Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.Zum fünfhundertjährigem Jubiläum der Universität Leipzig Wissenschaften) eine logisch-rhetorische und mathematisch-naturwissenschaftliche Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin Am längsten dauerte das Studium der Theologie, zehn bis zwölf Jahre nach Die Reformation hat an diesem Lehrbetriebe wenig geändert. Sie fügte in Die entscheidende Wendung im Studienbetrieb begann erst, als gegen das Zum fünfhundertjährigem Jubiläum der Universität Leipzig Wissenschaften) eine logisch-rhetorische und mathematisch-naturwissenschaftliche Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin Am längsten dauerte das Studium der Theologie, zehn bis zwölf Jahre nach Die Reformation hat an diesem Lehrbetriebe wenig geändert. Sie fügte in Die entscheidende Wendung im Studienbetrieb begann erst, als gegen das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313863"/> <fw type="header" place="top"> Zum fünfhundertjährigem Jubiläum der Universität Leipzig</fw><lb/> <p xml:id="ID_632" prev="#ID_631"> Wissenschaften) eine logisch-rhetorische und mathematisch-naturwissenschaftliche<lb/> Bildung vermittelte. Erst die Erwerbung ihrer Grade, des Baccalaureus und des<lb/> Magisters lidsig-Iium artium nach einem im ganzen etwa vierjährigen Studium<lb/> eröffnete den Zutritt zu einer der obern Fakultäten, die ebenso ihre Grade<lb/> verliehen. Es konnte also einer gleichzeitig als Magister in der artistischen<lb/> Fakultät Lehrer und in einer andern Scholar sein, nach und nach auch Grade in<lb/> verschiednen Fakultäten erwerben, wie Goethes Faust, der unbefriedigt klagt:</p><lb/> <quote> Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin<lb/> Und leider auch Theologie<lb/> Durchaus studiert mit heißem Bemühn.<lb/> Heiße Magister, heiße Doktor gar usw.</quote><lb/> <p xml:id="ID_633"> Am längsten dauerte das Studium der Theologie, zehn bis zwölf Jahre nach<lb/> der Erwerbung des artistischen Magisteriums, am kürzesten höchst bezeichnend<lb/> das medizinische, im allgemeinen fünf bis sechs, in Leipzig nach der Ordnung von<lb/> 1519 nur drei Jahre. Das Lebensalter der Studenten war also einerseits viel<lb/> höher, andrerseits oft niedriger als heute. „Berechtigungen" allgemeiner Art<lb/> knüpften sich an diese Grade nicht, sie waren keine Prüfungen im Auftrage irgend¬<lb/> welcher öffentlichen Autorität; weder Staat noch Gemeinde noch Kirche knüpften<lb/> die Vergebung ihrer Ämter an sie. Am stärksten war überall die philosophische<lb/> Fakultät an Lehrern und Studenten, denn nur verhältnismäßig wenige Studenten<lb/> gingen zu dem langwierigen Studium der obern Fakultäten über. So hatte die<lb/> artistische Fakultät in Leipzig bis 1558 zwölf besoldete Professuren; in den<lb/> „obern" Fakultäten gab es gewöhnlich sehr viel weniger, zwei bis vier Theologen,<lb/> drei bis sechs Juristen, ein bis drei Mediziner, die zugleich als praktische Ärzte<lb/> wirkten; dazu kamen lesende Baccalaurien.</p><lb/> <p xml:id="ID_634"> Die Reformation hat an diesem Lehrbetriebe wenig geändert. Sie fügte in<lb/> der philosophischen Fakultät einige humanistische Professuren hinzu, behielt aber die<lb/> aristotelische Philosophie, namentlich die Logik bei, beseitigte an den protestantischen<lb/> Hochschulen das alte kanonische Recht, stellte aber in der Theologie die Dogmatik<lb/> ganz in den Vordergrund und behielt die lateinische Lehrsprache bei, womit sie<lb/> auch die Hauptaufgabe der Lateinschulen bestimmte. Am ehesten öffnete sich die<lb/> medizinische Fakultät dem modernen Geiste selbständiger Beobachtung; aber erst<lb/> 1479 erlaubte ihr Kaiser Friedrich der Dritte in Köln die Sektion von Menschen,<lb/> und in Leipzig hing eine solche noch 1519 durchaus von der Gelegenheit<lb/> ab, war also etwas Zufälliges und Seltnes. Im übrigen begnügte man sich<lb/> mit der Sektion von Tieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_635" next="#ID_636"> Die entscheidende Wendung im Studienbetrieb begann erst, als gegen das<lb/> Ende des siebzehnten Jahrhunderts die neue naturwissenschaftliche Methode,<lb/> durch die Beobachtung der Tatsachen und das Experiment selbständig neue<lb/> Wahrheiten zu finden, von England her eindrang. Da trat im Laufe des acht¬<lb/> zehnten Jahrhunderts an die Stelle der Auslegung überlieferter Bücher der<lb/> systematische Lehrvortrag, an die Stelle der Disputationen die Übungen in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0160]
Zum fünfhundertjährigem Jubiläum der Universität Leipzig
Wissenschaften) eine logisch-rhetorische und mathematisch-naturwissenschaftliche
Bildung vermittelte. Erst die Erwerbung ihrer Grade, des Baccalaureus und des
Magisters lidsig-Iium artium nach einem im ganzen etwa vierjährigen Studium
eröffnete den Zutritt zu einer der obern Fakultäten, die ebenso ihre Grade
verliehen. Es konnte also einer gleichzeitig als Magister in der artistischen
Fakultät Lehrer und in einer andern Scholar sein, nach und nach auch Grade in
verschiednen Fakultäten erwerben, wie Goethes Faust, der unbefriedigt klagt:
Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert mit heißem Bemühn.
Heiße Magister, heiße Doktor gar usw.
Am längsten dauerte das Studium der Theologie, zehn bis zwölf Jahre nach
der Erwerbung des artistischen Magisteriums, am kürzesten höchst bezeichnend
das medizinische, im allgemeinen fünf bis sechs, in Leipzig nach der Ordnung von
1519 nur drei Jahre. Das Lebensalter der Studenten war also einerseits viel
höher, andrerseits oft niedriger als heute. „Berechtigungen" allgemeiner Art
knüpften sich an diese Grade nicht, sie waren keine Prüfungen im Auftrage irgend¬
welcher öffentlichen Autorität; weder Staat noch Gemeinde noch Kirche knüpften
die Vergebung ihrer Ämter an sie. Am stärksten war überall die philosophische
Fakultät an Lehrern und Studenten, denn nur verhältnismäßig wenige Studenten
gingen zu dem langwierigen Studium der obern Fakultäten über. So hatte die
artistische Fakultät in Leipzig bis 1558 zwölf besoldete Professuren; in den
„obern" Fakultäten gab es gewöhnlich sehr viel weniger, zwei bis vier Theologen,
drei bis sechs Juristen, ein bis drei Mediziner, die zugleich als praktische Ärzte
wirkten; dazu kamen lesende Baccalaurien.
Die Reformation hat an diesem Lehrbetriebe wenig geändert. Sie fügte in
der philosophischen Fakultät einige humanistische Professuren hinzu, behielt aber die
aristotelische Philosophie, namentlich die Logik bei, beseitigte an den protestantischen
Hochschulen das alte kanonische Recht, stellte aber in der Theologie die Dogmatik
ganz in den Vordergrund und behielt die lateinische Lehrsprache bei, womit sie
auch die Hauptaufgabe der Lateinschulen bestimmte. Am ehesten öffnete sich die
medizinische Fakultät dem modernen Geiste selbständiger Beobachtung; aber erst
1479 erlaubte ihr Kaiser Friedrich der Dritte in Köln die Sektion von Menschen,
und in Leipzig hing eine solche noch 1519 durchaus von der Gelegenheit
ab, war also etwas Zufälliges und Seltnes. Im übrigen begnügte man sich
mit der Sektion von Tieren.
Die entscheidende Wendung im Studienbetrieb begann erst, als gegen das
Ende des siebzehnten Jahrhunderts die neue naturwissenschaftliche Methode,
durch die Beobachtung der Tatsachen und das Experiment selbständig neue
Wahrheiten zu finden, von England her eindrang. Da trat im Laufe des acht¬
zehnten Jahrhunderts an die Stelle der Auslegung überlieferter Bücher der
systematische Lehrvortrag, an die Stelle der Disputationen die Übungen in
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