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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

Seydewitz lächelte. Er trat schnell vor und ergriff die Hand des Mädchens.

Dank für den Willkomm, signe! Jetzt wollen wir hinein, denn mich friert.

Das Mädchen wich zur Seite, und Seydewitz trat ein. Sie schritt dicht
hinter ihm, und in dem schmalen Vorzimmer mit dem Steinfußboden blieb er stehn,
ungewiß, welche Tür er öffnen solle.

Das Mädchen trat dicht neben ihn, um die Klinke der Tür auf der linken
Seite herunterzudrücken. Er legte den Arm um ihre Taille und küßte ihre Wange,
dicht am Ohr.

Die Füße der Männer klapperten draußen auf den Steinen vor der Haus¬
tür. Sie entwand sich seinen Armen und öffnete die Stubentür.

Seydewitz trat ein. Es war eine niedrige Stube mit Steinfußboden und
kleinen schiefen Fenstern. Vor dem Herde saß eine alte Frau und spann am Rocken.
Sie wandte den Kopf und starrte den Eintretenden an.

Guten Tag, sagte Seydewitz munter.

Da blieb er plötzlich stehn. Ihr Gesicht, von dem feinen weißen Haar um¬
rahmt, war ihm zugekehrt, ein Gesicht, so schön, so vornehm mit den unzähligen
kleinen Runzeln und den müden blauen Augen, daß er unwillkürlich die Mütze
abriß und sich verneigte.

Verzeihung, sagte er, ich komme doch nicht ungelegen?

Da sprach signe: Das ist der Herr Referendar, Großmutter. Der Herr
Referendar vom Landratsamt.

Sieh an, sagte die alte Frau, das ist ein seltner Gast hier bei uns. Will¬
kommen!

Seydewitz verneigte sich wieder.

Dann wandte er sich dem Mädchen zu. Die braunen Augen strahlten ihm
so warm und freundlich entgegen, daß es war, als ob sich ihm Feuer durch die
Adern ergoß.

signe und ich sind schon gute Freunde, sagte er munter, Sie haben doch
nichts dagegen, daß ich mich einen Augenblick ausruhe. Das ist ein anstrengender
und langer Tag gewesen, wir sind bei der Steuerpfändung.

Wollen Sie uns auspfänden? fragte die Frau in etwas feindlichem Tone.

Nein, sagte Seydewitz munter, ich habe Ole Mathem versprochen, die Steuer
zu bezahlen und noch ein Glas Wein dazu, wenn es uns gereicht wird.

Die alte Frau wackelte mit dem Kopfe.

Das können Sie sich leisten? Sie sind feiner Leute Kind! Wie heißen Sie?

Seydewitz.

Seydewitz, wiederholte die Alte, dann sind Sie aus adliger Familie.

Das bin ich, lautete die Antwort.

Jaso, sagte die Frau leise. Setzen Sie sich, jetzt kommt Ole.

Die schweren Schritte donnerten auf den Fliesen draußen, und die Männer
traten ins Zimmer. Sie blieben schweigend auf der Schwelle steh". Es war,
als ob die Frau auf Myggefjed sie zur Ehrfurcht zwang. Madame Mathem war
eine Frau, die wennn im Lande in großem Ansehen stand, aber nur wenige kannten
sie wirklich.

Justesen begrüßte sie; er war Schutzmann bei der alten Kopenhagner Polizei
unter Inspektor Herz gewesen und konnte sehr manierlich sein.

Das ist ja Justesen, sagte sie und blickte ihm fest ins Gesicht.

Ja, das war er.

Willkommen bei uns! sagte die alte Frau.

Der Myggefjedmann stand brummend auf der Schwelle.


Der rote Hahn

Seydewitz lächelte. Er trat schnell vor und ergriff die Hand des Mädchens.

Dank für den Willkomm, signe! Jetzt wollen wir hinein, denn mich friert.

Das Mädchen wich zur Seite, und Seydewitz trat ein. Sie schritt dicht
hinter ihm, und in dem schmalen Vorzimmer mit dem Steinfußboden blieb er stehn,
ungewiß, welche Tür er öffnen solle.

Das Mädchen trat dicht neben ihn, um die Klinke der Tür auf der linken
Seite herunterzudrücken. Er legte den Arm um ihre Taille und küßte ihre Wange,
dicht am Ohr.

Die Füße der Männer klapperten draußen auf den Steinen vor der Haus¬
tür. Sie entwand sich seinen Armen und öffnete die Stubentür.

Seydewitz trat ein. Es war eine niedrige Stube mit Steinfußboden und
kleinen schiefen Fenstern. Vor dem Herde saß eine alte Frau und spann am Rocken.
Sie wandte den Kopf und starrte den Eintretenden an.

Guten Tag, sagte Seydewitz munter.

Da blieb er plötzlich stehn. Ihr Gesicht, von dem feinen weißen Haar um¬
rahmt, war ihm zugekehrt, ein Gesicht, so schön, so vornehm mit den unzähligen
kleinen Runzeln und den müden blauen Augen, daß er unwillkürlich die Mütze
abriß und sich verneigte.

Verzeihung, sagte er, ich komme doch nicht ungelegen?

Da sprach signe: Das ist der Herr Referendar, Großmutter. Der Herr
Referendar vom Landratsamt.

Sieh an, sagte die alte Frau, das ist ein seltner Gast hier bei uns. Will¬
kommen!

Seydewitz verneigte sich wieder.

Dann wandte er sich dem Mädchen zu. Die braunen Augen strahlten ihm
so warm und freundlich entgegen, daß es war, als ob sich ihm Feuer durch die
Adern ergoß.

signe und ich sind schon gute Freunde, sagte er munter, Sie haben doch
nichts dagegen, daß ich mich einen Augenblick ausruhe. Das ist ein anstrengender
und langer Tag gewesen, wir sind bei der Steuerpfändung.

Wollen Sie uns auspfänden? fragte die Frau in etwas feindlichem Tone.

Nein, sagte Seydewitz munter, ich habe Ole Mathem versprochen, die Steuer
zu bezahlen und noch ein Glas Wein dazu, wenn es uns gereicht wird.

Die alte Frau wackelte mit dem Kopfe.

Das können Sie sich leisten? Sie sind feiner Leute Kind! Wie heißen Sie?

Seydewitz.

Seydewitz, wiederholte die Alte, dann sind Sie aus adliger Familie.

Das bin ich, lautete die Antwort.

Jaso, sagte die Frau leise. Setzen Sie sich, jetzt kommt Ole.

Die schweren Schritte donnerten auf den Fliesen draußen, und die Männer
traten ins Zimmer. Sie blieben schweigend auf der Schwelle steh». Es war,
als ob die Frau auf Myggefjed sie zur Ehrfurcht zwang. Madame Mathem war
eine Frau, die wennn im Lande in großem Ansehen stand, aber nur wenige kannten
sie wirklich.

Justesen begrüßte sie; er war Schutzmann bei der alten Kopenhagner Polizei
unter Inspektor Herz gewesen und konnte sehr manierlich sein.

Das ist ja Justesen, sagte sie und blickte ihm fest ins Gesicht.

Ja, das war er.

Willkommen bei uns! sagte die alte Frau.

Der Myggefjedmann stand brummend auf der Schwelle.


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[0196] Der rote Hahn Seydewitz lächelte. Er trat schnell vor und ergriff die Hand des Mädchens. Dank für den Willkomm, signe! Jetzt wollen wir hinein, denn mich friert. Das Mädchen wich zur Seite, und Seydewitz trat ein. Sie schritt dicht hinter ihm, und in dem schmalen Vorzimmer mit dem Steinfußboden blieb er stehn, ungewiß, welche Tür er öffnen solle. Das Mädchen trat dicht neben ihn, um die Klinke der Tür auf der linken Seite herunterzudrücken. Er legte den Arm um ihre Taille und küßte ihre Wange, dicht am Ohr. Die Füße der Männer klapperten draußen auf den Steinen vor der Haus¬ tür. Sie entwand sich seinen Armen und öffnete die Stubentür. Seydewitz trat ein. Es war eine niedrige Stube mit Steinfußboden und kleinen schiefen Fenstern. Vor dem Herde saß eine alte Frau und spann am Rocken. Sie wandte den Kopf und starrte den Eintretenden an. Guten Tag, sagte Seydewitz munter. Da blieb er plötzlich stehn. Ihr Gesicht, von dem feinen weißen Haar um¬ rahmt, war ihm zugekehrt, ein Gesicht, so schön, so vornehm mit den unzähligen kleinen Runzeln und den müden blauen Augen, daß er unwillkürlich die Mütze abriß und sich verneigte. Verzeihung, sagte er, ich komme doch nicht ungelegen? Da sprach signe: Das ist der Herr Referendar, Großmutter. Der Herr Referendar vom Landratsamt. Sieh an, sagte die alte Frau, das ist ein seltner Gast hier bei uns. Will¬ kommen! Seydewitz verneigte sich wieder. Dann wandte er sich dem Mädchen zu. Die braunen Augen strahlten ihm so warm und freundlich entgegen, daß es war, als ob sich ihm Feuer durch die Adern ergoß. signe und ich sind schon gute Freunde, sagte er munter, Sie haben doch nichts dagegen, daß ich mich einen Augenblick ausruhe. Das ist ein anstrengender und langer Tag gewesen, wir sind bei der Steuerpfändung. Wollen Sie uns auspfänden? fragte die Frau in etwas feindlichem Tone. Nein, sagte Seydewitz munter, ich habe Ole Mathem versprochen, die Steuer zu bezahlen und noch ein Glas Wein dazu, wenn es uns gereicht wird. Die alte Frau wackelte mit dem Kopfe. Das können Sie sich leisten? Sie sind feiner Leute Kind! Wie heißen Sie? Seydewitz. Seydewitz, wiederholte die Alte, dann sind Sie aus adliger Familie. Das bin ich, lautete die Antwort. Jaso, sagte die Frau leise. Setzen Sie sich, jetzt kommt Ole. Die schweren Schritte donnerten auf den Fliesen draußen, und die Männer traten ins Zimmer. Sie blieben schweigend auf der Schwelle steh». Es war, als ob die Frau auf Myggefjed sie zur Ehrfurcht zwang. Madame Mathem war eine Frau, die wennn im Lande in großem Ansehen stand, aber nur wenige kannten sie wirklich. Justesen begrüßte sie; er war Schutzmann bei der alten Kopenhagner Polizei unter Inspektor Herz gewesen und konnte sehr manierlich sein. Das ist ja Justesen, sagte sie und blickte ihm fest ins Gesicht. Ja, das war er. Willkommen bei uns! sagte die alte Frau. Der Myggefjedmann stand brummend auf der Schwelle.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/196>, abgerufen am 23.07.2024.