Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zum fimfhuudertjährigen Jubiläum der Universität Leipzig

in Nationen, Landsmannschaften nach der Herkunft, denn die Hochschule war
ein swäiuin Mner-ne, eine für die weitesten Kreise berechnete Anstalt, und das
Ganze bildete eine autonome Korporation unter dem jährlich oder halbjährlich
wechselnden Rektor mit reichem Grundbesitz und selbständiger Gerichtsbarkeit
über alle ihre Angehörigen. Diese Verfassung war nach Prag übertragen worden
und von dort nach Leipzig; hier standen also Universität und Stadtgemeinde
als zwei selbständige Gemeinwesen, zwei gleichberechtigte respublioae neben¬
einander, was zu zahllosen Konflikten Veranlassung gegeben hat, nur die Nationen
wurden anders geordnet als in Prag; in Leipzig gab es eine meißnische und
sächsische (für norddeutsche und Skandinavier), bayrische (Süddeutsche) und
polnische (wesentlich deutsche Schlesier). Diese Einteilung wurde, je mehr sich
der Kreis der Besucher verengte, um so bedeutungsloser und deshalb 1834 ganz
aufgehoben; die vier Fakultäten haben sich bis zur Gegenwart erhalten. Ebenso
hat sich die Autonomie der sich selbst verwaltenden Korporation bis zu einem
gewissen Grade behauptet; aber der Einfluß des Staates ist stärker geworden,
weil die Universität trotz ihres großen Besitzes nicht mehr imstande ist, sich selbst
zu erhalten, sondern auf die Beihilfe des Staates augewiesen ist; die akademische
Gerichtsbarkeit beschränkte sich allmählich auf die Studenten und schließlich auch
in Beziehung auf diese auf Disziplinarfälle.

Innerhalb dieser großen Korporationen gab es eine Reihe kleinerer, die
Kollegien für Professoren unter einem Prokurator, die Bursen für die Studenten,
namentlich für jüngere Studenten, unter Leitung eines Magisters, alle beide
eingerichtet für ein fast klösterliches Zusammenleben der Insassen, die alle
unbeweibt waren. Jedes Kollegium war mit festen Einkünften für eine Anzahl
älterer Professoren ausgestattet. Leipzig besaß von Anfang an das große Fürsten¬
kollegium an der Ritterstraße an Stelle der alten Buchhändlerbörse (Konvikt),
das kleine an der Petersstraße, jenes für zwölf, dieses für acht Professoren
der vier Nationen, daneben das schlesische Frauenkollegium am Brühl (Leatag
Ug,rig,s virginis). Als die philosophische Fakultät 1503 das kleine Kollegium
an die Juristen abtrat (das -luriäivum), erhielt sie dafür 1515 das neue oder
rote Kolleg an der Ritterstraße, das ihr die Stadt baute. Hier lagen auch die
meisten Studentenbursen, die Lursg, l^of-rio", 8g,xoiü<zg., misniva, sodaß die
Gegend zwischen Ritter- und Nikolaistraße das eigentliche Universitütsviertel, das
(juaitior latin von Leipzig war. Ein allgemeines Universitätsgebäude gab es
hier so wenig wie anderwärts; die Vorlesungen fanden vielmehr in den Kollegien
statt. Die Theologen lasen im Dominikanerkloster zu Se. Pauli, also ganz in
der Nähe des Universitätsviertels. Von allen diesen Instituten sind heute uur
noch Reste übrig. Das LoIIsZium juriäiov.ni besteht nur noch fort als Eigentum
der juristischen Fakultät und dient vor allem für ihre Prüfungen, das Frauen¬
kolleg ist auf eine Stiftung für Professoren schlesischer Abkunft (imtiomg
I>olomog.s) beschränkt; die Ehelosigkeit der Professoren hat mit der Reformation
aufgehört und damit auch das klösterliche Zusammenleben, obwohl die Kollegien


Zum fimfhuudertjährigen Jubiläum der Universität Leipzig

in Nationen, Landsmannschaften nach der Herkunft, denn die Hochschule war
ein swäiuin Mner-ne, eine für die weitesten Kreise berechnete Anstalt, und das
Ganze bildete eine autonome Korporation unter dem jährlich oder halbjährlich
wechselnden Rektor mit reichem Grundbesitz und selbständiger Gerichtsbarkeit
über alle ihre Angehörigen. Diese Verfassung war nach Prag übertragen worden
und von dort nach Leipzig; hier standen also Universität und Stadtgemeinde
als zwei selbständige Gemeinwesen, zwei gleichberechtigte respublioae neben¬
einander, was zu zahllosen Konflikten Veranlassung gegeben hat, nur die Nationen
wurden anders geordnet als in Prag; in Leipzig gab es eine meißnische und
sächsische (für norddeutsche und Skandinavier), bayrische (Süddeutsche) und
polnische (wesentlich deutsche Schlesier). Diese Einteilung wurde, je mehr sich
der Kreis der Besucher verengte, um so bedeutungsloser und deshalb 1834 ganz
aufgehoben; die vier Fakultäten haben sich bis zur Gegenwart erhalten. Ebenso
hat sich die Autonomie der sich selbst verwaltenden Korporation bis zu einem
gewissen Grade behauptet; aber der Einfluß des Staates ist stärker geworden,
weil die Universität trotz ihres großen Besitzes nicht mehr imstande ist, sich selbst
zu erhalten, sondern auf die Beihilfe des Staates augewiesen ist; die akademische
Gerichtsbarkeit beschränkte sich allmählich auf die Studenten und schließlich auch
in Beziehung auf diese auf Disziplinarfälle.

Innerhalb dieser großen Korporationen gab es eine Reihe kleinerer, die
Kollegien für Professoren unter einem Prokurator, die Bursen für die Studenten,
namentlich für jüngere Studenten, unter Leitung eines Magisters, alle beide
eingerichtet für ein fast klösterliches Zusammenleben der Insassen, die alle
unbeweibt waren. Jedes Kollegium war mit festen Einkünften für eine Anzahl
älterer Professoren ausgestattet. Leipzig besaß von Anfang an das große Fürsten¬
kollegium an der Ritterstraße an Stelle der alten Buchhändlerbörse (Konvikt),
das kleine an der Petersstraße, jenes für zwölf, dieses für acht Professoren
der vier Nationen, daneben das schlesische Frauenkollegium am Brühl (Leatag
Ug,rig,s virginis). Als die philosophische Fakultät 1503 das kleine Kollegium
an die Juristen abtrat (das -luriäivum), erhielt sie dafür 1515 das neue oder
rote Kolleg an der Ritterstraße, das ihr die Stadt baute. Hier lagen auch die
meisten Studentenbursen, die Lursg, l^of-rio», 8g,xoiü<zg., misniva, sodaß die
Gegend zwischen Ritter- und Nikolaistraße das eigentliche Universitütsviertel, das
(juaitior latin von Leipzig war. Ein allgemeines Universitätsgebäude gab es
hier so wenig wie anderwärts; die Vorlesungen fanden vielmehr in den Kollegien
statt. Die Theologen lasen im Dominikanerkloster zu Se. Pauli, also ganz in
der Nähe des Universitätsviertels. Von allen diesen Instituten sind heute uur
noch Reste übrig. Das LoIIsZium juriäiov.ni besteht nur noch fort als Eigentum
der juristischen Fakultät und dient vor allem für ihre Prüfungen, das Frauen¬
kolleg ist auf eine Stiftung für Professoren schlesischer Abkunft (imtiomg
I>olomog.s) beschränkt; die Ehelosigkeit der Professoren hat mit der Reformation
aufgehört und damit auch das klösterliche Zusammenleben, obwohl die Kollegien


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313861"/>
          <fw type="header" place="top"> Zum fimfhuudertjährigen Jubiläum der Universität Leipzig</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_628" prev="#ID_627"> in Nationen, Landsmannschaften nach der Herkunft, denn die Hochschule war<lb/>
ein swäiuin Mner-ne, eine für die weitesten Kreise berechnete Anstalt, und das<lb/>
Ganze bildete eine autonome Korporation unter dem jährlich oder halbjährlich<lb/>
wechselnden Rektor mit reichem Grundbesitz und selbständiger Gerichtsbarkeit<lb/>
über alle ihre Angehörigen. Diese Verfassung war nach Prag übertragen worden<lb/>
und von dort nach Leipzig; hier standen also Universität und Stadtgemeinde<lb/>
als zwei selbständige Gemeinwesen, zwei gleichberechtigte respublioae neben¬<lb/>
einander, was zu zahllosen Konflikten Veranlassung gegeben hat, nur die Nationen<lb/>
wurden anders geordnet als in Prag; in Leipzig gab es eine meißnische und<lb/>
sächsische (für norddeutsche und Skandinavier), bayrische (Süddeutsche) und<lb/>
polnische (wesentlich deutsche Schlesier). Diese Einteilung wurde, je mehr sich<lb/>
der Kreis der Besucher verengte, um so bedeutungsloser und deshalb 1834 ganz<lb/>
aufgehoben; die vier Fakultäten haben sich bis zur Gegenwart erhalten. Ebenso<lb/>
hat sich die Autonomie der sich selbst verwaltenden Korporation bis zu einem<lb/>
gewissen Grade behauptet; aber der Einfluß des Staates ist stärker geworden,<lb/>
weil die Universität trotz ihres großen Besitzes nicht mehr imstande ist, sich selbst<lb/>
zu erhalten, sondern auf die Beihilfe des Staates augewiesen ist; die akademische<lb/>
Gerichtsbarkeit beschränkte sich allmählich auf die Studenten und schließlich auch<lb/>
in Beziehung auf diese auf Disziplinarfälle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_629" next="#ID_630"> Innerhalb dieser großen Korporationen gab es eine Reihe kleinerer, die<lb/>
Kollegien für Professoren unter einem Prokurator, die Bursen für die Studenten,<lb/>
namentlich für jüngere Studenten, unter Leitung eines Magisters, alle beide<lb/>
eingerichtet für ein fast klösterliches Zusammenleben der Insassen, die alle<lb/>
unbeweibt waren. Jedes Kollegium war mit festen Einkünften für eine Anzahl<lb/>
älterer Professoren ausgestattet. Leipzig besaß von Anfang an das große Fürsten¬<lb/>
kollegium an der Ritterstraße an Stelle der alten Buchhändlerbörse (Konvikt),<lb/>
das kleine an der Petersstraße, jenes für zwölf, dieses für acht Professoren<lb/>
der vier Nationen, daneben das schlesische Frauenkollegium am Brühl (Leatag<lb/>
Ug,rig,s virginis). Als die philosophische Fakultät 1503 das kleine Kollegium<lb/>
an die Juristen abtrat (das -luriäivum), erhielt sie dafür 1515 das neue oder<lb/>
rote Kolleg an der Ritterstraße, das ihr die Stadt baute. Hier lagen auch die<lb/>
meisten Studentenbursen, die Lursg, l^of-rio», 8g,xoiü&lt;zg., misniva, sodaß die<lb/>
Gegend zwischen Ritter- und Nikolaistraße das eigentliche Universitütsviertel, das<lb/>
(juaitior latin von Leipzig war. Ein allgemeines Universitätsgebäude gab es<lb/>
hier so wenig wie anderwärts; die Vorlesungen fanden vielmehr in den Kollegien<lb/>
statt. Die Theologen lasen im Dominikanerkloster zu Se. Pauli, also ganz in<lb/>
der Nähe des Universitätsviertels. Von allen diesen Instituten sind heute uur<lb/>
noch Reste übrig. Das LoIIsZium juriäiov.ni besteht nur noch fort als Eigentum<lb/>
der juristischen Fakultät und dient vor allem für ihre Prüfungen, das Frauen¬<lb/>
kolleg ist auf eine Stiftung für Professoren schlesischer Abkunft (imtiomg<lb/>
I&gt;olomog.s) beschränkt; die Ehelosigkeit der Professoren hat mit der Reformation<lb/>
aufgehört und damit auch das klösterliche Zusammenleben, obwohl die Kollegien</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0158] Zum fimfhuudertjährigen Jubiläum der Universität Leipzig in Nationen, Landsmannschaften nach der Herkunft, denn die Hochschule war ein swäiuin Mner-ne, eine für die weitesten Kreise berechnete Anstalt, und das Ganze bildete eine autonome Korporation unter dem jährlich oder halbjährlich wechselnden Rektor mit reichem Grundbesitz und selbständiger Gerichtsbarkeit über alle ihre Angehörigen. Diese Verfassung war nach Prag übertragen worden und von dort nach Leipzig; hier standen also Universität und Stadtgemeinde als zwei selbständige Gemeinwesen, zwei gleichberechtigte respublioae neben¬ einander, was zu zahllosen Konflikten Veranlassung gegeben hat, nur die Nationen wurden anders geordnet als in Prag; in Leipzig gab es eine meißnische und sächsische (für norddeutsche und Skandinavier), bayrische (Süddeutsche) und polnische (wesentlich deutsche Schlesier). Diese Einteilung wurde, je mehr sich der Kreis der Besucher verengte, um so bedeutungsloser und deshalb 1834 ganz aufgehoben; die vier Fakultäten haben sich bis zur Gegenwart erhalten. Ebenso hat sich die Autonomie der sich selbst verwaltenden Korporation bis zu einem gewissen Grade behauptet; aber der Einfluß des Staates ist stärker geworden, weil die Universität trotz ihres großen Besitzes nicht mehr imstande ist, sich selbst zu erhalten, sondern auf die Beihilfe des Staates augewiesen ist; die akademische Gerichtsbarkeit beschränkte sich allmählich auf die Studenten und schließlich auch in Beziehung auf diese auf Disziplinarfälle. Innerhalb dieser großen Korporationen gab es eine Reihe kleinerer, die Kollegien für Professoren unter einem Prokurator, die Bursen für die Studenten, namentlich für jüngere Studenten, unter Leitung eines Magisters, alle beide eingerichtet für ein fast klösterliches Zusammenleben der Insassen, die alle unbeweibt waren. Jedes Kollegium war mit festen Einkünften für eine Anzahl älterer Professoren ausgestattet. Leipzig besaß von Anfang an das große Fürsten¬ kollegium an der Ritterstraße an Stelle der alten Buchhändlerbörse (Konvikt), das kleine an der Petersstraße, jenes für zwölf, dieses für acht Professoren der vier Nationen, daneben das schlesische Frauenkollegium am Brühl (Leatag Ug,rig,s virginis). Als die philosophische Fakultät 1503 das kleine Kollegium an die Juristen abtrat (das -luriäivum), erhielt sie dafür 1515 das neue oder rote Kolleg an der Ritterstraße, das ihr die Stadt baute. Hier lagen auch die meisten Studentenbursen, die Lursg, l^of-rio», 8g,xoiü<zg., misniva, sodaß die Gegend zwischen Ritter- und Nikolaistraße das eigentliche Universitütsviertel, das (juaitior latin von Leipzig war. Ein allgemeines Universitätsgebäude gab es hier so wenig wie anderwärts; die Vorlesungen fanden vielmehr in den Kollegien statt. Die Theologen lasen im Dominikanerkloster zu Se. Pauli, also ganz in der Nähe des Universitätsviertels. Von allen diesen Instituten sind heute uur noch Reste übrig. Das LoIIsZium juriäiov.ni besteht nur noch fort als Eigentum der juristischen Fakultät und dient vor allem für ihre Prüfungen, das Frauen¬ kolleg ist auf eine Stiftung für Professoren schlesischer Abkunft (imtiomg I>olomog.s) beschränkt; die Ehelosigkeit der Professoren hat mit der Reformation aufgehört und damit auch das klösterliche Zusammenleben, obwohl die Kollegien

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/158
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/158>, abgerufen am 22.07.2024.