Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.vom thrakischen Meere Cyriacus von Ancona landete weiter westlich, wie er in seinem Tagebuche und Aber es half nichts. Heute liegt diese stolze Burg wie jene im Dorf in Freilich O. vou Richter (Wallfahrten aus dem Morgenlande. Berlin, 1822) Grenzboten I 1909 12
vom thrakischen Meere Cyriacus von Ancona landete weiter westlich, wie er in seinem Tagebuche und Aber es half nichts. Heute liegt diese stolze Burg wie jene im Dorf in Freilich O. vou Richter (Wallfahrten aus dem Morgenlande. Berlin, 1822) Grenzboten I 1909 12
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0097" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312448"/> <fw type="header" place="top"> vom thrakischen Meere</fw><lb/> <p xml:id="ID_366" prev="#ID_365"> Cyriacus von Ancona landete weiter westlich, wie er in seinem Tagebuche und<lb/> Briefen erzählt, und ritt erst am folgenden Tage zu der „neuen" Stadt, der<lb/> heutigen Chora. Neu nennt er sie im Verhältnis zur antiken Stadt (Palaiopolis),<lb/> die noch eine Stunde weiter nördlich bei der Nordspitze der Insel stand. An<lb/> der Stelle von Chora lag keine antike Siedlung; erst in byzantinischer Zeit hatten<lb/> sich die Menschen hier fern vom Meere, das immer unsichrer wurde — Samothrake<lb/> wurde zum Beispiel im Jahre 769 von Seeräubern überfallen —, im Winkel einer<lb/> Schlucht so gut versteckt, daß man ihre Hütten erst sieht, wenn man vor ihnen steht.<lb/> Erst damals wurde das Kastell erbaut, das 1260 zuerst für uns erwähnt wird;<lb/> sicherlich wohnte schon der byzantinische Statthalter hier und seit 1294 der lateinische<lb/> Herr. Am Ende des dreizehnten Jahrhunderts war auch dieses Eiland dann wieder<lb/> byzantinisch geworden, und kurz vor dem Eintreffen des Cyriacus hatte Kaiser<lb/> Johannes der Achte (1423 bis 1448) es dem Herrscher von Ainos in Thrakien,<lb/> Palamedes (1409 bis 1455) aus dem Geschlechte der Gattilusi, zu Lehen gegeben.<lb/> Dessen Statthalter war damals Johannes Laskaris, derselbe, der seit 1454 von<lb/> seinem Herrn auch über Jmbros gesetzt wurde. Er empfing den berühmten Reisenden<lb/> mit allen Ehren in der Burg, die von dem neuen Besitzer, wie stolze Zuschriften<lb/> auf altem weißem Marmor zeigen, in den Jahren 1431 und 1433 ausgebaut worden<lb/> war. Er begleitete ihn am folgenden Tage zur „alten" Stadt. Cyriacus findet<lb/> immer neue Worte der Bewunderung für deren riesige Mauer mit Tore» und<lb/> Türmen, für die Reste eines Tempelbezirks vor der Stadt mit einem „Tempel des<lb/> Neptun", vielen schönen Baugliedern und Skulpturen, die herumlagen; er schrieb<lb/> mehrere antike Inschriften ab und zeichnete ein Relief mit Frauen, die er Musen<lb/> nennt, und ein Medusenhaupt. Diese waren an dem Hcmptturme einer Festung<lb/> verbaut, die Palamedes an der Nordecke der antiken Stadt hatte errichten lassen';<lb/> der Baumeister Stroilos nennt sich auf einem der Ecksteine. Diese „neue" Festung<lb/> wurde von Johannis Laskaris 1455 noch verstärkt; ich fand ein paar Stücke<lb/> einer Bauinschrift von ihm wieder.</p><lb/> <p xml:id="ID_367"> Aber es half nichts. Heute liegt diese stolze Burg wie jene im Dorf in<lb/> Trümmern. Schon 1456 nahmen die Türken Samothrake wie Jmbros und schleppten<lb/> nach einem Aufstande 1459 einen großen Teil der Bewohner nach Konstantinopel.<lb/> Dasselbe Schicksal traf gerade diese Insel noch einmal ini griechischen Aufstande 1821;<lb/> Weil Aufständische unterstützt worden wären, wurde sie geplündert, einige Bewohner<lb/> gehängt, andre weggeführt. Vou diesem Schlage hat sie sich noch nicht erholt;<lb/> Erdbeben haben zuzeiten neues Elend hinzugefügt. Auch vieles Antike, das Cyriacus<lb/> sah, ist inzwischen verschwunden: zu Kalk verbrannt, verbaut, in das Ausland ge¬<lb/> bracht, aber die Kenntnis von dem, was dieser Reisende sah und beschrieb, ist<lb/> inzwischen eine ganz andre geworden. Das haben spätere Reisende und vor allem<lb/> mehrfache Ausgrabungen veranlaßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_368" next="#ID_369"> Freilich O. vou Richter (Wallfahrten aus dem Morgenlande. Berlin, 1822)<lb/> sah 1816 nicht schärfer als Cyriacus, aber Kiepert (1842), Blau und Schlott¬<lb/> mann (1854) und besonders A. Conze (1858) lieferten reiches wissenschaftliches<lb/> Material. Schon Conze sprach dringend für Ausgrabungen, aber erst als im<lb/> Jahre 1823 Champoiseau die Fragmente der Nike, die nach dieser Insel ihren<lb/> Namen trägt, nach Paris gebracht hatte — er kehrte 1879 noch einmal zurück —,<lb/> war die Zeit für Ausgrabungen gekommen. Conze selbst konnte sie im Austrage<lb/> der österreichischen Regierung, in deren Diensten er damals stand, zweimal<lb/> (April-Juni 1873 und August-September 1875) leiten. Die Resultate wurden<lb/> in zwei starken Banden vorgelegt. Man hörte gern noch mehr. Beschränkte Mittel<lb/> und eine noch nicht vollkommne Ausgrabungstechnik haben aber geliefert, was</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1909 12</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0097]
vom thrakischen Meere
Cyriacus von Ancona landete weiter westlich, wie er in seinem Tagebuche und
Briefen erzählt, und ritt erst am folgenden Tage zu der „neuen" Stadt, der
heutigen Chora. Neu nennt er sie im Verhältnis zur antiken Stadt (Palaiopolis),
die noch eine Stunde weiter nördlich bei der Nordspitze der Insel stand. An
der Stelle von Chora lag keine antike Siedlung; erst in byzantinischer Zeit hatten
sich die Menschen hier fern vom Meere, das immer unsichrer wurde — Samothrake
wurde zum Beispiel im Jahre 769 von Seeräubern überfallen —, im Winkel einer
Schlucht so gut versteckt, daß man ihre Hütten erst sieht, wenn man vor ihnen steht.
Erst damals wurde das Kastell erbaut, das 1260 zuerst für uns erwähnt wird;
sicherlich wohnte schon der byzantinische Statthalter hier und seit 1294 der lateinische
Herr. Am Ende des dreizehnten Jahrhunderts war auch dieses Eiland dann wieder
byzantinisch geworden, und kurz vor dem Eintreffen des Cyriacus hatte Kaiser
Johannes der Achte (1423 bis 1448) es dem Herrscher von Ainos in Thrakien,
Palamedes (1409 bis 1455) aus dem Geschlechte der Gattilusi, zu Lehen gegeben.
Dessen Statthalter war damals Johannes Laskaris, derselbe, der seit 1454 von
seinem Herrn auch über Jmbros gesetzt wurde. Er empfing den berühmten Reisenden
mit allen Ehren in der Burg, die von dem neuen Besitzer, wie stolze Zuschriften
auf altem weißem Marmor zeigen, in den Jahren 1431 und 1433 ausgebaut worden
war. Er begleitete ihn am folgenden Tage zur „alten" Stadt. Cyriacus findet
immer neue Worte der Bewunderung für deren riesige Mauer mit Tore» und
Türmen, für die Reste eines Tempelbezirks vor der Stadt mit einem „Tempel des
Neptun", vielen schönen Baugliedern und Skulpturen, die herumlagen; er schrieb
mehrere antike Inschriften ab und zeichnete ein Relief mit Frauen, die er Musen
nennt, und ein Medusenhaupt. Diese waren an dem Hcmptturme einer Festung
verbaut, die Palamedes an der Nordecke der antiken Stadt hatte errichten lassen';
der Baumeister Stroilos nennt sich auf einem der Ecksteine. Diese „neue" Festung
wurde von Johannis Laskaris 1455 noch verstärkt; ich fand ein paar Stücke
einer Bauinschrift von ihm wieder.
Aber es half nichts. Heute liegt diese stolze Burg wie jene im Dorf in
Trümmern. Schon 1456 nahmen die Türken Samothrake wie Jmbros und schleppten
nach einem Aufstande 1459 einen großen Teil der Bewohner nach Konstantinopel.
Dasselbe Schicksal traf gerade diese Insel noch einmal ini griechischen Aufstande 1821;
Weil Aufständische unterstützt worden wären, wurde sie geplündert, einige Bewohner
gehängt, andre weggeführt. Vou diesem Schlage hat sie sich noch nicht erholt;
Erdbeben haben zuzeiten neues Elend hinzugefügt. Auch vieles Antike, das Cyriacus
sah, ist inzwischen verschwunden: zu Kalk verbrannt, verbaut, in das Ausland ge¬
bracht, aber die Kenntnis von dem, was dieser Reisende sah und beschrieb, ist
inzwischen eine ganz andre geworden. Das haben spätere Reisende und vor allem
mehrfache Ausgrabungen veranlaßt.
Freilich O. vou Richter (Wallfahrten aus dem Morgenlande. Berlin, 1822)
sah 1816 nicht schärfer als Cyriacus, aber Kiepert (1842), Blau und Schlott¬
mann (1854) und besonders A. Conze (1858) lieferten reiches wissenschaftliches
Material. Schon Conze sprach dringend für Ausgrabungen, aber erst als im
Jahre 1823 Champoiseau die Fragmente der Nike, die nach dieser Insel ihren
Namen trägt, nach Paris gebracht hatte — er kehrte 1879 noch einmal zurück —,
war die Zeit für Ausgrabungen gekommen. Conze selbst konnte sie im Austrage
der österreichischen Regierung, in deren Diensten er damals stand, zweimal
(April-Juni 1873 und August-September 1875) leiten. Die Resultate wurden
in zwei starken Banden vorgelegt. Man hörte gern noch mehr. Beschränkte Mittel
und eine noch nicht vollkommne Ausgrabungstechnik haben aber geliefert, was
Grenzboten I 1909 12
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