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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zur Auswanderung nach Brasilien

grandenser auf die blonden Söhne der Seriuania uiater, die hier landen, wie
das Volk sagt, arm, ohne etwas, hier Mittel erwerben, und wenn sie reich
geworden sind, nichts eiligeres zu tun haben, als sich die Einheimischen so
fern wie möglich zu halten, wobei sie sich nicht einmal die Mühe geben, die
Verachtung zu verbergen, die sie gegen die Bürger des Landes hegen. Es
ist jedenfalls Tatsache, daß das deutsche Element nicht mehr wie früher Rio
Grande aufsucht, sicherlich, weil man auf der rechten Seite des Rheins schon
den hier immer mehr wachsenden Antagonismus gemerkt hat" usw.

Varella gibt dann die für Rio Grande allein zulässige Art der Kolo¬
nisation an: "Hält man es durchaus für nötig, Leute anzuziehen? Nun wohl,
man tue es in verständiger Weise mit jenen, die sich uns am besten anpassen,
die mit uns verschmelzen können, die nicht verschiedne Gewohnheiten haben,
die keine Sprache reden, die die Verständigung mit uns schwer macht und den
Verkehr zwischen den Bewohnern desselben Landes behindert, und, was das
wichtigste ist, mögen wir den Ankömmling ansiedeln zu seinem Vorteil aber
niemals zum Schaden unsrer Zukunft, indem wir der zerstörenden Axt des
Kolonisten unsre schönen Wälder überliefern, die heute von Vernichtung be¬
droht sind, was unsre Nachkommen uns nie verzeihen werden.

Hält man es für vorteilhaft, Europäer einzuführen? Nun wohl, man
beginne, wo es am natürlichsten und leichtesten ist. Die portugiesischen Inseln
haben eine übermäßige Bevölkerung, kräftig an Körper, von ausgezeichneter
Gesinnung, die im Elend lebt. Man rufe die Brüder unsrer Vorfahren hierher,
ermögliche ihnen die Reise, subventioniere einige Dampfer, die sie von dort
direkt herbringen. Man gebe wahrheitsgemäß Auskunft auf den Inseln, man
weise darauf hin, daß der Riograndenser ein Zweig des alten Jnselstammes
ist, und daß, wenn der Acorianer und Madeirense hier gediehen in den
schwierigen Zeiten des Absolutismus, um wieviel mehr heute im freien
Staat" usw.

Schließlich bemerkt der Verfasser: "Den Boden, auf dem wir geboren sind,
mit Menschenmassen überschwemmen, ist Beweis einer verbrecherischen Abwesen¬
heit von Skrupel und Patriotismus.

Viel produzieren ist kein Beweis von öffentlichem Wohlstand, denn dann
würden die Nationen Europas die glücklichsten der Welt sein, man weiß jedoch,
daß sie sich im Gegenteil im Elend befinden. Das Glück der Völker beruht
in materieller Hinsicht darauf, daß man im allgemeinen über das nötige ver¬
fügt, um die Familien zu unterhalten und eine verhältnismäßige Sorglosigkeit
zu genießen, die moralische und intellektuelle Entwicklung befördert. Es höre
endlich einmal die Manie auf, die Vermehrung der Bevölkerung für einen
Fortschritt zu halten."

Man glaube ja nicht, daß die eben zitierten Ausführungen als die un¬
maßgebenden Ansichten irgendeines Schriftstellers zu nehmen sind. Varella
ist der Mitbegründer des jetzigen republikanischen Rio Grande, der zusammen


Zur Auswanderung nach Brasilien

grandenser auf die blonden Söhne der Seriuania uiater, die hier landen, wie
das Volk sagt, arm, ohne etwas, hier Mittel erwerben, und wenn sie reich
geworden sind, nichts eiligeres zu tun haben, als sich die Einheimischen so
fern wie möglich zu halten, wobei sie sich nicht einmal die Mühe geben, die
Verachtung zu verbergen, die sie gegen die Bürger des Landes hegen. Es
ist jedenfalls Tatsache, daß das deutsche Element nicht mehr wie früher Rio
Grande aufsucht, sicherlich, weil man auf der rechten Seite des Rheins schon
den hier immer mehr wachsenden Antagonismus gemerkt hat" usw.

Varella gibt dann die für Rio Grande allein zulässige Art der Kolo¬
nisation an: „Hält man es durchaus für nötig, Leute anzuziehen? Nun wohl,
man tue es in verständiger Weise mit jenen, die sich uns am besten anpassen,
die mit uns verschmelzen können, die nicht verschiedne Gewohnheiten haben,
die keine Sprache reden, die die Verständigung mit uns schwer macht und den
Verkehr zwischen den Bewohnern desselben Landes behindert, und, was das
wichtigste ist, mögen wir den Ankömmling ansiedeln zu seinem Vorteil aber
niemals zum Schaden unsrer Zukunft, indem wir der zerstörenden Axt des
Kolonisten unsre schönen Wälder überliefern, die heute von Vernichtung be¬
droht sind, was unsre Nachkommen uns nie verzeihen werden.

Hält man es für vorteilhaft, Europäer einzuführen? Nun wohl, man
beginne, wo es am natürlichsten und leichtesten ist. Die portugiesischen Inseln
haben eine übermäßige Bevölkerung, kräftig an Körper, von ausgezeichneter
Gesinnung, die im Elend lebt. Man rufe die Brüder unsrer Vorfahren hierher,
ermögliche ihnen die Reise, subventioniere einige Dampfer, die sie von dort
direkt herbringen. Man gebe wahrheitsgemäß Auskunft auf den Inseln, man
weise darauf hin, daß der Riograndenser ein Zweig des alten Jnselstammes
ist, und daß, wenn der Acorianer und Madeirense hier gediehen in den
schwierigen Zeiten des Absolutismus, um wieviel mehr heute im freien
Staat" usw.

Schließlich bemerkt der Verfasser: „Den Boden, auf dem wir geboren sind,
mit Menschenmassen überschwemmen, ist Beweis einer verbrecherischen Abwesen¬
heit von Skrupel und Patriotismus.

Viel produzieren ist kein Beweis von öffentlichem Wohlstand, denn dann
würden die Nationen Europas die glücklichsten der Welt sein, man weiß jedoch,
daß sie sich im Gegenteil im Elend befinden. Das Glück der Völker beruht
in materieller Hinsicht darauf, daß man im allgemeinen über das nötige ver¬
fügt, um die Familien zu unterhalten und eine verhältnismäßige Sorglosigkeit
zu genießen, die moralische und intellektuelle Entwicklung befördert. Es höre
endlich einmal die Manie auf, die Vermehrung der Bevölkerung für einen
Fortschritt zu halten."

Man glaube ja nicht, daß die eben zitierten Ausführungen als die un¬
maßgebenden Ansichten irgendeines Schriftstellers zu nehmen sind. Varella
ist der Mitbegründer des jetzigen republikanischen Rio Grande, der zusammen


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[0121] Zur Auswanderung nach Brasilien grandenser auf die blonden Söhne der Seriuania uiater, die hier landen, wie das Volk sagt, arm, ohne etwas, hier Mittel erwerben, und wenn sie reich geworden sind, nichts eiligeres zu tun haben, als sich die Einheimischen so fern wie möglich zu halten, wobei sie sich nicht einmal die Mühe geben, die Verachtung zu verbergen, die sie gegen die Bürger des Landes hegen. Es ist jedenfalls Tatsache, daß das deutsche Element nicht mehr wie früher Rio Grande aufsucht, sicherlich, weil man auf der rechten Seite des Rheins schon den hier immer mehr wachsenden Antagonismus gemerkt hat" usw. Varella gibt dann die für Rio Grande allein zulässige Art der Kolo¬ nisation an: „Hält man es durchaus für nötig, Leute anzuziehen? Nun wohl, man tue es in verständiger Weise mit jenen, die sich uns am besten anpassen, die mit uns verschmelzen können, die nicht verschiedne Gewohnheiten haben, die keine Sprache reden, die die Verständigung mit uns schwer macht und den Verkehr zwischen den Bewohnern desselben Landes behindert, und, was das wichtigste ist, mögen wir den Ankömmling ansiedeln zu seinem Vorteil aber niemals zum Schaden unsrer Zukunft, indem wir der zerstörenden Axt des Kolonisten unsre schönen Wälder überliefern, die heute von Vernichtung be¬ droht sind, was unsre Nachkommen uns nie verzeihen werden. Hält man es für vorteilhaft, Europäer einzuführen? Nun wohl, man beginne, wo es am natürlichsten und leichtesten ist. Die portugiesischen Inseln haben eine übermäßige Bevölkerung, kräftig an Körper, von ausgezeichneter Gesinnung, die im Elend lebt. Man rufe die Brüder unsrer Vorfahren hierher, ermögliche ihnen die Reise, subventioniere einige Dampfer, die sie von dort direkt herbringen. Man gebe wahrheitsgemäß Auskunft auf den Inseln, man weise darauf hin, daß der Riograndenser ein Zweig des alten Jnselstammes ist, und daß, wenn der Acorianer und Madeirense hier gediehen in den schwierigen Zeiten des Absolutismus, um wieviel mehr heute im freien Staat" usw. Schließlich bemerkt der Verfasser: „Den Boden, auf dem wir geboren sind, mit Menschenmassen überschwemmen, ist Beweis einer verbrecherischen Abwesen¬ heit von Skrupel und Patriotismus. Viel produzieren ist kein Beweis von öffentlichem Wohlstand, denn dann würden die Nationen Europas die glücklichsten der Welt sein, man weiß jedoch, daß sie sich im Gegenteil im Elend befinden. Das Glück der Völker beruht in materieller Hinsicht darauf, daß man im allgemeinen über das nötige ver¬ fügt, um die Familien zu unterhalten und eine verhältnismäßige Sorglosigkeit zu genießen, die moralische und intellektuelle Entwicklung befördert. Es höre endlich einmal die Manie auf, die Vermehrung der Bevölkerung für einen Fortschritt zu halten." Man glaube ja nicht, daß die eben zitierten Ausführungen als die un¬ maßgebenden Ansichten irgendeines Schriftstellers zu nehmen sind. Varella ist der Mitbegründer des jetzigen republikanischen Rio Grande, der zusammen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/121>, abgerufen am 23.07.2024.