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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover

der Sicherheitsgewährleistung nicht entsprachen, militärisch unschädlich gemacht
werden. Und gerade Hannover gegenüber hat es Preußen in wochenlangen
Unterhandlungen wahrlich nicht an Vorstellungen, Warnungen und Drohungen
fehlen lassen. Keinem Staate sind zudem so billige Bedingungen gestellt worden
wie Hannover.

Die erste Warnung erging schon am 1. April, als Hannover unter
richtigen Vorwande die Absicht bekundete, seine Urlauber einzuziehen. Prinz
Isenburg hatte zu erklären, daß "Preußen schon mit Rücksicht auf seine
geographische Gestaltung eine bewaffnete Neutralität Hannovers nicht dulden
könne". Als dann trotz aller Beschwichtigungsversuche die Urlauber am 5. Mai
dennoch einberufen wurden, erfolgte am 9. Mai eine weitere Warnung. "Der
König von Preußen, so hieß es, habe niemals die Absicht gehabt, die
Souveränität deutscher Fürsten anzutasten oder zu gefährden. Wenn wir aber
jetzt auch bei denjenigen Regierungen, welche die Natur der Dinge und das
Verhältnis der geographischen Lage zu unsern natürlichen Bundesgenossen
ebensosehr in ihrem eignen als in unserm Interesse machen sollten, einer feind¬
seligen Tendenz begegnen, die unsre eigne Sicherheit gefährdet, so kann es nicht
ausbleiben, daß wir jede andre Rücksicht dem Bedürfnisse der Selbsterhaltung
unterordnen. Seine Majestät der König darf und wird alsdann keinen andern
Beweggrund anerkennen als die Pflichten gegen sein Land; und selbst die
Rücksicht auf einen ihm so nahe stehenden Monarchen wie der König von
Hannover wird dagegen zurücktreten." Infolge dieses offnen und ernsten
Tones hat sich der hannoversche Ministerrat anfänglich geneigt gezeigt, der
preußischen Forderung nachzugeben. Schließlich blieb es aber doch bei der
in allerhand Friedensversicherungen eingewickelten Ablehnung. Nun verlangte
Preußen am 20. Mai auf Grund der Gewährleistung der Unabhängigkeit
Hannovers in einem neuen Bundesverhültnis den sofortigen Abschluß eines
Neutralitätsvertrags; und in einer zweiten Depesche von diesem Tage wurde
auf die Folgen hingewiesen, die, wie sich auch der Ausfall des Krieges ge¬
stalten möge, die Gegner Preußens unter den deutschen Staaten zu tragen
haben würden.

Da erschien, ebenfalls an demselben Tage, in besondrer Mission mit einem
kaiserlichen Handschreiben der österreichische Gesandte Prinz Solms, ein Stief¬
bruder König Georgs, in Hannover und drängte, indem er einen bestimmt
bezeichneten Territorialerwerb in Aussicht stellte, zu einem schnell abzuschließenden
Bündnis mit Österreich, dessen militärische Machtstellung er ungebührlich über¬
trieb. Der König lehnte im Hinblick auf die immerhin gefährdete territoriale
Lage seines Landes das offne Bündnis zwar ab; er wollte sich auch von
Österreich nicht drängen lassen. Solms erreichte aber doch den Abbruch der
schon angebahnten Verhandlungen mit Preußen. Als solchergestalt "umworbne
Macht" und für alle Fälle gerüstet, glaubte der König den ihm gar nicht zweifel¬
haften Ausfall des eisernen Würfelspiels zunächst ruhig abwarten zu können.


Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover

der Sicherheitsgewährleistung nicht entsprachen, militärisch unschädlich gemacht
werden. Und gerade Hannover gegenüber hat es Preußen in wochenlangen
Unterhandlungen wahrlich nicht an Vorstellungen, Warnungen und Drohungen
fehlen lassen. Keinem Staate sind zudem so billige Bedingungen gestellt worden
wie Hannover.

Die erste Warnung erging schon am 1. April, als Hannover unter
richtigen Vorwande die Absicht bekundete, seine Urlauber einzuziehen. Prinz
Isenburg hatte zu erklären, daß „Preußen schon mit Rücksicht auf seine
geographische Gestaltung eine bewaffnete Neutralität Hannovers nicht dulden
könne". Als dann trotz aller Beschwichtigungsversuche die Urlauber am 5. Mai
dennoch einberufen wurden, erfolgte am 9. Mai eine weitere Warnung. „Der
König von Preußen, so hieß es, habe niemals die Absicht gehabt, die
Souveränität deutscher Fürsten anzutasten oder zu gefährden. Wenn wir aber
jetzt auch bei denjenigen Regierungen, welche die Natur der Dinge und das
Verhältnis der geographischen Lage zu unsern natürlichen Bundesgenossen
ebensosehr in ihrem eignen als in unserm Interesse machen sollten, einer feind¬
seligen Tendenz begegnen, die unsre eigne Sicherheit gefährdet, so kann es nicht
ausbleiben, daß wir jede andre Rücksicht dem Bedürfnisse der Selbsterhaltung
unterordnen. Seine Majestät der König darf und wird alsdann keinen andern
Beweggrund anerkennen als die Pflichten gegen sein Land; und selbst die
Rücksicht auf einen ihm so nahe stehenden Monarchen wie der König von
Hannover wird dagegen zurücktreten." Infolge dieses offnen und ernsten
Tones hat sich der hannoversche Ministerrat anfänglich geneigt gezeigt, der
preußischen Forderung nachzugeben. Schließlich blieb es aber doch bei der
in allerhand Friedensversicherungen eingewickelten Ablehnung. Nun verlangte
Preußen am 20. Mai auf Grund der Gewährleistung der Unabhängigkeit
Hannovers in einem neuen Bundesverhültnis den sofortigen Abschluß eines
Neutralitätsvertrags; und in einer zweiten Depesche von diesem Tage wurde
auf die Folgen hingewiesen, die, wie sich auch der Ausfall des Krieges ge¬
stalten möge, die Gegner Preußens unter den deutschen Staaten zu tragen
haben würden.

Da erschien, ebenfalls an demselben Tage, in besondrer Mission mit einem
kaiserlichen Handschreiben der österreichische Gesandte Prinz Solms, ein Stief¬
bruder König Georgs, in Hannover und drängte, indem er einen bestimmt
bezeichneten Territorialerwerb in Aussicht stellte, zu einem schnell abzuschließenden
Bündnis mit Österreich, dessen militärische Machtstellung er ungebührlich über¬
trieb. Der König lehnte im Hinblick auf die immerhin gefährdete territoriale
Lage seines Landes das offne Bündnis zwar ab; er wollte sich auch von
Österreich nicht drängen lassen. Solms erreichte aber doch den Abbruch der
schon angebahnten Verhandlungen mit Preußen. Als solchergestalt „umworbne
Macht" und für alle Fälle gerüstet, glaubte der König den ihm gar nicht zweifel¬
haften Ausfall des eisernen Würfelspiels zunächst ruhig abwarten zu können.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/20>, abgerufen am 22.07.2024.