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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Kurpfuscher und soziale Pfuscher

Andre beliebte Pfuscherscherze sind die Diagnostik aus Augen und Haaren
und vor allem die "Neibesitzbäder". Das sind Ausartungen, vor denen man
die allzu Leichtgläubigen besonders warnen muß.

Um ihre Wohltaten unter dem Schein der Menschenliebe und Unentgelt¬
lichkeit zu verrichten, besteht bei vielen Pfuschern die Übung, nur "freiwillige
Gaben" anzunehmen, die irgendwo -- auf dem Küchentisch oder derartigen
Einrichtungen -- niedergelegt werden, während die verordneten Tränkchen für
ganz billiges Geld verkauft werden. Mit diesem Schein der Großmut und
Mildtätigkeit wird ein gewisser Nimbus erreicht, der nebenbei auch das Gute
haben soll, die Behandlung als eine unentgeltliche etwaigen gewerblichen Be¬
schränkungen zu entziehen.

In fast allen andern Kulturländern ist die Kurpfuscherei verboten, in
Deutschland blüht sie noch üppig. Aber die Aufklärung bricht sich, wenn
auch langsam, so doch sicher Bahn. Die Juristen, die man lange Zeit als
jedes ärztlichen Verständnisses bar gescholten hat, sind neuerdings in der
Gunst ihrer Kollegen von der andern Fakultät durch folgendes bemerkenswerte
und nur gutzuheißeude Gerichtserkenntnis gestiegen. In einem Prozeß gegen
eine Gesundbeterin auf Herausgabe des Honorars wegen Erfolglosigkeit ihrer
"Gebete" begründete das Gericht die Verurteilung folgendermaßen: "Es würde
mit gesunden sozialen Zuständen völlig unvereinbar sein, wenn der gewerbs¬
mäßige Abschluß von Verträgen rechtliche Anerkennung funde, bei denen der
Vertragswille der Parteien darauf gerichtet ist, daß die eine Partei gegen
feste Bezahlung ihr angeblich besonders enges Verhältnis zu Gott benutzen
soll, um einen angeblichen Eingriff übersinnlicher Kräfte in das Leben der
andern Partei herbeizuführen. Der Glaube, daß jemand kraft besondrer gött¬
licher Gnade in der Lage sei, die Kranken zu Heilen, mag in mehr oder minder
weiten Kreisen bestehen; die Anmaßung einer solchen Heilkraft aber in Ver¬
bindung mit der Ausübung eines sich auf diese Heilkraft gründenden, den
Gelderwerb bezweckenden Gewerbebetriebs widerstreitet dem allgemeinen Sitt¬
lichkeitsempfinden, zum mindesten der gebildeten Kreise, also der Kulturträger,
und kann daher rechtlichen Schutz nicht genießen. Außerdem erscheint das
öffentliche Interesse an einer geregelten Gesundheitspflege im Volke dadurch
gefährdet, daß durch den Einfluß der Onristian L<zi"znoö Kranke der sach¬
gemäßen und rechtzeitigen Behandlung durch den Arzt, den berufnen Hüter
der Gesundheit des Volkes, entzogen werden. Demnach muß Verträgen wie
dem zwischen Kläger und der Beklagten abgeschlossenen die rechtliche Aner¬
kennung versagt werden, und daraus folgt die Rückzahlungspflicht der Be¬
klagten



Ist aber wohl die Kurpfuscherei ein so ganz absonderliches ökonomisches
Gebiet? Oder drückt sich in ihrer weiten Verbreitung nicht vielmehr ein anti¬
soziales Prinzip aus, das sich in mancherlei Spielarten wiederfindet? Dieses


Kurpfuscher und soziale Pfuscher

Andre beliebte Pfuscherscherze sind die Diagnostik aus Augen und Haaren
und vor allem die „Neibesitzbäder". Das sind Ausartungen, vor denen man
die allzu Leichtgläubigen besonders warnen muß.

Um ihre Wohltaten unter dem Schein der Menschenliebe und Unentgelt¬
lichkeit zu verrichten, besteht bei vielen Pfuschern die Übung, nur „freiwillige
Gaben" anzunehmen, die irgendwo — auf dem Küchentisch oder derartigen
Einrichtungen — niedergelegt werden, während die verordneten Tränkchen für
ganz billiges Geld verkauft werden. Mit diesem Schein der Großmut und
Mildtätigkeit wird ein gewisser Nimbus erreicht, der nebenbei auch das Gute
haben soll, die Behandlung als eine unentgeltliche etwaigen gewerblichen Be¬
schränkungen zu entziehen.

In fast allen andern Kulturländern ist die Kurpfuscherei verboten, in
Deutschland blüht sie noch üppig. Aber die Aufklärung bricht sich, wenn
auch langsam, so doch sicher Bahn. Die Juristen, die man lange Zeit als
jedes ärztlichen Verständnisses bar gescholten hat, sind neuerdings in der
Gunst ihrer Kollegen von der andern Fakultät durch folgendes bemerkenswerte
und nur gutzuheißeude Gerichtserkenntnis gestiegen. In einem Prozeß gegen
eine Gesundbeterin auf Herausgabe des Honorars wegen Erfolglosigkeit ihrer
„Gebete" begründete das Gericht die Verurteilung folgendermaßen: „Es würde
mit gesunden sozialen Zuständen völlig unvereinbar sein, wenn der gewerbs¬
mäßige Abschluß von Verträgen rechtliche Anerkennung funde, bei denen der
Vertragswille der Parteien darauf gerichtet ist, daß die eine Partei gegen
feste Bezahlung ihr angeblich besonders enges Verhältnis zu Gott benutzen
soll, um einen angeblichen Eingriff übersinnlicher Kräfte in das Leben der
andern Partei herbeizuführen. Der Glaube, daß jemand kraft besondrer gött¬
licher Gnade in der Lage sei, die Kranken zu Heilen, mag in mehr oder minder
weiten Kreisen bestehen; die Anmaßung einer solchen Heilkraft aber in Ver¬
bindung mit der Ausübung eines sich auf diese Heilkraft gründenden, den
Gelderwerb bezweckenden Gewerbebetriebs widerstreitet dem allgemeinen Sitt¬
lichkeitsempfinden, zum mindesten der gebildeten Kreise, also der Kulturträger,
und kann daher rechtlichen Schutz nicht genießen. Außerdem erscheint das
öffentliche Interesse an einer geregelten Gesundheitspflege im Volke dadurch
gefährdet, daß durch den Einfluß der Onristian L<zi«znoö Kranke der sach¬
gemäßen und rechtzeitigen Behandlung durch den Arzt, den berufnen Hüter
der Gesundheit des Volkes, entzogen werden. Demnach muß Verträgen wie
dem zwischen Kläger und der Beklagten abgeschlossenen die rechtliche Aner¬
kennung versagt werden, und daraus folgt die Rückzahlungspflicht der Be¬
klagten



Ist aber wohl die Kurpfuscherei ein so ganz absonderliches ökonomisches
Gebiet? Oder drückt sich in ihrer weiten Verbreitung nicht vielmehr ein anti¬
soziales Prinzip aus, das sich in mancherlei Spielarten wiederfindet? Dieses


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[0127] Kurpfuscher und soziale Pfuscher Andre beliebte Pfuscherscherze sind die Diagnostik aus Augen und Haaren und vor allem die „Neibesitzbäder". Das sind Ausartungen, vor denen man die allzu Leichtgläubigen besonders warnen muß. Um ihre Wohltaten unter dem Schein der Menschenliebe und Unentgelt¬ lichkeit zu verrichten, besteht bei vielen Pfuschern die Übung, nur „freiwillige Gaben" anzunehmen, die irgendwo — auf dem Küchentisch oder derartigen Einrichtungen — niedergelegt werden, während die verordneten Tränkchen für ganz billiges Geld verkauft werden. Mit diesem Schein der Großmut und Mildtätigkeit wird ein gewisser Nimbus erreicht, der nebenbei auch das Gute haben soll, die Behandlung als eine unentgeltliche etwaigen gewerblichen Be¬ schränkungen zu entziehen. In fast allen andern Kulturländern ist die Kurpfuscherei verboten, in Deutschland blüht sie noch üppig. Aber die Aufklärung bricht sich, wenn auch langsam, so doch sicher Bahn. Die Juristen, die man lange Zeit als jedes ärztlichen Verständnisses bar gescholten hat, sind neuerdings in der Gunst ihrer Kollegen von der andern Fakultät durch folgendes bemerkenswerte und nur gutzuheißeude Gerichtserkenntnis gestiegen. In einem Prozeß gegen eine Gesundbeterin auf Herausgabe des Honorars wegen Erfolglosigkeit ihrer „Gebete" begründete das Gericht die Verurteilung folgendermaßen: „Es würde mit gesunden sozialen Zuständen völlig unvereinbar sein, wenn der gewerbs¬ mäßige Abschluß von Verträgen rechtliche Anerkennung funde, bei denen der Vertragswille der Parteien darauf gerichtet ist, daß die eine Partei gegen feste Bezahlung ihr angeblich besonders enges Verhältnis zu Gott benutzen soll, um einen angeblichen Eingriff übersinnlicher Kräfte in das Leben der andern Partei herbeizuführen. Der Glaube, daß jemand kraft besondrer gött¬ licher Gnade in der Lage sei, die Kranken zu Heilen, mag in mehr oder minder weiten Kreisen bestehen; die Anmaßung einer solchen Heilkraft aber in Ver¬ bindung mit der Ausübung eines sich auf diese Heilkraft gründenden, den Gelderwerb bezweckenden Gewerbebetriebs widerstreitet dem allgemeinen Sitt¬ lichkeitsempfinden, zum mindesten der gebildeten Kreise, also der Kulturträger, und kann daher rechtlichen Schutz nicht genießen. Außerdem erscheint das öffentliche Interesse an einer geregelten Gesundheitspflege im Volke dadurch gefährdet, daß durch den Einfluß der Onristian L<zi«znoö Kranke der sach¬ gemäßen und rechtzeitigen Behandlung durch den Arzt, den berufnen Hüter der Gesundheit des Volkes, entzogen werden. Demnach muß Verträgen wie dem zwischen Kläger und der Beklagten abgeschlossenen die rechtliche Aner¬ kennung versagt werden, und daraus folgt die Rückzahlungspflicht der Be¬ klagten Ist aber wohl die Kurpfuscherei ein so ganz absonderliches ökonomisches Gebiet? Oder drückt sich in ihrer weiten Verbreitung nicht vielmehr ein anti¬ soziales Prinzip aus, das sich in mancherlei Spielarten wiederfindet? Dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/127>, abgerufen am 22.12.2024.