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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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vom eignen Leben

Buch von dem Licht und Dunkel seines Lebens erzählt und mit allen schönen
Sternen auch die bleichen Schatten der Vergangenheit vor uns erscheinen
läßt, schlingen sich mancherlei Blumen der Erinnerung, deren Aufblühen ich
einstmals beobachten durfte. Das Kriminalistische tritt dabei zurück, ich wollte
ja nicht einen Kriminalroman schreiben, sondern den Roman eines Menschen,
dessen Züge keinem von uns ganz fremd sind, in dessen Worten wir viel¬
mehr nachklingen hören, was lauter oder leiser auch einmal in uns selbst
erklungen ist. So war es mir recht, daß jemand den empfangner Ein¬
druck dahin zusammenfaßte! "^na re8 aZiwr. Durch deine Seele geht der
Menschheit Leid, in deiner Seele wird sie erlöst." Und ich freute mich, als
mir unbekannte und bekannte Leser schrieben, sie hätten zuletzt nicht mehr
die Stimme eines andern gehört, sondern sich selbst lauschen und stillhalten
müssen.

Das wirkliche Leben zerreißt ja nach und nach den goldnen Schleier,
durch deu das junge Auge auf die Welt und die Menschen blickte. Man
geht nicht mehr in solchen Träumen, wie man es als Kind getan hatte, durch
den Wald, sondern weiß, daß die Bäume Bäume sind und die Menschen eben
nur Menschen. Und doch haben wir Stunden, in denen wir den Verlornen
Schleier wiederempfangen zu haben meinen. Man sitzt etwa vor den letzten
dunkeln Waldleisten und sieht den Himmel blau oder vom Abendrot überglänzt
durch die Stämme schimmern. Da werden im Hirschauer versunkne Tage
wieder lebendig, wir hören eine Sprache, die die klugen Meister in Israel
über Wichtigerm vergessen haben, und die deutlich nur noch von Kindern und
Dichtern gehört und verstanden wird.

So möchte ich auch die Menschen sehen und ihr Bild malen, und in dem,
was ich geschrieben habe, habe ich es auch versucht. So, wie sie um uns
her leben und wie sie sich untereinander geben, zugleich aber mit dem Licht¬
schimmer im Auge, den die Welt des ewig Guten und Schönen zu ihnen
hinübersendet. Der Joggeli, von dem ich einmal erzählt habe, kannte diesen
Schimmer von Jugend an. In seinen jungen. Jahren war er ihm der
Schimmer einer schönen Märchenwelt gewesen, später wurde er ihm der Wider¬
schein seiner dritten Heimat, der er in Freud und Kummer zugewandert war.
Die leuchtete ihm zuletzt ganz warm und hell in die Gedanken und machte ihn
fähig, die Menschen, wie sie nun einmal sind, ob jung oder alt, klaren oder
getrübten Herzens, zu versteh" und zu lieben.




vom eignen Leben

Buch von dem Licht und Dunkel seines Lebens erzählt und mit allen schönen
Sternen auch die bleichen Schatten der Vergangenheit vor uns erscheinen
läßt, schlingen sich mancherlei Blumen der Erinnerung, deren Aufblühen ich
einstmals beobachten durfte. Das Kriminalistische tritt dabei zurück, ich wollte
ja nicht einen Kriminalroman schreiben, sondern den Roman eines Menschen,
dessen Züge keinem von uns ganz fremd sind, in dessen Worten wir viel¬
mehr nachklingen hören, was lauter oder leiser auch einmal in uns selbst
erklungen ist. So war es mir recht, daß jemand den empfangner Ein¬
druck dahin zusammenfaßte! „^na re8 aZiwr. Durch deine Seele geht der
Menschheit Leid, in deiner Seele wird sie erlöst." Und ich freute mich, als
mir unbekannte und bekannte Leser schrieben, sie hätten zuletzt nicht mehr
die Stimme eines andern gehört, sondern sich selbst lauschen und stillhalten
müssen.

Das wirkliche Leben zerreißt ja nach und nach den goldnen Schleier,
durch deu das junge Auge auf die Welt und die Menschen blickte. Man
geht nicht mehr in solchen Träumen, wie man es als Kind getan hatte, durch
den Wald, sondern weiß, daß die Bäume Bäume sind und die Menschen eben
nur Menschen. Und doch haben wir Stunden, in denen wir den Verlornen
Schleier wiederempfangen zu haben meinen. Man sitzt etwa vor den letzten
dunkeln Waldleisten und sieht den Himmel blau oder vom Abendrot überglänzt
durch die Stämme schimmern. Da werden im Hirschauer versunkne Tage
wieder lebendig, wir hören eine Sprache, die die klugen Meister in Israel
über Wichtigerm vergessen haben, und die deutlich nur noch von Kindern und
Dichtern gehört und verstanden wird.

So möchte ich auch die Menschen sehen und ihr Bild malen, und in dem,
was ich geschrieben habe, habe ich es auch versucht. So, wie sie um uns
her leben und wie sie sich untereinander geben, zugleich aber mit dem Licht¬
schimmer im Auge, den die Welt des ewig Guten und Schönen zu ihnen
hinübersendet. Der Joggeli, von dem ich einmal erzählt habe, kannte diesen
Schimmer von Jugend an. In seinen jungen. Jahren war er ihm der
Schimmer einer schönen Märchenwelt gewesen, später wurde er ihm der Wider¬
schein seiner dritten Heimat, der er in Freud und Kummer zugewandert war.
Die leuchtete ihm zuletzt ganz warm und hell in die Gedanken und machte ihn
fähig, die Menschen, wie sie nun einmal sind, ob jung oder alt, klaren oder
getrübten Herzens, zu versteh» und zu lieben.




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[0094] vom eignen Leben Buch von dem Licht und Dunkel seines Lebens erzählt und mit allen schönen Sternen auch die bleichen Schatten der Vergangenheit vor uns erscheinen läßt, schlingen sich mancherlei Blumen der Erinnerung, deren Aufblühen ich einstmals beobachten durfte. Das Kriminalistische tritt dabei zurück, ich wollte ja nicht einen Kriminalroman schreiben, sondern den Roman eines Menschen, dessen Züge keinem von uns ganz fremd sind, in dessen Worten wir viel¬ mehr nachklingen hören, was lauter oder leiser auch einmal in uns selbst erklungen ist. So war es mir recht, daß jemand den empfangner Ein¬ druck dahin zusammenfaßte! „^na re8 aZiwr. Durch deine Seele geht der Menschheit Leid, in deiner Seele wird sie erlöst." Und ich freute mich, als mir unbekannte und bekannte Leser schrieben, sie hätten zuletzt nicht mehr die Stimme eines andern gehört, sondern sich selbst lauschen und stillhalten müssen. Das wirkliche Leben zerreißt ja nach und nach den goldnen Schleier, durch deu das junge Auge auf die Welt und die Menschen blickte. Man geht nicht mehr in solchen Träumen, wie man es als Kind getan hatte, durch den Wald, sondern weiß, daß die Bäume Bäume sind und die Menschen eben nur Menschen. Und doch haben wir Stunden, in denen wir den Verlornen Schleier wiederempfangen zu haben meinen. Man sitzt etwa vor den letzten dunkeln Waldleisten und sieht den Himmel blau oder vom Abendrot überglänzt durch die Stämme schimmern. Da werden im Hirschauer versunkne Tage wieder lebendig, wir hören eine Sprache, die die klugen Meister in Israel über Wichtigerm vergessen haben, und die deutlich nur noch von Kindern und Dichtern gehört und verstanden wird. So möchte ich auch die Menschen sehen und ihr Bild malen, und in dem, was ich geschrieben habe, habe ich es auch versucht. So, wie sie um uns her leben und wie sie sich untereinander geben, zugleich aber mit dem Licht¬ schimmer im Auge, den die Welt des ewig Guten und Schönen zu ihnen hinübersendet. Der Joggeli, von dem ich einmal erzählt habe, kannte diesen Schimmer von Jugend an. In seinen jungen. Jahren war er ihm der Schimmer einer schönen Märchenwelt gewesen, später wurde er ihm der Wider¬ schein seiner dritten Heimat, der er in Freud und Kummer zugewandert war. Die leuchtete ihm zuletzt ganz warm und hell in die Gedanken und machte ihn fähig, die Menschen, wie sie nun einmal sind, ob jung oder alt, klaren oder getrübten Herzens, zu versteh» und zu lieben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/94>, abgerufen am 12.12.2024.