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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zum fünfhundtttjährigen Jubiläum der Universität Leipzig

Seminarien und Instituten, die sich im neunzehnten Jahrhundert nicht zum
wenigsten in Leipzig glänzend entwickelten, sodaß heute die naturwissenschaftlich¬
medizinischen ein ganzes großes Viertel einnehmen; die scholastische Philosophie
wurde durch eine moderne abgelöst, die in dem System von Chr. Wolfs aller¬
orten zur Herrschaft gelangte; in der philosophischen Fakultät begann das Studium
der antiken Schriftsteller um ihrer selbst willen, nicht um aus ihnen Muster für
die Imitation zu gewinnen, und das Deutsche drang als Unterrichtssprache auch
in die Universitäten ein. Auf diesen Bahnen ist das neunzehnte Jahrhundert
weitergegangen. Und hier übernahm die philosophische Fakultät die Führung,
sie stellte sich ebenbürtig neben die frühern obern Fakultäten, denn ihre Forschungs¬
gebiete, das historisch-philologische und das mathematisch-naturwissenschaftliche,
schwangen sich jetzt zu Gegenständen selbständigen Wertes empor, die um ihrer
selbst willen, nicht als bloße Vorstufen andrer Wissenschaften zu studieren seien,
sie griffen vielmehr hinüber auch in deren Arbeitsgebiet, sie lehrten sie ihre
Methode. Seit dieser Zeit ist die Freiheit der Forschung und der Lehre die
Lebensluft unsrer Universitäten geworden.

Man kann jedoch nicht behaupten, daß die Leipziger Hochschule im Geistes¬
leben der Nation im besondern Maße eine führende Rolle gespielt habe; sie ist
in dieser Beziehung oft von kleinern Universitäten übertroffen worden, denn sie
war überwiegend eine Macht des Beharrens. Schon die Gründung 1409 war
ein Akt kirchlich-konservativer Politik, denn sie wurde im schärfsten Gegensatz zu
der demokratischen Reformbewegung des Hussitentnms als eine neue Burg der
römischen Kirche ins Leben gerufen und bewährte sich als solche auch, als Luther
seine Reform in Wittenberg begann. Wenn sie sich vorher dem Humanismus
nicht völlig verschloß, so war das nicht ihr freier Wille; vielmehr wurden ihr
die Humanisten, die an ihr vorübergehend wirkten, vom Herzog Georg und dem
Rate der Stadt gewissermaßen aufgedrungen und von ihnen besoldet. Auch die
endliche Einführung der Reformation 1539, der sie die Erwerbung des Pauliner-
klosters verdankte, kam ihr von außen, von, Landesherrn, ging nicht von der
Universität aus. Fortan blieb sie fast zwei Jahrhunderte lang eine Hochburg
des orthodoxen Luthertums und seiner Scholastik im Gegensatz zu Wittenberg,
zugleich ein Sitz schwerer polyhistorischer Gelehrsamkeit, beherrscht von unter sich
und mit der städtischen Aristokratie eng versippten Gelehrtengeschlechtern, also in
jeder Beziehung eine hochkonservative Macht. Für ihren Geist ist es bezeichnend,
daß noch 1617 die Zahl der artistischen Professuren nur acht betrug; darunter
seit 1558 nur eine philologische. So verhielt sich Leipzig gegen Ende des
siebzehnten Jahrhunderts ablehnend gegen die beiden neuen Richtungen, den
Pietismus und das Naturrecht, und überließ hier die Führung der jungen
Nachbaruniversität Halle (gegründet 1694); ja sie stieß 1690 einen der ersten
Vertreter des Naturrechts, Christian Thomasius, von sich und versagte ihm auch
die Einführung des Deutschen in den Universitätsunterricht. An der neu auf¬
blühenden deutschen Literatur hatte sie allerdings durch Gottsched und Gellert


Zum fünfhundtttjährigen Jubiläum der Universität Leipzig

Seminarien und Instituten, die sich im neunzehnten Jahrhundert nicht zum
wenigsten in Leipzig glänzend entwickelten, sodaß heute die naturwissenschaftlich¬
medizinischen ein ganzes großes Viertel einnehmen; die scholastische Philosophie
wurde durch eine moderne abgelöst, die in dem System von Chr. Wolfs aller¬
orten zur Herrschaft gelangte; in der philosophischen Fakultät begann das Studium
der antiken Schriftsteller um ihrer selbst willen, nicht um aus ihnen Muster für
die Imitation zu gewinnen, und das Deutsche drang als Unterrichtssprache auch
in die Universitäten ein. Auf diesen Bahnen ist das neunzehnte Jahrhundert
weitergegangen. Und hier übernahm die philosophische Fakultät die Führung,
sie stellte sich ebenbürtig neben die frühern obern Fakultäten, denn ihre Forschungs¬
gebiete, das historisch-philologische und das mathematisch-naturwissenschaftliche,
schwangen sich jetzt zu Gegenständen selbständigen Wertes empor, die um ihrer
selbst willen, nicht als bloße Vorstufen andrer Wissenschaften zu studieren seien,
sie griffen vielmehr hinüber auch in deren Arbeitsgebiet, sie lehrten sie ihre
Methode. Seit dieser Zeit ist die Freiheit der Forschung und der Lehre die
Lebensluft unsrer Universitäten geworden.

Man kann jedoch nicht behaupten, daß die Leipziger Hochschule im Geistes¬
leben der Nation im besondern Maße eine führende Rolle gespielt habe; sie ist
in dieser Beziehung oft von kleinern Universitäten übertroffen worden, denn sie
war überwiegend eine Macht des Beharrens. Schon die Gründung 1409 war
ein Akt kirchlich-konservativer Politik, denn sie wurde im schärfsten Gegensatz zu
der demokratischen Reformbewegung des Hussitentnms als eine neue Burg der
römischen Kirche ins Leben gerufen und bewährte sich als solche auch, als Luther
seine Reform in Wittenberg begann. Wenn sie sich vorher dem Humanismus
nicht völlig verschloß, so war das nicht ihr freier Wille; vielmehr wurden ihr
die Humanisten, die an ihr vorübergehend wirkten, vom Herzog Georg und dem
Rate der Stadt gewissermaßen aufgedrungen und von ihnen besoldet. Auch die
endliche Einführung der Reformation 1539, der sie die Erwerbung des Pauliner-
klosters verdankte, kam ihr von außen, von, Landesherrn, ging nicht von der
Universität aus. Fortan blieb sie fast zwei Jahrhunderte lang eine Hochburg
des orthodoxen Luthertums und seiner Scholastik im Gegensatz zu Wittenberg,
zugleich ein Sitz schwerer polyhistorischer Gelehrsamkeit, beherrscht von unter sich
und mit der städtischen Aristokratie eng versippten Gelehrtengeschlechtern, also in
jeder Beziehung eine hochkonservative Macht. Für ihren Geist ist es bezeichnend,
daß noch 1617 die Zahl der artistischen Professuren nur acht betrug; darunter
seit 1558 nur eine philologische. So verhielt sich Leipzig gegen Ende des
siebzehnten Jahrhunderts ablehnend gegen die beiden neuen Richtungen, den
Pietismus und das Naturrecht, und überließ hier die Führung der jungen
Nachbaruniversität Halle (gegründet 1694); ja sie stieß 1690 einen der ersten
Vertreter des Naturrechts, Christian Thomasius, von sich und versagte ihm auch
die Einführung des Deutschen in den Universitätsunterricht. An der neu auf¬
blühenden deutschen Literatur hatte sie allerdings durch Gottsched und Gellert


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[0161] Zum fünfhundtttjährigen Jubiläum der Universität Leipzig Seminarien und Instituten, die sich im neunzehnten Jahrhundert nicht zum wenigsten in Leipzig glänzend entwickelten, sodaß heute die naturwissenschaftlich¬ medizinischen ein ganzes großes Viertel einnehmen; die scholastische Philosophie wurde durch eine moderne abgelöst, die in dem System von Chr. Wolfs aller¬ orten zur Herrschaft gelangte; in der philosophischen Fakultät begann das Studium der antiken Schriftsteller um ihrer selbst willen, nicht um aus ihnen Muster für die Imitation zu gewinnen, und das Deutsche drang als Unterrichtssprache auch in die Universitäten ein. Auf diesen Bahnen ist das neunzehnte Jahrhundert weitergegangen. Und hier übernahm die philosophische Fakultät die Führung, sie stellte sich ebenbürtig neben die frühern obern Fakultäten, denn ihre Forschungs¬ gebiete, das historisch-philologische und das mathematisch-naturwissenschaftliche, schwangen sich jetzt zu Gegenständen selbständigen Wertes empor, die um ihrer selbst willen, nicht als bloße Vorstufen andrer Wissenschaften zu studieren seien, sie griffen vielmehr hinüber auch in deren Arbeitsgebiet, sie lehrten sie ihre Methode. Seit dieser Zeit ist die Freiheit der Forschung und der Lehre die Lebensluft unsrer Universitäten geworden. Man kann jedoch nicht behaupten, daß die Leipziger Hochschule im Geistes¬ leben der Nation im besondern Maße eine führende Rolle gespielt habe; sie ist in dieser Beziehung oft von kleinern Universitäten übertroffen worden, denn sie war überwiegend eine Macht des Beharrens. Schon die Gründung 1409 war ein Akt kirchlich-konservativer Politik, denn sie wurde im schärfsten Gegensatz zu der demokratischen Reformbewegung des Hussitentnms als eine neue Burg der römischen Kirche ins Leben gerufen und bewährte sich als solche auch, als Luther seine Reform in Wittenberg begann. Wenn sie sich vorher dem Humanismus nicht völlig verschloß, so war das nicht ihr freier Wille; vielmehr wurden ihr die Humanisten, die an ihr vorübergehend wirkten, vom Herzog Georg und dem Rate der Stadt gewissermaßen aufgedrungen und von ihnen besoldet. Auch die endliche Einführung der Reformation 1539, der sie die Erwerbung des Pauliner- klosters verdankte, kam ihr von außen, von, Landesherrn, ging nicht von der Universität aus. Fortan blieb sie fast zwei Jahrhunderte lang eine Hochburg des orthodoxen Luthertums und seiner Scholastik im Gegensatz zu Wittenberg, zugleich ein Sitz schwerer polyhistorischer Gelehrsamkeit, beherrscht von unter sich und mit der städtischen Aristokratie eng versippten Gelehrtengeschlechtern, also in jeder Beziehung eine hochkonservative Macht. Für ihren Geist ist es bezeichnend, daß noch 1617 die Zahl der artistischen Professuren nur acht betrug; darunter seit 1558 nur eine philologische. So verhielt sich Leipzig gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts ablehnend gegen die beiden neuen Richtungen, den Pietismus und das Naturrecht, und überließ hier die Führung der jungen Nachbaruniversität Halle (gegründet 1694); ja sie stieß 1690 einen der ersten Vertreter des Naturrechts, Christian Thomasius, von sich und versagte ihm auch die Einführung des Deutschen in den Universitätsunterricht. An der neu auf¬ blühenden deutschen Literatur hatte sie allerdings durch Gottsched und Gellert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/161>, abgerufen am 22.12.2024.