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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Europäisch - asiatische Aulturbeziehungen in Innerasten

den Abbau lohnen. neuerdings wird gemeldet, daß im innern China Kohlen¬
lager von den gewaltigsten Dimensionen gefunden seien. Alle wirtschaftlichen
Fragen verknüpfen sich freilich mit rechtlichen und politischen, die hemmend
wirken können.

Wie die Geschichte zeigt, war Turkestan durch den engen geographischen
Zusammenhang mit China seit alters ein Durchgangsland für den Landhandel
zwischen West- und Ostasien. Darauf gründet sich die kulturgeschichtliche Be¬
deutung Turkestans, davon hängt auch der Kulturbestand in ganz Inner-
asien ab.

Die fruchtbare westliche Ebene Turkestans hat ihren Mittelpunkt in
Kaschgar. Es ist der westlichste Punkt der chinesischen Straßen. Von hier
aus gehn zwei alte Karawanenstraßen durch Turkestan, eine nördliche über
Utön, Kutscha, Korla, Turfan, Hami (Knaul) nach An-Hsi und eine südliche
über Jarkent, Chotan, Tschertschen nach An-Hsi. Von hier führt nur ein
Weg zum Westtor der Großen Mauer, von wo aus sich die Straßen nach
Peking und Si-ngan-fu abzweigen. Die Gebirgswälle, die Turkestan im
Westen abschließen, trennten die chinesische Kulturwelt von der arischen. Hier
liegt die Grenze zwischen dem Osten und dem Westen. Aber auch diese Schranken
sind auf hohen und schwierigen Pässen überwunden worden. So wurden
diese Straßen Turkestans Teile des gewaltigen Straßennetzes, das den fernsten
Osten Asiens mit Europa verband. Die Erneuerung des chinesischen Staates
durch die glänzende Dynastie der T'arg (618 bis 907) führte zu einer großen
Steigerung des asiatischen Handels nach Westen. In größern Abständen
besaß Turkestan Städte, die bedeutende Verkehrszentren waren. Nach längerm
Verfall wurde das gesamte Verkehrswesen, Straßenleben, Handel und Vrief-
post, durch das glänzende organisatorische Genie des gewaltigen Mongolen
Tschinghizchan neu hergestellt. Niemals hat der Landverkehr auf den großen
asiatischen Straßen eine so weitreichende und vielseitige Ausdehnung gehabt
wie zur Mongolenzeit. Aus den vortrefflichen Reiseberichten des Wilhelm
von Ruysbroek und des Marco Polo lernen wir diese alte "Kaufmannsstraße
ins Seidenland" kennen; sie verband Peking mit Venedig.

Durch Anschluß an die großen Verkehrslinien, die heute Europa mit
Asien verbinden, diese Straßen neu zu beleben und auszubauen, ist eine Auf¬
gabe der Zukunft. Die Bedingungen dazu sind schon vorhanden. Es fehlt
auch nicht an Anzeichen dafür, daß sich eine wirtschaftliche Hebung der mittel¬
asiatischen Gebiete langsam vorbereitet. Dafür kommen vor allem die Be¬
ziehungen Turkestans zu Indien und Nußland in Betracht. Zugleich aber
erhebt sich hier ein Problem der Zukunft Europas in Asien. Werden die
Chinesen, die politischen Herren des Landes, seine wirtschaftliche Bedeutung
erkennen und das Land mit Chinesen kolonisieren? Jedenfalls haben
japanische Expeditionen das Land schon mit bekanntem Geschick und in aller
Stille wirtschaftlich ausgekundschaftet. Sie könnten bei ihrer Intelligenz


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den Abbau lohnen. neuerdings wird gemeldet, daß im innern China Kohlen¬
lager von den gewaltigsten Dimensionen gefunden seien. Alle wirtschaftlichen
Fragen verknüpfen sich freilich mit rechtlichen und politischen, die hemmend
wirken können.

Wie die Geschichte zeigt, war Turkestan durch den engen geographischen
Zusammenhang mit China seit alters ein Durchgangsland für den Landhandel
zwischen West- und Ostasien. Darauf gründet sich die kulturgeschichtliche Be¬
deutung Turkestans, davon hängt auch der Kulturbestand in ganz Inner-
asien ab.

Die fruchtbare westliche Ebene Turkestans hat ihren Mittelpunkt in
Kaschgar. Es ist der westlichste Punkt der chinesischen Straßen. Von hier
aus gehn zwei alte Karawanenstraßen durch Turkestan, eine nördliche über
Utön, Kutscha, Korla, Turfan, Hami (Knaul) nach An-Hsi und eine südliche
über Jarkent, Chotan, Tschertschen nach An-Hsi. Von hier führt nur ein
Weg zum Westtor der Großen Mauer, von wo aus sich die Straßen nach
Peking und Si-ngan-fu abzweigen. Die Gebirgswälle, die Turkestan im
Westen abschließen, trennten die chinesische Kulturwelt von der arischen. Hier
liegt die Grenze zwischen dem Osten und dem Westen. Aber auch diese Schranken
sind auf hohen und schwierigen Pässen überwunden worden. So wurden
diese Straßen Turkestans Teile des gewaltigen Straßennetzes, das den fernsten
Osten Asiens mit Europa verband. Die Erneuerung des chinesischen Staates
durch die glänzende Dynastie der T'arg (618 bis 907) führte zu einer großen
Steigerung des asiatischen Handels nach Westen. In größern Abständen
besaß Turkestan Städte, die bedeutende Verkehrszentren waren. Nach längerm
Verfall wurde das gesamte Verkehrswesen, Straßenleben, Handel und Vrief-
post, durch das glänzende organisatorische Genie des gewaltigen Mongolen
Tschinghizchan neu hergestellt. Niemals hat der Landverkehr auf den großen
asiatischen Straßen eine so weitreichende und vielseitige Ausdehnung gehabt
wie zur Mongolenzeit. Aus den vortrefflichen Reiseberichten des Wilhelm
von Ruysbroek und des Marco Polo lernen wir diese alte „Kaufmannsstraße
ins Seidenland" kennen; sie verband Peking mit Venedig.

Durch Anschluß an die großen Verkehrslinien, die heute Europa mit
Asien verbinden, diese Straßen neu zu beleben und auszubauen, ist eine Auf¬
gabe der Zukunft. Die Bedingungen dazu sind schon vorhanden. Es fehlt
auch nicht an Anzeichen dafür, daß sich eine wirtschaftliche Hebung der mittel¬
asiatischen Gebiete langsam vorbereitet. Dafür kommen vor allem die Be¬
ziehungen Turkestans zu Indien und Nußland in Betracht. Zugleich aber
erhebt sich hier ein Problem der Zukunft Europas in Asien. Werden die
Chinesen, die politischen Herren des Landes, seine wirtschaftliche Bedeutung
erkennen und das Land mit Chinesen kolonisieren? Jedenfalls haben
japanische Expeditionen das Land schon mit bekanntem Geschick und in aller
Stille wirtschaftlich ausgekundschaftet. Sie könnten bei ihrer Intelligenz


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[0174] Europäisch - asiatische Aulturbeziehungen in Innerasten den Abbau lohnen. neuerdings wird gemeldet, daß im innern China Kohlen¬ lager von den gewaltigsten Dimensionen gefunden seien. Alle wirtschaftlichen Fragen verknüpfen sich freilich mit rechtlichen und politischen, die hemmend wirken können. Wie die Geschichte zeigt, war Turkestan durch den engen geographischen Zusammenhang mit China seit alters ein Durchgangsland für den Landhandel zwischen West- und Ostasien. Darauf gründet sich die kulturgeschichtliche Be¬ deutung Turkestans, davon hängt auch der Kulturbestand in ganz Inner- asien ab. Die fruchtbare westliche Ebene Turkestans hat ihren Mittelpunkt in Kaschgar. Es ist der westlichste Punkt der chinesischen Straßen. Von hier aus gehn zwei alte Karawanenstraßen durch Turkestan, eine nördliche über Utön, Kutscha, Korla, Turfan, Hami (Knaul) nach An-Hsi und eine südliche über Jarkent, Chotan, Tschertschen nach An-Hsi. Von hier führt nur ein Weg zum Westtor der Großen Mauer, von wo aus sich die Straßen nach Peking und Si-ngan-fu abzweigen. Die Gebirgswälle, die Turkestan im Westen abschließen, trennten die chinesische Kulturwelt von der arischen. Hier liegt die Grenze zwischen dem Osten und dem Westen. Aber auch diese Schranken sind auf hohen und schwierigen Pässen überwunden worden. So wurden diese Straßen Turkestans Teile des gewaltigen Straßennetzes, das den fernsten Osten Asiens mit Europa verband. Die Erneuerung des chinesischen Staates durch die glänzende Dynastie der T'arg (618 bis 907) führte zu einer großen Steigerung des asiatischen Handels nach Westen. In größern Abständen besaß Turkestan Städte, die bedeutende Verkehrszentren waren. Nach längerm Verfall wurde das gesamte Verkehrswesen, Straßenleben, Handel und Vrief- post, durch das glänzende organisatorische Genie des gewaltigen Mongolen Tschinghizchan neu hergestellt. Niemals hat der Landverkehr auf den großen asiatischen Straßen eine so weitreichende und vielseitige Ausdehnung gehabt wie zur Mongolenzeit. Aus den vortrefflichen Reiseberichten des Wilhelm von Ruysbroek und des Marco Polo lernen wir diese alte „Kaufmannsstraße ins Seidenland" kennen; sie verband Peking mit Venedig. Durch Anschluß an die großen Verkehrslinien, die heute Europa mit Asien verbinden, diese Straßen neu zu beleben und auszubauen, ist eine Auf¬ gabe der Zukunft. Die Bedingungen dazu sind schon vorhanden. Es fehlt auch nicht an Anzeichen dafür, daß sich eine wirtschaftliche Hebung der mittel¬ asiatischen Gebiete langsam vorbereitet. Dafür kommen vor allem die Be¬ ziehungen Turkestans zu Indien und Nußland in Betracht. Zugleich aber erhebt sich hier ein Problem der Zukunft Europas in Asien. Werden die Chinesen, die politischen Herren des Landes, seine wirtschaftliche Bedeutung erkennen und das Land mit Chinesen kolonisieren? Jedenfalls haben japanische Expeditionen das Land schon mit bekanntem Geschick und in aller Stille wirtschaftlich ausgekundschaftet. Sie könnten bei ihrer Intelligenz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/174>, abgerufen am 22.12.2024.