Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover

Die verführerische Lockung Österreichs, als ein Schicksalswink für die sich offen¬
bar vorbereitende Verwirklichung traditioneller Vergrößerungswünsche aufgefaßt,
mag wohl verfangen haben. Dazu kamen die Einflüsse des Boudoirs, die alte, tief
eingewurzelte Abneigung gegen den mächtigen Nachbarstaat und dessen Hegemonie.
So wirkte alles zusammen, dem unbändig stolzen Manne den Nest politischen
Urteils gerade dann zu rauben, als er dessen am dringendsten bedurft hätte.
Von da an nahm das Verhängnis unaufhaltsam seinen dramatischen Verlauf.
Und so stand es auch wohl in den Sternen geschrieben.

Die nächste Folge des Erscheinens des Prinzen Solms war die schon
vierundzwanzig Stunden darauf erfolgende, sehr klar und bestimmt gefaßte
Erneuerung der preußischen Forderungen, die Prinz Ysenburg überreichte mit
dem Zusätze: "unbewaffneter Neutralität selbst bei angeordneter Mobilmachung
durch (rechtswidrigen) Bundesbeschluß. Das Stattgeben einer solchen müsse als
Kriegsfall angesehen werden."

Bei den Verhandlungen hierüber hat Prinz Ysenburg ehrlich sein ganzes
Bestreben eingesetzt, durch die ernstesten Vorstellungen das Unheil abzuwenden.
Sein freundschaftliches Verhältnis zur königlichen Familie gestattete es ihn,,
seinen Bemühungen weitere Grenzen zu ziehen, als sonst möglich und rätlich
gewesen wäre; und es hat auch Momente gegeben, wo er auf einen Erfolg
hoffen zu dürfen geglaubt hat. Umsonst; weder in des Königs unmittelbarer
Umgebung noch im Ministerium befand sich jemand, der Einsicht genug und
beim Aufdämmern einer solchen den Willen oder den Mut gehabt hätte, die
Vorstellungen des Gesandten nachhaltig zu unterstützen. Auch nicht der Mann,
dessen Sache und Pflicht es vor allem gewesen wäre, Graf Platen, der Minister
des Auswärtigen. Ganz gewiß mochte es nicht leicht sein, den festgewurzelten
Grundsätzen und Vorurteilen des sonst gütigen, aber gerade im Stolze seines
Souveränitäts- und Machtgefühls gleich seinem herrischen Vater so unnahbaren,
äußerst reizbaren und dann geradezu harten Monarchen entgegenzutreten. Ob
Platen, sofern er die Gefahr in ihrem vollen Umfange erkannte, hierzu den
ernsten Versuch gemacht hat, muß dahingestellt bleiben. Es ist aber füglich zu
bezweifeln, weil er andernfalls pflichtmüßig durch Demission die Folgerung hätte
ziehen müssen. Jedenfalls trägt er samt dem Ministerium die ganze Verant¬
wortung.

Graf Platen war eben mehr Hofmann als verantwortlicher Minister. Willig
und geschickt schmiegte er sich dem eigenartigen Ideenkreise seines Herrn an,
dem er deshalb weniger als charaktervoller Ratgeber diente denn als ein be¬
quemer Interpret und Vertreter seines souveränen Willens. Platen war ent¬
schieden befähigt und auch geschäftsgewandt. Zum Grafen Bismarck. der ihn
schätzte, hatte er in freundschaftlichen Beziehungen gestanden. Von außerordent¬
licher weltmännischer Gewandtheit, liebenswürdig, ein anmutiger Plauderer, aber
glatt wie ein Aal und nicht ganz zuverlässig, verwaltete er sein bei der Blind¬
heit des Königs doppelt verantwortliches Amt "nach den abgenutzten Rezepten


Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover

Die verführerische Lockung Österreichs, als ein Schicksalswink für die sich offen¬
bar vorbereitende Verwirklichung traditioneller Vergrößerungswünsche aufgefaßt,
mag wohl verfangen haben. Dazu kamen die Einflüsse des Boudoirs, die alte, tief
eingewurzelte Abneigung gegen den mächtigen Nachbarstaat und dessen Hegemonie.
So wirkte alles zusammen, dem unbändig stolzen Manne den Nest politischen
Urteils gerade dann zu rauben, als er dessen am dringendsten bedurft hätte.
Von da an nahm das Verhängnis unaufhaltsam seinen dramatischen Verlauf.
Und so stand es auch wohl in den Sternen geschrieben.

Die nächste Folge des Erscheinens des Prinzen Solms war die schon
vierundzwanzig Stunden darauf erfolgende, sehr klar und bestimmt gefaßte
Erneuerung der preußischen Forderungen, die Prinz Ysenburg überreichte mit
dem Zusätze: „unbewaffneter Neutralität selbst bei angeordneter Mobilmachung
durch (rechtswidrigen) Bundesbeschluß. Das Stattgeben einer solchen müsse als
Kriegsfall angesehen werden."

Bei den Verhandlungen hierüber hat Prinz Ysenburg ehrlich sein ganzes
Bestreben eingesetzt, durch die ernstesten Vorstellungen das Unheil abzuwenden.
Sein freundschaftliches Verhältnis zur königlichen Familie gestattete es ihn,,
seinen Bemühungen weitere Grenzen zu ziehen, als sonst möglich und rätlich
gewesen wäre; und es hat auch Momente gegeben, wo er auf einen Erfolg
hoffen zu dürfen geglaubt hat. Umsonst; weder in des Königs unmittelbarer
Umgebung noch im Ministerium befand sich jemand, der Einsicht genug und
beim Aufdämmern einer solchen den Willen oder den Mut gehabt hätte, die
Vorstellungen des Gesandten nachhaltig zu unterstützen. Auch nicht der Mann,
dessen Sache und Pflicht es vor allem gewesen wäre, Graf Platen, der Minister
des Auswärtigen. Ganz gewiß mochte es nicht leicht sein, den festgewurzelten
Grundsätzen und Vorurteilen des sonst gütigen, aber gerade im Stolze seines
Souveränitäts- und Machtgefühls gleich seinem herrischen Vater so unnahbaren,
äußerst reizbaren und dann geradezu harten Monarchen entgegenzutreten. Ob
Platen, sofern er die Gefahr in ihrem vollen Umfange erkannte, hierzu den
ernsten Versuch gemacht hat, muß dahingestellt bleiben. Es ist aber füglich zu
bezweifeln, weil er andernfalls pflichtmüßig durch Demission die Folgerung hätte
ziehen müssen. Jedenfalls trägt er samt dem Ministerium die ganze Verant¬
wortung.

Graf Platen war eben mehr Hofmann als verantwortlicher Minister. Willig
und geschickt schmiegte er sich dem eigenartigen Ideenkreise seines Herrn an,
dem er deshalb weniger als charaktervoller Ratgeber diente denn als ein be¬
quemer Interpret und Vertreter seines souveränen Willens. Platen war ent¬
schieden befähigt und auch geschäftsgewandt. Zum Grafen Bismarck. der ihn
schätzte, hatte er in freundschaftlichen Beziehungen gestanden. Von außerordent¬
licher weltmännischer Gewandtheit, liebenswürdig, ein anmutiger Plauderer, aber
glatt wie ein Aal und nicht ganz zuverlässig, verwaltete er sein bei der Blind¬
heit des Königs doppelt verantwortliches Amt „nach den abgenutzten Rezepten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0021" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313724"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_42" prev="#ID_41"> Die verführerische Lockung Österreichs, als ein Schicksalswink für die sich offen¬<lb/>
bar vorbereitende Verwirklichung traditioneller Vergrößerungswünsche aufgefaßt,<lb/>
mag wohl verfangen haben. Dazu kamen die Einflüsse des Boudoirs, die alte, tief<lb/>
eingewurzelte Abneigung gegen den mächtigen Nachbarstaat und dessen Hegemonie.<lb/>
So wirkte alles zusammen, dem unbändig stolzen Manne den Nest politischen<lb/>
Urteils gerade dann zu rauben, als er dessen am dringendsten bedurft hätte.<lb/>
Von da an nahm das Verhängnis unaufhaltsam seinen dramatischen Verlauf.<lb/>
Und so stand es auch wohl in den Sternen geschrieben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_43"> Die nächste Folge des Erscheinens des Prinzen Solms war die schon<lb/>
vierundzwanzig Stunden darauf erfolgende, sehr klar und bestimmt gefaßte<lb/>
Erneuerung der preußischen Forderungen, die Prinz Ysenburg überreichte mit<lb/>
dem Zusätze: &#x201E;unbewaffneter Neutralität selbst bei angeordneter Mobilmachung<lb/>
durch (rechtswidrigen) Bundesbeschluß. Das Stattgeben einer solchen müsse als<lb/>
Kriegsfall angesehen werden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_44"> Bei den Verhandlungen hierüber hat Prinz Ysenburg ehrlich sein ganzes<lb/>
Bestreben eingesetzt, durch die ernstesten Vorstellungen das Unheil abzuwenden.<lb/>
Sein freundschaftliches Verhältnis zur königlichen Familie gestattete es ihn,,<lb/>
seinen Bemühungen weitere Grenzen zu ziehen, als sonst möglich und rätlich<lb/>
gewesen wäre; und es hat auch Momente gegeben, wo er auf einen Erfolg<lb/>
hoffen zu dürfen geglaubt hat. Umsonst; weder in des Königs unmittelbarer<lb/>
Umgebung noch im Ministerium befand sich jemand, der Einsicht genug und<lb/>
beim Aufdämmern einer solchen den Willen oder den Mut gehabt hätte, die<lb/>
Vorstellungen des Gesandten nachhaltig zu unterstützen. Auch nicht der Mann,<lb/>
dessen Sache und Pflicht es vor allem gewesen wäre, Graf Platen, der Minister<lb/>
des Auswärtigen. Ganz gewiß mochte es nicht leicht sein, den festgewurzelten<lb/>
Grundsätzen und Vorurteilen des sonst gütigen, aber gerade im Stolze seines<lb/>
Souveränitäts- und Machtgefühls gleich seinem herrischen Vater so unnahbaren,<lb/>
äußerst reizbaren und dann geradezu harten Monarchen entgegenzutreten. Ob<lb/>
Platen, sofern er die Gefahr in ihrem vollen Umfange erkannte, hierzu den<lb/>
ernsten Versuch gemacht hat, muß dahingestellt bleiben. Es ist aber füglich zu<lb/>
bezweifeln, weil er andernfalls pflichtmüßig durch Demission die Folgerung hätte<lb/>
ziehen müssen. Jedenfalls trägt er samt dem Ministerium die ganze Verant¬<lb/>
wortung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_45" next="#ID_46"> Graf Platen war eben mehr Hofmann als verantwortlicher Minister. Willig<lb/>
und geschickt schmiegte er sich dem eigenartigen Ideenkreise seines Herrn an,<lb/>
dem er deshalb weniger als charaktervoller Ratgeber diente denn als ein be¬<lb/>
quemer Interpret und Vertreter seines souveränen Willens. Platen war ent¬<lb/>
schieden befähigt und auch geschäftsgewandt. Zum Grafen Bismarck. der ihn<lb/>
schätzte, hatte er in freundschaftlichen Beziehungen gestanden. Von außerordent¬<lb/>
licher weltmännischer Gewandtheit, liebenswürdig, ein anmutiger Plauderer, aber<lb/>
glatt wie ein Aal und nicht ganz zuverlässig, verwaltete er sein bei der Blind¬<lb/>
heit des Königs doppelt verantwortliches Amt &#x201E;nach den abgenutzten Rezepten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0021] Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover Die verführerische Lockung Österreichs, als ein Schicksalswink für die sich offen¬ bar vorbereitende Verwirklichung traditioneller Vergrößerungswünsche aufgefaßt, mag wohl verfangen haben. Dazu kamen die Einflüsse des Boudoirs, die alte, tief eingewurzelte Abneigung gegen den mächtigen Nachbarstaat und dessen Hegemonie. So wirkte alles zusammen, dem unbändig stolzen Manne den Nest politischen Urteils gerade dann zu rauben, als er dessen am dringendsten bedurft hätte. Von da an nahm das Verhängnis unaufhaltsam seinen dramatischen Verlauf. Und so stand es auch wohl in den Sternen geschrieben. Die nächste Folge des Erscheinens des Prinzen Solms war die schon vierundzwanzig Stunden darauf erfolgende, sehr klar und bestimmt gefaßte Erneuerung der preußischen Forderungen, die Prinz Ysenburg überreichte mit dem Zusätze: „unbewaffneter Neutralität selbst bei angeordneter Mobilmachung durch (rechtswidrigen) Bundesbeschluß. Das Stattgeben einer solchen müsse als Kriegsfall angesehen werden." Bei den Verhandlungen hierüber hat Prinz Ysenburg ehrlich sein ganzes Bestreben eingesetzt, durch die ernstesten Vorstellungen das Unheil abzuwenden. Sein freundschaftliches Verhältnis zur königlichen Familie gestattete es ihn,, seinen Bemühungen weitere Grenzen zu ziehen, als sonst möglich und rätlich gewesen wäre; und es hat auch Momente gegeben, wo er auf einen Erfolg hoffen zu dürfen geglaubt hat. Umsonst; weder in des Königs unmittelbarer Umgebung noch im Ministerium befand sich jemand, der Einsicht genug und beim Aufdämmern einer solchen den Willen oder den Mut gehabt hätte, die Vorstellungen des Gesandten nachhaltig zu unterstützen. Auch nicht der Mann, dessen Sache und Pflicht es vor allem gewesen wäre, Graf Platen, der Minister des Auswärtigen. Ganz gewiß mochte es nicht leicht sein, den festgewurzelten Grundsätzen und Vorurteilen des sonst gütigen, aber gerade im Stolze seines Souveränitäts- und Machtgefühls gleich seinem herrischen Vater so unnahbaren, äußerst reizbaren und dann geradezu harten Monarchen entgegenzutreten. Ob Platen, sofern er die Gefahr in ihrem vollen Umfange erkannte, hierzu den ernsten Versuch gemacht hat, muß dahingestellt bleiben. Es ist aber füglich zu bezweifeln, weil er andernfalls pflichtmüßig durch Demission die Folgerung hätte ziehen müssen. Jedenfalls trägt er samt dem Ministerium die ganze Verant¬ wortung. Graf Platen war eben mehr Hofmann als verantwortlicher Minister. Willig und geschickt schmiegte er sich dem eigenartigen Ideenkreise seines Herrn an, dem er deshalb weniger als charaktervoller Ratgeber diente denn als ein be¬ quemer Interpret und Vertreter seines souveränen Willens. Platen war ent¬ schieden befähigt und auch geschäftsgewandt. Zum Grafen Bismarck. der ihn schätzte, hatte er in freundschaftlichen Beziehungen gestanden. Von außerordent¬ licher weltmännischer Gewandtheit, liebenswürdig, ein anmutiger Plauderer, aber glatt wie ein Aal und nicht ganz zuverlässig, verwaltete er sein bei der Blind¬ heit des Königs doppelt verantwortliches Amt „nach den abgenutzten Rezepten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/21
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/21>, abgerufen am 22.07.2024.