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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zum fimfhundertjährigen Jubiläum der Universität Leipzig

Anteil, aber das berührte ihre eigentliche Lehraufgabc nicht. Ebenso übernahm
in den mächtig aufstrebenden philologisch-historischen Wissenschaften Göttingen
(seit 1734) die Führung; immerhin wurde der Leipziger Archäolog I. Fr. Christ
ein Vorläufer I. I. Winckelmanns (gestorben 1756), und einer ihrer bedeutendsten
und einflußreichsten Männer, I. A. Ernesti (1734 bis 1759 Rektor der Thomas¬
schule), brachte zuerst die philologischen Grundsätze bei der biblischen Exegese zur
Geltung, womit er all den phantastisch-willkürlichen Auslegungsmethoden der
Scholastik ein Ende machte. Als mit dem siebenjährigen Kriege Kursachsen seine
leitende Stellung in der Literatur und Kunst verlor, ging auch die Universität
zurück, und die Napoleonische Zeit mit ihren Nachwirkungen vollendete diese
Wendung. Eine leitende, weithin anerkannte Bedeutung hatte in den nächsten
Jahrzehnten fast nur der große Philolog Gottfried Hermann (gestorben 1848),
der Wahrer der spezifisch sächsischen Tradition der klassischen Philologie, der im
Gegensatz zu der jungen "Altertumswissenschaft" F. A. Wolfs in Halle die
genaue Interpretation der Klassiker als ihre Hauptaufgabe betrachtete und ganze
Generationen sächsischer Gymnasiallehrer in diesem Sinne erzogen hat, also auch
er war der Vertreter einer ganz konservativen Richtung. Erst nach der Mitte
des neunzehnten Jahrhunderts begann für Leipzig eine neue große Zeit; die
Universität hat sich seitdem immer in aufsteigender Linie bewegt und auch so
manchen Bahnbrecher unter ihrer Lehrerschaft wirken sehen.

Gewandelt hat sich auch das Verhältnis der Universität zur Nation, zum
sächsischen Staate und zum Herrscherhause. Die mittelalterliche Hochschule war
zwar eine Stiftung der Landesherren wie die meisten deutschen Universitäten,
aber ihrer Bestimmung und ihrem Geiste nach international wie die Kirche,
mit der sie eng zusammenhing. Mit der Reformation schwand dieser inter¬
nationale Charakter, sie wurde jetzt vor allen Dingen eine Landesuniversität
für die Heranbildung der Diener der Landeskirche, des fürstlich-territorialen
Staats und der Gemeinden, ohne sich deshalb auf Lehrer und Studenten des
Landes zu beschränken, und indem der Staat allmählich für diese Theologen
und Juristen bestimmte Prüfungen vorschrieb, machte er die Universität zu
einem seiner Organe und gewann größern Einfluß auch auf ihre Verwaltung.
So hörte sie auf, eine vollständig autonome Korporation zu sein wie im
Mittelalter und war vor allem für die Söhne des Landes bestimmt, die
hier ihre Studien wenn nicht ausschließlich trieben, so doch abschlossen.
Die neuste Zeit hat diese" Charakter nicht zerstört, aber sie hat die deutschen
Universitäten auf den Boden nationaldeutscher Bildung und Gesinnung ge¬
stellt, sie eine Zeit lang zu Führerinnen nationaler Politik gemacht und ihre
Studenten zu deutschem Patriotismus erzogen, der sie befähigte, vornehmlich im
Kriege von 1870/71 mit vollem innern Anteil die Waffen für das Vaterland
siegreich zu führen. Oulos se äeoorrun est pro xatria mori! war die Losung,
mit der damals bei der Abfahrt nach dem Kriegsschauplatze auf dem Dresdner
Bahnhof ein Einjährigfreiwilliger den König Johann begrüßte, und so soll es


Zum fimfhundertjährigen Jubiläum der Universität Leipzig

Anteil, aber das berührte ihre eigentliche Lehraufgabc nicht. Ebenso übernahm
in den mächtig aufstrebenden philologisch-historischen Wissenschaften Göttingen
(seit 1734) die Führung; immerhin wurde der Leipziger Archäolog I. Fr. Christ
ein Vorläufer I. I. Winckelmanns (gestorben 1756), und einer ihrer bedeutendsten
und einflußreichsten Männer, I. A. Ernesti (1734 bis 1759 Rektor der Thomas¬
schule), brachte zuerst die philologischen Grundsätze bei der biblischen Exegese zur
Geltung, womit er all den phantastisch-willkürlichen Auslegungsmethoden der
Scholastik ein Ende machte. Als mit dem siebenjährigen Kriege Kursachsen seine
leitende Stellung in der Literatur und Kunst verlor, ging auch die Universität
zurück, und die Napoleonische Zeit mit ihren Nachwirkungen vollendete diese
Wendung. Eine leitende, weithin anerkannte Bedeutung hatte in den nächsten
Jahrzehnten fast nur der große Philolog Gottfried Hermann (gestorben 1848),
der Wahrer der spezifisch sächsischen Tradition der klassischen Philologie, der im
Gegensatz zu der jungen „Altertumswissenschaft" F. A. Wolfs in Halle die
genaue Interpretation der Klassiker als ihre Hauptaufgabe betrachtete und ganze
Generationen sächsischer Gymnasiallehrer in diesem Sinne erzogen hat, also auch
er war der Vertreter einer ganz konservativen Richtung. Erst nach der Mitte
des neunzehnten Jahrhunderts begann für Leipzig eine neue große Zeit; die
Universität hat sich seitdem immer in aufsteigender Linie bewegt und auch so
manchen Bahnbrecher unter ihrer Lehrerschaft wirken sehen.

Gewandelt hat sich auch das Verhältnis der Universität zur Nation, zum
sächsischen Staate und zum Herrscherhause. Die mittelalterliche Hochschule war
zwar eine Stiftung der Landesherren wie die meisten deutschen Universitäten,
aber ihrer Bestimmung und ihrem Geiste nach international wie die Kirche,
mit der sie eng zusammenhing. Mit der Reformation schwand dieser inter¬
nationale Charakter, sie wurde jetzt vor allen Dingen eine Landesuniversität
für die Heranbildung der Diener der Landeskirche, des fürstlich-territorialen
Staats und der Gemeinden, ohne sich deshalb auf Lehrer und Studenten des
Landes zu beschränken, und indem der Staat allmählich für diese Theologen
und Juristen bestimmte Prüfungen vorschrieb, machte er die Universität zu
einem seiner Organe und gewann größern Einfluß auch auf ihre Verwaltung.
So hörte sie auf, eine vollständig autonome Korporation zu sein wie im
Mittelalter und war vor allem für die Söhne des Landes bestimmt, die
hier ihre Studien wenn nicht ausschließlich trieben, so doch abschlossen.
Die neuste Zeit hat diese» Charakter nicht zerstört, aber sie hat die deutschen
Universitäten auf den Boden nationaldeutscher Bildung und Gesinnung ge¬
stellt, sie eine Zeit lang zu Führerinnen nationaler Politik gemacht und ihre
Studenten zu deutschem Patriotismus erzogen, der sie befähigte, vornehmlich im
Kriege von 1870/71 mit vollem innern Anteil die Waffen für das Vaterland
siegreich zu führen. Oulos se äeoorrun est pro xatria mori! war die Losung,
mit der damals bei der Abfahrt nach dem Kriegsschauplatze auf dem Dresdner
Bahnhof ein Einjährigfreiwilliger den König Johann begrüßte, und so soll es


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[0162] Zum fimfhundertjährigen Jubiläum der Universität Leipzig Anteil, aber das berührte ihre eigentliche Lehraufgabc nicht. Ebenso übernahm in den mächtig aufstrebenden philologisch-historischen Wissenschaften Göttingen (seit 1734) die Führung; immerhin wurde der Leipziger Archäolog I. Fr. Christ ein Vorläufer I. I. Winckelmanns (gestorben 1756), und einer ihrer bedeutendsten und einflußreichsten Männer, I. A. Ernesti (1734 bis 1759 Rektor der Thomas¬ schule), brachte zuerst die philologischen Grundsätze bei der biblischen Exegese zur Geltung, womit er all den phantastisch-willkürlichen Auslegungsmethoden der Scholastik ein Ende machte. Als mit dem siebenjährigen Kriege Kursachsen seine leitende Stellung in der Literatur und Kunst verlor, ging auch die Universität zurück, und die Napoleonische Zeit mit ihren Nachwirkungen vollendete diese Wendung. Eine leitende, weithin anerkannte Bedeutung hatte in den nächsten Jahrzehnten fast nur der große Philolog Gottfried Hermann (gestorben 1848), der Wahrer der spezifisch sächsischen Tradition der klassischen Philologie, der im Gegensatz zu der jungen „Altertumswissenschaft" F. A. Wolfs in Halle die genaue Interpretation der Klassiker als ihre Hauptaufgabe betrachtete und ganze Generationen sächsischer Gymnasiallehrer in diesem Sinne erzogen hat, also auch er war der Vertreter einer ganz konservativen Richtung. Erst nach der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts begann für Leipzig eine neue große Zeit; die Universität hat sich seitdem immer in aufsteigender Linie bewegt und auch so manchen Bahnbrecher unter ihrer Lehrerschaft wirken sehen. Gewandelt hat sich auch das Verhältnis der Universität zur Nation, zum sächsischen Staate und zum Herrscherhause. Die mittelalterliche Hochschule war zwar eine Stiftung der Landesherren wie die meisten deutschen Universitäten, aber ihrer Bestimmung und ihrem Geiste nach international wie die Kirche, mit der sie eng zusammenhing. Mit der Reformation schwand dieser inter¬ nationale Charakter, sie wurde jetzt vor allen Dingen eine Landesuniversität für die Heranbildung der Diener der Landeskirche, des fürstlich-territorialen Staats und der Gemeinden, ohne sich deshalb auf Lehrer und Studenten des Landes zu beschränken, und indem der Staat allmählich für diese Theologen und Juristen bestimmte Prüfungen vorschrieb, machte er die Universität zu einem seiner Organe und gewann größern Einfluß auch auf ihre Verwaltung. So hörte sie auf, eine vollständig autonome Korporation zu sein wie im Mittelalter und war vor allem für die Söhne des Landes bestimmt, die hier ihre Studien wenn nicht ausschließlich trieben, so doch abschlossen. Die neuste Zeit hat diese» Charakter nicht zerstört, aber sie hat die deutschen Universitäten auf den Boden nationaldeutscher Bildung und Gesinnung ge¬ stellt, sie eine Zeit lang zu Führerinnen nationaler Politik gemacht und ihre Studenten zu deutschem Patriotismus erzogen, der sie befähigte, vornehmlich im Kriege von 1870/71 mit vollem innern Anteil die Waffen für das Vaterland siegreich zu führen. Oulos se äeoorrun est pro xatria mori! war die Losung, mit der damals bei der Abfahrt nach dem Kriegsschauplatze auf dem Dresdner Bahnhof ein Einjährigfreiwilliger den König Johann begrüßte, und so soll es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/162>, abgerufen am 22.07.2024.