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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Europäisch-asiatische Uulturbeziehungen in Innerasien

chinesische Kräfte nach Zentralasien lenken und damit der gelben Rasse die
Position an einem entscheidenden Punkte sichern. Die andre Möglichkeit wäre
die Hebung der einheimischen Bevölkerung durch europäische Leitung. Erst
wenn sie ardens- und kulturfähig ist, könnte sie ein relativ selbständiges
Dasein führen.

Daß Ostturkestan mit Indien seit alters in enger Verbindung gestanden
hat, zeigen die buddhistischen Kulturstätten, die im Sande der Talla-malen
begraben liegen. Heute besteht dank der großen kaufmännischen Fähigkeit der
Hindus ein nicht unbeträchtlicher Handel mit Indien. Freilich muß er auf
großen und schwierigen Umwegen gehn. Hartmann teilt mit, daß aus Indien
eine weit bequemere Karawanenstraße nach Turkestan führt, die noch um die
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in Gebrauch gewesen sein soll. Sie
beginnt nördlich vom Jndusbogen bei Gilgit. Von hier führt die Straße
über den Barogilpaß und erreicht bei Tahas-kurgan die Straße nach Kaschgar.
Aber sie führt durch das afghanische Wachau, einen stellenweise nur sechs
Kilometer breiten Landstreifen, das Puffergebiet zwischen Indien und dem
russischen Pamirgebiet, als solches eine der politisch empfindlichsten Stellen
der Erde. Obendrein wird die Straße an dieser Stelle durch das Räuber¬
volk der afghanischen Berge unsicher gemacht. Nur die Behutsamkeit, mit
der die indisch-russischen Grenzfragen behandelt werden, verhinderte bisher
ein energisches Vorgehn. Statt der heute ausgegebnen Straße führt der
Handel Indiens mit Zentralasien über den sehr schwierigen Karakorumpaß
(5655 Meter). Von Les geht die Straße durch ein wildes Gebirgsland,
kaum unter 3000 Meter sinkend. In einer Höhe von 3200 Metern erreicht sie
die Grenze Turkestans und gewinnt die alte südliche Karawanenstraße, nachdem
sie sich in einen östlichen Zweig (nach Sandschu) und einen westlichen (nach
Kargalyk) geteilt hat.

Von weit größerer Bedeutung sind für den europäischen Handel die
Wege, die aus Turkestan nach dem russischen Asien führen. Unter ihnen ist
bisher der Terek-dawar-Paß die wichtigste Verbindung; er führt von Kaschgar
nach der reichen Landschaft Ferghana. Im Herbst 1903 ist eine Fahrstraße
fertig geworden, die von Andidschan im Tale des Naryn aufwärts nach
Narynskoje führt, von wo aus ein leichter Zugang besteht. Soviel wir
wissen, hat diese Straße noch keine größere Handelsbedeutung gewonnen; sie
scheint aber militärisch wichtig zu sein. Noch weniger wissen wir von einer
seit langem verlassenen Straße, die heute von den Russen gesperrt ist, die
aber an die wichtigste Bahnlinie Zentralasiens anschließt. Die Bahn Tasch¬
kend-Samarkand-Merw überschreitet bei Tschardschui den Ann. Von dort
gelangt man in fünf Tagen mit den Dampfern der Ann-darja-Flotte nach der
letzten Station Palla-Hissar. Hier haben die Russen eine starke Festung an¬
gelegt; der Besuch des Gebiets ist deshalb verboten. Wenig oberhalb an der
Mündung des Wachses-ab beginnt die genannte Straße, die den Kysyl-su


Europäisch-asiatische Uulturbeziehungen in Innerasien

chinesische Kräfte nach Zentralasien lenken und damit der gelben Rasse die
Position an einem entscheidenden Punkte sichern. Die andre Möglichkeit wäre
die Hebung der einheimischen Bevölkerung durch europäische Leitung. Erst
wenn sie ardens- und kulturfähig ist, könnte sie ein relativ selbständiges
Dasein führen.

Daß Ostturkestan mit Indien seit alters in enger Verbindung gestanden
hat, zeigen die buddhistischen Kulturstätten, die im Sande der Talla-malen
begraben liegen. Heute besteht dank der großen kaufmännischen Fähigkeit der
Hindus ein nicht unbeträchtlicher Handel mit Indien. Freilich muß er auf
großen und schwierigen Umwegen gehn. Hartmann teilt mit, daß aus Indien
eine weit bequemere Karawanenstraße nach Turkestan führt, die noch um die
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in Gebrauch gewesen sein soll. Sie
beginnt nördlich vom Jndusbogen bei Gilgit. Von hier führt die Straße
über den Barogilpaß und erreicht bei Tahas-kurgan die Straße nach Kaschgar.
Aber sie führt durch das afghanische Wachau, einen stellenweise nur sechs
Kilometer breiten Landstreifen, das Puffergebiet zwischen Indien und dem
russischen Pamirgebiet, als solches eine der politisch empfindlichsten Stellen
der Erde. Obendrein wird die Straße an dieser Stelle durch das Räuber¬
volk der afghanischen Berge unsicher gemacht. Nur die Behutsamkeit, mit
der die indisch-russischen Grenzfragen behandelt werden, verhinderte bisher
ein energisches Vorgehn. Statt der heute ausgegebnen Straße führt der
Handel Indiens mit Zentralasien über den sehr schwierigen Karakorumpaß
(5655 Meter). Von Les geht die Straße durch ein wildes Gebirgsland,
kaum unter 3000 Meter sinkend. In einer Höhe von 3200 Metern erreicht sie
die Grenze Turkestans und gewinnt die alte südliche Karawanenstraße, nachdem
sie sich in einen östlichen Zweig (nach Sandschu) und einen westlichen (nach
Kargalyk) geteilt hat.

Von weit größerer Bedeutung sind für den europäischen Handel die
Wege, die aus Turkestan nach dem russischen Asien führen. Unter ihnen ist
bisher der Terek-dawar-Paß die wichtigste Verbindung; er führt von Kaschgar
nach der reichen Landschaft Ferghana. Im Herbst 1903 ist eine Fahrstraße
fertig geworden, die von Andidschan im Tale des Naryn aufwärts nach
Narynskoje führt, von wo aus ein leichter Zugang besteht. Soviel wir
wissen, hat diese Straße noch keine größere Handelsbedeutung gewonnen; sie
scheint aber militärisch wichtig zu sein. Noch weniger wissen wir von einer
seit langem verlassenen Straße, die heute von den Russen gesperrt ist, die
aber an die wichtigste Bahnlinie Zentralasiens anschließt. Die Bahn Tasch¬
kend-Samarkand-Merw überschreitet bei Tschardschui den Ann. Von dort
gelangt man in fünf Tagen mit den Dampfern der Ann-darja-Flotte nach der
letzten Station Palla-Hissar. Hier haben die Russen eine starke Festung an¬
gelegt; der Besuch des Gebiets ist deshalb verboten. Wenig oberhalb an der
Mündung des Wachses-ab beginnt die genannte Straße, die den Kysyl-su


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[0175] Europäisch-asiatische Uulturbeziehungen in Innerasien chinesische Kräfte nach Zentralasien lenken und damit der gelben Rasse die Position an einem entscheidenden Punkte sichern. Die andre Möglichkeit wäre die Hebung der einheimischen Bevölkerung durch europäische Leitung. Erst wenn sie ardens- und kulturfähig ist, könnte sie ein relativ selbständiges Dasein führen. Daß Ostturkestan mit Indien seit alters in enger Verbindung gestanden hat, zeigen die buddhistischen Kulturstätten, die im Sande der Talla-malen begraben liegen. Heute besteht dank der großen kaufmännischen Fähigkeit der Hindus ein nicht unbeträchtlicher Handel mit Indien. Freilich muß er auf großen und schwierigen Umwegen gehn. Hartmann teilt mit, daß aus Indien eine weit bequemere Karawanenstraße nach Turkestan führt, die noch um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in Gebrauch gewesen sein soll. Sie beginnt nördlich vom Jndusbogen bei Gilgit. Von hier führt die Straße über den Barogilpaß und erreicht bei Tahas-kurgan die Straße nach Kaschgar. Aber sie führt durch das afghanische Wachau, einen stellenweise nur sechs Kilometer breiten Landstreifen, das Puffergebiet zwischen Indien und dem russischen Pamirgebiet, als solches eine der politisch empfindlichsten Stellen der Erde. Obendrein wird die Straße an dieser Stelle durch das Räuber¬ volk der afghanischen Berge unsicher gemacht. Nur die Behutsamkeit, mit der die indisch-russischen Grenzfragen behandelt werden, verhinderte bisher ein energisches Vorgehn. Statt der heute ausgegebnen Straße führt der Handel Indiens mit Zentralasien über den sehr schwierigen Karakorumpaß (5655 Meter). Von Les geht die Straße durch ein wildes Gebirgsland, kaum unter 3000 Meter sinkend. In einer Höhe von 3200 Metern erreicht sie die Grenze Turkestans und gewinnt die alte südliche Karawanenstraße, nachdem sie sich in einen östlichen Zweig (nach Sandschu) und einen westlichen (nach Kargalyk) geteilt hat. Von weit größerer Bedeutung sind für den europäischen Handel die Wege, die aus Turkestan nach dem russischen Asien führen. Unter ihnen ist bisher der Terek-dawar-Paß die wichtigste Verbindung; er führt von Kaschgar nach der reichen Landschaft Ferghana. Im Herbst 1903 ist eine Fahrstraße fertig geworden, die von Andidschan im Tale des Naryn aufwärts nach Narynskoje führt, von wo aus ein leichter Zugang besteht. Soviel wir wissen, hat diese Straße noch keine größere Handelsbedeutung gewonnen; sie scheint aber militärisch wichtig zu sein. Noch weniger wissen wir von einer seit langem verlassenen Straße, die heute von den Russen gesperrt ist, die aber an die wichtigste Bahnlinie Zentralasiens anschließt. Die Bahn Tasch¬ kend-Samarkand-Merw überschreitet bei Tschardschui den Ann. Von dort gelangt man in fünf Tagen mit den Dampfern der Ann-darja-Flotte nach der letzten Station Palla-Hissar. Hier haben die Russen eine starke Festung an¬ gelegt; der Besuch des Gebiets ist deshalb verboten. Wenig oberhalb an der Mündung des Wachses-ab beginnt die genannte Straße, die den Kysyl-su

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/175>, abgerufen am 23.07.2024.