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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Aurpfuscher und soziale Pfuscher

zweite ist zu bejahen. Ein antisoziales Prinzip drückt sich darin aus, das
sich nur deshalb bei der Krankenbehandlung so stark ausgebreitet hat, weil
der Kranke in seiner freien Selbstbestimmung reduziert ist, weil ihn die
Krankheit in Notlage versetzt, weil er als Kranker -- und je mehr der Ver¬
zweiflung nahe, um so mehr -- kritiklos auf jeden hört, der ihm Erlösung
verspricht.

Solche Erlösuugsversprechen aus Not und Sorgen gibts aber noch mehr
im sozialen Leben, und noch viele andre Professionen beschäftigen sich damit
auf ihren Gebieten, ganz ähnlich wie der Kurpfuscher auf dem seinigen.

Wenn wir ein paar typische Beispiele solcher sozialen Pfuscher kurz
betrachten, so können wir sie nach unsrer obigen Differenzierung des Kur¬
pfuschers zweckmüßig einteilen in die drei Typen: den Volksbeglückertypus,
den Spielertypus, den Wucherertypus.

Fangen wir mit dem Volksbeglückertypus an.

"Wie werde ich energisch?" "Wie verliere ich meine Schüchternheit?"
und derlei Fragen haben wir in Hunderten von Inseraten gelesen. Meist
sind es amerikanische Magnetopathen, Suggestionskünstler, Elektromagnetiseure,
oder wie sie sich nennen, die den halben und dreiviertel Menschen helfen
wollen.

"Der sichere Weg zu Reichtum und Erfolg", "die Kraft in sich selbst"
wird da verheißen. Erst gibt es eine Broschüre gratis, die aber auf teure
Werke so nachdrücklich hinweist, daß der also Beratne diese kauft, und daß
Unsummen auf diese Weise von dem Volke der Dichter und Denker ins Aus¬
land geschickt werden. Auch die Spiritisten gehören hierher. Die professionellen
nämlich, bei denen Schwindel und Überzeugung höchst kunstvoll ineinanderlaufen.
Sie geben vor, dem Menschen übernatürliche Kräfte zu vermitteln, auch ihre
Bücher lehren ausdrücklich "Die Kunst der Ausnutzung geheimnisvoller Geistes¬
kräfte", sie steigern die Persönlichkeit maßlos über sich selbst hinaus; aus
sozialen Elenden machen sie sich reich dünkende Phantasten -- und das Ende
von dieser sozialen Pfuscherei? Nur ein Beispiel, das Dr. Richard Hennig in
seinem dankenswerten Buche "Der moderne Spuk- und Geisterglaube" mitteilt.
Im Reichsboten vom 24. Januar 1902 war vom Pastor Dr. Niemann ein
Inserat aufgegeben worden, das Bände redet: "Für ein Opfer des Spiritismus,
eine Dame aus bessern Ständen, bitte ich dringend um Hilfe. Dieselbe hat
durch den Spiritismus viel Geld für immer und vorläufig auch den Verstand
verloren und ist nervös völlig zerrüttet." Hennig zitiert noch eine Reihe
andrer ihm und dem Privatdozenten Dr. Richard Henneberg bekannt gewordner
Fälle (vgl. Hennebergs Buch über die "Beziehungen zwischen Spiritismus und
Geistesstörung") und kommt zu dem Ergebnis, daß keiner ahnt, wie häufig die
spiritistischen Aufregungen zu geistigen Störungen und Erkrankungen führen.

Und weiter gehören hierher die Utopisten und soziologischen Schwärmer,
die -- zum wicvieltenmale wohl? -- die soziale Frage lösen und ihre wässerigen


Aurpfuscher und soziale Pfuscher

zweite ist zu bejahen. Ein antisoziales Prinzip drückt sich darin aus, das
sich nur deshalb bei der Krankenbehandlung so stark ausgebreitet hat, weil
der Kranke in seiner freien Selbstbestimmung reduziert ist, weil ihn die
Krankheit in Notlage versetzt, weil er als Kranker — und je mehr der Ver¬
zweiflung nahe, um so mehr — kritiklos auf jeden hört, der ihm Erlösung
verspricht.

Solche Erlösuugsversprechen aus Not und Sorgen gibts aber noch mehr
im sozialen Leben, und noch viele andre Professionen beschäftigen sich damit
auf ihren Gebieten, ganz ähnlich wie der Kurpfuscher auf dem seinigen.

Wenn wir ein paar typische Beispiele solcher sozialen Pfuscher kurz
betrachten, so können wir sie nach unsrer obigen Differenzierung des Kur¬
pfuschers zweckmüßig einteilen in die drei Typen: den Volksbeglückertypus,
den Spielertypus, den Wucherertypus.

Fangen wir mit dem Volksbeglückertypus an.

„Wie werde ich energisch?" „Wie verliere ich meine Schüchternheit?"
und derlei Fragen haben wir in Hunderten von Inseraten gelesen. Meist
sind es amerikanische Magnetopathen, Suggestionskünstler, Elektromagnetiseure,
oder wie sie sich nennen, die den halben und dreiviertel Menschen helfen
wollen.

„Der sichere Weg zu Reichtum und Erfolg", „die Kraft in sich selbst"
wird da verheißen. Erst gibt es eine Broschüre gratis, die aber auf teure
Werke so nachdrücklich hinweist, daß der also Beratne diese kauft, und daß
Unsummen auf diese Weise von dem Volke der Dichter und Denker ins Aus¬
land geschickt werden. Auch die Spiritisten gehören hierher. Die professionellen
nämlich, bei denen Schwindel und Überzeugung höchst kunstvoll ineinanderlaufen.
Sie geben vor, dem Menschen übernatürliche Kräfte zu vermitteln, auch ihre
Bücher lehren ausdrücklich „Die Kunst der Ausnutzung geheimnisvoller Geistes¬
kräfte", sie steigern die Persönlichkeit maßlos über sich selbst hinaus; aus
sozialen Elenden machen sie sich reich dünkende Phantasten — und das Ende
von dieser sozialen Pfuscherei? Nur ein Beispiel, das Dr. Richard Hennig in
seinem dankenswerten Buche „Der moderne Spuk- und Geisterglaube" mitteilt.
Im Reichsboten vom 24. Januar 1902 war vom Pastor Dr. Niemann ein
Inserat aufgegeben worden, das Bände redet: „Für ein Opfer des Spiritismus,
eine Dame aus bessern Ständen, bitte ich dringend um Hilfe. Dieselbe hat
durch den Spiritismus viel Geld für immer und vorläufig auch den Verstand
verloren und ist nervös völlig zerrüttet." Hennig zitiert noch eine Reihe
andrer ihm und dem Privatdozenten Dr. Richard Henneberg bekannt gewordner
Fälle (vgl. Hennebergs Buch über die „Beziehungen zwischen Spiritismus und
Geistesstörung") und kommt zu dem Ergebnis, daß keiner ahnt, wie häufig die
spiritistischen Aufregungen zu geistigen Störungen und Erkrankungen führen.

Und weiter gehören hierher die Utopisten und soziologischen Schwärmer,
die — zum wicvieltenmale wohl? — die soziale Frage lösen und ihre wässerigen


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[0128] Aurpfuscher und soziale Pfuscher zweite ist zu bejahen. Ein antisoziales Prinzip drückt sich darin aus, das sich nur deshalb bei der Krankenbehandlung so stark ausgebreitet hat, weil der Kranke in seiner freien Selbstbestimmung reduziert ist, weil ihn die Krankheit in Notlage versetzt, weil er als Kranker — und je mehr der Ver¬ zweiflung nahe, um so mehr — kritiklos auf jeden hört, der ihm Erlösung verspricht. Solche Erlösuugsversprechen aus Not und Sorgen gibts aber noch mehr im sozialen Leben, und noch viele andre Professionen beschäftigen sich damit auf ihren Gebieten, ganz ähnlich wie der Kurpfuscher auf dem seinigen. Wenn wir ein paar typische Beispiele solcher sozialen Pfuscher kurz betrachten, so können wir sie nach unsrer obigen Differenzierung des Kur¬ pfuschers zweckmüßig einteilen in die drei Typen: den Volksbeglückertypus, den Spielertypus, den Wucherertypus. Fangen wir mit dem Volksbeglückertypus an. „Wie werde ich energisch?" „Wie verliere ich meine Schüchternheit?" und derlei Fragen haben wir in Hunderten von Inseraten gelesen. Meist sind es amerikanische Magnetopathen, Suggestionskünstler, Elektromagnetiseure, oder wie sie sich nennen, die den halben und dreiviertel Menschen helfen wollen. „Der sichere Weg zu Reichtum und Erfolg", „die Kraft in sich selbst" wird da verheißen. Erst gibt es eine Broschüre gratis, die aber auf teure Werke so nachdrücklich hinweist, daß der also Beratne diese kauft, und daß Unsummen auf diese Weise von dem Volke der Dichter und Denker ins Aus¬ land geschickt werden. Auch die Spiritisten gehören hierher. Die professionellen nämlich, bei denen Schwindel und Überzeugung höchst kunstvoll ineinanderlaufen. Sie geben vor, dem Menschen übernatürliche Kräfte zu vermitteln, auch ihre Bücher lehren ausdrücklich „Die Kunst der Ausnutzung geheimnisvoller Geistes¬ kräfte", sie steigern die Persönlichkeit maßlos über sich selbst hinaus; aus sozialen Elenden machen sie sich reich dünkende Phantasten — und das Ende von dieser sozialen Pfuscherei? Nur ein Beispiel, das Dr. Richard Hennig in seinem dankenswerten Buche „Der moderne Spuk- und Geisterglaube" mitteilt. Im Reichsboten vom 24. Januar 1902 war vom Pastor Dr. Niemann ein Inserat aufgegeben worden, das Bände redet: „Für ein Opfer des Spiritismus, eine Dame aus bessern Ständen, bitte ich dringend um Hilfe. Dieselbe hat durch den Spiritismus viel Geld für immer und vorläufig auch den Verstand verloren und ist nervös völlig zerrüttet." Hennig zitiert noch eine Reihe andrer ihm und dem Privatdozenten Dr. Richard Henneberg bekannt gewordner Fälle (vgl. Hennebergs Buch über die „Beziehungen zwischen Spiritismus und Geistesstörung") und kommt zu dem Ergebnis, daß keiner ahnt, wie häufig die spiritistischen Aufregungen zu geistigen Störungen und Erkrankungen führen. Und weiter gehören hierher die Utopisten und soziologischen Schwärmer, die — zum wicvieltenmale wohl? — die soziale Frage lösen und ihre wässerigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/128>, abgerufen am 22.12.2024.