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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Johannes Calvin in seinen Briefen

und ratend einzugreifen, wo er glauben konnte, mit seinen Worten etwas bei¬
tragen zu können zur Förderung des großen Reformationswerkes. Darin ist es
begründet, daß er einzelnen seiner Kommentare bedeutungsvolle Widmungsschreiben
mitgibt an Fürsten, von denen er Großes für die evangelische Sache erwartete:
an Herzog Christoph von Württemberg, den Herzog von Somerset, König Eduard
und Königin Elisabeth von England, die Könige von Polen, von Dünemark,
von Navarra, von Schweden. Daß es sich hier nicht um leere Höflichkeits¬
bezeugungen handelt, beweisen außer den Widmungsbriefen selbst zur Genüge
die andern Schreiben, in denen er sich an diese Herrscher und ihre Ratgeber
wendet, bald zum rechten Eifer durchgreifender Reform mahnend und eine Fülle
von Ratschlägen erteilend (zum Beispiel das großartige Schreiben über die
Neformationsmethode an den Herzog von Somerset, I, 318 ff.), bald im kühnsten
Freimut Lauheit oder Leichtsinn der Großen tadelnd (wie schreibt er an den
König von Navarra! II, 222. 353, 391), bald als Anwalt der schuldlos verfolgten
Glaubensbrüder vor sie tretend.

Wie in diesen Schreiben an die evangelischen Fürsten, so treibt ihn auch
im brieflichen Verkehr mit befreundeten oder gegnerischen Theologen und mit
evangelischen Gemeinden, an die er sich wendet, überall der eine Gedanke, den
Bau der wahren Kirche zu fördern und alle rechten Christen zur Einheit des
Geistes zusammenzuführen. All den unseligen Zwiespalt, der so bald die Evan¬
gelischen auseinanderriß, zu überwinden, hat sich vielleicht keiner treuer, an¬
haltender bemüht als Calvin; er ist geradezu das lebendige Gewissen des
Protestantismus in jener Zeit gewesen, das unablässig mahnte, neben der
Wahrheit die Einigkeit über alles zu achten (I, 72, 195). Im Anfang, besonders
in seiner Straßburger Zeit, hofft er immer noch auf eine Einigung zwischen der
deutschen und der schweizerischen Reformation. Melanchthon hat er bis zuletzt
verehrungsvolle Freundschaft entgegengebracht, obwohl ihn dessen Scheu, sich
ganz offen über einige seiner theologischen Gedanken auszusprechen, tief kränkte,
weil ihm dadurch vor allem die Möglichkeit einer Einigung mit der deutschen
Kirche verhindert schien. Und wie gerecht hat er auch Luther trotz dessen leiden¬
schaftlicher Absage an die Schweizer Theologen stets beurteilt. "Das ist mein
Wunsch, schreibt er 1544 an den Züricher Bullinger (I, 200 f.), daß ihr euch
darauf besinnt, welch großer Mann Luther doch ist, durch welch außerordentliche
Geistesgaben er sich auszeichnet, wie tapfer und unerschütterlich, wie geschickt,
wie gelehrt und wirksam er bisher immer gearbeitet hat an der Zerstörung der
Herrschaft des Antichrists und an der Ausbreitung der Lehre zur Seligkeit. Ich
Habs schon oft gesagt: Wenn er mich den Teufel Scholle, ich würde ihm doch
die Ehre antun, ihn für einen ganz hervorragenden Knecht Gottes zu halten,
der freilich auch an großen Fehlern leidet, wie er an herrlichen Tugenden reich
ist." Noch 1554 widmet er seinen Genesiskommentar den sächsischen Prinzen,
die Widmung wird aber abgelehnt; und 1556 schreibt er an die sächsischen
Theologen die schönen Worte: "Den einen Gott, unsern Vater, rufen wir im


Johannes Calvin in seinen Briefen

und ratend einzugreifen, wo er glauben konnte, mit seinen Worten etwas bei¬
tragen zu können zur Förderung des großen Reformationswerkes. Darin ist es
begründet, daß er einzelnen seiner Kommentare bedeutungsvolle Widmungsschreiben
mitgibt an Fürsten, von denen er Großes für die evangelische Sache erwartete:
an Herzog Christoph von Württemberg, den Herzog von Somerset, König Eduard
und Königin Elisabeth von England, die Könige von Polen, von Dünemark,
von Navarra, von Schweden. Daß es sich hier nicht um leere Höflichkeits¬
bezeugungen handelt, beweisen außer den Widmungsbriefen selbst zur Genüge
die andern Schreiben, in denen er sich an diese Herrscher und ihre Ratgeber
wendet, bald zum rechten Eifer durchgreifender Reform mahnend und eine Fülle
von Ratschlägen erteilend (zum Beispiel das großartige Schreiben über die
Neformationsmethode an den Herzog von Somerset, I, 318 ff.), bald im kühnsten
Freimut Lauheit oder Leichtsinn der Großen tadelnd (wie schreibt er an den
König von Navarra! II, 222. 353, 391), bald als Anwalt der schuldlos verfolgten
Glaubensbrüder vor sie tretend.

Wie in diesen Schreiben an die evangelischen Fürsten, so treibt ihn auch
im brieflichen Verkehr mit befreundeten oder gegnerischen Theologen und mit
evangelischen Gemeinden, an die er sich wendet, überall der eine Gedanke, den
Bau der wahren Kirche zu fördern und alle rechten Christen zur Einheit des
Geistes zusammenzuführen. All den unseligen Zwiespalt, der so bald die Evan¬
gelischen auseinanderriß, zu überwinden, hat sich vielleicht keiner treuer, an¬
haltender bemüht als Calvin; er ist geradezu das lebendige Gewissen des
Protestantismus in jener Zeit gewesen, das unablässig mahnte, neben der
Wahrheit die Einigkeit über alles zu achten (I, 72, 195). Im Anfang, besonders
in seiner Straßburger Zeit, hofft er immer noch auf eine Einigung zwischen der
deutschen und der schweizerischen Reformation. Melanchthon hat er bis zuletzt
verehrungsvolle Freundschaft entgegengebracht, obwohl ihn dessen Scheu, sich
ganz offen über einige seiner theologischen Gedanken auszusprechen, tief kränkte,
weil ihm dadurch vor allem die Möglichkeit einer Einigung mit der deutschen
Kirche verhindert schien. Und wie gerecht hat er auch Luther trotz dessen leiden¬
schaftlicher Absage an die Schweizer Theologen stets beurteilt. „Das ist mein
Wunsch, schreibt er 1544 an den Züricher Bullinger (I, 200 f.), daß ihr euch
darauf besinnt, welch großer Mann Luther doch ist, durch welch außerordentliche
Geistesgaben er sich auszeichnet, wie tapfer und unerschütterlich, wie geschickt,
wie gelehrt und wirksam er bisher immer gearbeitet hat an der Zerstörung der
Herrschaft des Antichrists und an der Ausbreitung der Lehre zur Seligkeit. Ich
Habs schon oft gesagt: Wenn er mich den Teufel Scholle, ich würde ihm doch
die Ehre antun, ihn für einen ganz hervorragenden Knecht Gottes zu halten,
der freilich auch an großen Fehlern leidet, wie er an herrlichen Tugenden reich
ist." Noch 1554 widmet er seinen Genesiskommentar den sächsischen Prinzen,
die Widmung wird aber abgelehnt; und 1556 schreibt er an die sächsischen
Theologen die schönen Worte: „Den einen Gott, unsern Vater, rufen wir im


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[0135] Johannes Calvin in seinen Briefen und ratend einzugreifen, wo er glauben konnte, mit seinen Worten etwas bei¬ tragen zu können zur Förderung des großen Reformationswerkes. Darin ist es begründet, daß er einzelnen seiner Kommentare bedeutungsvolle Widmungsschreiben mitgibt an Fürsten, von denen er Großes für die evangelische Sache erwartete: an Herzog Christoph von Württemberg, den Herzog von Somerset, König Eduard und Königin Elisabeth von England, die Könige von Polen, von Dünemark, von Navarra, von Schweden. Daß es sich hier nicht um leere Höflichkeits¬ bezeugungen handelt, beweisen außer den Widmungsbriefen selbst zur Genüge die andern Schreiben, in denen er sich an diese Herrscher und ihre Ratgeber wendet, bald zum rechten Eifer durchgreifender Reform mahnend und eine Fülle von Ratschlägen erteilend (zum Beispiel das großartige Schreiben über die Neformationsmethode an den Herzog von Somerset, I, 318 ff.), bald im kühnsten Freimut Lauheit oder Leichtsinn der Großen tadelnd (wie schreibt er an den König von Navarra! II, 222. 353, 391), bald als Anwalt der schuldlos verfolgten Glaubensbrüder vor sie tretend. Wie in diesen Schreiben an die evangelischen Fürsten, so treibt ihn auch im brieflichen Verkehr mit befreundeten oder gegnerischen Theologen und mit evangelischen Gemeinden, an die er sich wendet, überall der eine Gedanke, den Bau der wahren Kirche zu fördern und alle rechten Christen zur Einheit des Geistes zusammenzuführen. All den unseligen Zwiespalt, der so bald die Evan¬ gelischen auseinanderriß, zu überwinden, hat sich vielleicht keiner treuer, an¬ haltender bemüht als Calvin; er ist geradezu das lebendige Gewissen des Protestantismus in jener Zeit gewesen, das unablässig mahnte, neben der Wahrheit die Einigkeit über alles zu achten (I, 72, 195). Im Anfang, besonders in seiner Straßburger Zeit, hofft er immer noch auf eine Einigung zwischen der deutschen und der schweizerischen Reformation. Melanchthon hat er bis zuletzt verehrungsvolle Freundschaft entgegengebracht, obwohl ihn dessen Scheu, sich ganz offen über einige seiner theologischen Gedanken auszusprechen, tief kränkte, weil ihm dadurch vor allem die Möglichkeit einer Einigung mit der deutschen Kirche verhindert schien. Und wie gerecht hat er auch Luther trotz dessen leiden¬ schaftlicher Absage an die Schweizer Theologen stets beurteilt. „Das ist mein Wunsch, schreibt er 1544 an den Züricher Bullinger (I, 200 f.), daß ihr euch darauf besinnt, welch großer Mann Luther doch ist, durch welch außerordentliche Geistesgaben er sich auszeichnet, wie tapfer und unerschütterlich, wie geschickt, wie gelehrt und wirksam er bisher immer gearbeitet hat an der Zerstörung der Herrschaft des Antichrists und an der Ausbreitung der Lehre zur Seligkeit. Ich Habs schon oft gesagt: Wenn er mich den Teufel Scholle, ich würde ihm doch die Ehre antun, ihn für einen ganz hervorragenden Knecht Gottes zu halten, der freilich auch an großen Fehlern leidet, wie er an herrlichen Tugenden reich ist." Noch 1554 widmet er seinen Genesiskommentar den sächsischen Prinzen, die Widmung wird aber abgelehnt; und 1556 schreibt er an die sächsischen Theologen die schönen Worte: „Den einen Gott, unsern Vater, rufen wir im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/135>, abgerufen am 23.07.2024.