Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
vom eignen Teben

und frei wie er nachgehen, telum würde ich am Ende auch manches noch finden,
davon sich fröhlich und schon erzählen ließe. v . ^'

Ich berichte von diesen Eindrücken aus dem Kinderland, even in ihnen
die Quelle" meines Wesens fließen, aus denen ich schöpfe und Wohl immer
schöpfen werde. Oftmals habe ich Mir meine romantischen Neigungen vor¬
halten lassen müssen und bin von wohlmeinenden Freunden schon manchmal
ernährt worden, ihnen endlich zu entsagen. Wer kann aber ans seiner Natur
heraus, selbst wenn er es ernstlich wollte? Ich verlange aber gar nicht nach
solcher Verwandlung, sondern meine, jeder muß danach streben, so zu sein,
wie ihn die Natur geschaffen hat, und ich bin seelenvergnügt, daß mir von
dem blauen Dufte, worin die Welt vor dem Kinderange lag, noch immer ein
weniges geblieben ist, obwohl mein weiterer Weg in eine rauhe und harte
Wirklichkeit hineingeführt hat.

- Ich überspringe die Jahre und was in ihnen geschehen ist und wende
mich einem andern Lande zu, aus dem mir, so arm und kümmerlich es er¬
scheint, auch viele Quellen des Denkens und Dichtens zugeflossen sind. Ein
freudloses, trauriges Land^ Dostojewski hat es ein Totenhaus genannt. Als
ich vor zwanzig Jahren aus der Heimat' nach dem Osten und aus dem
Gemeindeleben in den Gefängnisdienst berufen würde, hatte ich schon eine
beträchtliche Menge von Liedern und Gedichten zusammengebracht. Der
Brunnen der Lyrik, aus dem ich unverdrossen und schonungslos Tag für
Tag geschöpft hatte, war dann aber auch bis zum Grunde geleert Und füllte
sich erst langsam wieder auf. Es war also gut, daß es eine lange Zeit
darin ruhig und ungestört quellen durfte, und daß mich der Neiz eines neuen
Landschaftsbildes und die seltsamen Einblicke in die Menschenseele, die ich in
meiner neuen Tätigkeit gewann, jahrelang von mir selbst ablenkten.

Ganz anders eilf mein wald- und quellenreiches Heimatland sprach das
Land, in dem ich nun leben mußte, zu meinem Herzen. Flach und in ein¬
tönigem Wiesengrün mit der blauen Ferne verfließend, statt der Eichen.
Buchen und-Tannen phantastisch verschlungne Kieferkronen am Waldesrande,
Stämme wie aus schwerer Bronze gegossen, die in sählgrüue Wölkchen hinein¬
ragen, dahinter Stangenwald, Sand und Heide und hin und wieder ein
n'lelancholischer Wasserspiegel, von tief hinabgeneigten Föhren überdunkelt. Und
das alles so einsam und menschenfern, ohne das vielfache Rieseln und Rauschen
und ohne den vielfältigen Gesang meiner Heimatsberge. Es ergriff mich
dennoch von Anfang an und zog mich, ob es auch das Heimweh nicht zu
stillen vermochte, je länger je mehr mit seiner sanften, ernsten Schönheit zu
sich'-dirsi^^ k-'-c ^-'.'H ü,^,: ^.-^ c-^'/-. c-."
'

" sort und'tief waren-auch die E meines- neuen Berufs.- Gerade
in der ersten Zeit kam ich mit sehr eigentümlichen Menschen zusammen, und
wohl weil' sie merkten, wie wenig ich meiner Aufgabe gewachsen' wär und'
wie unsicher-, beinah allein von dem einfachen menschlichen Gefühl geleitet, ich '


vom eignen Teben

und frei wie er nachgehen, telum würde ich am Ende auch manches noch finden,
davon sich fröhlich und schon erzählen ließe. v . ^'

Ich berichte von diesen Eindrücken aus dem Kinderland, even in ihnen
die Quelle» meines Wesens fließen, aus denen ich schöpfe und Wohl immer
schöpfen werde. Oftmals habe ich Mir meine romantischen Neigungen vor¬
halten lassen müssen und bin von wohlmeinenden Freunden schon manchmal
ernährt worden, ihnen endlich zu entsagen. Wer kann aber ans seiner Natur
heraus, selbst wenn er es ernstlich wollte? Ich verlange aber gar nicht nach
solcher Verwandlung, sondern meine, jeder muß danach streben, so zu sein,
wie ihn die Natur geschaffen hat, und ich bin seelenvergnügt, daß mir von
dem blauen Dufte, worin die Welt vor dem Kinderange lag, noch immer ein
weniges geblieben ist, obwohl mein weiterer Weg in eine rauhe und harte
Wirklichkeit hineingeführt hat.

- Ich überspringe die Jahre und was in ihnen geschehen ist und wende
mich einem andern Lande zu, aus dem mir, so arm und kümmerlich es er¬
scheint, auch viele Quellen des Denkens und Dichtens zugeflossen sind. Ein
freudloses, trauriges Land^ Dostojewski hat es ein Totenhaus genannt. Als
ich vor zwanzig Jahren aus der Heimat' nach dem Osten und aus dem
Gemeindeleben in den Gefängnisdienst berufen würde, hatte ich schon eine
beträchtliche Menge von Liedern und Gedichten zusammengebracht. Der
Brunnen der Lyrik, aus dem ich unverdrossen und schonungslos Tag für
Tag geschöpft hatte, war dann aber auch bis zum Grunde geleert Und füllte
sich erst langsam wieder auf. Es war also gut, daß es eine lange Zeit
darin ruhig und ungestört quellen durfte, und daß mich der Neiz eines neuen
Landschaftsbildes und die seltsamen Einblicke in die Menschenseele, die ich in
meiner neuen Tätigkeit gewann, jahrelang von mir selbst ablenkten.

Ganz anders eilf mein wald- und quellenreiches Heimatland sprach das
Land, in dem ich nun leben mußte, zu meinem Herzen. Flach und in ein¬
tönigem Wiesengrün mit der blauen Ferne verfließend, statt der Eichen.
Buchen und-Tannen phantastisch verschlungne Kieferkronen am Waldesrande,
Stämme wie aus schwerer Bronze gegossen, die in sählgrüue Wölkchen hinein¬
ragen, dahinter Stangenwald, Sand und Heide und hin und wieder ein
n'lelancholischer Wasserspiegel, von tief hinabgeneigten Föhren überdunkelt. Und
das alles so einsam und menschenfern, ohne das vielfache Rieseln und Rauschen
und ohne den vielfältigen Gesang meiner Heimatsberge. Es ergriff mich
dennoch von Anfang an und zog mich, ob es auch das Heimweh nicht zu
stillen vermochte, je länger je mehr mit seiner sanften, ernsten Schönheit zu
sich'-dirsi^^ k-'-c ^-'.'H ü,^,: ^.-^ c-^'/-. c-.»
'

" sort und'tief waren-auch die E meines- neuen Berufs.- Gerade
in der ersten Zeit kam ich mit sehr eigentümlichen Menschen zusammen, und
wohl weil' sie merkten, wie wenig ich meiner Aufgabe gewachsen' wär und'
wie unsicher-, beinah allein von dem einfachen menschlichen Gefühl geleitet, ich '


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0092" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312443"/>
          <fw type="header" place="top"> vom eignen Teben</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_351" prev="#ID_350"> und frei wie er nachgehen, telum würde ich am Ende auch manches noch finden,<lb/>
davon sich fröhlich und schon erzählen ließe. v  . ^'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_352"> Ich berichte von diesen Eindrücken aus dem Kinderland, even in ihnen<lb/>
die Quelle» meines Wesens fließen, aus denen ich schöpfe und Wohl immer<lb/>
schöpfen werde. Oftmals habe ich Mir meine romantischen Neigungen vor¬<lb/>
halten lassen müssen und bin von wohlmeinenden Freunden schon manchmal<lb/>
ernährt worden, ihnen endlich zu entsagen. Wer kann aber ans seiner Natur<lb/>
heraus, selbst wenn er es ernstlich wollte? Ich verlange aber gar nicht nach<lb/>
solcher Verwandlung, sondern meine, jeder muß danach streben, so zu sein,<lb/>
wie ihn die Natur geschaffen hat, und ich bin seelenvergnügt, daß mir von<lb/>
dem blauen Dufte, worin die Welt vor dem Kinderange lag, noch immer ein<lb/>
weniges geblieben ist, obwohl mein weiterer Weg in eine rauhe und harte<lb/>
Wirklichkeit hineingeführt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_353"> - Ich überspringe die Jahre und was in ihnen geschehen ist und wende<lb/>
mich einem andern Lande zu, aus dem mir, so arm und kümmerlich es er¬<lb/>
scheint, auch viele Quellen des Denkens und Dichtens zugeflossen sind. Ein<lb/>
freudloses, trauriges Land^ Dostojewski hat es ein Totenhaus genannt. Als<lb/>
ich vor zwanzig Jahren aus der Heimat' nach dem Osten und aus dem<lb/>
Gemeindeleben in den Gefängnisdienst berufen würde, hatte ich schon eine<lb/>
beträchtliche Menge von Liedern und Gedichten zusammengebracht. Der<lb/>
Brunnen der Lyrik, aus dem ich unverdrossen und schonungslos Tag für<lb/>
Tag geschöpft hatte, war dann aber auch bis zum Grunde geleert Und füllte<lb/>
sich erst langsam wieder auf. Es war also gut, daß es eine lange Zeit<lb/>
darin ruhig und ungestört quellen durfte, und daß mich der Neiz eines neuen<lb/>
Landschaftsbildes und die seltsamen Einblicke in die Menschenseele, die ich in<lb/>
meiner neuen Tätigkeit gewann, jahrelang von mir selbst ablenkten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_354"> Ganz anders eilf mein wald- und quellenreiches Heimatland sprach das<lb/>
Land, in dem ich nun leben mußte, zu meinem Herzen. Flach und in ein¬<lb/>
tönigem Wiesengrün mit der blauen Ferne verfließend, statt der Eichen.<lb/>
Buchen und-Tannen phantastisch verschlungne Kieferkronen am Waldesrande,<lb/>
Stämme wie aus schwerer Bronze gegossen, die in sählgrüue Wölkchen hinein¬<lb/>
ragen, dahinter Stangenwald, Sand und Heide und hin und wieder ein<lb/>
n'lelancholischer Wasserspiegel, von tief hinabgeneigten Föhren überdunkelt. Und<lb/>
das alles so einsam und menschenfern, ohne das vielfache Rieseln und Rauschen<lb/>
und ohne den vielfältigen Gesang meiner Heimatsberge. Es ergriff mich<lb/>
dennoch von Anfang an und zog mich, ob es auch das Heimweh nicht zu<lb/>
stillen vermochte, je länger je mehr mit seiner sanften, ernsten Schönheit zu<lb/>
sich'-dirsi^^ k-'-c    ^-'.'H    ü,^,: ^.-^ c-^'/-. c-.»<lb/>
'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_355" next="#ID_356"> "  sort und'tief waren-auch die E meines- neuen Berufs.- Gerade<lb/>
in der ersten Zeit kam ich mit sehr eigentümlichen Menschen zusammen, und<lb/>
wohl weil' sie merkten, wie wenig ich meiner Aufgabe gewachsen' wär und'<lb/>
wie unsicher-, beinah allein von dem einfachen menschlichen Gefühl geleitet, ich '</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0092] vom eignen Teben und frei wie er nachgehen, telum würde ich am Ende auch manches noch finden, davon sich fröhlich und schon erzählen ließe. v . ^' Ich berichte von diesen Eindrücken aus dem Kinderland, even in ihnen die Quelle» meines Wesens fließen, aus denen ich schöpfe und Wohl immer schöpfen werde. Oftmals habe ich Mir meine romantischen Neigungen vor¬ halten lassen müssen und bin von wohlmeinenden Freunden schon manchmal ernährt worden, ihnen endlich zu entsagen. Wer kann aber ans seiner Natur heraus, selbst wenn er es ernstlich wollte? Ich verlange aber gar nicht nach solcher Verwandlung, sondern meine, jeder muß danach streben, so zu sein, wie ihn die Natur geschaffen hat, und ich bin seelenvergnügt, daß mir von dem blauen Dufte, worin die Welt vor dem Kinderange lag, noch immer ein weniges geblieben ist, obwohl mein weiterer Weg in eine rauhe und harte Wirklichkeit hineingeführt hat. - Ich überspringe die Jahre und was in ihnen geschehen ist und wende mich einem andern Lande zu, aus dem mir, so arm und kümmerlich es er¬ scheint, auch viele Quellen des Denkens und Dichtens zugeflossen sind. Ein freudloses, trauriges Land^ Dostojewski hat es ein Totenhaus genannt. Als ich vor zwanzig Jahren aus der Heimat' nach dem Osten und aus dem Gemeindeleben in den Gefängnisdienst berufen würde, hatte ich schon eine beträchtliche Menge von Liedern und Gedichten zusammengebracht. Der Brunnen der Lyrik, aus dem ich unverdrossen und schonungslos Tag für Tag geschöpft hatte, war dann aber auch bis zum Grunde geleert Und füllte sich erst langsam wieder auf. Es war also gut, daß es eine lange Zeit darin ruhig und ungestört quellen durfte, und daß mich der Neiz eines neuen Landschaftsbildes und die seltsamen Einblicke in die Menschenseele, die ich in meiner neuen Tätigkeit gewann, jahrelang von mir selbst ablenkten. Ganz anders eilf mein wald- und quellenreiches Heimatland sprach das Land, in dem ich nun leben mußte, zu meinem Herzen. Flach und in ein¬ tönigem Wiesengrün mit der blauen Ferne verfließend, statt der Eichen. Buchen und-Tannen phantastisch verschlungne Kieferkronen am Waldesrande, Stämme wie aus schwerer Bronze gegossen, die in sählgrüue Wölkchen hinein¬ ragen, dahinter Stangenwald, Sand und Heide und hin und wieder ein n'lelancholischer Wasserspiegel, von tief hinabgeneigten Föhren überdunkelt. Und das alles so einsam und menschenfern, ohne das vielfache Rieseln und Rauschen und ohne den vielfältigen Gesang meiner Heimatsberge. Es ergriff mich dennoch von Anfang an und zog mich, ob es auch das Heimweh nicht zu stillen vermochte, je länger je mehr mit seiner sanften, ernsten Schönheit zu sich'-dirsi^^ k-'-c ^-'.'H ü,^,: ^.-^ c-^'/-. c-.» ' " sort und'tief waren-auch die E meines- neuen Berufs.- Gerade in der ersten Zeit kam ich mit sehr eigentümlichen Menschen zusammen, und wohl weil' sie merkten, wie wenig ich meiner Aufgabe gewachsen' wär und' wie unsicher-, beinah allein von dem einfachen menschlichen Gefühl geleitet, ich '

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/92
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/92>, abgerufen am 23.07.2024.