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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die Aussichten der christlichen Religion in China

Ansetzn standen. Man hat sogar nicht ohne eine gewisse Berechtigung die
Behauptung aufgestellt, das ganze Reich der Mitte würde allmählich für den
Katholizismus gewonnen worden sein, wenn nicht zwischen der Pekinger
Regierung und der Kurie einige Streitpunkte aufgetaucht wären, die schließlich
fast alles wieder verdarben. Die bei weitem wichtigste dieser Differenzen war
die Frage der Ahnenverehrung. Während diese uralte Sitte der Chinesen von
den Jesuiten stillschweigend geduldet wurde, stellten sich ihr die Dominikaner
schroff und feindselig gegenüber. Rom mußte also entscheiden, welche Auffassung
Geltung haben sollte. Nach sehr langem Zögern fiel das Urteil der Kurie zu
ungunsten der Jesuiten aus, und nun war es mit deren guten Aussichten
völlig zu Ende. Schon längst vor dieser Entscheidung hatte man in Peking
die feindselige Seite gegen die Christen hervorgekehrt. Sobald man dort nämlich
merkte, daß ein im fernen Westen wohnender geistlicher Herrscher in einigen
wichtigen Dingen andrer Meinung sein wollte als der nach seiner eignen
Auffassung hoch über allen Königen der Erde stehende Sohn des Himmels auf
dem Drachenthrone, verkehrte sich die bisherige Duldung in Unduldsamkeit.

Von diesem noch bis vor nicht langer Zeit hartnäckig festgehaltnen Stand-
Punkte, ihr Kaiser sei allen andern Herrschern unendlich überlegen, ist die
Pekinger Regierung im vorigen Jahrhundert durch verschiedne recht unsanfte
Stöße verdrängt worden, und die dadurch geschaffne neue Lage ist dann der
christlichen Mission zugute gekommen. Mag man nun deren Bestrebungen mit
Zuneigung oder mit Abneigung gegenüberstehn, so ist es doch für jeden un¬
befangen denkenden Menschen klar, daß es nur natürlich war, daß sich die
Missionare die infolge der von England und Frankreich gegen China geführten
Kriege erzwungne Eröffnung des Reiches für ihre Zwecke zunutze zu machen
suchten. Es würde einfältig sein, ihnen das verdenken zu wollen. Die Missionare
sollten darüber jedoch niemals vergessen, daß sie es also lediglich der Gewalt
der Waffen zu verdanken haben, wenn sie jetzt überall im Lande wohnen und
wirken dürfen. Dieser Punkt kann nicht nachdrücklich genug betont werden, denn
er ist der Kern der ganzen Missionsfrage in China, an deren Lösung sich
während der letzten Jahrzehnte viele Köpfe vergeblich abgemüht haben. Wie
die Dinge zurzeit liegen, müssen alle solche Bemühungen wohl fruchtlos
bleiben. Denn man kommt nicht um die Tatsache herum, daß es die er¬
drückende Mehrzahl der chinesischen Beamten jedenfalls vorziehen würde, wenn
die Missionare nicht im Lande wären. Allerdings wissen sie andrerseits seit der
Boxerzeit sehr gut, daß sie wieder auf den vereinigten Widerstand der dabei
beteiligten fremden Mächte stoßen würden, wenn sie noch einmal den Versuch
machen wollten, die christlichen Sendboten mit Blut und Eisen loszuwerden.
Deshalb fügen sie sich darin, ihre Gegenwart zu ertragen. Unter solchen Um¬
ständen aber von den Mandarinen zu erwarten, daß sie die Missionare bei
Gefahr immer schnell und mit Eifer schützen sollen, würde zu viel verlangt sein.
Vielmehr ist ihre Lässigkeit bei derartigen Gelegenheiten ganz erklärlich. Sobald


Die Aussichten der christlichen Religion in China

Ansetzn standen. Man hat sogar nicht ohne eine gewisse Berechtigung die
Behauptung aufgestellt, das ganze Reich der Mitte würde allmählich für den
Katholizismus gewonnen worden sein, wenn nicht zwischen der Pekinger
Regierung und der Kurie einige Streitpunkte aufgetaucht wären, die schließlich
fast alles wieder verdarben. Die bei weitem wichtigste dieser Differenzen war
die Frage der Ahnenverehrung. Während diese uralte Sitte der Chinesen von
den Jesuiten stillschweigend geduldet wurde, stellten sich ihr die Dominikaner
schroff und feindselig gegenüber. Rom mußte also entscheiden, welche Auffassung
Geltung haben sollte. Nach sehr langem Zögern fiel das Urteil der Kurie zu
ungunsten der Jesuiten aus, und nun war es mit deren guten Aussichten
völlig zu Ende. Schon längst vor dieser Entscheidung hatte man in Peking
die feindselige Seite gegen die Christen hervorgekehrt. Sobald man dort nämlich
merkte, daß ein im fernen Westen wohnender geistlicher Herrscher in einigen
wichtigen Dingen andrer Meinung sein wollte als der nach seiner eignen
Auffassung hoch über allen Königen der Erde stehende Sohn des Himmels auf
dem Drachenthrone, verkehrte sich die bisherige Duldung in Unduldsamkeit.

Von diesem noch bis vor nicht langer Zeit hartnäckig festgehaltnen Stand-
Punkte, ihr Kaiser sei allen andern Herrschern unendlich überlegen, ist die
Pekinger Regierung im vorigen Jahrhundert durch verschiedne recht unsanfte
Stöße verdrängt worden, und die dadurch geschaffne neue Lage ist dann der
christlichen Mission zugute gekommen. Mag man nun deren Bestrebungen mit
Zuneigung oder mit Abneigung gegenüberstehn, so ist es doch für jeden un¬
befangen denkenden Menschen klar, daß es nur natürlich war, daß sich die
Missionare die infolge der von England und Frankreich gegen China geführten
Kriege erzwungne Eröffnung des Reiches für ihre Zwecke zunutze zu machen
suchten. Es würde einfältig sein, ihnen das verdenken zu wollen. Die Missionare
sollten darüber jedoch niemals vergessen, daß sie es also lediglich der Gewalt
der Waffen zu verdanken haben, wenn sie jetzt überall im Lande wohnen und
wirken dürfen. Dieser Punkt kann nicht nachdrücklich genug betont werden, denn
er ist der Kern der ganzen Missionsfrage in China, an deren Lösung sich
während der letzten Jahrzehnte viele Köpfe vergeblich abgemüht haben. Wie
die Dinge zurzeit liegen, müssen alle solche Bemühungen wohl fruchtlos
bleiben. Denn man kommt nicht um die Tatsache herum, daß es die er¬
drückende Mehrzahl der chinesischen Beamten jedenfalls vorziehen würde, wenn
die Missionare nicht im Lande wären. Allerdings wissen sie andrerseits seit der
Boxerzeit sehr gut, daß sie wieder auf den vereinigten Widerstand der dabei
beteiligten fremden Mächte stoßen würden, wenn sie noch einmal den Versuch
machen wollten, die christlichen Sendboten mit Blut und Eisen loszuwerden.
Deshalb fügen sie sich darin, ihre Gegenwart zu ertragen. Unter solchen Um¬
ständen aber von den Mandarinen zu erwarten, daß sie die Missionare bei
Gefahr immer schnell und mit Eifer schützen sollen, würde zu viel verlangt sein.
Vielmehr ist ihre Lässigkeit bei derartigen Gelegenheiten ganz erklärlich. Sobald


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[0207] Die Aussichten der christlichen Religion in China Ansetzn standen. Man hat sogar nicht ohne eine gewisse Berechtigung die Behauptung aufgestellt, das ganze Reich der Mitte würde allmählich für den Katholizismus gewonnen worden sein, wenn nicht zwischen der Pekinger Regierung und der Kurie einige Streitpunkte aufgetaucht wären, die schließlich fast alles wieder verdarben. Die bei weitem wichtigste dieser Differenzen war die Frage der Ahnenverehrung. Während diese uralte Sitte der Chinesen von den Jesuiten stillschweigend geduldet wurde, stellten sich ihr die Dominikaner schroff und feindselig gegenüber. Rom mußte also entscheiden, welche Auffassung Geltung haben sollte. Nach sehr langem Zögern fiel das Urteil der Kurie zu ungunsten der Jesuiten aus, und nun war es mit deren guten Aussichten völlig zu Ende. Schon längst vor dieser Entscheidung hatte man in Peking die feindselige Seite gegen die Christen hervorgekehrt. Sobald man dort nämlich merkte, daß ein im fernen Westen wohnender geistlicher Herrscher in einigen wichtigen Dingen andrer Meinung sein wollte als der nach seiner eignen Auffassung hoch über allen Königen der Erde stehende Sohn des Himmels auf dem Drachenthrone, verkehrte sich die bisherige Duldung in Unduldsamkeit. Von diesem noch bis vor nicht langer Zeit hartnäckig festgehaltnen Stand- Punkte, ihr Kaiser sei allen andern Herrschern unendlich überlegen, ist die Pekinger Regierung im vorigen Jahrhundert durch verschiedne recht unsanfte Stöße verdrängt worden, und die dadurch geschaffne neue Lage ist dann der christlichen Mission zugute gekommen. Mag man nun deren Bestrebungen mit Zuneigung oder mit Abneigung gegenüberstehn, so ist es doch für jeden un¬ befangen denkenden Menschen klar, daß es nur natürlich war, daß sich die Missionare die infolge der von England und Frankreich gegen China geführten Kriege erzwungne Eröffnung des Reiches für ihre Zwecke zunutze zu machen suchten. Es würde einfältig sein, ihnen das verdenken zu wollen. Die Missionare sollten darüber jedoch niemals vergessen, daß sie es also lediglich der Gewalt der Waffen zu verdanken haben, wenn sie jetzt überall im Lande wohnen und wirken dürfen. Dieser Punkt kann nicht nachdrücklich genug betont werden, denn er ist der Kern der ganzen Missionsfrage in China, an deren Lösung sich während der letzten Jahrzehnte viele Köpfe vergeblich abgemüht haben. Wie die Dinge zurzeit liegen, müssen alle solche Bemühungen wohl fruchtlos bleiben. Denn man kommt nicht um die Tatsache herum, daß es die er¬ drückende Mehrzahl der chinesischen Beamten jedenfalls vorziehen würde, wenn die Missionare nicht im Lande wären. Allerdings wissen sie andrerseits seit der Boxerzeit sehr gut, daß sie wieder auf den vereinigten Widerstand der dabei beteiligten fremden Mächte stoßen würden, wenn sie noch einmal den Versuch machen wollten, die christlichen Sendboten mit Blut und Eisen loszuwerden. Deshalb fügen sie sich darin, ihre Gegenwart zu ertragen. Unter solchen Um¬ ständen aber von den Mandarinen zu erwarten, daß sie die Missionare bei Gefahr immer schnell und mit Eifer schützen sollen, würde zu viel verlangt sein. Vielmehr ist ihre Lässigkeit bei derartigen Gelegenheiten ganz erklärlich. Sobald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/207>, abgerufen am 23.07.2024.