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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Johannes "Lalvin in seinen Briefen

Vertrauen auf denselben Mittler an, der gleiche Geist der Gotteskindschaft ist
uns ein Unterpfand unsers zukünftigen Erbes, durch das gleiche Opfer hat Christus
uns alle versöhnt, auf die gleiche Gerechtigkeit, die er uns erworben, verlassen
sich unsre Herzen, desselben Hauptes rühmen wir uns. Da wäre es doch wunder¬
lich, wenn Christus, den wir als unsern Frieden preisen, der aller Fest ein End
gemacht, Gott im Himmel uns gnädig gestimmt hat, nicht auch das bewirkte,
daß wir auch auf Erden brüderlich Frieden halten" (II, 129). Wer möchte es
heute nicht beklagen, daß solche Worte damals in unsrer lutherischen Kirche keinen
Widerhall gefunden haben! In späterer Zeit, als die Einigung mit Deutschland
immer unwahrscheinlicher wurde, sucht Calvin mit der gleichen Entschiedenheit
wenigstens die Schweizer Theologen zu herzlicher Einmütigkeit zu führen. Und
in den letzten Jahren ist er vor allem bemüht, die sich bildende Hugenotten¬
kirche in Frankreich, der er sich durch seine französische Herkunft ja ganz besonders
verpflichtet fühlte, mit allen Kräften zu fördern, sie in lebendigem evangelischem
Glauben und in Einheit des Geistes zu erbauen. Die Trost- und Mahnbriefe
an die Evangelischen in Frankreich, mit dem heiligen Ernste und der tiefen
Liebe des wahren Seelsorgers geschrieben, gehören mit zu dem schönsten, was
uns die Sammlung bietet; sie verdienten, jedem evangelischen Christen bekannt
zu werden.

Es wäre eine schöne Aufgabe, noch deutlicher das Bild des großen edeln
Menschen und wahren Christen Calvin zu zeichnen, wie es in diesen Briefen
vor uns steht, das herrliche Verhältnis zu seinen Freunden, das uns an den:
leidenschaftlichen, düstern Manne doch auch so viel liebenswürdiges und sogar
manchen Zug des Humors offenbart, sein kurzes mit viel Leid heimgesuchtes
und doch glückliches Eheleben, und den ganzen Mann selbst voll unerschütter¬
licher Zuversicht und tiefer Demut vor Gott, unbedingt offen gegen die andern
und solche Offenheit auch von ihnen fordernd, stets vornehm in der Gesinnung
auch jedem ehrlichen Feinde gegenüber, das erfahrne Unrecht gern vergessend,
das erfahrne Gute in dankbarem Herzen bewahrend, in großartiger Selbstlosig¬
keit niemals sein Behagen suchend, sondern im Dienste der andern sich ver¬
zehrend -- doch wir müssen uns im Nahmen dieser Anzeige mit solchen An¬
deutungen begnügen. Möchten viele selbst zu dem Werke greifen und dieses Bild
eines großen und ganzen Mannes daraus vor sich lebendig werden lassen, eines
Mannes, der, wie Wernle am Schlüsse seines Geleitwortes sagt, "trotz aller seiner
Schwächen und Sünden eine verkörperte Energie des Guten gegen das Böse
gewesen ist, in der dogmatischen und kirchlichen Gebundenheit seiner Zeit das
Gewissen in Person, und mehr als das, eine wenn auch unvollkommne Offenbarung
jenes Guten, das nicht nur Gedanke, sondern die einzige Macht der Wirklichkeit
zu sein verlangt".

Ein Wort nur noch über die Arbeit des Herausgebers. Die Übersetzung
der 759 zum Teil sehr umfänglichen Briefe in klares, angenehm zu lesendes
Deutsch ist an sich eine solche bewundernswerte Leistung, daß man sich scheut,


Johannes «Lalvin in seinen Briefen

Vertrauen auf denselben Mittler an, der gleiche Geist der Gotteskindschaft ist
uns ein Unterpfand unsers zukünftigen Erbes, durch das gleiche Opfer hat Christus
uns alle versöhnt, auf die gleiche Gerechtigkeit, die er uns erworben, verlassen
sich unsre Herzen, desselben Hauptes rühmen wir uns. Da wäre es doch wunder¬
lich, wenn Christus, den wir als unsern Frieden preisen, der aller Fest ein End
gemacht, Gott im Himmel uns gnädig gestimmt hat, nicht auch das bewirkte,
daß wir auch auf Erden brüderlich Frieden halten" (II, 129). Wer möchte es
heute nicht beklagen, daß solche Worte damals in unsrer lutherischen Kirche keinen
Widerhall gefunden haben! In späterer Zeit, als die Einigung mit Deutschland
immer unwahrscheinlicher wurde, sucht Calvin mit der gleichen Entschiedenheit
wenigstens die Schweizer Theologen zu herzlicher Einmütigkeit zu führen. Und
in den letzten Jahren ist er vor allem bemüht, die sich bildende Hugenotten¬
kirche in Frankreich, der er sich durch seine französische Herkunft ja ganz besonders
verpflichtet fühlte, mit allen Kräften zu fördern, sie in lebendigem evangelischem
Glauben und in Einheit des Geistes zu erbauen. Die Trost- und Mahnbriefe
an die Evangelischen in Frankreich, mit dem heiligen Ernste und der tiefen
Liebe des wahren Seelsorgers geschrieben, gehören mit zu dem schönsten, was
uns die Sammlung bietet; sie verdienten, jedem evangelischen Christen bekannt
zu werden.

Es wäre eine schöne Aufgabe, noch deutlicher das Bild des großen edeln
Menschen und wahren Christen Calvin zu zeichnen, wie es in diesen Briefen
vor uns steht, das herrliche Verhältnis zu seinen Freunden, das uns an den:
leidenschaftlichen, düstern Manne doch auch so viel liebenswürdiges und sogar
manchen Zug des Humors offenbart, sein kurzes mit viel Leid heimgesuchtes
und doch glückliches Eheleben, und den ganzen Mann selbst voll unerschütter¬
licher Zuversicht und tiefer Demut vor Gott, unbedingt offen gegen die andern
und solche Offenheit auch von ihnen fordernd, stets vornehm in der Gesinnung
auch jedem ehrlichen Feinde gegenüber, das erfahrne Unrecht gern vergessend,
das erfahrne Gute in dankbarem Herzen bewahrend, in großartiger Selbstlosig¬
keit niemals sein Behagen suchend, sondern im Dienste der andern sich ver¬
zehrend — doch wir müssen uns im Nahmen dieser Anzeige mit solchen An¬
deutungen begnügen. Möchten viele selbst zu dem Werke greifen und dieses Bild
eines großen und ganzen Mannes daraus vor sich lebendig werden lassen, eines
Mannes, der, wie Wernle am Schlüsse seines Geleitwortes sagt, „trotz aller seiner
Schwächen und Sünden eine verkörperte Energie des Guten gegen das Böse
gewesen ist, in der dogmatischen und kirchlichen Gebundenheit seiner Zeit das
Gewissen in Person, und mehr als das, eine wenn auch unvollkommne Offenbarung
jenes Guten, das nicht nur Gedanke, sondern die einzige Macht der Wirklichkeit
zu sein verlangt".

Ein Wort nur noch über die Arbeit des Herausgebers. Die Übersetzung
der 759 zum Teil sehr umfänglichen Briefe in klares, angenehm zu lesendes
Deutsch ist an sich eine solche bewundernswerte Leistung, daß man sich scheut,


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[0136] Johannes «Lalvin in seinen Briefen Vertrauen auf denselben Mittler an, der gleiche Geist der Gotteskindschaft ist uns ein Unterpfand unsers zukünftigen Erbes, durch das gleiche Opfer hat Christus uns alle versöhnt, auf die gleiche Gerechtigkeit, die er uns erworben, verlassen sich unsre Herzen, desselben Hauptes rühmen wir uns. Da wäre es doch wunder¬ lich, wenn Christus, den wir als unsern Frieden preisen, der aller Fest ein End gemacht, Gott im Himmel uns gnädig gestimmt hat, nicht auch das bewirkte, daß wir auch auf Erden brüderlich Frieden halten" (II, 129). Wer möchte es heute nicht beklagen, daß solche Worte damals in unsrer lutherischen Kirche keinen Widerhall gefunden haben! In späterer Zeit, als die Einigung mit Deutschland immer unwahrscheinlicher wurde, sucht Calvin mit der gleichen Entschiedenheit wenigstens die Schweizer Theologen zu herzlicher Einmütigkeit zu führen. Und in den letzten Jahren ist er vor allem bemüht, die sich bildende Hugenotten¬ kirche in Frankreich, der er sich durch seine französische Herkunft ja ganz besonders verpflichtet fühlte, mit allen Kräften zu fördern, sie in lebendigem evangelischem Glauben und in Einheit des Geistes zu erbauen. Die Trost- und Mahnbriefe an die Evangelischen in Frankreich, mit dem heiligen Ernste und der tiefen Liebe des wahren Seelsorgers geschrieben, gehören mit zu dem schönsten, was uns die Sammlung bietet; sie verdienten, jedem evangelischen Christen bekannt zu werden. Es wäre eine schöne Aufgabe, noch deutlicher das Bild des großen edeln Menschen und wahren Christen Calvin zu zeichnen, wie es in diesen Briefen vor uns steht, das herrliche Verhältnis zu seinen Freunden, das uns an den: leidenschaftlichen, düstern Manne doch auch so viel liebenswürdiges und sogar manchen Zug des Humors offenbart, sein kurzes mit viel Leid heimgesuchtes und doch glückliches Eheleben, und den ganzen Mann selbst voll unerschütter¬ licher Zuversicht und tiefer Demut vor Gott, unbedingt offen gegen die andern und solche Offenheit auch von ihnen fordernd, stets vornehm in der Gesinnung auch jedem ehrlichen Feinde gegenüber, das erfahrne Unrecht gern vergessend, das erfahrne Gute in dankbarem Herzen bewahrend, in großartiger Selbstlosig¬ keit niemals sein Behagen suchend, sondern im Dienste der andern sich ver¬ zehrend — doch wir müssen uns im Nahmen dieser Anzeige mit solchen An¬ deutungen begnügen. Möchten viele selbst zu dem Werke greifen und dieses Bild eines großen und ganzen Mannes daraus vor sich lebendig werden lassen, eines Mannes, der, wie Wernle am Schlüsse seines Geleitwortes sagt, „trotz aller seiner Schwächen und Sünden eine verkörperte Energie des Guten gegen das Böse gewesen ist, in der dogmatischen und kirchlichen Gebundenheit seiner Zeit das Gewissen in Person, und mehr als das, eine wenn auch unvollkommne Offenbarung jenes Guten, das nicht nur Gedanke, sondern die einzige Macht der Wirklichkeit zu sein verlangt". Ein Wort nur noch über die Arbeit des Herausgebers. Die Übersetzung der 759 zum Teil sehr umfänglichen Briefe in klares, angenehm zu lesendes Deutsch ist an sich eine solche bewundernswerte Leistung, daß man sich scheut,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/136>, abgerufen am 22.07.2024.