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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Rriminalpolitische Irrtümer

niedrig zu bewerten. Kann man sich angesichts dieses noch für versichert halten,
daß die öffentliche Ordnung und Sicherheit unter der Herrschaft eines solchen
Reformwerks in demselben Maße, wie bisher, garantiert bleiben wird? Meines
Erachtens befinden wir uns in einem schweren kriminalpolitischen Irrtum, wenn
wir allzusehr danach streben, die Härten und Schärfen aus dem Strafrecht zu
entfernen, da sie doch sein Wesens- und Wirkungsinhalt sind. Dieses wird und
muß den Erfolg haben, daß sich die "Stichproben" noch um ein bedeutendes
vermindern. Nimmermehr dürfen wir glaube", mit solchen Mitigationen die
sogenannte ausgleichende Gerechtigkeit zu üben. Diese Gerechtigkeit müßte von
selten des Staats an erster Stelle in der Weise geübt werden, daß er sich
ernstlich bemüht, möglichst alle Straftaten zur Ahndung zu bringen, denn die
Strafe, die dem einen Übeltäter, der dumm genug war, sich fangen zu lassen,
recht ist, ist auch dem andern billig, der sich der vergeblichen Anstrengungen
der Nechtspflegeorgane, ihn zu fangen, freut. Erweitert man die Maschen des
Strafrechts, so werden neue Heere Krimineller durchschlüpfen, und wir werden
uns immer mehr -- wie es heute schon so sehr zutrifft -- mit dem Zurstrecke-
bringen der Dummen begnügen müssen.

Leider aber sind die Reformen, die auf dem Gebiete des Strafrechts ver¬
langt werden, zur politischen Tagesforderung geworden. Ja man darf mit
Recht vermuten, daß der politische Markt diese Forderungen und deren Erfüllung
als gute Handels- und Tauschobjekte betrachtet. Wer gegen diesen Geist der
Zeit eifert, ist zum unheilbaren Scharfmacher gestempelt, er kann seine Ansicht
so erfahrungsmäßig begründen, wie er will. Man will so etwas heute eben
nicht mehr hören, man will lieber eine neue Blüte des Verbrechertums erleben,
wie sie seit den Zeiten der Flagellanten und Raubritter nicht mehr gesehn wurde.
Unsre zweifellos verbesserte Verbrechensprophylaxe kann da allein nicht helfen.
Scharfe Repressiv" wirkt mehr als ein gut Teil mit. Wir sollten doch auch
daran denken, daß selbst die moderne Geschichte Revolutionen nachweist, die
ihren Hauptgrund oder einen dieser Gründe in überhandnehmender Kriminalität
einer oder mehrerer Gesellschaftsschichten haben. Soll man diesen Zündstoff
ohne Not häufen? Heute glauben wir die öffentliche Sicherheit und Ordnung
im ganzen und großen noch verbürgt zu haben. Der Kampf gegen die
Kriminalität, so weit er nicht vom Staate geführt wird, erfaßt bei uns weder
ganze Stände und Klassen noch überhaupt größere Kreise des Volkes. Wird
der einzelne vom Verbrechen betroffen, so nimmt er wohl unter Inanspruchnahme
der staatlichen Machtmittel den Kampf gegen den Verbrecher auf. Die Volks¬
genossen schauen diesem Kampfe aber in den meisten Fällen geruhig zu, der
besten Hoffnung voll, daß sie von kriminellen Angriffen verschont bleiben werden.
Den quivis ex xoxulo, der eine Straftat aus dem altruistischen Antriebe, die
Allgemeinheit vor ihrer Wiederholung zu schützen und der Rechtsordnung zu
dienen, anzeigt und aufzuklären sucht, den kann der Staatsanwalt heute mit
der Laterne suchen. Den gibt es einfach nicht. Das ist für heute noch ein


Rriminalpolitische Irrtümer

niedrig zu bewerten. Kann man sich angesichts dieses noch für versichert halten,
daß die öffentliche Ordnung und Sicherheit unter der Herrschaft eines solchen
Reformwerks in demselben Maße, wie bisher, garantiert bleiben wird? Meines
Erachtens befinden wir uns in einem schweren kriminalpolitischen Irrtum, wenn
wir allzusehr danach streben, die Härten und Schärfen aus dem Strafrecht zu
entfernen, da sie doch sein Wesens- und Wirkungsinhalt sind. Dieses wird und
muß den Erfolg haben, daß sich die „Stichproben" noch um ein bedeutendes
vermindern. Nimmermehr dürfen wir glaube», mit solchen Mitigationen die
sogenannte ausgleichende Gerechtigkeit zu üben. Diese Gerechtigkeit müßte von
selten des Staats an erster Stelle in der Weise geübt werden, daß er sich
ernstlich bemüht, möglichst alle Straftaten zur Ahndung zu bringen, denn die
Strafe, die dem einen Übeltäter, der dumm genug war, sich fangen zu lassen,
recht ist, ist auch dem andern billig, der sich der vergeblichen Anstrengungen
der Nechtspflegeorgane, ihn zu fangen, freut. Erweitert man die Maschen des
Strafrechts, so werden neue Heere Krimineller durchschlüpfen, und wir werden
uns immer mehr — wie es heute schon so sehr zutrifft — mit dem Zurstrecke-
bringen der Dummen begnügen müssen.

Leider aber sind die Reformen, die auf dem Gebiete des Strafrechts ver¬
langt werden, zur politischen Tagesforderung geworden. Ja man darf mit
Recht vermuten, daß der politische Markt diese Forderungen und deren Erfüllung
als gute Handels- und Tauschobjekte betrachtet. Wer gegen diesen Geist der
Zeit eifert, ist zum unheilbaren Scharfmacher gestempelt, er kann seine Ansicht
so erfahrungsmäßig begründen, wie er will. Man will so etwas heute eben
nicht mehr hören, man will lieber eine neue Blüte des Verbrechertums erleben,
wie sie seit den Zeiten der Flagellanten und Raubritter nicht mehr gesehn wurde.
Unsre zweifellos verbesserte Verbrechensprophylaxe kann da allein nicht helfen.
Scharfe Repressiv» wirkt mehr als ein gut Teil mit. Wir sollten doch auch
daran denken, daß selbst die moderne Geschichte Revolutionen nachweist, die
ihren Hauptgrund oder einen dieser Gründe in überhandnehmender Kriminalität
einer oder mehrerer Gesellschaftsschichten haben. Soll man diesen Zündstoff
ohne Not häufen? Heute glauben wir die öffentliche Sicherheit und Ordnung
im ganzen und großen noch verbürgt zu haben. Der Kampf gegen die
Kriminalität, so weit er nicht vom Staate geführt wird, erfaßt bei uns weder
ganze Stände und Klassen noch überhaupt größere Kreise des Volkes. Wird
der einzelne vom Verbrechen betroffen, so nimmt er wohl unter Inanspruchnahme
der staatlichen Machtmittel den Kampf gegen den Verbrecher auf. Die Volks¬
genossen schauen diesem Kampfe aber in den meisten Fällen geruhig zu, der
besten Hoffnung voll, daß sie von kriminellen Angriffen verschont bleiben werden.
Den quivis ex xoxulo, der eine Straftat aus dem altruistischen Antriebe, die
Allgemeinheit vor ihrer Wiederholung zu schützen und der Rechtsordnung zu
dienen, anzeigt und aufzuklären sucht, den kann der Staatsanwalt heute mit
der Laterne suchen. Den gibt es einfach nicht. Das ist für heute noch ein


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[0088] Rriminalpolitische Irrtümer niedrig zu bewerten. Kann man sich angesichts dieses noch für versichert halten, daß die öffentliche Ordnung und Sicherheit unter der Herrschaft eines solchen Reformwerks in demselben Maße, wie bisher, garantiert bleiben wird? Meines Erachtens befinden wir uns in einem schweren kriminalpolitischen Irrtum, wenn wir allzusehr danach streben, die Härten und Schärfen aus dem Strafrecht zu entfernen, da sie doch sein Wesens- und Wirkungsinhalt sind. Dieses wird und muß den Erfolg haben, daß sich die „Stichproben" noch um ein bedeutendes vermindern. Nimmermehr dürfen wir glaube», mit solchen Mitigationen die sogenannte ausgleichende Gerechtigkeit zu üben. Diese Gerechtigkeit müßte von selten des Staats an erster Stelle in der Weise geübt werden, daß er sich ernstlich bemüht, möglichst alle Straftaten zur Ahndung zu bringen, denn die Strafe, die dem einen Übeltäter, der dumm genug war, sich fangen zu lassen, recht ist, ist auch dem andern billig, der sich der vergeblichen Anstrengungen der Nechtspflegeorgane, ihn zu fangen, freut. Erweitert man die Maschen des Strafrechts, so werden neue Heere Krimineller durchschlüpfen, und wir werden uns immer mehr — wie es heute schon so sehr zutrifft — mit dem Zurstrecke- bringen der Dummen begnügen müssen. Leider aber sind die Reformen, die auf dem Gebiete des Strafrechts ver¬ langt werden, zur politischen Tagesforderung geworden. Ja man darf mit Recht vermuten, daß der politische Markt diese Forderungen und deren Erfüllung als gute Handels- und Tauschobjekte betrachtet. Wer gegen diesen Geist der Zeit eifert, ist zum unheilbaren Scharfmacher gestempelt, er kann seine Ansicht so erfahrungsmäßig begründen, wie er will. Man will so etwas heute eben nicht mehr hören, man will lieber eine neue Blüte des Verbrechertums erleben, wie sie seit den Zeiten der Flagellanten und Raubritter nicht mehr gesehn wurde. Unsre zweifellos verbesserte Verbrechensprophylaxe kann da allein nicht helfen. Scharfe Repressiv» wirkt mehr als ein gut Teil mit. Wir sollten doch auch daran denken, daß selbst die moderne Geschichte Revolutionen nachweist, die ihren Hauptgrund oder einen dieser Gründe in überhandnehmender Kriminalität einer oder mehrerer Gesellschaftsschichten haben. Soll man diesen Zündstoff ohne Not häufen? Heute glauben wir die öffentliche Sicherheit und Ordnung im ganzen und großen noch verbürgt zu haben. Der Kampf gegen die Kriminalität, so weit er nicht vom Staate geführt wird, erfaßt bei uns weder ganze Stände und Klassen noch überhaupt größere Kreise des Volkes. Wird der einzelne vom Verbrechen betroffen, so nimmt er wohl unter Inanspruchnahme der staatlichen Machtmittel den Kampf gegen den Verbrecher auf. Die Volks¬ genossen schauen diesem Kampfe aber in den meisten Fällen geruhig zu, der besten Hoffnung voll, daß sie von kriminellen Angriffen verschont bleiben werden. Den quivis ex xoxulo, der eine Straftat aus dem altruistischen Antriebe, die Allgemeinheit vor ihrer Wiederholung zu schützen und der Rechtsordnung zu dienen, anzeigt und aufzuklären sucht, den kann der Staatsanwalt heute mit der Laterne suchen. Den gibt es einfach nicht. Das ist für heute noch ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/88>, abgerufen am 12.12.2024.