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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover

Die Gruppierung der Staaten bei ihrer Parteinahme vor und bei Aus¬
bruch des Deutschen Krieges gestaltete sich fast völlig gleichartig derjenigen beim
Kampfe um den Zollverein. Auf preußischer Seite seine alten Zollverbüudeteu.
in Österreichs Lager die bewährten Feinde und Neider des norddeutschen Neben¬
buhlers; also je nach den durch die geographische Lage gegebnen Einfluß- und
Machtsphären der beiden Großmächte. Daneben trieben alte Stammes- und
Konfessionsfeindschaften ihr sonderbares Wesen, nicht minder jene aus den wunder¬
lichsten Beweggründen entsprungnen "auorollös Memauckos", wie sie zur weid¬
lichen Belustigung des Auslands immer einen so breiten Raum im deutschen
Bundesleben in Anspruch nahmen. Und wie sich von selbst versteht, hatte der
unversöhnliche Gegner, der Todfeind der evangelischen Vormacht, der Ultra¬
montanismus, indem er sich nach seiner Gepflogenheit weiblicher Einflüsse be¬
diente und Volte schlagend die Karten mischte, seine unsaubere Hand im Spiele.
Schien es doch, als ob das Schicksal alle Zwistigkeiten einer anderthalbtausend-
jährigen Vergangenheit auf eine kurze Zeitspanne noch einmal zusammengedrängt
habe, um den Deutschen die Unfruchtbarkeit Partikularistischen Haders deutlich
-vor Augen zu führen; um ihnen nahezulegen, daß von dem Baume ihrer
nationalen Hoffnungen zuvor alle wurmstichigen Früchte zu beseitige" seien,
wenn die gesunden zur Reife gelangen sollten.

In dem je länger je mehr sich zuspitzenden Verhältnisse Hannovers zu
Preußen kam der uralte Gegensatz des Partikularistischen, reichszentrifngalen Welfen-
tums zur ghibellinischen Sache der Hohenzollern zum modernen Ausdruck.

Es ist längst erwiesen, daß bei der bevorstehenden, von Preußen herbei¬
geführten Auseinandersetzung mit Österreich an eine Einverleibung ganzer
gegnerischer Staaten, ohne jede Ausnahme, bis in die Mitte des Monats Juli
nicht gedacht worden ist. Weder vom Grafen Bismarck, am allerwenigsten
von König Wilhelm, der sich nach harten Kämpfen mit sich und der königlichen
Familie nur schwer und fast zu spät hatte entschließen können, überhaupt das
Schwert zu ziehen.

Das Preußische Vorgehen ist in seinen Maßnahmen und Zielen von An¬
fang an immer nur von der Verwirklichung des deutsch-nationalen Zusammen¬
schlusses gegen das Ausland beherrscht gewesen. Nach und nach erweitert, hat
es schließlich in der am 10. Juni vorgeschlagnen, den Machtverhältnissen Deutsch¬
lands entsprechenden Bundesreform unter Ausschluß Österreichs und Annexion
Schleswig-Holsteins seinen Ausdruck gefunden. Weitere Ziele in Norddeutsch¬
land als die zunächstliegenden der militärischen Sicherung sind bei dem bevor¬
stehenden Zusammenstoße mit Österreich erwiesnermaßen nicht gesteckt worden.
Denn da es sich in Hinblick auf das numerische Übergewicht der Gegner letzten
Endes um die Existenz handelte, gebot es schon die Selbsterhaltung, sich in
Norddeutschland unbedingt den Rücken zu decken. Deshalb mußten die dort
vorhandnen, in ihrer Haltung zweifelhaften Staaten Farbe zu bekennen ge¬
zwungen, und deren Streitkräfte, sofern sie den an sie gestellten Anforderungen


Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover

Die Gruppierung der Staaten bei ihrer Parteinahme vor und bei Aus¬
bruch des Deutschen Krieges gestaltete sich fast völlig gleichartig derjenigen beim
Kampfe um den Zollverein. Auf preußischer Seite seine alten Zollverbüudeteu.
in Österreichs Lager die bewährten Feinde und Neider des norddeutschen Neben¬
buhlers; also je nach den durch die geographische Lage gegebnen Einfluß- und
Machtsphären der beiden Großmächte. Daneben trieben alte Stammes- und
Konfessionsfeindschaften ihr sonderbares Wesen, nicht minder jene aus den wunder¬
lichsten Beweggründen entsprungnen „auorollös Memauckos", wie sie zur weid¬
lichen Belustigung des Auslands immer einen so breiten Raum im deutschen
Bundesleben in Anspruch nahmen. Und wie sich von selbst versteht, hatte der
unversöhnliche Gegner, der Todfeind der evangelischen Vormacht, der Ultra¬
montanismus, indem er sich nach seiner Gepflogenheit weiblicher Einflüsse be¬
diente und Volte schlagend die Karten mischte, seine unsaubere Hand im Spiele.
Schien es doch, als ob das Schicksal alle Zwistigkeiten einer anderthalbtausend-
jährigen Vergangenheit auf eine kurze Zeitspanne noch einmal zusammengedrängt
habe, um den Deutschen die Unfruchtbarkeit Partikularistischen Haders deutlich
-vor Augen zu führen; um ihnen nahezulegen, daß von dem Baume ihrer
nationalen Hoffnungen zuvor alle wurmstichigen Früchte zu beseitige» seien,
wenn die gesunden zur Reife gelangen sollten.

In dem je länger je mehr sich zuspitzenden Verhältnisse Hannovers zu
Preußen kam der uralte Gegensatz des Partikularistischen, reichszentrifngalen Welfen-
tums zur ghibellinischen Sache der Hohenzollern zum modernen Ausdruck.

Es ist längst erwiesen, daß bei der bevorstehenden, von Preußen herbei¬
geführten Auseinandersetzung mit Österreich an eine Einverleibung ganzer
gegnerischer Staaten, ohne jede Ausnahme, bis in die Mitte des Monats Juli
nicht gedacht worden ist. Weder vom Grafen Bismarck, am allerwenigsten
von König Wilhelm, der sich nach harten Kämpfen mit sich und der königlichen
Familie nur schwer und fast zu spät hatte entschließen können, überhaupt das
Schwert zu ziehen.

Das Preußische Vorgehen ist in seinen Maßnahmen und Zielen von An¬
fang an immer nur von der Verwirklichung des deutsch-nationalen Zusammen¬
schlusses gegen das Ausland beherrscht gewesen. Nach und nach erweitert, hat
es schließlich in der am 10. Juni vorgeschlagnen, den Machtverhältnissen Deutsch¬
lands entsprechenden Bundesreform unter Ausschluß Österreichs und Annexion
Schleswig-Holsteins seinen Ausdruck gefunden. Weitere Ziele in Norddeutsch¬
land als die zunächstliegenden der militärischen Sicherung sind bei dem bevor¬
stehenden Zusammenstoße mit Österreich erwiesnermaßen nicht gesteckt worden.
Denn da es sich in Hinblick auf das numerische Übergewicht der Gegner letzten
Endes um die Existenz handelte, gebot es schon die Selbsterhaltung, sich in
Norddeutschland unbedingt den Rücken zu decken. Deshalb mußten die dort
vorhandnen, in ihrer Haltung zweifelhaften Staaten Farbe zu bekennen ge¬
zwungen, und deren Streitkräfte, sofern sie den an sie gestellten Anforderungen


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[0019] Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover Die Gruppierung der Staaten bei ihrer Parteinahme vor und bei Aus¬ bruch des Deutschen Krieges gestaltete sich fast völlig gleichartig derjenigen beim Kampfe um den Zollverein. Auf preußischer Seite seine alten Zollverbüudeteu. in Österreichs Lager die bewährten Feinde und Neider des norddeutschen Neben¬ buhlers; also je nach den durch die geographische Lage gegebnen Einfluß- und Machtsphären der beiden Großmächte. Daneben trieben alte Stammes- und Konfessionsfeindschaften ihr sonderbares Wesen, nicht minder jene aus den wunder¬ lichsten Beweggründen entsprungnen „auorollös Memauckos", wie sie zur weid¬ lichen Belustigung des Auslands immer einen so breiten Raum im deutschen Bundesleben in Anspruch nahmen. Und wie sich von selbst versteht, hatte der unversöhnliche Gegner, der Todfeind der evangelischen Vormacht, der Ultra¬ montanismus, indem er sich nach seiner Gepflogenheit weiblicher Einflüsse be¬ diente und Volte schlagend die Karten mischte, seine unsaubere Hand im Spiele. Schien es doch, als ob das Schicksal alle Zwistigkeiten einer anderthalbtausend- jährigen Vergangenheit auf eine kurze Zeitspanne noch einmal zusammengedrängt habe, um den Deutschen die Unfruchtbarkeit Partikularistischen Haders deutlich -vor Augen zu führen; um ihnen nahezulegen, daß von dem Baume ihrer nationalen Hoffnungen zuvor alle wurmstichigen Früchte zu beseitige» seien, wenn die gesunden zur Reife gelangen sollten. In dem je länger je mehr sich zuspitzenden Verhältnisse Hannovers zu Preußen kam der uralte Gegensatz des Partikularistischen, reichszentrifngalen Welfen- tums zur ghibellinischen Sache der Hohenzollern zum modernen Ausdruck. Es ist längst erwiesen, daß bei der bevorstehenden, von Preußen herbei¬ geführten Auseinandersetzung mit Österreich an eine Einverleibung ganzer gegnerischer Staaten, ohne jede Ausnahme, bis in die Mitte des Monats Juli nicht gedacht worden ist. Weder vom Grafen Bismarck, am allerwenigsten von König Wilhelm, der sich nach harten Kämpfen mit sich und der königlichen Familie nur schwer und fast zu spät hatte entschließen können, überhaupt das Schwert zu ziehen. Das Preußische Vorgehen ist in seinen Maßnahmen und Zielen von An¬ fang an immer nur von der Verwirklichung des deutsch-nationalen Zusammen¬ schlusses gegen das Ausland beherrscht gewesen. Nach und nach erweitert, hat es schließlich in der am 10. Juni vorgeschlagnen, den Machtverhältnissen Deutsch¬ lands entsprechenden Bundesreform unter Ausschluß Österreichs und Annexion Schleswig-Holsteins seinen Ausdruck gefunden. Weitere Ziele in Norddeutsch¬ land als die zunächstliegenden der militärischen Sicherung sind bei dem bevor¬ stehenden Zusammenstoße mit Österreich erwiesnermaßen nicht gesteckt worden. Denn da es sich in Hinblick auf das numerische Übergewicht der Gegner letzten Endes um die Existenz handelte, gebot es schon die Selbsterhaltung, sich in Norddeutschland unbedingt den Rücken zu decken. Deshalb mußten die dort vorhandnen, in ihrer Haltung zweifelhaften Staaten Farbe zu bekennen ge¬ zwungen, und deren Streitkräfte, sofern sie den an sie gestellten Anforderungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/19>, abgerufen am 22.07.2024.