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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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vom eignen Leben

mir meinen Weg in diese Welt hineinsuchte, öffneten sich mir fast von selbst
auch sonst sehr verschlossene Naturen. So waren die ersten Zeiten wirklich
Entdeckungszeiten, ich sah Finsternisse, wie ich sie später nicht oft mehr wieder¬
gesehen habe, aber auch schöne Sterne und helle Lichter, nahm damals auch
das Bild in mich auf, das mich, nachdem es viele Jahre in mir geruht hatte,
zu meinem Roman "Zwei Seelen" anregte.

Wer aber lange Zeit in einer solchen Arbeit gestanden hat, fühlt all¬
mählich, daß das zuerst so lebendige Gefühl lahm und stumpf wird. Die
Bilder wiederholen sich unaufhörlich, und es sind fast immer traurige Bilder.
Es ist ein Wandern durch Sand und Heide, in drückender, staubtrüber Luft.
Zuerst interessierte man sich gerade für Menschen, die sich am weitesten hinaus
verloren haben, und ihren Gewohnheiten, ihrer Denk- und Redeweise emsig
nachforschend, versetzte man sie vielleicht in den Wahn, daß sie sich auf ihr
Wissen um solche Dinge etwas einzubilden hätten. Das geschieht ja auch
jetzt so oft, wo die Schilderungen aus diesem Milieu mit wichtiger Miene,
als handle es sich um Offenbarungen aus einer höhern Welt, feilgeboten
werden. Wer mit diesen Dingen alle Tage zu tun hat, der sieht aber all¬
mählich ein, daß es sich wenig lohnt, aus solchen Wassern fort und fort zu
schöpfen. Man hat bald genug davon, begehrt nicht mehr und weiß, daß
man auch nicht mehr viel erfahren kann. Und so absonderlich, oft seltsam,
oft schreckhaft vieles ist und bleibt, mit der Zeit wird es monoton wie die
Bilder des armen, heißen Heidebodens, und nur an einigen wind- und sturm¬
verwehten Gestalten haftet der Blick noch mit der ersten Teilnahme.

So kann es leicht geschehen, daß das Auge immer leerer zurückkommt,
und die Arbeit immer freudloser wird. Vielleicht aber findet man auch einen
neuen Weg, der zu neuen Ausblicken hinleitet und den gesunknen Mut wieder
hebt und stärkt. Es blühen ja der Blumen nicht gar viele in diesem Lande,
und man muß lange suchen und oft hoch emporsteigen, ehe man sie findet.
Aber sie blühen doch auch an diesem Wege, und wenn wir sie entdecken, ent¬
zückt es uns ebenso, wie wenn uns zwischen verwitterten Steintrümmern an
der Grenze der Schneeregion ein schönes, einsames Blumenauge entgegen¬
sieht. Ich habe dieser Blumen genug gefunden, sobald ich weniger nach den
Trümmern aufschaute als nach dem, was noch heil und ganz geblieben war,
und als ich mich nicht mehr soviel ein die Besonderheiten hielt und an die
Abweichungen vom Bilde des Menschen, in dessen Herzen ein höheres Ideal
lebt, sondern als ich nach dem suchte, worin wir uns alle ähnlich sind und
was bei uns allen wiederkehrt. Da fand ich dann auch unter den krausesten
Linien das uns allen verwandte Menschenantlitz und erlebte es vie/mal. daß
sich unter solchem Anschaun die fremde Seele bis in ihr verborgenstes Leben
hinein willig und leicht vor mir auftat.

Von dem, was ich selbst gesehen habe, habe ich darauf vieles in den
"Zwei Seelen" geschildert. Um das Bild des Mannes, der uns in diesem


vom eignen Leben

mir meinen Weg in diese Welt hineinsuchte, öffneten sich mir fast von selbst
auch sonst sehr verschlossene Naturen. So waren die ersten Zeiten wirklich
Entdeckungszeiten, ich sah Finsternisse, wie ich sie später nicht oft mehr wieder¬
gesehen habe, aber auch schöne Sterne und helle Lichter, nahm damals auch
das Bild in mich auf, das mich, nachdem es viele Jahre in mir geruht hatte,
zu meinem Roman „Zwei Seelen" anregte.

Wer aber lange Zeit in einer solchen Arbeit gestanden hat, fühlt all¬
mählich, daß das zuerst so lebendige Gefühl lahm und stumpf wird. Die
Bilder wiederholen sich unaufhörlich, und es sind fast immer traurige Bilder.
Es ist ein Wandern durch Sand und Heide, in drückender, staubtrüber Luft.
Zuerst interessierte man sich gerade für Menschen, die sich am weitesten hinaus
verloren haben, und ihren Gewohnheiten, ihrer Denk- und Redeweise emsig
nachforschend, versetzte man sie vielleicht in den Wahn, daß sie sich auf ihr
Wissen um solche Dinge etwas einzubilden hätten. Das geschieht ja auch
jetzt so oft, wo die Schilderungen aus diesem Milieu mit wichtiger Miene,
als handle es sich um Offenbarungen aus einer höhern Welt, feilgeboten
werden. Wer mit diesen Dingen alle Tage zu tun hat, der sieht aber all¬
mählich ein, daß es sich wenig lohnt, aus solchen Wassern fort und fort zu
schöpfen. Man hat bald genug davon, begehrt nicht mehr und weiß, daß
man auch nicht mehr viel erfahren kann. Und so absonderlich, oft seltsam,
oft schreckhaft vieles ist und bleibt, mit der Zeit wird es monoton wie die
Bilder des armen, heißen Heidebodens, und nur an einigen wind- und sturm¬
verwehten Gestalten haftet der Blick noch mit der ersten Teilnahme.

So kann es leicht geschehen, daß das Auge immer leerer zurückkommt,
und die Arbeit immer freudloser wird. Vielleicht aber findet man auch einen
neuen Weg, der zu neuen Ausblicken hinleitet und den gesunknen Mut wieder
hebt und stärkt. Es blühen ja der Blumen nicht gar viele in diesem Lande,
und man muß lange suchen und oft hoch emporsteigen, ehe man sie findet.
Aber sie blühen doch auch an diesem Wege, und wenn wir sie entdecken, ent¬
zückt es uns ebenso, wie wenn uns zwischen verwitterten Steintrümmern an
der Grenze der Schneeregion ein schönes, einsames Blumenauge entgegen¬
sieht. Ich habe dieser Blumen genug gefunden, sobald ich weniger nach den
Trümmern aufschaute als nach dem, was noch heil und ganz geblieben war,
und als ich mich nicht mehr soviel ein die Besonderheiten hielt und an die
Abweichungen vom Bilde des Menschen, in dessen Herzen ein höheres Ideal
lebt, sondern als ich nach dem suchte, worin wir uns alle ähnlich sind und
was bei uns allen wiederkehrt. Da fand ich dann auch unter den krausesten
Linien das uns allen verwandte Menschenantlitz und erlebte es vie/mal. daß
sich unter solchem Anschaun die fremde Seele bis in ihr verborgenstes Leben
hinein willig und leicht vor mir auftat.

Von dem, was ich selbst gesehen habe, habe ich darauf vieles in den
„Zwei Seelen" geschildert. Um das Bild des Mannes, der uns in diesem


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[0093] vom eignen Leben mir meinen Weg in diese Welt hineinsuchte, öffneten sich mir fast von selbst auch sonst sehr verschlossene Naturen. So waren die ersten Zeiten wirklich Entdeckungszeiten, ich sah Finsternisse, wie ich sie später nicht oft mehr wieder¬ gesehen habe, aber auch schöne Sterne und helle Lichter, nahm damals auch das Bild in mich auf, das mich, nachdem es viele Jahre in mir geruht hatte, zu meinem Roman „Zwei Seelen" anregte. Wer aber lange Zeit in einer solchen Arbeit gestanden hat, fühlt all¬ mählich, daß das zuerst so lebendige Gefühl lahm und stumpf wird. Die Bilder wiederholen sich unaufhörlich, und es sind fast immer traurige Bilder. Es ist ein Wandern durch Sand und Heide, in drückender, staubtrüber Luft. Zuerst interessierte man sich gerade für Menschen, die sich am weitesten hinaus verloren haben, und ihren Gewohnheiten, ihrer Denk- und Redeweise emsig nachforschend, versetzte man sie vielleicht in den Wahn, daß sie sich auf ihr Wissen um solche Dinge etwas einzubilden hätten. Das geschieht ja auch jetzt so oft, wo die Schilderungen aus diesem Milieu mit wichtiger Miene, als handle es sich um Offenbarungen aus einer höhern Welt, feilgeboten werden. Wer mit diesen Dingen alle Tage zu tun hat, der sieht aber all¬ mählich ein, daß es sich wenig lohnt, aus solchen Wassern fort und fort zu schöpfen. Man hat bald genug davon, begehrt nicht mehr und weiß, daß man auch nicht mehr viel erfahren kann. Und so absonderlich, oft seltsam, oft schreckhaft vieles ist und bleibt, mit der Zeit wird es monoton wie die Bilder des armen, heißen Heidebodens, und nur an einigen wind- und sturm¬ verwehten Gestalten haftet der Blick noch mit der ersten Teilnahme. So kann es leicht geschehen, daß das Auge immer leerer zurückkommt, und die Arbeit immer freudloser wird. Vielleicht aber findet man auch einen neuen Weg, der zu neuen Ausblicken hinleitet und den gesunknen Mut wieder hebt und stärkt. Es blühen ja der Blumen nicht gar viele in diesem Lande, und man muß lange suchen und oft hoch emporsteigen, ehe man sie findet. Aber sie blühen doch auch an diesem Wege, und wenn wir sie entdecken, ent¬ zückt es uns ebenso, wie wenn uns zwischen verwitterten Steintrümmern an der Grenze der Schneeregion ein schönes, einsames Blumenauge entgegen¬ sieht. Ich habe dieser Blumen genug gefunden, sobald ich weniger nach den Trümmern aufschaute als nach dem, was noch heil und ganz geblieben war, und als ich mich nicht mehr soviel ein die Besonderheiten hielt und an die Abweichungen vom Bilde des Menschen, in dessen Herzen ein höheres Ideal lebt, sondern als ich nach dem suchte, worin wir uns alle ähnlich sind und was bei uns allen wiederkehrt. Da fand ich dann auch unter den krausesten Linien das uns allen verwandte Menschenantlitz und erlebte es vie/mal. daß sich unter solchem Anschaun die fremde Seele bis in ihr verborgenstes Leben hinein willig und leicht vor mir auftat. Von dem, was ich selbst gesehen habe, habe ich darauf vieles in den „Zwei Seelen" geschildert. Um das Bild des Mannes, der uns in diesem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/93>, abgerufen am 23.07.2024.