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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zum fünfhundertjährigeu Jubiläum der Universität Leipzig

als Wohnhäuser für Professoren und Stiftungen noch fortdauerten; das Leben im
Zwange der Bursen verschmähten schon gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts
vermögende und ältere Studenten, indem sie es vorzogen, bei Bürgern in der
Stadt ihre Wohnungen (nospitis,) zu nehmen, die Bursen leerten sich allmählich:
die Meißner Burse stand schon 1522 leer und wurde 1534 abgebrochen. Vollends
seit der Reformation wohnten die Studenten fast durchweg in Bürgerhäusern, und
so ist es geblieben; das gehört gegenwärtig zur akademischen Freiheit.

Denn das klösterliche Zusammenleben in Kollegien und Bursen hing aufs
engste mit dem Verhältnis der Universität zur mittelalterlichen Kirche zusammen.
Auch dies war eine Pariser Erbschaft; die italienischen Universitäten waren
wesentlich weltliche Anstalten. Zunächst gehörte zur Errichtung einer Hochschule
ein päpstlicher Stiftungs- oder besser Einrichtungsbrief, den für Leipzig Papst
Alexander der Fünfte in Pisa unter dem 9. September 1409 ausstellte, denn
alle Lehre gehörte der Kirche oder stand wenigstens unter ihrer Aufsicht. Es
war daher üblich, die Professoren mit kirchlichen Pfründen auszustatten. Die
Lehre aber stand unter der Aufsicht eines Bischofs als Kanzler der Universität -- in
Leipzig unter dem Bischof von Merseburg --, der die akademischen Grade ver¬
lieh, und diese Lehre war kirchlich bestimmt. Es war also keineswegs, wie heute,
die Aufgabe der Universitätslehrer, neue Wahrheiten zu finden und dazu ihre
Hörer anzuleiten, sondern vielmehr ihnen die feststehende, anerkannte Wahrheit
zu überliefern und sie zu ihrer Begründung oder Verteidigung geschickt zu machen,
beides selbstverständlich in der internationalen Kirchensprache, dem an den Hoch¬
schulen zur Sprache der Wissenschaft, der Schule ausgebildeten scholastischen Latein,
einer tatsächlich lebenden Sprache, die sich von dem antiken, klassischen Latein
vor allem in Wortschatz und Syntax wesentlich unterschied. Diese Überlieferung
der Lehre war Aufgabe der Vorlesungen und in allen Fakultäten an bestimmte
Bücher und ihre Auslegung geknüpft, in der philosophischen an eine Anzahl
von Schriften des Aristoteles in lateinischer Übersetzung, in der juristischen an
die Gesetzbücher Justinians und des kanonischen (kirchlichen) Rechts, in der
medizinischen an einige griechische (Galenus) und arabische Autoren, in der
theologischen an die Heilige Schrift (8g.org, pa^ing.) und die Dogmatik (LententjÄk)
des Petrus Lombardus. Zur logischen Verteidigung und Vegründnng der Lehren
sollten in allen Fakultäten die häufigen Disputationen Schulen. Dabei war die
Voraussetzung, namentlich in der philosophischen Fakultät, daß alle Professoren
über sämtliche Fächer ihrer Fakultät zu lesen hätten (sogenannte walzende Lektionen),
eine Einrichtung, die jedes tiefere selbständige Eindringen wenigstens sehr er¬
schwerte. Der Studiengang war selbstverständlich aufs genaueste vorgeschrieben,
es gab also so wenig eine Lern- wie eine Lehrfreiheit. Das Charakteristische ist
dabei die Stellung der philosophischen Fakultät. Sie war den "obern" Fakultäten
nicht gleich, sondern untergeordnet, eine Vorbereitungsanstalt, die auch die
Aufgaben der heutigen Oberklassen der Gymnasien zu lösen hatte, deshalb auch
Knaben aufnahm und in ihren sieben artes liberales (nicht Künsten, sondern


Zum fünfhundertjährigeu Jubiläum der Universität Leipzig

als Wohnhäuser für Professoren und Stiftungen noch fortdauerten; das Leben im
Zwange der Bursen verschmähten schon gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts
vermögende und ältere Studenten, indem sie es vorzogen, bei Bürgern in der
Stadt ihre Wohnungen (nospitis,) zu nehmen, die Bursen leerten sich allmählich:
die Meißner Burse stand schon 1522 leer und wurde 1534 abgebrochen. Vollends
seit der Reformation wohnten die Studenten fast durchweg in Bürgerhäusern, und
so ist es geblieben; das gehört gegenwärtig zur akademischen Freiheit.

Denn das klösterliche Zusammenleben in Kollegien und Bursen hing aufs
engste mit dem Verhältnis der Universität zur mittelalterlichen Kirche zusammen.
Auch dies war eine Pariser Erbschaft; die italienischen Universitäten waren
wesentlich weltliche Anstalten. Zunächst gehörte zur Errichtung einer Hochschule
ein päpstlicher Stiftungs- oder besser Einrichtungsbrief, den für Leipzig Papst
Alexander der Fünfte in Pisa unter dem 9. September 1409 ausstellte, denn
alle Lehre gehörte der Kirche oder stand wenigstens unter ihrer Aufsicht. Es
war daher üblich, die Professoren mit kirchlichen Pfründen auszustatten. Die
Lehre aber stand unter der Aufsicht eines Bischofs als Kanzler der Universität — in
Leipzig unter dem Bischof von Merseburg —, der die akademischen Grade ver¬
lieh, und diese Lehre war kirchlich bestimmt. Es war also keineswegs, wie heute,
die Aufgabe der Universitätslehrer, neue Wahrheiten zu finden und dazu ihre
Hörer anzuleiten, sondern vielmehr ihnen die feststehende, anerkannte Wahrheit
zu überliefern und sie zu ihrer Begründung oder Verteidigung geschickt zu machen,
beides selbstverständlich in der internationalen Kirchensprache, dem an den Hoch¬
schulen zur Sprache der Wissenschaft, der Schule ausgebildeten scholastischen Latein,
einer tatsächlich lebenden Sprache, die sich von dem antiken, klassischen Latein
vor allem in Wortschatz und Syntax wesentlich unterschied. Diese Überlieferung
der Lehre war Aufgabe der Vorlesungen und in allen Fakultäten an bestimmte
Bücher und ihre Auslegung geknüpft, in der philosophischen an eine Anzahl
von Schriften des Aristoteles in lateinischer Übersetzung, in der juristischen an
die Gesetzbücher Justinians und des kanonischen (kirchlichen) Rechts, in der
medizinischen an einige griechische (Galenus) und arabische Autoren, in der
theologischen an die Heilige Schrift (8g.org, pa^ing.) und die Dogmatik (LententjÄk)
des Petrus Lombardus. Zur logischen Verteidigung und Vegründnng der Lehren
sollten in allen Fakultäten die häufigen Disputationen Schulen. Dabei war die
Voraussetzung, namentlich in der philosophischen Fakultät, daß alle Professoren
über sämtliche Fächer ihrer Fakultät zu lesen hätten (sogenannte walzende Lektionen),
eine Einrichtung, die jedes tiefere selbständige Eindringen wenigstens sehr er¬
schwerte. Der Studiengang war selbstverständlich aufs genaueste vorgeschrieben,
es gab also so wenig eine Lern- wie eine Lehrfreiheit. Das Charakteristische ist
dabei die Stellung der philosophischen Fakultät. Sie war den „obern" Fakultäten
nicht gleich, sondern untergeordnet, eine Vorbereitungsanstalt, die auch die
Aufgaben der heutigen Oberklassen der Gymnasien zu lösen hatte, deshalb auch
Knaben aufnahm und in ihren sieben artes liberales (nicht Künsten, sondern


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[0159] Zum fünfhundertjährigeu Jubiläum der Universität Leipzig als Wohnhäuser für Professoren und Stiftungen noch fortdauerten; das Leben im Zwange der Bursen verschmähten schon gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts vermögende und ältere Studenten, indem sie es vorzogen, bei Bürgern in der Stadt ihre Wohnungen (nospitis,) zu nehmen, die Bursen leerten sich allmählich: die Meißner Burse stand schon 1522 leer und wurde 1534 abgebrochen. Vollends seit der Reformation wohnten die Studenten fast durchweg in Bürgerhäusern, und so ist es geblieben; das gehört gegenwärtig zur akademischen Freiheit. Denn das klösterliche Zusammenleben in Kollegien und Bursen hing aufs engste mit dem Verhältnis der Universität zur mittelalterlichen Kirche zusammen. Auch dies war eine Pariser Erbschaft; die italienischen Universitäten waren wesentlich weltliche Anstalten. Zunächst gehörte zur Errichtung einer Hochschule ein päpstlicher Stiftungs- oder besser Einrichtungsbrief, den für Leipzig Papst Alexander der Fünfte in Pisa unter dem 9. September 1409 ausstellte, denn alle Lehre gehörte der Kirche oder stand wenigstens unter ihrer Aufsicht. Es war daher üblich, die Professoren mit kirchlichen Pfründen auszustatten. Die Lehre aber stand unter der Aufsicht eines Bischofs als Kanzler der Universität — in Leipzig unter dem Bischof von Merseburg —, der die akademischen Grade ver¬ lieh, und diese Lehre war kirchlich bestimmt. Es war also keineswegs, wie heute, die Aufgabe der Universitätslehrer, neue Wahrheiten zu finden und dazu ihre Hörer anzuleiten, sondern vielmehr ihnen die feststehende, anerkannte Wahrheit zu überliefern und sie zu ihrer Begründung oder Verteidigung geschickt zu machen, beides selbstverständlich in der internationalen Kirchensprache, dem an den Hoch¬ schulen zur Sprache der Wissenschaft, der Schule ausgebildeten scholastischen Latein, einer tatsächlich lebenden Sprache, die sich von dem antiken, klassischen Latein vor allem in Wortschatz und Syntax wesentlich unterschied. Diese Überlieferung der Lehre war Aufgabe der Vorlesungen und in allen Fakultäten an bestimmte Bücher und ihre Auslegung geknüpft, in der philosophischen an eine Anzahl von Schriften des Aristoteles in lateinischer Übersetzung, in der juristischen an die Gesetzbücher Justinians und des kanonischen (kirchlichen) Rechts, in der medizinischen an einige griechische (Galenus) und arabische Autoren, in der theologischen an die Heilige Schrift (8g.org, pa^ing.) und die Dogmatik (LententjÄk) des Petrus Lombardus. Zur logischen Verteidigung und Vegründnng der Lehren sollten in allen Fakultäten die häufigen Disputationen Schulen. Dabei war die Voraussetzung, namentlich in der philosophischen Fakultät, daß alle Professoren über sämtliche Fächer ihrer Fakultät zu lesen hätten (sogenannte walzende Lektionen), eine Einrichtung, die jedes tiefere selbständige Eindringen wenigstens sehr er¬ schwerte. Der Studiengang war selbstverständlich aufs genaueste vorgeschrieben, es gab also so wenig eine Lern- wie eine Lehrfreiheit. Das Charakteristische ist dabei die Stellung der philosophischen Fakultät. Sie war den „obern" Fakultäten nicht gleich, sondern untergeordnet, eine Vorbereitungsanstalt, die auch die Aufgaben der heutigen Oberklassen der Gymnasien zu lösen hatte, deshalb auch Knaben aufnahm und in ihren sieben artes liberales (nicht Künsten, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/159>, abgerufen am 22.12.2024.