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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Johannes "Lalvin in seinen Lriefett

Rücksichten dazu treibe", sondern wo er überzeugt ist, die Wahrheit verfechten
zu müssen, die Sache Gottes führen zu müssen mit heiligem Eifer. Das Bild,
das man aus den Briefen von den Feinden Calvins in Genf und von den
sittlichen Zuständen der Zeit überhaupt gewinnt, macht es deutlich, daß Calvin
mit der strengen Sittenzucht, die er durchzuführen bemüht war, jedenfalls
lediglich das Beste des Volkes, dem zu dienen er ganz wider seinen Willen
genötigt worden war, im Auge hatte. Ja selbst über einen Vorgang wie die
Verbrennung Servets lernt man doch etwas anders denken, wenn man ihn
hier genauer kennen lernt. So unmöglich es uns auch heute ist, ein solches
Ketzergericht irgendwie zu entschuldigen, man kann es doch begreifen, daß in
einer Zeit, wo ungezählte fromme, rechtschaffne Leute den Scheiterhaufen besteigen
mußten, deren einzige Schuld es war, sich von der römischen Kirche losgesagt zu
haben, der Rat von Genf in Übereinstimmung mit der ganzen Schweizer Kirche
als einen offenkundiger Verächter und Lästerer des Christenglaubens geltenden
Mann eines solchen Todes für wert erachtete. Wie Calvin selbst das furcht¬
bare, den Grundsatz der Gewissensfreiheit verleugnende Verfahren zu rechtfertigen
suchte, zeigen folgende Worte, die er damals schrieb: "Wenn doch die Papisten
so strenge, leidenschaftliche Schirmherren ihres Aberglaubens sind, daß sie in
furchtbarem Wüten das Blut Unschuldiger vergießen, so müßten ja christliche
Obrigkeiten sich schämen, wenn sie nicht den Mut hätten, die sichere Wahrheit
Zu schützen. Freilich gestehe ich, nichts wäre weniger nach meinem Sinn, als die
Maßlosigkeit ihres Wütens nachzuahmen. Aber ein gewisses Maß muß da sein,
damit nicht jeder Gottlose seine Lüsterungen ungestraft ausspeien darf, wenn
mans hindern kann" (I, 488).

Ist die ganze Wirksamkeit Calvins von leidenschaftlichem Kampf erfüllt,
so spricht sich doch überall bei ihm, oft in ergreifender Weise, das tiefe Ver¬
langen nach Frieden aus. In der Widmung zu seinem Psalmenkommentar
(II, 175 ff.) gibt er einen Rückblick auf sein Leben, worin er zeigt, wie er
"von Natur etwas menschenscheu und schüchtern stets gern ein ruhiges Leben
im Schatten gehabt hätte" und sich in Verborgenheit habe zurückziehen wollen,
wie er aber überall geradezu gezwungen worden sei, an einflußreicher Stelle
zu arbeiten und zu kämpfen. Und öfters kehren in seinen Briefen Beteuerungen
wieder wie die: "Nur eins bitte ich dich, halte mich nicht für so ehrgeizig, daß
ich aus eigner Begier die Feinde und den Kampf suche. Nichts wäre mir
lieber als ruhige, wissenschaftliche Arbeit, wenn mir nur der, unter dessen
Kommando ich diene, Freiheit dazu gäbe" (I, 459). Überwältigend geradezu
aber tritt es uns aus den Briefen Calvins überhaupt entgegen, daß ihm alles
unfruchtbare Streiten verhaßt war, und daß der Kampf für ihn nur die eine
ihm selber schmerzliche Seite ist an der großen Lebensarbeit, die er sich auf¬
erlegt weiß und in deren Ausführung er seine Kraft verzehrt.

Was für ein Arbeiter ist dieser Manu gewesen! Sein Leben lang hat er
zu ringen mit einem schwachen Körper; immer wieder ist in den Briefen von


Grenzboten II l 1909 ^
Johannes «Lalvin in seinen Lriefett

Rücksichten dazu treibe», sondern wo er überzeugt ist, die Wahrheit verfechten
zu müssen, die Sache Gottes führen zu müssen mit heiligem Eifer. Das Bild,
das man aus den Briefen von den Feinden Calvins in Genf und von den
sittlichen Zuständen der Zeit überhaupt gewinnt, macht es deutlich, daß Calvin
mit der strengen Sittenzucht, die er durchzuführen bemüht war, jedenfalls
lediglich das Beste des Volkes, dem zu dienen er ganz wider seinen Willen
genötigt worden war, im Auge hatte. Ja selbst über einen Vorgang wie die
Verbrennung Servets lernt man doch etwas anders denken, wenn man ihn
hier genauer kennen lernt. So unmöglich es uns auch heute ist, ein solches
Ketzergericht irgendwie zu entschuldigen, man kann es doch begreifen, daß in
einer Zeit, wo ungezählte fromme, rechtschaffne Leute den Scheiterhaufen besteigen
mußten, deren einzige Schuld es war, sich von der römischen Kirche losgesagt zu
haben, der Rat von Genf in Übereinstimmung mit der ganzen Schweizer Kirche
als einen offenkundiger Verächter und Lästerer des Christenglaubens geltenden
Mann eines solchen Todes für wert erachtete. Wie Calvin selbst das furcht¬
bare, den Grundsatz der Gewissensfreiheit verleugnende Verfahren zu rechtfertigen
suchte, zeigen folgende Worte, die er damals schrieb: „Wenn doch die Papisten
so strenge, leidenschaftliche Schirmherren ihres Aberglaubens sind, daß sie in
furchtbarem Wüten das Blut Unschuldiger vergießen, so müßten ja christliche
Obrigkeiten sich schämen, wenn sie nicht den Mut hätten, die sichere Wahrheit
Zu schützen. Freilich gestehe ich, nichts wäre weniger nach meinem Sinn, als die
Maßlosigkeit ihres Wütens nachzuahmen. Aber ein gewisses Maß muß da sein,
damit nicht jeder Gottlose seine Lüsterungen ungestraft ausspeien darf, wenn
mans hindern kann" (I, 488).

Ist die ganze Wirksamkeit Calvins von leidenschaftlichem Kampf erfüllt,
so spricht sich doch überall bei ihm, oft in ergreifender Weise, das tiefe Ver¬
langen nach Frieden aus. In der Widmung zu seinem Psalmenkommentar
(II, 175 ff.) gibt er einen Rückblick auf sein Leben, worin er zeigt, wie er
„von Natur etwas menschenscheu und schüchtern stets gern ein ruhiges Leben
im Schatten gehabt hätte" und sich in Verborgenheit habe zurückziehen wollen,
wie er aber überall geradezu gezwungen worden sei, an einflußreicher Stelle
zu arbeiten und zu kämpfen. Und öfters kehren in seinen Briefen Beteuerungen
wieder wie die: „Nur eins bitte ich dich, halte mich nicht für so ehrgeizig, daß
ich aus eigner Begier die Feinde und den Kampf suche. Nichts wäre mir
lieber als ruhige, wissenschaftliche Arbeit, wenn mir nur der, unter dessen
Kommando ich diene, Freiheit dazu gäbe" (I, 459). Überwältigend geradezu
aber tritt es uns aus den Briefen Calvins überhaupt entgegen, daß ihm alles
unfruchtbare Streiten verhaßt war, und daß der Kampf für ihn nur die eine
ihm selber schmerzliche Seite ist an der großen Lebensarbeit, die er sich auf¬
erlegt weiß und in deren Ausführung er seine Kraft verzehrt.

Was für ein Arbeiter ist dieser Manu gewesen! Sein Leben lang hat er
zu ringen mit einem schwachen Körper; immer wieder ist in den Briefen von


Grenzboten II l 1909 ^
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[0133] Johannes «Lalvin in seinen Lriefett Rücksichten dazu treibe», sondern wo er überzeugt ist, die Wahrheit verfechten zu müssen, die Sache Gottes führen zu müssen mit heiligem Eifer. Das Bild, das man aus den Briefen von den Feinden Calvins in Genf und von den sittlichen Zuständen der Zeit überhaupt gewinnt, macht es deutlich, daß Calvin mit der strengen Sittenzucht, die er durchzuführen bemüht war, jedenfalls lediglich das Beste des Volkes, dem zu dienen er ganz wider seinen Willen genötigt worden war, im Auge hatte. Ja selbst über einen Vorgang wie die Verbrennung Servets lernt man doch etwas anders denken, wenn man ihn hier genauer kennen lernt. So unmöglich es uns auch heute ist, ein solches Ketzergericht irgendwie zu entschuldigen, man kann es doch begreifen, daß in einer Zeit, wo ungezählte fromme, rechtschaffne Leute den Scheiterhaufen besteigen mußten, deren einzige Schuld es war, sich von der römischen Kirche losgesagt zu haben, der Rat von Genf in Übereinstimmung mit der ganzen Schweizer Kirche als einen offenkundiger Verächter und Lästerer des Christenglaubens geltenden Mann eines solchen Todes für wert erachtete. Wie Calvin selbst das furcht¬ bare, den Grundsatz der Gewissensfreiheit verleugnende Verfahren zu rechtfertigen suchte, zeigen folgende Worte, die er damals schrieb: „Wenn doch die Papisten so strenge, leidenschaftliche Schirmherren ihres Aberglaubens sind, daß sie in furchtbarem Wüten das Blut Unschuldiger vergießen, so müßten ja christliche Obrigkeiten sich schämen, wenn sie nicht den Mut hätten, die sichere Wahrheit Zu schützen. Freilich gestehe ich, nichts wäre weniger nach meinem Sinn, als die Maßlosigkeit ihres Wütens nachzuahmen. Aber ein gewisses Maß muß da sein, damit nicht jeder Gottlose seine Lüsterungen ungestraft ausspeien darf, wenn mans hindern kann" (I, 488). Ist die ganze Wirksamkeit Calvins von leidenschaftlichem Kampf erfüllt, so spricht sich doch überall bei ihm, oft in ergreifender Weise, das tiefe Ver¬ langen nach Frieden aus. In der Widmung zu seinem Psalmenkommentar (II, 175 ff.) gibt er einen Rückblick auf sein Leben, worin er zeigt, wie er „von Natur etwas menschenscheu und schüchtern stets gern ein ruhiges Leben im Schatten gehabt hätte" und sich in Verborgenheit habe zurückziehen wollen, wie er aber überall geradezu gezwungen worden sei, an einflußreicher Stelle zu arbeiten und zu kämpfen. Und öfters kehren in seinen Briefen Beteuerungen wieder wie die: „Nur eins bitte ich dich, halte mich nicht für so ehrgeizig, daß ich aus eigner Begier die Feinde und den Kampf suche. Nichts wäre mir lieber als ruhige, wissenschaftliche Arbeit, wenn mir nur der, unter dessen Kommando ich diene, Freiheit dazu gäbe" (I, 459). Überwältigend geradezu aber tritt es uns aus den Briefen Calvins überhaupt entgegen, daß ihm alles unfruchtbare Streiten verhaßt war, und daß der Kampf für ihn nur die eine ihm selber schmerzliche Seite ist an der großen Lebensarbeit, die er sich auf¬ erlegt weiß und in deren Ausführung er seine Kraft verzehrt. Was für ein Arbeiter ist dieser Manu gewesen! Sein Leben lang hat er zu ringen mit einem schwachen Körper; immer wieder ist in den Briefen von Grenzboten II l 1909 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/133>, abgerufen am 25.08.2024.