharfes Vorgehn in dieser Beziehung<lb/>
wirkt, hat die Besetzung von Kiautschou gezeigt, als in der Provinz Schankung<lb/>
zwei deutsche katholische Missionare erschlagen worden waren. Die missions¬<lb/>
feindlichen Umtriebe, die in den neunziger Jahren des vergangnen Jahrhunderts<lb/>
eine besonders heftige Form angenommen hatten, hörten jetzt mit einemmal auf,<lb/>
weil es die Mandarinen offenbar einstweilen für zu gefährlich hielten, auf dem<lb/>
betretnen Wege weiterzugehn. Gleichwohl kann es nicht dauernd Abhilfe bringen,<lb/>
wenn den verantwortlichen Beamten nur gelegentlich tüchtig auf die Finger<lb/>
geklopft wird. Eine solche &#x201E;Kanonenbootspolitik" aber bei allen vorkommenden<lb/>
missionsfeindlichen Bewegungen konsequent durchzuführen, müßte schließlich die<lb/>
Zertrümmerung des Reiches und damit unabsehbare Verwicklungen zur Folge<lb/>
haben. Eine so schwere Verantwortung wird aber lediglich um der Missionare<lb/>
willen niemand gern übernehmen wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_926" next="#ID_927"> Wie soll man denn aber aus dem unerfreulichen Dilemma, die christlichen<lb/>
Sendboten überall in das Innere des großen Reiches gehn zu lassen, ohne<lb/>
daß sie doch dort von den fremden Regierungen, solange diese besonnen handeln<lb/>
wollen, genügend zu schützen wären, wogegen die Mandarinen nicht anders als<lb/>
lässig in ihren Schutzmaßregeln sein können, bald herauskommen? Ja, wer<lb/>
hierauf eine allseitig befriedigende Antwort zu geben wüßte, der verdiente<lb/>
wirklich einen Nobelpreis zu erhalten. Mir scheint, daß die Missionsfrage<lb/>
aus den angedeuteten Gründen auf absehbare Zeit überhaupt nicht lösbar ist.<lb/>
Der einzige Mann, der einen vielleicht gangbaren, aber dabei jedenfalls höchst<lb/>
beschwerlichen und langen Weg gezeigt hat, ist der angesehene amerikanische<lb/>
Missionar Dr. Gilbert Reid.  Er sagte sich nicht mit Unrecht: wenn wir so</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0208] Die Aussichten der christlichen Religion in <Lhina also die Stimmung in den Kreisen der Beamten wieder feindseliger gegen die Missionare werden sollte, so würden sich diese sofort wieder in ständiger Gefahr befinden. Das christenfeindliche Feuer glimmt bei den Mandarinen noch immer unter der nur aus Zweckmäßigkeitsgründen vorläufig zugedeckten Asche weiter. Jeder Windstoß kann die Glut wieder entfachen. Ein vollgiltiger Beweis für den nur verhaltnen Haß ist die verbürgte Nachricht aus der jüngsten Zeit, die Regierung plane alles Ernstes, den Zöglingen der Missionsschüler bei ihrem Eintritt ins Leben das Wahlrecht für das sehnlichst erwartete Parlament zu versagen! Das würde freilich ein Schachzug von nicht geringer Schlauheit sein, denn er müßte den von Missionaren geleiteten Unterrichtsanstalten den Boden unter den Füßen wegziehn. Es ließe sich auch wohl wenig dagegen machen, und deshalb herrscht unter den Missionaren eine begreifliche Aufregung über diese Absicht. Die logische Folgerung des Zwanges, den die Mächte China in der Missionssache auferlegt haben, würde die sein, in jedem einzelnen Fall unter allen Umständen nachdrücklich darauf zu bestehn, China solle seine einmal ein- gegangnen Verpflichtungen getreulich erfüllen und solche Mandarinen, die es entweder nicht verstehen oder die nicht willens sind, Unruhen zu verhindern, unnachsichtig bestrafen. Wie stark ein scharfes Vorgehn in dieser Beziehung wirkt, hat die Besetzung von Kiautschou gezeigt, als in der Provinz Schankung zwei deutsche katholische Missionare erschlagen worden waren. Die missions¬ feindlichen Umtriebe, die in den neunziger Jahren des vergangnen Jahrhunderts eine besonders heftige Form angenommen hatten, hörten jetzt mit einemmal auf, weil es die Mandarinen offenbar einstweilen für zu gefährlich hielten, auf dem betretnen Wege weiterzugehn. Gleichwohl kann es nicht dauernd Abhilfe bringen, wenn den verantwortlichen Beamten nur gelegentlich tüchtig auf die Finger geklopft wird. Eine solche „Kanonenbootspolitik" aber bei allen vorkommenden missionsfeindlichen Bewegungen konsequent durchzuführen, müßte schließlich die Zertrümmerung des Reiches und damit unabsehbare Verwicklungen zur Folge haben. Eine so schwere Verantwortung wird aber lediglich um der Missionare willen niemand gern übernehmen wollen. Wie soll man denn aber aus dem unerfreulichen Dilemma, die christlichen Sendboten überall in das Innere des großen Reiches gehn zu lassen, ohne daß sie doch dort von den fremden Regierungen, solange diese besonnen handeln wollen, genügend zu schützen wären, wogegen die Mandarinen nicht anders als lässig in ihren Schutzmaßregeln sein können, bald herauskommen? Ja, wer hierauf eine allseitig befriedigende Antwort zu geben wüßte, der verdiente wirklich einen Nobelpreis zu erhalten. Mir scheint, daß die Missionsfrage aus den angedeuteten Gründen auf absehbare Zeit überhaupt nicht lösbar ist. Der einzige Mann, der einen vielleicht gangbaren, aber dabei jedenfalls höchst beschwerlichen und langen Weg gezeigt hat, ist der angesehene amerikanische Missionar Dr. Gilbert Reid. Er sagte sich nicht mit Unrecht: wenn wir so

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/208
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/208>, abgerufen am 22.07.2024.